VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Beschluss vom 24.05.2011 - A 1 L 239/11 - asyl.net: M18902
https://www.asyl.net/rsdb/M18902
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Italien. Eine ähnlich deutliche Empfehlung von UNHCR oder anderen Menschenrechtsorganisationen wie für Griechenland liegt nicht vor. Eine UNHCR-Mitarbeiterin hat telefonisch zwar bestätigt, dass eine Stellungnahme über die Lebensbedingungen und das Asylverfahren in Italien erarbeitet werde. Diese liege noch nicht vor, da noch weitere Recherchen erforderlich seien. Ob in dieser Stellungnahme eine Empfehlung ausgesprochen werde wie bei Griechenland, sei noch unklar.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, sichere Drittstaaten, Konzept der normativen Vergewisserung, UNHCR,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1 Bst. c, VwGO § 123, AsylVfG § 26a, GG Art. 16a Abs. 2 S. 1, GG Art. 16a Abs. 2 S. 3
Auszüge:

[...]

Soweit der Antragsteller sinngemäß vorträgt, dass in Italien entgegen des mit Art. 16 a Abs. 2 GG vom Gesetzgeber verfolgten Konzepts einer normativen Vergewisserung die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) nicht sichergestellt sei, ist dem in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Die vom Antragsteller hierzu in Bezug genommene Rechtsprechung zum Drittstaat Griechenland ist auf Italien nicht übertragbar.

In Bezug auf den Aufnahmestaat Griechenland gab und gibt es eine Empfehlung des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nation (UNHCR), Asylsuchende nicht an diesen Aufnahmestaat zu überstellen. Eine ähnlich deutliche Empfehlung vom UNHCR für den Aufnahmestaat Italien gibt es nicht. Dem Gericht sind auch keine entsprechenden Empfehlungen anderer Menschenrechtsorganisationen - wie etwa amnesty international oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - bekannt, in denen vor Rücküberstellungen nach Italien ebenso eindringlich gewarnt wird, wie bei Griechenland. Von allen diesen Flüchtlingsorganisationen liegen keine Stellungnahmen vor, die Anlass zu der Annahme bieten könnten, Italien verletze generell und ständig die Kernanforderungen des europäischen Rechts von Flüchtlingsschutz, die mit einer Gefährdung von Menschenwürde, Leben und körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen einhergeht (vgl. so im Ergebnis auch VG Berlin, Beschl. v. 11.4.2011 - 23 L 84.11 A -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 25.1.2011 - 5 L 46/11 -; VG Regensburg, Beschl. v. 14.1.2011 - RO 7 S 11.30018 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 7.1.2011 - 21 L 2285/10.A -; VG München, Beschl. v. 4.1.2011 – M 22 E 10.31257 –). Soweit im Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 9.5.2011 – 7 B 58/11 – ausgeführt ist, dass nach telefonischer Anfrage des Berichterstatters beim UMHCR bekannt sei, dass derzeit eine Stellungnahme zu den Zuständen im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat Italien erarbeitet werde, folgt daraus nicht, dass in dieser Stellungnahme vor Rückführungen nach Italien gewarnt werden wird, wie dies bei Griechenland der Fall ist. Auf telefonische Anfrage der Einzelrichterin am 23.5.2011 bestätigte eine Mitarbeiterin des UNHCR, die für Dublin II Verfahren zuständig ist, dass der UNHCR eine Stellungnahme zu Italien über die dortigen Lebensbedingungen und Asylverfahren erarbeite. Diese liege noch nicht vor, da noch weitere Recherchen erforderlich seien. Ob in dieser Stellungnahme eine Empfehlung ausgesprochen werde wie bei Griechenland, sei noch unklar.

Soweit der Antragsteller sich auf Entscheidungen von Verwaltungsgericht bezieht, die einem Antrag gegen die Rückführung nach Italien entsprochen haben (vgl. VG Wiesbaden, Beschl. v. 12.4.2011 - 7 L 303/11.WIA -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 4.4.2011 - 5 L 561/11.A -; VG Magdeburg, Beschl. v. 28.3.2011 - 9 B 101/11 -) lag diesen Entscheidungen eine besondere Situation der Antragsteller zu Grunde oder die Entscheidungen stützten sich auf den Bericht der Schweizer Beobachtungsstelle für Asyl und Ausländer vom November 2009 "Rückschaffung in den "sicheren Drittstaat' Italien" und den Bericht von Maria Bethke (Verfahrensberaterin für Asylsuchende) und Dominik Bender (Rechtsanwalt) von Pro Asyl vom 28.2.2011 "Zur Situation von Flüchtlingen in Italien". Sowohl dem Bericht der Schweizer Beobachtungsstelle als auch dem Bericht von Bethke und Bender mögen zwar gewisse Defizite in der Behandlung, insbesondere abgelehnter Asylbewerber in Italien aufzeigen. Diese Berichte sind jedoch nicht geeignet darzulegen, dass generell alle nach Italien zurückgeschobenen Asylbewerber in einer Art und Weise behandelt werden, die den Vorgaben der einschlägigen Richtlinien bzw. der EMRK widersprechen. Daher ist davon auszugehen, dass zumindest, wenn der Antragsteller keine konkreten, seinen Fall betreffenden Tatsachen glaubhaft machen kann, wonach ihm eine nicht diesen Regelungen entsprechende Behandlung droht, eine Untersagung der Rückführung nach Italien nicht in Frage kommt (vgl. VG Saarland, Beschl. v. 25.1.2011, a.a.O., m.w.Rspr.N.; VG Berlin, Beschl. v. 11.4.2011, a.a.O.) Soweit der Bericht von Pro Asyl eine hohe Obdachlosigkeit auch bei Dublin-Rückkehrern aufweist, beschreibt der Bericht im Wesentlichen die Situation in Rom und Turin sowie maßgeblich die Lebenswirklichkeit von Flüchtlingen aus Eritrea, Äthiopien und Somalia (vgl. Pro Asyl Seite 5). Wie die Situation in Italien in anderen Landesteilen ist, lässt sich aus dem Bericht nicht schließen. Zugleich wird für die vorgenannten Länder ausgeführt, dass der Flüchtlingsschutz relativ selten zugesprochen werde, der subsidiäre Schutz häufig, und darüber hinaus gebe es einen humanitären Schutzstatus, den das deutsche Recht so nicht kenne. Zusammen betrachtet ergebe sich eine Gesamtschutzquote, die von praktisch allen Gesprächspartnern als zufriedenstellend bezeichnet worden sei. Anders stellten sich jedoch die Aufnahmebedingungen dar.

Der Antragsteller hat keine Ausführungen dazu gemacht, dass gerade in seinem Fall zu erwarten wäre, dass sich die italienischen Behörden weigerten, ein den einschlägigen Richtlinien entsprechendes Verfahren durchzuführen. Vielmehr ergibt sich aus dem Vortrag des Antragstellers, bei seiner Vernehmung durch die Bundespolizei, dass die italienischen Behörden seinen Asylantrag entgegengenommen, ihm ein Ausweispapier – nach seinem Vortrag eine Aufenthaltsgestattung – ausgestellt und ihn in ein Aufnahmelager untergebracht haben. So war er zunächst in Trapani und anschließend in Palermo. Aus dem Aufnahmelager in Palermo sei er nach fünf Tagen weggegangen, weil er es dort "nicht mehr ausgehalten" habe. Seine Aussage, dort hätten noch schlimmere Zustände als in Tunesien geherrscht, ist kaum geeignet zu belegen, dass dem Antragsteller in Italien ein menschenunwürdiges und europäisches Recht verletzendes Verfahren droht. Hinsichtlich der Frage, ob der Antragsteller in Italien ein Asylverfahren durchführen kann, ist zudem zu berücksichtigen, dass nach dem Eintrag in der EURODAC-Datenbank der Antragsteller in Italien bereits am 26.3.2011 als Asylantragsteller registriert wurde, was ebenfalls gegen eine generelle Weigerung der italienischen Behörden spricht, Asylverfahren durchzuführen. Nach dem Anhörungsprotokoll des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Leipzig vom 18.4.2011 erklärte der Antragsteller, er habe nicht auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag in Italien warten wollen. Er habe nach Deutschland gewollt. Daraus ergibt sich, dass sein Reiseziel von Anfang an die Bundesrepublik Deutschland war und er deshalb überhaupt nicht die Absicht hatte, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, unabhängig davon, welches Verfahren er hätte dabei durchlaufen müssen.

Ferner hat der Antragsteller offensichtlich über ausreichende Geldmittel verfügt, denn nach seinen Angaben hat er für die Fahrt im LKW von Italien nach Deutschland dem LKW-Fahrer 800,00 € bezahlt. Soweit der Antragsteller behauptet, er sei traumatisiert und könne in Italien nicht medizinisch versorgt werden, hat er dies ebenfalls nicht glaubhaft dargelegt. Vielmehr ergibt sich auch aus dem insoweit engen Bericht von Bethke und Bender in Pro Asyl, dass jedenfalls eine Notversorgung im akuten Fall auch bei Obdachlosen gewährleistet wird. Darüber hinaus hat Italien nach der Pressemitteilung vom 16.4.2011 begonnen, an 20.000 Tunesiern Aufenthaltsbewilligungen zu erteilen (vgl. www.drs.ch/www/de/rs/sendungen/echo-der-zeit/243247.italien-tunesien.html). Inwiefern dies nur für die über Lampedusa eingereisten Tunesiern gilt, kann dahinstehen, den jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass Italien gegenüber tunesischen Asylbewerbern nach der derzeitigen Situation gegen die Grundsätze der EMRK verstößt. Allein möglicherweise gegebene Defizite bei der Unterbringung oder auch bei der gesundheitlichen Versorgung reichen nicht als Anhaltspunkte dafür aus, dass Italien nicht mehr als sicherer Drittstaat i.S.d. §§ 27 a und 34 a AsylVfG angesehen werden kann. [...]