OVG Mecklenburg-Vorpommern

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Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.01.2011 - 3 L 451/04 - asyl.net: M18874
https://www.asyl.net/rsdb/M18874
Leitsatz:

Zur Asylanerkennung nach Art. 16a GG aufgrund politischer Verfolgung in der Türkei.

Schlagwörter: Türkei, politische Verfolgung, Asylberechtigte, Asylberechtigung, Berufung, Kurden, PKK, Politmalus, Ausschlussgrund, Flüchtlingsanerkennung, Minen,
Normen: GG Art. 16a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Der Kläger wird in der Türkei im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG politisch verfolgt. [...]

Die dem Kläger drohende Bestrafung wegen seiner Beteiligung auf Seiten der PKK an bewaffneten Auseinandersetzungen mit Dorfschützern enthält nicht nur die asylrechtlich unerhebliche Bestrafung einer schlicht kriminellen Handlung, wie sie das versuchte Töten von Menschen darstellt und die nicht als politische Verfolgung einzustufen ist, weil eine solche Bestrafung allein dem Schutz eines allgemeinen und nicht eines politischen Rechtsgutes dient. Denn nach den Erkenntnissen des Gerichts wird in der Türkei bei Straftaten, bei denen nach Einschätzung der türkischen Gerichte ein Zusammenhang mit der PKK besteht, d.h. eine Unterstützung der PKK angenommen wird, ein besonders hohes Strafmaß verhängt (vgl. OVG Lüneburg Urt. v. 11.08.2010 - 11 LB 405/08 UA S. 20 f.). So ist dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes Stand Februar 2010 zu entnehmen, dass bei der Verurteilung von Jugendlichen, die an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen haben, ein Strafmaß angewandt wurde, dessen Verhältnismäßigkeit fragwürdig sei. Das ist so zu verstehen, dass das Strafmaß unangemessen hoch ausfiel. Hintergrund dieser Verurteilungen ist der Vorwurf der Unterstützung der PKK. Die weitere Aussage im genannten Lagebericht, dass reformierte Strafrechtsnomen von den Gerichten auch in Fällen mit Terrorbezug und Separatismusvorwürfen grundsätzlich rechtsstaatskonform angewandt würden, ist unter diesen Umständen nicht so zu verstehen, dass damit ein besonders hohes - nach dem geltenden türkischen Strafrecht zulässiges - Strafmaß allein auf den kriminellen Unrechtsgehalt zurückzuführen ist. Vielmehr ist es in Fällen mit PKK-Hintergrund jedenfalls nicht ungewöhnlich, wenn von türkischen Gerichten ein besonders hohes Strafmaß ausgeurteilt wird. Eine solche Praxis ist ein deutliches Indiz dafür, dass damit auch die politische Gesinnung bestraft werden soll. Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers eine solche besonders schwere Bestrafung ausgeschlossen oder wenigstens unwahrscheinlich ist, hat das Gericht nicht. [...]

Dem Asylanspruch des Klägers steht auch nicht der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG entgegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es ausgeschlossen, einer Person ein durch nationales Recht begründetes Asylrecht zuzuerkennen, wenn ihre Anerkennung als Flüchtling aus den Gründen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG (ABl. L 304/ S. 12, ber. in ABl. 2005, L S.24 - im folgenden Qualifikationsrichtlinie) ausgeschlossen ist und die Anerkennung als Asylberechtigter die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Qualifikationsrichtlinie birgt.

Die Regelung des Art. 12 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie ist durch § 3 Abs. 2 AsylVfG in nationales Recht umgesetzt worden. Eine Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt die eigenen politischen Ziele mit gemeingefährlichen Mitteln durchgesetzt werden sollen (BVerwG U.v. 30.03.1999 - 9 C 23/98 -, BVerwGE 109, 12 [20]; BVerwG B.v. 14.10.2008 - 10 C 48/07 -, BVerwGE 132, 79 [Rn. 20]). Der Kläger ist in der Türkei als Mitglied der PKK nach eigenen Angaben in den Jahren 1992/93 in mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt gewesen, bei denen er nach seiner später bestrittenen Einlassung in der ersten mündlichen Verhandlung auch Minen eingesetzt hat. Bei dieser Waffe handelt es sich um eine gemeingefährliche Waffe, die auch und gerade unter der Zivilbevölkerung Opfer fordert. Der Einsatz dieser Waffe ist nicht in dem Sinne kontrollierbar, dass sie sich zielgerichtet und ausschließlich gegen bewaffnete Angehörige des bekämpften Staates wendet, die Kombattantenstatus haben. Vielmehr ist sie als versteckte und ohne besondere Hilfsmittel nicht erkennbare im Boden vergrabene Explosionswaffe gegen jedermann gerichtet. Aus diesem Grund sind diese Waffen international geächtet (vgl. Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und deren Vernichtung vom 18.09.1997 - in Kraft getreten am 01.03.1999). Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise im flüchtlingsrechtlichen Sinn der Einsatz von Minen nicht als Einsatz gemeingefährlicher Waffen anzusehen ist, weil sich in dem Gebiet, in dem der Kläger die Minen verlegt hat, zu diesem Zeitpunkt und auf absehbare Zeit nur Kombattanten aufhielten und aufhalten würden, hat der Senat nicht. Das vom Kläger vorgetragene Verhalten während seiner Tätigkeit für die PKK in den Jahren 1992/93 erfüllt - seine Richtigkeit unterstellt - die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. [...]