VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 25.02.2011 - 10 K 659/10 - asyl.net: M18872
https://www.asyl.net/rsdb/M18872
Leitsatz:

1. Nach Serbien zurückkehrenden Angehörigen der Volksgruppe Roma droht generell keine Gefährdung im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG.

2. In Serbien ist die medizinische Grundversorgung gesichert und steht auch Minderheitengruppen zur Verfügung.

3. Die öffentliche Medikamentenversorgung ist im Kosovo nicht zuverlässig gewährleistet, Kranke sind dann auf die private Beschaffung in privaten Apotheken angewiesen.

4. Der Zugang zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten des öffentlichen Gesundheitssystems für die Bevölkerung im Kosovo ist jedoch unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft gewährleistet; Fälle, in denen Personen der Zugang verwehrt worden sei, weil sie Angehörige einer der im Kosovo lebenden Minderheitengemeinschaften seien, seien nicht bekannt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Serbien, Wohnortwechsel, Kosovo, Wohnraum, Schwangerschaft, medizinische Versorgung, Krankheit, Minderheit, Minderheiten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Vor diesem Hintergrund führt die Berufung der Kläger zu 1. bis 4. auf Erkrankungen nicht zur Annahme eines jeweils individuellen Abschiebungsverbotes hinsichtlich Serbien als Abschiebezielland nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Aus diesem Vorbringen können sie keinen Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG herleiten, da bezogen auf Serbien die einem Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift zugrunde zu liegende Voraussetzung, nämlich die Gefahr einer konkreten und alsbald zu erwartenden Verschlimmerung der Erkrankungen bei Rückkehr, nicht festgestellt werden kann. [...]

Hierzu hat die Beklagte in dem die Klägerin zu 1. bis 4. betreffenden Bescheid zutreffend ausgeführt, dass in Serbien die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist und auch den Minderheitengruppen zur Verfügung steht. Diese Bewertung, auf die nach § 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen werden kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisquellen.

Danach gilt, dass den Klägern sämtlich bei einer Rückkehr nach Serbien, wo die Kläger zu 1. bis 3. geboren sind und sie von ihrer Geburt bis zum Wohnortwechsel in den Kosovo im Jahre 2008 ständig gelebt haben und der Kläger zu 5. nach seinen Angaben von 1999 bis 2008 jahrelang gelebt und gearbeitet hat, eine Wohnsitznahme und Registrierung als Voraussetzung für den Erhalt sozialer Leistungen einschließlich medizinischer Versorgung aller Voraussicht nach nicht verwehrt werden kann und wird.

Hierfür ist einmal von Bedeutung, dass die Kläger zu 1. bis 3. und 5. während ihres Aufenthaltes in Serbien Wohnraum besessen haben und ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit des Klägers zu 5. haben sicherstellen können. Der Letztgenannte hat in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer seine Angaben gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren bestätigt, wonach er in Serbien einen für den Unterhalt seiner Familie einschließlich Mietzahlungen ausreichenden monatlichen Verdienst von 150,- bis 200,- Euro erzielt hat. Dies hat die Klägerin zu 1. nach Maßgabe ihrer Angaben in der informatorischen Anhörung der Kammer bestätigt und folgendermaßen bewertet: "Es hat gereicht, wir haben gut gelebt". Anhaltspunkte dafür, dass es den Klägern bei einer Rückkehr ihrer Familie nach Serbien nicht gelingen wird, diesen Lebensstandard erneut zu erreichen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Hinzu kommt, dass nach den weiteren Angaben der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung deren Großeltern sowie – insoweit sind ihre Angaben indes widersprüchlich - weitere Verwandte in Serbien (im Haus der Großeltern) leben. Auf die angesichts des familiären Zusammenhalts innerhalb der Volksgruppe, der die Kläger entstammen, zu erwartende Unterstützung, wie sie der traditionellen Einstellung innerhalb des Traditionskreises der Minderheit der die Kläger angehören, entspricht, jedenfalls durch die in Serbien lebenden Großeltern der Klägerin zu 1. und die Realisierung von Transferleistungen der nach Angaben der Klägerin zu 1. im Bundesgebiet lebenden Verwandten, wozu auch deren Eltern gehören, müssen sich die Kläger entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa das Urteil 16.07.2010, 10 K 2165/09 (ergangen zu Roma aus dem Kosovo)) in zumutbarer Weise verweisen lassen.

Aufgrund ihres bis vor wenigen Jahren noch bestehenden festen Wohnsitzes in Serbien bestehen zudem keine Zweifel, dass ihnen bei Rückkehr weder eine Registrierung noch erforderlichenfalls die Gewährung von Sozialleistungen einschließlich Schutz im Krankheitsfall verweigert werden wird.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die von den Klägern zu 1. bis 4. geltend gemachten Erkrankungen sämtlich in Serbien behandelbar sind und die medizinische Versorgung auch den Angehörigen der Minderheit der Roma nicht vorenthalten wird. [...]

Im Übrigen handelt es offensichtlich nicht um eine Erkrankung von einer Schwere, die bei Rückkehr und fehlender Behandlungsmöglichkeiten in Serbien, wofür entsprechend dem von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid belegten medizinischen Standard nichts spricht, alsbald eine wesentliche Verschlimmerung im hier fraglichen Sinne erwarten lässt.

Die der Klägerin zu 1. attestierte Schwangerschaft stellt für sich von vorneherein bereits keine Erkrankung dar. Soweit hierzu der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ärztlichen Bescheinigung des behandelnden Gynäkologen vom 24.02.2011 eine vorzeitige Wehentätigkeit zu entnehmen ist und körperliche Schonung zur Vermeidung einer Frühgeburt als notwendig bezeichnet wird, handelt es sich um einen Sachverhalt (von letztlich vorübergehender Dauer), der ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot begründen kann, für dessen Feststellung, wie bereits allgemein dargelegt, nicht die Beklagte sondern die Ausländerbehörde zuständig ist, so dass diese Umstände vorliegend nicht zu berücksichtigen sind. {...]

Auch die für den Kläger zu 4. im kinderärztlichen Attest vom 06.08.2010 attestierten rezidivierenden fieberhaften Infekte stellen ersichtlich keine Krankheit von einer Schwere dar, die eine Berücksichtigung im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung rechtfertigten. Soweit der Bescheinigung weiter zu entnehmen ist, dass er zum dortigen Untersuchungszeitpunkt im August 2010 "dystroph (6,8 kg – 71 cm) und in seiner Gesamtentwicklung deutlich retendiert" (gemeint wohl: retardiert) gewesen ist, gilt letztlich nichts anderes. Insoweit fehlt es an einem Beleg für eine fortbestehende Behandlungserforderlichkeit, die im Übrigen nach dem Attest selbst offensichtlich alleine in einer "gezielten" Krankengymnastik bestanden hat. [...] Die insoweit in dem weiter vorliegenden Vorläufigen Arztbrief des M. Klinikums S. B-Stadt über den stationären Aufenthalt des Klägers zu 4. vom 19. bis 23.12.2010 hinsichtlich der Diagnose "Entwicklungsretardierung" bzw. "statomotorische Retardierung" angesprochene und als noch ausstehend bezeichnete Stoffwechseldiagnostik ist offenbar nicht erfolgt. Anlass für die stationäre Aufnahme des Klägers zu 4. war ersichtlich eine akute RSV-Pneumonie, die nach Entlassung "in stabilem Allgemeinzustand" bei medikamentöser Nachbehandlung bis zum 31.12.2010 als geheilt anzusehen ist.

Was schließlich die von den Klägern zu 1. und 5. vorgetragenen Übergriffe insbesondere gegenüber dem Kläger zu 5. in Serbien, die nach dessen Angaben von einer kleinen Gruppe von Serben, die auch mit Drogen zu tun hatten, ausgegangen sein sollen, anbelangt, spricht bereits nichts dafür, dass die Kläger selbst bei einer Rückkehr an ihren letzten Wohnort nach der inzwischen vergangenen Zeit gerade wieder auf diese Gruppe treffen werden, zumal sie sich, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend dargelegt hat, auch andernorts in Serbien niederlassen können, insbesondere der Großraum Belgrad ein Sammelbecken auch für die Gruppe der Roma darstellt und von einer ausreichenden Schutzfähigkeit und -willigkeit der Sicherheitsbehörden auszugehen ist, so dass die Kläger, was sie in der Vergangenheit nach ihren Angaben unterlassen haben, zumutbar darauf zu verweisen sind, polizeilichen Schutz zu suchen.

Nach allem fehlt es, was eine Abschiebung nach Serbien anbelangt, für sämtliche Kläger an den Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nichts anderes gilt zum Kosovo als Zielland einer Abschiebung der Kläger.

Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Anspruchs nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist zu beachten, dass die so festzustellende Situation insbesondere auch der Gruppe der Minderheit der Roma im Kosovo alle Angehörigen der Gruppe, der die Kläger zuzuordnen sind, trifft und damit § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG eingreift. Danach sind Gefahren in dem Zielstaat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, alleine bei der Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 S. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Auch wenn sich also aus der schlechten allgemeinen Lage insbesondere der Angehörigen von Minderheiten Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ergeben, können sich die Kläger hierauf nicht berufen. Dies gilt auch, angesichts des Umstandes, dass die Kläger zu 1. bis 5. gesundheitliche Beschwerden geltend gemacht haben. Damit unterscheiden sie sich jedenfalls nicht von der Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo, zu der wiederum eine Vielzahl von Personen gehört, die die Situation mit den Klägern teilt.

Ein darüber hinaus gegebener individueller Anspruch auf Abschiebungsschutz auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch der saarländischen Verwaltungsgerichte, dass die Kläger bei einer Rückkehr "sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet" würden (vgl. etwa Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Auflage 2008, § 60 AufenthG Rdnr. 21, m.w.N.), ihnen also erhebliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit bzw. ihr Leben drohen. Davon kann indes auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Lebensumstände und den Umständen, die sie nach Rückkehr an ihren Herkunftsort im Kosovo zu erwarten haben werden, keine Rede sein.

Was dabei speziell die von den Klägern zu 1. bis 4. geltend gemachten Erkrankungen angeht, handelt es sich dabei, wie bezogen auf Serbien als Abschiebzielland bereits ausgeführt, unter Berücksichtigung der vorgelegten Bescheinigungen und Atteste nicht um Erkrankungen, bei denen zu erwarten ist, dass nach der Rückkehr alsbald mit einer ein Abschiebungsverbot rechtfertigenden wesentlichen Verschlimmerung zu rechnen ist. Sowohl hinsichtlich der von der Klägerin zu 1. geltend gemachten Tonsillitis als auch der für die Kläger zu 2. und 3. geltend gemachten Adenoiden bestehen – ungeachtet des Umstandes, dass die Kläger einen aktuell oder in absehbarer Zeit bestehenden Operationsbedarf nicht belegt haben – im Kosovo Behandlungsmöglichkeiten (vgl. die Auskünfte der Deutschen Verbindungsbüros in Pristina vom 18.06.2004, RK 516.80, und vom 02.04.2004, RK 516.80, 32/2-64-00).

Was die dem Kläger zu 4. attestierte Retardierung anbelangt, ist zwar davon auszugehen, dass im Kosovo eine Behandlung von Wachstumsstörungen in Form einer Hormonbehandlung indiziert bei hypophysärem Kleinwuchs nicht durchführbar ist (vgl. die Berichte des Deutschen Verbindungsbüros in Pristina vom 21.04.2004, RK 516.80, 2.1361 kr, und vom 07.11.2005, RK 516.80 – E 178/05); im Falle des Klägers zu 4. sind aber weder die entsprechende Diagnose gestellt (vgl. dazu Pschyrembel, Therapeutisches Wörterbuch, 2. Auflage 2001, S. 971) noch ist die Erforderlichkeit einer Hormonbehandlung auch nur behauptet.

Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass die Kläger bei Rückkehr in den Kosovo auch nicht aus finanziellen Gründen von einer erforderlichen Krankheitsbehandlung, auch wenn hierzu Eigenbeiträge entrichtet werden müssen, ausgeschlossen sein werden und sie – wie bis zu ihrer Ausreise – ihren Lebensunterhalt sicherstellen können.

Allgemein hat sich der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes zur Problematik von Krankheit und Kosovo sowie zur Teilhabe von Minderheitenangehörigen an der Gesundheitsversorgung bezogen auf die hier fragliche Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wie folgt geäußert (vgl. das Urteil vom 30.09.2010, 2 A 439/09).

"Ausweislich des aktuellen Berichts des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 20.6.2010 – Stand: Mai 2010 – stellt sich die öffentliche Gesundheitsversorgung mit Blick auf die Bedürfnisse der Klägerin im Wesentlichen wie folgt dar: Das öffentliche dreistufige Gesundheitssystem im Kosovo besteht aus kommunalen Erstversorgungszentren (primäre Gesundheitsversorgung), Krankenhäusern auf regionaler Ebene (sekundäre Gesundheitsversorgung) und einer spezialisierten medizinischen Versorgung durch die Universitätsklinik Pristina auf der dritten Stufe. In Peje gibt es neben einem medizinischen Hauptzentrum ein Regionalkrankenhaus, in dem Patienten von Fachärzten ambulant und stationär behandelt werden. Zusammen mit den Einnahmen aus Zuzahlungen der Patienten reichen die Mittel aber nur zur Finanzierung einer Gesundheitsversorgung auf einfachem Niveau aus. Einschränkungen sind insbesondere auf den schlechten Zustand von Krankenhäusern und Gesundheitsstationen sowie auf teilweise veraltete Ausstattungen zurückzuführen. Die Medikamentenversorgung im staatlichen Gesundheitswesen wird vom Gesundheitsministerium zentral gesteuert, beschafft und an alle medizinischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens weitergeleitet. Im Bedarfsfall sind alle vom Gesundheitsministerium zugelassenen Medikamente über Apotheken im Kosovo gegen Zahlung des Verkaufspreises erhältlich. Für medizinische Leistungen sowie für bestimmte Basismedikamente (verzeichnet in der sog. "Essential Drug List") zahlt der Patient Eigenbeteiligungen, die nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhoben werden. Von der Zuzahlungspflicht befreit sind jedoch u.a. Empfänger von Sozialleistungen, chronisch Kranke und Personen über 65 Jahre. Das Gesundheitsministerium verfügt außerdem über ein Budget, um Personen ohne ausreichende finanzielle Mittel Medikamente, die nicht in der "Essential Drug List" verzeichnet sind, zur Verfügung stellen zu können; die Bewilligung erfolgt aber nur in Ausnahmefällen, wenn der Patient ansonsten in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde. Bisher aufgetretenen Korruptionsfällen im öffentlichen Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der durch Finanzknappheit bedingten niedrigen Gehälter des medizinischen Personals wurde mit einer Lohnerhöhung und der Zahlung von Verpflegungs- und Fahrtkostenzuschüssen und Schichtzulagen ab Februar 2010 entgegenzutreten versucht. Privatärztliche Leistungen sind frei verhandelbar und vom Patienten selbst zu zahlen.

Auch nach Auffassung des UNHCR ist das öffentliche Gesundheitssystem derzeit nicht in der Lage, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Medikamente, die im öffentlichen Gesundheitssystem verfügbar seien, seien vor allem auf gängige Krankheitsbilder ausgerichtet. Viele Patienten mit seltenen oder chronischen Erkrankungen (z.B. fehlende Wachstumshormone, Hämophilie, HIV/Aids) könnten in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und staatlichen Apotheken nicht die Behandlung erhalten, die sie benötigten. Zwar könnten private Apotheken die Medikamente bisweilen importieren, doch sei dies oft teuer und die Lieferung nicht gewährleistet. Nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sind die meisten der eigentlich kostenfreien Medikamente in öffentlichen Apotheken überhaupt nicht vorrätig, sondern würden nur in privaten Apotheken oder bei Großhändlern gegen Bezahlung abgegeben. Seit dem Jahr 2009 wurden allerdings die Haushaltsmittel für den Einkauf der Basismedikamente erheblich von 6 Mio. auf 16 Mio. EUR erhöht und damit die Versorgung der Patienten mit Basismedikamenten verbessert.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann davon ausgegangen werden, dass die öffentliche Medikamentenversorgung im Kosovo - selbst bei "gängigen" Krankheiten - nicht zuverlässig gewährleistet ist und daher in Betracht gezogen werden muss, dass der Kranke auf die private Beschaffung in privaten Apotheken angewiesen ist (UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 23; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Kosovo: Zur Rückführung von Roma vom 21.10.2009, S. 15; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Pristina, Stellungnahme vom 7.7.2010 an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – RK 516.80 – E 99/09 –).

Dass der Zugang zu der medizinischen Versorgung für die Klägerin wegen ihrer Roma-Volkszugehörigkeit erhebliche Probleme aufwerfen würde, wie die Klägerin meint, ist nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen nicht zutreffend. Zwar weist der UNHCR darauf hin, dass der Zugang zur medizinischen Grundversorgung für (Kosovo-Serben und) Kosovo-Roma über die Paralleleinrichtungen im Kosovo erfolgte, deren Erstarken die ethnische Trennung der Kosovo-Serben und Kosovo-Roma von der mehrheitlich kosovo-albanischen Bevölkerung fortgesetzt habe und an die sich die in der Minderheit befindlichen Kosovo-Serben und Kosovo-Roma für soziale und administrative Dienstleistungen vorrangig wendeten . Ausweislich der Stellungnahmen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ist der Zugang zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten des öffentlichen Gesundheitssystems für die Bevölkerung im Kosovo jedoch unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft gewährleistet; Fälle, in denen Personen der Zugang verwehrt worden sei, weil sie Angehörige einer der im Kosovo lebenden Minderheitengemeinschaften seien, seien nicht bekannt. Auch der European Return Fund sieht für Minderheiten insoweit – sogar ausdrücklich für Peje – kein Zugangs-, sondern ein Finanzierungsproblem (UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 23; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 12; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 12; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009, Bl. 12; European Return Fund, Social, administrative and economic background of sustainable return to Kosovo, Fact Finding Mission Report 2009, vom 10.2.2010, Bl. 32)"

Dieser Bewertung folgt die Kammer auch unter Berücksichtigung der zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den Lagebericht Kosovo des AA vom 06.01.2011; UNICEF – Deutsches Komitee für UNICEF e. V., Knaus/Widmann/u.a., Studie: Integration unter Vorbehalt – Zur Situation von Kindern kosovarischer Roma, Ashkali und Ägypter in Deutschland und nach ihrer Rückführung in den Kosovo, Köln, 2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Grégoire Singer, Kosovo: Update – Zur Lage der medizinischen Versorgung, Bern; vom 01.09.2010; Der Tagesspiegel vom 29.09.2010, EU-Kommission warnt vor Abschiebung von Roma in den Kosovo; Berliner Zeitung - abgedruckt in ai, ASYL-INFO 11/2010, S. 7, vom 07.10.2010, Petra Sorge: Im Nichts – Zur Abschiebung einer Ashkali-Familie in den Kosovo – in die alte Heimat, die für sie nie eine gewesen ist; vgl. zur Fallschilderung auch: SZ vom 23./24.10.2010; Human Rights Watch: Lage abgeschobener Roma – Bericht vom 27.10.2010 – vollständiger englischer Text – vgl. die deutschsprachige Zusammenfassung in: ai, Asylmagazin 12/2010; ai – ASYL-INFO 11/2010, Online-Aktion: Abschiebungen von Roma in den Kosovo stoppen; FR vom 21.12.2010 und 12.01.2011; Berliner Zeitung vom 12.01.2011; NZZ vom 19.01.2011).

Nach Auffassung der Kammer ist vor diesem Hintergrund bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger sich bei einer Rückkehr an ihren Herkunftsort, Gnjilane, wo sie in der "A. 154" (vgl. die Angabe des Klägers zu 5., Bl. 40 der ihn betreffenden BA) gewohnt haben, werden registrieren lassen können. Nach den die Angaben der Kläger zu 1. und 5. in der Befragung durch die Beklagte weitestgehend bestätigenden und ergänzenden Angaben im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung durch die Kammer sind sie in ein leerstehendes Haus einer Tante des Klägers zu 5. gezogen und konnten sich dort ungehindert einrichten. Der Kläger zu 5. hat nach seinen Angaben zudem Sozialhilfe für das im Kosovo geborene dritte Kind, den Kläger zu 4., beantragt und sollte 40.- Euro erhalten, wobei das nur deshalb nicht erfolgt ist, weil er sich nicht um die Ausstellung geforderter Geburtsurkunden für sich und das Kind gekümmert hat, nachdem er bereits stark auf die Ausreise nach Deutschland fixiert gewesen sein will. Das belegt eindeutig, dass die Kläger während ihres Aufenthalts im Kosovo registriert gewesen sind und bei einer Rückkehr sich wieder werden registrieren lassen können.

Nach den Erkenntnissen der Kammer (vgl. insbesondere Ministerium für Inneres, Sport und Integration des Landes Niedersachsen, Bericht über die Reise einer Delegation des niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration in die Republik Kosovo vom 15. – 18.11.2009; Mattern, Kosovo: Zur Rückführung von Roma; Update der SFH-Länderanalyse, Bern, 21.10.2009; ai Berlin, Stellungnahme zur Situation der Roma im Kosovo, 06.05.2010) können sich aus dem Ausland zurückkehrende frühere jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo grundsätzlich nur an dem Ort registrieren lassen, für den sie vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo zuletzt gemeldet waren, und ist eine freie Wahl des Ortes der Wohnsitznahme nach einer Rückkehr aus Deutschland insoweit nicht möglich, als auch nur am letzten Wohnort Sozialleistungen beantragt werden können. Dementsprechend setzt das Verfahren zur Prüfung der Rückübernahmeersuchen aus Deutschland auch die Überprüfung einer entsprechenden Registrierungsmöglichkeit voraus. Aufgrund der vorliegend eindeutig zu erwartenden Wohnsitznahme der Kläger bei einer Rückkehr am Ort ihrer Herkunft ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass irgendetwas einer Registrierung an diesem Ort entgegenstehen könnte. Von daher kommt es auch nicht darauf an (vgl. das Urteil der Kammer vom 24.06.2010, 10 K 484/09), dass es nach einem Bericht des Idealvereins (Chachipe a.s.b.l., Béreldange, Luxemburg, Wer ist verantwortlich? Berichterstattung über ethnisch motivierte Gewalt gegen Roma im Kosovo – Eine Fallstudie, vom 18.08.2009, vgl. www.romarights.wordpress.com) gerade in der A., einem traditionellen Roma-Viertel in Gnjilane am 30. oder 31.07.2009 einen Übergriff von Kosvo-Albanern gegenüber dort lebenden Roma gegeben haben soll, von dem die Kläger des vorliegenden Verfahrens indes nichts berichtet haben. Dem Bericht lässt sich dieser Vorfall und darüber hinaus entnehmen, dass den eingeschalteten Sicherheitsbehörden eine Aufklärung des Vorfalls letztlich nicht möglich war. Dort ist aber zugleich zu entnehmen, dass im fraglichen Ort eine Romagemeinschaft existiert und aus dem Vorfall und seiner polizeilichen Verarbeitung letztlich nicht geschlossen werden kann, dass die Sicherheitsbehörden im Großen und Ganzen nicht schutzbereit sind, zumal deutliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die polizeiliche Sicht, der Fall sei nicht als ethnisch motiviert einzustufen und die daran beteiligten Personen hätten untereinander noch einige offene Rechnungen im Zusammenhang mit "Treibstoff-Delikten (Schmuggelgeschäften)", nicht widerlegt ist. Von daher kann weder von einer allgemeinen Gefährdungslage ausgegangen werden noch eine tatsächliche Registrierung und Wohnsitznahme für Roma in Gnjilane als unmöglich angesehen werden.

Im Falle der Kläger kommt hinzu, dass nach den Angaben des Klägers zu 5. gegenüber der Beklagten sein Vater ebenfalls in dieser Straße wohnt (Bl. 41 von dessen BA), er den Lebensunterhalt für seine Familie alleine mit dem Sammeln von Alteisen bis zur Ausreise durchgängig hat bestreiten können und er von den in der Nachbarschaft lebenden Roma unterstützt ("Sie haben mir geholfen.") worden ist. Dass es sich bei diesen um alte Leute gehandelt haben soll, ist dabei nicht von Belang.

Ist mithin davon auszugehen, dass den Klägern bei einer Rückkehr eine Registrierung an ihrem Herkunftsort im Kosovo möglich sein wird, so stehen ihnen zudem auch grundsätzlich alle Maßnahmen der Sozialhilfe und der Teilhabe am öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung (vgl. zur Sozialhilfe das Gesetz Nr. 2003/15, LAW ON THE SOCIAL ASSISTANCE SCHEME IN KOSOVO, vom 18.08.2003, Official Gazette of the Provisional Institutions of Self Governement in Kosovo, Pristina, Nr. 15 vom 01.08.2007, www.ks-gov.net/gazetazyrtare ; zur Gesundheitsversorgung im Kosovo vgl. i. Ü. die Auskünfte der Deutschen Botschaft in Pristina vom 11.02.2009, RK 516.80-E 201/07, vom 26.06.2009, …- E 101/08, vom 15.12.2009, ... – E 116/08, und vom 26.02.2010, …-E 170/09).

Im Übrigen sind die Kläger aus den bereits im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbotes bezogen auf Serbien dargelegten Gründen auch auf die Unterstützung zumindest des dort lebenden Vaters des Klägers zu 5. und Transferleistungen weiterer im Bundesgebiet bzw. in Serbien lebender Verwandter zumutbar zu verweisen. Die Kammer hat zu dieser Problematik im o.a. Urteil vom 24.06.2010 bezogen auf die dortigen Kläger folgendes ausgeführt, was allgemein auch auf die Kläger übertragbar erscheint:

"Was die Sicherstellung des wirtschaftlichen Existenzminimums anbelangt, kommt es im Falle der Kläger indes letztlich nicht darauf an, ob sie tatsächlich in den Genuss der im Kosovo bestehenden Möglichkeit der Sozialhilfe, die strengen Anforderungen unterliegt, kommen werden. Der Kläger zu 1. hat in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass in der Zeit des Aufenthalts in Mazedonien Transferleistungen durch die in Westeuropa lebenden Kinder der Kläger in Höhe von insgesamt 200,- Euro im Monat erfolgt sind. Auf diese Transferleistungen, die den Sozialhilfesatz einer 2–Personen-Familie in Höhe von 50,- Euro pro Monat und auch den Satz einer 7-Personen-Familie in Höhe von 75,- Euro pro Monat eindeutig um ein Mehrfaches übersteigen, müssen sich die Kläger verweisen lassen, zumal sie nach den vorliegenden Erkenntnisquellen im Hinblick auf diese Transferleistungen von dem Bezug von Sozialhilfe ausgeschlossen wären. Von daher kommt es nicht darauf an, ob Gewährung von Sozialhilfe eventuell bezogen auf andere Voraussetzungen scheitern könnte (vgl. die Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina an das BAMF vom 26.06.2009, RK 516.80 - E101/08).

Auch die in der Auskunft mitgeteilten Durchschnittspreise von Lebensmitteln und anderen Artikeln (a.a.O. (S. 4)) widerlegen, dass ein Zweipersonenhaushalt mit einer Transferleistung, wie sie die Kläger bis zu ihrer Einreise von ihren in Westeuropa lebenden Kindern (zur Zeit neben der Klägerin zu 2. des eingestellten Verfahrens 10 K 485/09 ein Sohn in Deutschland, ein Sohn in den Niederlanden und zwei Söhne in Schweden; Bl. 60 BA) erhalten haben, auskommen können und werden. Anhaltspunkte dafür, dass den Klägerin nach einer Rückkehr diese Transferleistungen nicht mehr zur Verfügung gestellt würden, sind nicht ersichtlich und wären auch mit der traditionellen Einstellung familiärer Unterstützung innerhalb des Traditionskreises, aus dem die Familie der Kläger stammt, nicht vereinbar (vgl. dazu im Übrigen: Auskünfte der Dt. Botschaft Pristina an das BAMF vom 09.02.2009, RK 516.80-E111/08, vom 18.03.2009,… E 27/08, vom 08.05.2009, … - E 282/07, vom 17.08.2009, … - E 90/09; Pichler, BMI der Republik Österreich, Kosovo-Länderbericht II/2009, Pristina, 27.09.2009; ai, a.a.O.; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, ACCORD-Anfragebeantwortung zu Sozialhilfe im Kosovo vom 11.02.2009, a-6587-1 (ACC-KOS 6587), www.ecoi.net/file_upload/response_en_114993.html (Internet-Recherche vom 23.06.2010)).

Unabhängig von der Frage, ob den Klägern überhaupt oder darüber hinaus Renten- bzw. Sozialhilfeleistungen aufgrund der entsprechenden Gesetze des Kosovo zur Verfügung stünden, haben sie jedenfalls auf der Grundlage der zu erwartenden Registrierung an ihrem Herkunftsort Anspruch auf Teilhabe an den in ihrem Herkunftsland angeboten medizinischen Leistungen und ist zudem angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden Transferleistungen auch davon auszugehen, dass sie die erforderliche medizinische Behandlung auch bei eventuell fällig werdenden Zuzahlungen oder bei Inanspruchnahme privater kostenpflichtiger ärztlicher Leistungen erhalten werden."

Dem Fehlen des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs steht auch nicht entgegen, dass sich die Kläger zu 1. und 5. darauf berufen haben, der Klägerin zu 1. sei bei der Geburt des Klägers zu 4. wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma bzw. weil sie zudem als "Serbin" angesehen werde, die notwendige Geburtshilfe im Krankenhaus verweigert worden. Davon kann angesichts der von ihr selbst in ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargelegten Umstände, dass sie letztlich doch im Krankenhaus aufgenommen worden ist, sie kein bestehendes Schwangerschaftsrisiko geltend gemacht hat und ersichtlich problemlos entbunden hat sowie dass ihr jedenfalls von den dort anwesenden jungen, mit Kitteln gekleideten Frauen die Nabelschnur durchtrennt worden und damit offenbar doch durch Klinikpersonal eine gewisse Geburtshilfe geleistet worden ist, keine Rede sein, auch wenn der von ihr und dem Kläger zu 5. im Übrigen geschilderte Umgang mit einer schwangeren Frau bzw. Frau, die gerade ein Kind geboren hat, nicht als menschenwürdig empfunden werden konnte. Hieraus kann indes nicht der Schluss gezogen werden, dass den Klägern zukünftig die notwendige Hilfe bei akuter Erkrankung oder der Klägerin zu 1. bei einer erneuten Schwangerschaft und dabei eventuell bestehenden Komplikationen verwehrt bzw. nur unter unwürdigen Umständen gewährt werden wird. [...]