OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.08.2011 - 4 Bs 100/11 - asyl.net: M18917
https://www.asyl.net/rsdb/M18917
Leitsatz:

Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 30 Abs. 1 AufenthG zum Ehegattennachzug ist der Nachweis bereits vor der Einreise erworbener einfacher Sprachkenntnisse nicht erforderlich.

Die Voraussetzungen der Erteilung müssen (nur) regelhaft vorliegen; in atypischen Fällen berührt ihr Fehlen einen sonst gegebenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht.

Schlagwörter: Nachweis einfacher Sprachkenntnisse, Deutschkenntnisse, unerlaubter Aufenthalt, Ausweisungsgrund, Regelversagungsgrund
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 2, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 28 Abs. 1, AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, ARB 1/80 Art. 13
Auszüge:

[...]

Soweit das Verwaltungsgericht dabei angenommen hat, der Antragsteller dürfte die besonderen Erteilungsvoraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs erfüllen, und er habe insoweit auch den notwendigen Nachweis ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache in formal und inhaltlich ausreichender Form vor der Entscheidung über den Erlaubnisantrag und somit noch rechtzeitig erbracht, setzt sich die Beschwerde damit nicht in einer den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise auseinander. Die Antragsgegnerin beschränkt sich insoweit ausdrücklich auf den Hinweis, die Auffassung des Verwaltungsgerichts zum rechtzeitigen Vorliegen der Deutschkenntnisse und dem hierfür erforderlichen Nachweis werde nicht geteilt, und auch eine Kammer des Verwaltungsgerichts verlange den Sprachnachweis aufgrund einer standardisierten Sprachprüfung durch ein geeignetes und zuverlässiges Sprachstandszeugnis. Damit werden die umfangreichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur rechtzeitigen Erfüllung der hier fraglichen Erteilungsvoraussetzung nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (hier durch die Vorlage des Sprachzeugnis der Einrichtung "Why not" vom 25.3.2011) in dem angefochtenen Beschluss, in denen das Verwaltungsgericht unter anderem auch auf entsprechende obergerichtliche Entscheidungen Bezug genommen hat (Beschlussausfertigung S. 7, 8, 11), nicht in Frage gestellt.

Die Antragsgegnerin erschüttert mit ihrem Beschwerdevorbringen aber auch nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, nach den bislang bekannten Umständen sei nicht auszuschließen - und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter aufzuklären - , dass der unerlaubte Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ausnahmsweise als geringfügige Straftat anzusehen sein und deshalb keinen Ausweisungsgrund im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darstellen könnte. Das Verwaltungsgericht hat sich bei dieser Beurteilung auf die Umstände des vorliegenden Falles (u.a. sonstiges straffreies Verhalten des Antragstellers, keine Wiederholungsgefahr) bezogen. Es hat insbesondere hervorgehoben, dass in dem anhängigen Strafverfahren eine Verurteilung von bis zu 30 Tagessätzen nicht ausgeschlossen erscheine und dass eine derartige Strafe sowohl nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Nr. 55.2.2.3.1) als auch nach der Rechtsprechung für einen nur geringfügigen Verstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG spräche (Beschlussausfertigung S. 9). Soweit die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde dagegen zunächst die einzelnen Tatumstände wie etwa die Dauer des unerlaubten Aufenthalts wiederholt, ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung diese Umstände nicht berücksichtigt hat. Im Übrigen stellt die Antragsgegnerin der Auffassung des Verwaltungsgerichts ihre eigene Bewertung des Verhaltens des Antragstellers entgegen, nach welcher der nicht nur kurzfristige unerlaubte Aufenthalt nicht ausnahmsweise als geringfügig anzusehen sei und deshalb nach ständiger Rechtsprechung einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darstelle. Mit diesem - eher allgemein gehaltenen - Vorbringen wird der vom Verwaltungsgericht für seine Einschätzung, die Wertung der Verwirklichung des Tatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als (noch) geringfügig sei derzeit nicht ausgeschlossen, offenkundig wesentliche Grund - der unerlaubte Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet werde im Hinblick auf die Einzelumstände möglicherweise mit nicht mehr als 30 Tagessätzen geahndet - nicht ausreichend widerlegt. Die Beschwerde nennt insoweit auch keine strafrechtlichen oder sonstigen Entscheidungen, die diese Annahme der Verwaltungsgerichts ausschließen würden.

Die Antragsgegnerin meint ferner, der unerlaubte Aufenthalt des Antragstellers könne auch deshalb unter keinen Umständen als geringfügig bewertet werden, weil es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um einen Einzelfall handele. Vielmehr stehe der aufenthaltsrechtliche Verstoß des Antragstellers in einer Reihe von Fällen, in denen - nach Einführung des Sprachnachweises - türkische Männer mit einem Schengen-Visum zu vorgeblich touristischen Zwecken in das Bundesgebiet einreisten, tatsächlich aber bereits die Absicht hätten, hier eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Das gehäufte Umgehen des Visumverfahrens auf diesem auch vom Antragsteller beschrittenen Weg verbiete die Bewertung des unerlaubten Aufenthalts als geringfügig, da ansonsten die einschlägigen Einreisebestimmungen leerliefen. Auch mit diesem Vortrag erschüttert die Beschwerde die angefochtene Entscheidung nicht. Denn die ihm zugrunde liegende Annahme der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei im Jahr 2010 bereits mit der Absicht eingereist, hier seine spätere deutsche Ehefrau zu heiraten, hat das Verwaltungsgericht mit ausführlicher Begründung, auf die die Beschwerde nicht näher eingeht, als nicht nachgewiesen beurteilt und insoweit zutreffend auf gegebenenfalls weitere Aufklärung im Hauptsacheverfahren verwiesen (Beschlussausfertigung S. 9, 10).

Die Beschwerde müsste im Übrigen aber auch dann ohne Erfolg bleiben, wenn ihr in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes wegen des unerlaubten Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet zu folgen sein sollte. Denn auch in diesem Fall hätte die Antragsgegnerin die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller könne die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG im Hauptsacheverfahren gegebenenfalls nachweisen, nicht hinreichend erschüttert. Denn die in dieser Vorschrift genannten Erteilungsvoraussetzungen - wozu auch das Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes rechnet (Nr. 2) - müssen (nur) regelhaft vorliegen; bei atypischen Fällen berührt ihr Fehlen einen sonst gegebenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht. Insoweit schließt sich die (gerichtlich voll überprüfbare) Frage, ob ein Ausnahmefalls vorliegt, an die Feststellung des Vorliegens eines Ausweisungsgrundes an. Hierzu verhält sich die Beschwerde jedoch nicht. Dazu hätte für die Antragsgegnerin zum einen wegen der hier berührten Grundrechte (Art. 6 Abs. 1 GG) und auch deshalb Anlass bestanden, weil sie in ihrer Fachanweisung Nr. 1/2010 vom 19. August 2010 bei dem hier gegebenen Sachverhalt - unerlaubter Aufenthalt im Bundesgebiet bei einem ansonsten gegebenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG - selbst einen atypischen Fall in Betracht zieht (dort A.III.2., Seite 14, 15). [...]