OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.06.2011 - 1 LA 165/08 - asyl.net: M18848
https://www.asyl.net/rsdb/M18848
Leitsatz:

Die Abschiebungskosten sind vom Kläger zu erstatten, da seine Begleitung auf dem Flug durch Beamte der Bundespolizei erforderlich war.

Es mag zutreffen, dass bei einer Abschiebung nach Schließung der Flugzeugtüren den begleitenden Polizeibeamten keine Zwangsbefugnisse nach deutschem Recht mehr zustehen. Die Polizeibeamte fungieren dann als Flugbegleiter, sie unterwerfen sich den Befugnissen des Flugzeugführers; dies verbietet das deutsche öffentliche Recht nicht. Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob man dies als Delegation der Befugnisse des Flugzeugführers bezeichnet oder anders einordnet. Die Abschiebungsverfügung ist erst mit Erreichen des Zielstaats vollständig erfüllt; erforderlich im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist die Anordnung von Begleitpersonen so lange, wie nicht mit Sicherheit ein Abbruch der Rückführung ausgeschlossen werden kann.

Schlagwörter: Abschiebungskosten, Berufungszulassung, Freiheitsberaubung, Bundespolizei, Abschiebung, Erforderlichkeit, Gewohnheitsrecht, Völkerrecht, Prognose, Ausweisung, Ersatzvornahme
Normen: AufenthG § 66, AufenthG § 67 Abs. 1 Nr. 3, AufenthG § 58 Abs. 1, AufenthG § 58a Abs. 2 S. 3, LuftSiG § 12 Abs. 1 S. 1, LuftSiG § 12 Abs. 3, BPolG § 4a
Auszüge:

[...]

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwG4 liegen nicht erst vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, sondern bereits dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, 634 = DVBl. 2010, 308). Das ist dem Kläger nicht gelungen.

Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheides sind §§ 66 und 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

"§ 66 Kostenschuldner; Sicherheitsleistung

(1) Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen, hat der Ausländer zu tragen.

§ 67 Umfang der Kostenhaftung

(1) Die Kosten der Abschiebung, Zurückschiebung, Zurückweisung und der Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung umfassen [...]

3. sämtliche durch eine erforderliche Begleitung des Ausländers entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten."

Voraussetzung für die Auferlegung der im Zulassungsantrag allein noch genannten Kosten ist daher allein, dass die Begleitung des Ausländers "erforderlich" war. Das war hier, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gerade angesichts des Verhaltens sogar dringend geboten, das der Kläger im Jahre 1995 an den Tag gelegt und von dem er sich nachfolgend nicht so distanziert hatte, dass man die Anordnung von Begleitpersonen als überflüssig hätte ansehen können. Das wäre erst dann der Fall gewesen, wenn mit Sicherheit hätte angenommen werden können, der Kläger werde sich weder seiner Abschiebung widersetzen noch im Flugzeug die Flugsicherheit gefährden. Von beidem kann hier keine Rede sein.

Der (hauptsächlich) Zulassungsangriff, daneben müsse noch geprüft werden, ob der Ausländer gegen seinen Willen abgeschoben werden könne und ob den Polizeibeamten nach Schließung der Flugzeugtüren Zwangsbefugnisse zustanden, greift nicht durch. [...]

Der seiner Abschiebung entgegenstehende Wille des Klägers ist mit anderen Worten deshalb unbeachtlich - seine Abschiebung daher keine (rechtswidrige) Freiheitsberaubung und der Vergleich mit der Sachlage bei einem nicht mit Ausweisung belegten Inländer unangebracht , weil es auf diesen nicht ankommt. Maßgeblich ist, dass der Ausländer nach vollziehbarer Anordnung seine Abschiebung/den Transport in das Zielland hinzunehmen hat und die Bundesrepublik Deutschland das Gebotene unternehmen darf, die Erfüllung dieser vollziehbar/unanfechtbar festgesetzten Pflicht sicherzustellen, sich bis in das im Bescheid genannte Zielland befördern zu lassen.

Auf die Rechtsverhältnisse des Klägers zur privaten Luftverkehrsgesellschaft kommt es nicht an. Solche bestehen nicht. Es wird zwar "für den Kläger" ein Ticket gekauft. Das macht ihn aber nicht zu einem "normalen Passagier", welcher die erkaufte Leistung nach seinem Ratschluss einfordern oder auch verfallen lassen kann. Es verhält sich vielmehr wie sonst auch bei einer Ersatzvornahme: Die eigentlich von Pflichtigen zu erbringende Leistung (hier: Ausreise auf eigene Kosten) wird mit Hilfe eines privaten (hier: Flug-)Unternehmens erbracht. Nicht zwischen diesem und dem Kläger, sondern zwischen dem Flugunternehmen und der Behörde besteht ein vertragliches Verhältnis - allerdings mit der für Ersatzvornahmen typischen Nebenfolge, dass die dadurch entstandenen Kosten auf den öffentlich-rechtlich Handlungspflichtigen abgewälzt werden können.

Dementsprechend richten sich die Befugnisse zwischen "der Behörde", d.h. den von ihr mit der erforderlichen Transportbegleitung betrauten Personen und der privaten Fluggesellschaft nach dem zwischen diesen bestehenden Rechtsverhältnis. Insoweit mag es zutreffen, dass nach Schließung der Flugzeugtüren den begleitenden Polizeibeamten keine öffentlich-rechtlichen, aus deutschem Recht gespeisten Zwangsbefugnisse gegen den Kläger zustehen/-standen. Das ist indes irrelevant. Denn das deutsche öffentliche Recht verbietet nicht, sich den Befugnissen, welche dem Lufttransportunternehmen, im Flugzeug dann dem Flugzeugführer zustehen, zu unterwerfen und das zu tun, was dieser zur Aufrechterhaltung der Sicherheit an Bord für nötig ansieht. Sieht er - wie dies der am 5. Juli 1995 gescheiterte Versuch zeigt - als erforderlich an, dass an Bord kein Aufsehen entsteht, an welchem andere Passagiere mit nachteiligen Folgen für die Fluggesellschaft Anstoß nehmen könnten, dann ist es den als Flugbegleiter fungierenden Polizeibeamten (nicht aufgrund hoheitlicher, d.h. im deutschen öffentlichen Recht begründeter Befugnisse, sondern) wegen des Privatrechtsverhältnisses, das die Bundesrepublik mit der privaten Fluggesellschaft begründet hat, gestattet, (unter Wahrung der Menschenwürde des Ausländers und unter Beachtung der zum Schutze seiner körperlichen Unversehrtheit bestehenden strafrechtlichen Vorschriften) Vorkommnisse zu unterbinden, welche dem Flugkapitän Anlass geben könnten, diesen Versuch der Abschiebung abzubrechen. Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob man dies als Delegation der Befugnisse des Flugzeugführers, solchen Situationen vorzubeugen, bezeichnet oder in anderer Weise einordnet. Die bestandskräftige/vollziehbare Abschiebungsverfügung ist erst dann vollständig erfüllt, wenn der Ausländer das bezeichnete Land erreicht hat. Erforderlich im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist die Anordnung von Begleitpersonen - wie ausgeführt - so lange, wie nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, der Ausländer werde im Flugzeug Situationen heraufbeschwören, welche einen (u.U. weiteren) Abbruch des Versuchs nach sich ziehen, diese Rückführung abzubrechen. Insoweit liegt die Anordnung von Begleitpersonen sogar im finanziellen Interesse des Ausländers. Denn dieser hat auch die Kos-ten derjenigen Abschiebungsversuche zu tragen, die aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, abgebrochen werden müssen (zu den Kosten eines abgebrochenen Abschiebungsversuchs vgl. z.B. Nds. OVG, B. v. 31.3.2010 - 8 PA 28/10 -, AuAS 2010, 139 = InfAuslR 2010. 317; B. v. 20.1.2010 - 11 LA 23/09 -, OVG Datenbank).

Nach alledem liegt auf der Hand, dass es nicht - wie im Wesentlichen erst nach Ablauf der Antragsbegründungsfrist geltend gemacht wurde - darauf ankommt, ob der privaten Fluggesellschaft ein Recht zusteht, den Ausländer gegen seinen Willen in das Heimat- oder das in der Abschiebungsverfügung bezeichnete Land zu bringen. Insoweit ist - wie auch sonst bei Ersatzvornahmen - allein das Rechtsverhältnis des Ausländers zu den deutschen Behörden und die dort begründeten Handlungs-/Duldungspflichten maßgeblich. Auch dann, wenn beispielsweise eine Abrissverfügung durch Ersatzvornahme durchgesetzt wird, stellt sich nicht die Frage, ob das Abrissunternehmen dem Bürger gegenüber berechtigt wäre, aus eigenem Antrieb vom Baupolizeipflichtigen die Beseitigung des Bauwerks zu verlangen und durchzusetzen. Aus diesem Grunde ist die Bundesrepublik nicht verpflichtet, die vom Kläger im Schriftsatz vom 2. Dezember 2008 diskutierte "staatliche Flugzeugflotte für Rückbeförderungszwecke" zu schaffen. [...]