Eilrechtsschutz zum Schutz des Vater-Kind-Verhältnisses. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Lebensgemeinschaft auszugehen sein (hier Umgangskontakte bei unterschiedlichen Wohnsitzen von Vater und Kind). Es kann offenbleiben, ob die Nachholung des Visumsverfahrens bei einer üblichen Dauer von bis zu sechs Monaten (Algerien) hier angesichts des Alters des Sohnes zumutbar wäre; da der Antragsgegner keine Vorabzustimmung zur Ausstellung des Visums erteilt hat, ist jedenfalls nicht hinreichend sichergestellt, dass eine Wiedereinreise unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens zügig erfolgen kann und eine nachhaltige, längerfristige Unterbrechung der familiären Gemeinschaft vermieden wird.
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Voraussetzung für den Erlass einer auf Abschiebungsschutz vor rechtskräftiger Entscheidung über ein Begehren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichteten Sicherungsanordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist neben dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes (der Abschiebungsabsicht des nicht zur Erteilung einer Duldung bereiten Antragsgegners) die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Ein Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist gegeben, wenn eine auf Grund summarischer Prüfung vorzunehmende Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten einer Hauptsacheklage ergibt, dass das Obsiegen in der Hauptsache zumindest überwiegend wahrscheinlich ist (std. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Beschl. v. 13. 01.2010 - 4 MB 124/09 - und v. 17.11.2009 - 4 MB 110/09 -). Gegenstand der Hauptsacheklage ist im vorliegenden Falle die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG. Dass nach diesen Regelungen bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen lediglich ein Ermessen der Ausländerbehörde für die Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eröffnet ist, steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO nach zutreffender Auffassung nicht entgegen, da entsprechend dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG sicherungsfähiger Anordnungsanspruch auch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung sein kann (Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 123 Rn. 113; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 123 Rn. 12, 25; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, S. 63 f.; BVerwG, Beschl. v. 10.11.1993 - 2 ER 301/93 -, DVBl. 1994, 118).
Anhand des vorgenannten Maßstabes ist bei summarischer Bewertung unter Einbeziehung des Vortrages der Beteiligten sowie der aus den Akten der verwaltungsgerichtlichen Verfahren und der Ausländerakte hervorgehenden Erkenntnisse, insbesondere der beiden eidesstattlichen Versicherungen der Mutter des gemeinsamen Sohnes und dem zuletzt eingereichten "Fragebogen" des Sohnes, davon auszugehen, dass von dem nicht sorgeberechtigten Antragsteller und seinem minderjährigen deutschen Sohn gegenwärtig bereits eine familiäre Gemeinschaft i.S.v. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG im Bundesgebiet gelebt wird.
Die familiäre Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von der tatsächlichen Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von einer täglichen Betreuung des Kindes; die lediglich ausschnittsweise Anteilnahme am Leben des Kindes steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen. Auch die Übernahme von Verantwortung in den spezifischen Formen, die das Umgangsrecht ermöglicht, kann verfassungsrechtlichen Schutz gebieten. Je nach den Umständen des Einzelfalls bedeutet gerade die Ausübung des Besuchsrechts die Erfüllung der Elternfunktion i.S.d. Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfG, Beschl. v. 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387).
Aus den bislang vorliegenden übereinstimmenden Angaben des Antragstellers, seines Sohnes sowie der Mutter gehen regelmäßige Besuche, gemeinsam verbrachte Urlaube sowie eine insgesamt auch durch persönliche Begegnungen getragene Anteilnahme des Antragstellers am Leben seines in Hamburg lebenden Sohnes hervor, deren Intensität dem sonst für die Ausübung eines Umgangsrechtes Üblichen zweifelsohne entspricht. Der Antragsteller begibt sich hierfür mehrfach monatlich nach Hamburg; die Distanz zu seinem Wohn- und Arbeitsort Sylt steht der Einordnung als familiäre Gemeinschaft nicht entgegen.
Ob die auch für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG anzuwendenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG hier entgegenstehen, ist zwischen den Beteiligten lediglich im Hinblick auf die Einhaltung des Visumverfahrens gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG streitig. Ein Anordnungsanspruch ist auch unter Berücksichtigung dieser Erteilungsvoraussetzung gegeben, wenn mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit ein - durch den im Hauptsacheverfahren angegriffenen Bescheid noch nicht fehlerfrei ausgeübtes - Ermessen des Antragsgegners im Hinblick auf das Absehen von der Anwendung dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eröffnet ist, dessen Ausübung zugunsten des Antragstellers ebenfalls überwiegend wahrscheinlich ist. Das ist vorliegend der Fall. Zwar liegen die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, wonach bei Erfüllung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum abgesehen werden kann, hier nicht vor, denn nach überwiegender Auffassung, der der Senat folgt, ist unter einem solchen Anspruch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des § 5 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. AufenthG ein gebundener gesetzlicher Anspruch zu verstehen (vgl. nur Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2011, § 5 Rn. 71 m.w.N.). Für den Antragsteller kommt dagegen lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Aufenthaltstitel in Betracht.
Ermessen aus § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist vorliegend jedoch - bei summarischer Prüfung - wegen fehlender Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls, 2. Alt. der Norm, eröffnet; es kann in der Konsequenz der besonderen inhaltlichen Struktur dieser Alternative willkürfrei kaum im Sinne einer ablehnenden Entscheidung ausgeübt werden (vgl. GK-Bäuerle, § 5 Rn. 177).
Für die Zumutbarkeitsprüfung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist eine abwägende Gesamtbetrachtung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzustellen, bei der das öffentliche Interesse an der regelmäßig zu fordernden Einhaltung des Visumverfahrens und die konkreten, eine Sondersituation schaffenden privaten Belangen des Ausländers unter Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen einander gegenüberzustellen und wertend zu gewichten sind (vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.07.2009 - 17 A 715/09 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 07.04.2011 - 11 ME 72/11 -, Juris). Zu berücksichtigen ist hierbei zugunsten des öffentlichen Interesses die Bedeutung des Visumverfahrens als ein wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung, welches die Prüfung der materiellen Erteilungsvoraussetzungen eines Aufenthaltstitels ermöglicht. Auch generalpräventive Gründe können es rechtfertigen, durch eine Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens dem Eindruck entgegenzuwirken, dass mit einer Einreise ohne das erforderliche Visum vollendete Tatsachen geschaffen werden können. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen, zumal die Möglichkeit des Absehens hiervon nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.05.2011 - 2 BvR 1367/10 - ). Die Einhaltung der Visumsregeln soll aber andererseits auch kein Selbstzweck sein und sich nicht in einem reinen Formalismus erschöpfen (vgl. Renner, § 5 Rn. 78; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14.07.2009, a.a.O.). Sie kann sich im Einzelfall als objektiv unangemessen darstellen, wenn durch eine Unterbrechung des Aufenthaltes für das Visumverfahren gewichtige familiäre oder wirtschaftliche Belange des Ausländers betroffen sind, die durch die öffentlichen Belange der Einhaltung der Visumsregeln nicht aufgewogen werden.
So liegt es hier. Zwar hat der Sohn des Antragstellers mittlerweile ein Alter erreicht, in dem er auch einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt des Vaters durchaus überblicken und verkraften kann. Es ist aber zu berücksichtigen, dass sich ein aus dem Ausland betriebenes Visumverfahren des Antragstellers erheblich verzögern könnte, wenn der Antragsgegner seine Zuständigkeit wie auch (unter Verweis auf die Argumentation des Verwaltungsgerichts) das Vorliegen einer familiären Gemeinschaft in Zweifel zieht. Zudem verlöre der Antragsteller jedenfalls für einen gewissen Zeitraum zwangsläufig seine Beschäftigung in Westerland, die ihn im Übrigen auch zur Leistung der (im Rahmen der PKH-Unterlagen) nachgewiesenen Unterhaltszahlungen zugunsten des Sohnes befähigt. Es ist auch aus dem Vortrag des Antragsgegners nicht erkennbar, welche materiellen Erteilungsvoraussetzungen im Rahmen eines vom Ausland aus durchzuführenden Visumverfahrens noch nachzuprüfen wären. [...] Es kann offenbleiben, ob die Nachholung des Visumverfahrens bei einer üblichen Dauer von bis zu 6 Monaten hier angesichts des Alters des Sohnes zumutbar wäre; da der Antragsgegner keine Vorabzustimmung zur Ausstellung des Visums erteilt hat, ist jedenfalls nicht hinreichend sichergestellt, dass eine Wiedereinreise unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens zügig erfolgen kann und eine nachhaltige, längerfristige Unterbrechung der familiären Gemeinschaft vermieden wird (vgl. Senatsbeschl. v. 27.06.2001 - 4 M 41/01 -). Das Gewicht der persönlichen Belange des Antragstellers - einschließlich des Schutzes der Eltern-Kind-Beziehung durch Art. 6 GG - drängt daher nach den hier gegebenen besonderen Einzelfallumständen das Gewicht der öffentlichen Interessen an der Einhaltung des Visumverfahrens so weit zurück, dass von einer fehlenden Zumutbarkeit i.S.v. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszugehen ist.
Damit ist auch die nach dieser Norm eröffnete Ermessensentscheidung des Antragsgegners über das Absehen vom Visumserfordernis vorgeprägt und folglich Ermessen über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eröffnet, welches der Antragsgegner noch nicht ausgeübt hat. In dessen Rahmen ist das Gewicht des verfassungsrechtlichen Schutzes der Beziehung des Antragstellers zu seinem in Hamburg lebenden Sohne angemessen zu berücksichtigen; die Frage, wie der Antragsteller seine Beziehung zu seiner in Algerien lebenden Familie und den dortigen Kindern gestaltet, unterliegt in der vorliegenden Konstellation nicht der ausländerbehördlichen Bewertung. [...]