VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 25.08.2011 - 9 A 239/10 MD [ASYLMAGAZIN 2011, S. 379 ff.] - asyl.net: M18932
https://www.asyl.net/rsdb/M18932
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung per Gerichtsbescheid wegen Verfolgungsgefahr in Syrien aufgrund illegaler Ausreise aus Syrien, Asylantragstellung und längeren Aufenthalts in Deutschland.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Syrien, Asylantrag, Verfolgungsgefahr, politische Verfolgung, Aufenthaltsdauer, Folter
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

b) Es kann hier offenbleiben, ob der Asylbewerber vorverfolgt ausgereist ist, denn das Gericht ist überzeugt davon, dass dem Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien unter Beachtung der vorstehend aufgeführten Kriterien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Das Gericht ist unter Zugrundelegung der ihm zur Verfügung stehenden Auskünfte zum Herkunftsland Syrien überzeugt davon, dass der Asylbewerber aufgrund der illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung in der Bundesrepublik und des längeren Aufenthalts in der Bundesrepublik bei Rückkehr von Folter bedroht ist (diese Einschätzung der Gefahrenlage teilen das VG Köln, U. v. 11.04.2011, 20 K 2727/10.A, S. 5 ff. EA, VG Stuttgart, U. v. 06.05.2011, A 7 K 510/09, Rn. 22 ff., zitiert nach juris). Dabei handelt es sich um politische Verfolgung (vgl. auch VG Würzburg, Urt. v. 08.06.2011, Nr. W 2 K 10.30159, für den Fall eines exilpolitisch tätigen Syrer). Denn nach der sich aus der Berichterstattung in den Medien ergebenden Auskunftslage ist davon auszugehen, dass der syrische Staat derzeit das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer illegalen Ausreise generell - mithin in stigmatisierender Weise - als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung, also als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber dem eigenen Staat verletzt.

Der syrische Staat handelt somit mit politischer Verfolgungsmotivation (vgl. zu den Voraussetzungen für die Bewertung der Verfolgung als politische bei Verfolgung wegen illegaler Ausreise/Asylantragstellung: BayVGH, U. v. 07.12.2000, 23 B 99.33127, Rn. 24-26, zitiert nach juris). Diejenigen, die sich aus Furcht vor bewaffneten Zusammenstößen nicht lediglich in die Nachbarländer begeben haben, sondern dem Schutz eines mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich freundschaftlich verbundenen Staates unterstellt haben, müssen bei Rückkehr nach Syrien zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, als Abtrünnige oder Landesverräter behandelt zu werden. Der anderen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (OVG LSA, U. v. 25.5.2011, 3 L 374/09, S. 18 EA) vermag sich das erkennende Gericht nicht anzuschließen. Die Entscheidung handelt das hier erörterte Problem nur in wenigen Sätzen ab und beruft sich auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG NRW vom 09.05.2011, 14 A 1049/11.A, dort Rn. 11, 12, zitiert nach juris), welches sich indes nur kursorisch mit den bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhandenen Erkenntnissen auseinandersetzt. Im Gegensatz dazu setzt sich die Beklagte in vielen anhängigen Asylverfahren erfreulich detailliert mit den Verhältnissen in Syrien auseinander. Es ist indes nur schwer nachvollziehbar, wie sie bei dieser zutreffenden Wiedergabe der Ereignisse dann mit Entscheidungen und Gutachten aus einer Zeit, zum Teil fünf Jahre vor Beginn der Unruhen, argumentiert. Insoweit meint das Gericht auch nicht, wie die Beklagte ausführt, dass es keine Erkenntnisquellen für eine Verschärfung der Lage gibt (vgl. die nachfolgenden Ausführungen), zumal die Beklagte selbst gerade solche anführt. Denn Erkenntnisquellen sind weder nur amtliche, etwa Lageberichte etc. noch nur solche, in denen unmittelbar über Tatsachen - wie Folter bei Rückkehr aus der Bundesrepublik Deutschland - berichtet wird, die es vorliegend in rechtlicher Hinsicht zu beurteilen gilt.

Aktuelle Erkenntnisse über Folter bei Rückkehr kann es naturgemäß nicht geben, da Abschiebungen derzeit nicht vorgenommen werden (vgl. Bundestagsdrucksache, a.a.O., S. 11). Dies führt jedoch nicht dazu, dass eine rechtliche Bewertung hinsichtlich der für § 60 Abs. 1 AufenthG maßgeblichen Aspekte nicht erfolgen könne. Vielmehr lässt das Verhalten des Regimes vor den Unruhen und das derzeitige Verhalten des Regimes in Syrien seit Beginn der Unruhen eine solche zu. Insoweit geht das Gericht von Folgendem aus:

aa) Die Unruhen begannen im März 2011, wobei Auslöser der zu Beginn größten Demonstrationen die Verhaftung mehrerer Kinder war (vgl. Süddeutsche Zeitung, 21.03.11: "Der Zorn der Syrer"). Diesen Demonstrationen wurde sofort mit äußerster Härte begegnet, es wurden mindestens vier Menschen erschossen, zahlreiche Menschen wurden verhaftet (Süddeutsche Zeitung, a.a.O.; Focus-Magazin 23.03.2011). In der Folge reagierte das Regime sowohl mit äußerster Brutalität als auch mit beschwichtigenden Maßnahmen (vgl. www.stern.de, 04.04.2011 "Gewalt und Reformversprechen in Syrien"; NZZOnline, 04.04.2011 "Doppelstrategie Assads in Syrien") wie Freilassungen politischer Gefangener und mit Ankündigungen wie dem Aufheben der Notstandsgesetze (vgl. Süddeutsche Zeitung, 26./27.3.11 "Schüsse und Festnahmen in Syrien", www.stern.de vom 27.03.2011 "Führung beschließt Aufhebung des Notstandsgesetzes", der Wiedereinbürgerung der staatenlosen Kurden (vgl. RIA Novosti, 07.04.2011 "Syrien: Kurden erhalten Staatsbürgerschaft"), dem Austauschen der Regierung (vgl. Focus.Online, 29.03.2011 "Regierung zurückgetreten") und der Ankündigung von Treffen mit der Opposition (vgl. Focus-Magazin, 05.04.2011 "Syrische Führung nimmt Kontakt zur Opposition auf"). In seiner Verzweiflung begann das Regime sogar Gespräche mit Islamisten (vgl, spiegel.online, 06.04.2011 "Assad buhlt um Islamisten").

Die Aufhebung des Ausnahmezustands erfolgte zunächst nicht (vgl. spiegel.online, 01.04.2011 "Sicherheitskräfte töteten mehrere Demonstranten"), vielmehr zeigte sich, dass der Präsident viel ankündigte und tatsächlich wenig umgesetzt wurde (vgl. Volksstimme Magdeburg, 21.06.2011 "Assad unterbietet selbst die niedrigsten Erwartungen"). In der Folgezeit sind dann zwar einige Ankündigungen in die Tat umgesetzt worden. So sind am 18.05.2011 vom Präsidenten mehrere Dekrete erlassen worden (vgl. KurdWatch, 30.06.2011 unter Dokumente "Dekrete zu Ausnahmezustand, Hohem Staatssicherheitsgericht, Strafprozessordnung und Demonstrationsrecht"). Es wurde mit Dekret 53 das Staatssicherheitsgericht abgeschafft und die noch anhängigen Verfahren an die jeweils zuständige Gerichtsbarkeit verwiesen, mit Dekret 54 wurde das Recht auf friedliche Demonstrationen geregelt, Dekret 55 traf neue Regelungen für die Strafverfolgungsbehörden bei politischen Straftaten (Verwahrung nicht länger als 60 Tage) und mit Dekret 161 wurde tatsächlich der seit 08.03.1963 geltende Ausnahmezustand aufgehoben. Indes ist dadurch keine Änderung in Bezug auf das Verhalten der Sicherheitskräfte bei Demonstrationen eingetreten. Vielmehr schätzt Kurdwatch (a.a.O.) die Lage dahingehend ein, dass sich die Menschenrechtstage ebenso wenig verbessert hat wie die Bürgerrechte gestärkt wurden, denn die Handlungsbefugnisse des Geheimdienstes seien in der Praxis nicht beschnitten worden.

Verbessert hat sich indessen wohl die Situation der konservativen Muslime, die nach Presseberichten profitiert haben sollen (vgl. DiePresse.com, 18.06.2011 "Lokalaugenschein: "Das Töten in Syrien muss aufhören""). Viele ihrer zum Teil schon seit 20 Jahren inhaftierten Anhänger sind freigelassen worden (vgl. junge Welt unter ag-friedensforschung.de, 23.06.2011 "Die Waffen nieder").

Die vorgenannte Amnestie, die auf den Erlass Nr. 61 des syrischen Präsidenten vom 31.05.2011 zurückgeht, betraf jedenfalls dem Wortlaut nach auch andere politische Gefangene (vgl. KurdWatch, 04.06.2011 "Damaskus: Politische Gefangene amnestiert"). Es existieren indes wenige Berichte von Freilassungen aufgrund der Amnestie (vgl. KurdWatch, 12.07.2011 "Damaskus: Politischer Aktivist nach schwerer Folter aus der Haft entlassen"; KurdWatch, 05.06.2011 "Aleppo: Mustafa Ismail aufgrund von Amnestieerlass frei"), wesentlich mehr Personen wurden danach festgenommen (vgl. unten).

Auch zum Teil groß in Szene gesetzte Truppenabzüge werden kurz danach wieder rückgängig gemacht, wie etwa in der Protesthochburg Hama (vgl, spiegel.online, 11.08.2011), bzw. angekündigte Abzüge werden nicht vorgenommen (vgl, www.dw-world.de, 11.08.2011). Inzwischen wird die Lage derart eingeschätzt, dass seit der Aufhebung des Ausnahmezustands die Staatssicherheit schlimmer wütete als zuvor (vgl. Tagesspiegel, 03.08.2011 "Der unerklärte Krieg").

Jedenfalls auf dem Papier verbessert hat sich ferner die Lage der staatenlosen Kurden mit rotem Ausweis, der sog. Adjnabi. Der Ankündigung zur Einbürgerung derselben folgten Taten, es sollen nunmehr 6700 Personen tatsächlich eingebürgert worden sein (Kurdwatch, 21.06.2011 "Damaskus: Zahl der eingebürgerten adschanib steigt auf 6700"; KurdWatch, 31.05.2011 "Al-Malikiyah: Erste adschanib eingebürgert"; KurdWatch, 30.05.2011 "Damaskus: 32 000 Anträge auf Einbürgerung eingereicht"). Den Kurden kam das Regime auch durch Modifizierung des Dekrets Nr. 49 vom 10.09.2008 entgegen, wodurch die Übertragung von Grundeigentum unter Kurden in der Grenzregion im Nordosten Syriens verboten worden war. Mit Dekret Nr. 43 vom 26.03.2011 bedarf es jedenfalls für bestimmte Fälle keine Genehmigung mehr (vgl. KurdWatch, 02.05.2011 "Damaskus: Dekret 43 erleichtert Übertragung von Grundbesitz in Grenzregionen"). Hieraus kann indes nicht der Schluss gezogen werden, Kurden seien bei einer Rückkehr ungefährdet. Denn es ist zu erwähnen, dass es dem Anschein nach zunächst das Ziel des Regimes war, die Kurden auf seine Seite zu ziehen (vgl. KurdWatch, 18.06.2011 "Al-Qamischli: Regime droht Kurden mit Repressionen") und dementsprechend tatsächlich große Demonstrationen in den von Kurden besiedelten Orten, die friedlich waren bzw. sind, toleriert wurden (vgl. KurdWatch, 18.07.2011 "Damaskus: Erstmals Kurden bei regimekritischen Demonstrationen getötet"; KurdWatch, 06.06.2011 "Al-Qamischli: Drei kurdische Parteien rufen Anhänger zur Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen auf"). Schüsse fielen zunächst nur in den Städten, in welchen Araber demonstrierten (vgl.KurdWatch, 18.07.2011, a.a.O.). Taktik des Regimes in den Kurdengegenden war es wohl, die Demonstrationen laufen zu lassen. Nach den Demonstrationen kam es indessen immer wieder zu Festnahmen und Folter (vgl. KurdWatch, 12.07.2011 "Damaskus: Politischer Aktivist nach schwerer Folter aus der Haft entlassen"; KurdWatch, 04.07.2011 "Al-Qamischli: Regimekritische Demonstrationen in den kurdischen Gebieten weiten sich aus"; KurdWatch, 12.06.2011 "Afrin: Neun Demonstrationsteilnehmer nach Folter angeklagt"; KurdWatch, 26.05.2011 "Al-Qamischli: Wieder regimekritische Demonstrationen - assyrische Aktivisten festgenommen"; KurdWatch "Amuda: Wieder Festnahmen nach regimekritischer Demonstration"), wobei diese Festnahmen nicht nur exponiert tätige Aktivisten betrafen. Es reichte den Berichten zufolge, wie auch in den arabischen Gebieten, die bloße Teilnahme an der Demonstration (vgl. KurdWatch, 10.08.2011 "Al-Qamischli: Demonstrationsteilnehmer schwer gefoltert"; KurdWatch, 04.07.2011 "Al-Qamischli: Regimekritische Demonstrationen in den kurdischen Gebieten weiten sich aus": KurdWatch, 12.06.2011 "Afrin: Neun Demonstrationsteilnehmer nach Folter angeklagt").

Von Beginn an brachte jede Demonstration in den arabischen Gebieten Tote mit sich (spiegel.online, 01.04.2011 "Sicherheitskräfte töten mehrere Demonstranten"; NZZOnline, 18.04.2011, "Zwölf Tote bei Zusammenstössen in Syrien"). Im Juni 2011 soll sich die Zahl der Getöteten auf 1500 belaufen haben (DiePresse.com, 19.06.2011 "Syrien: Flucht vor brutalem Regime"; Volksstimme Magdeburg, 21.06.2011 "Assad unterbietet selbst die niedrigsten Erwartungen"), im August sprechen die Quellen bereits von über [zu] 2000 Toten (vgl. www.dw-worl,d.de, 11.08.2011; Tagesspiegel, 16.08.2011 "Assad lässt weiter schießen"; Tagesspiegel, 23.08.2011 "UN erhöhen Druck auf das Assad-Regime"; Die Presse, 15.08.2011 "Syrien: Mit Panzern und Schiffen gegen das eigene Volk") und die Zahl der Verhafteten wird zwischenzeitlich mit bis zu 15.000 angegeben.

Bereits im Mai belief sich die Zahl der Verhafteten mehreren Berichten zufolge auf über 1000 (vgl. Die Welt, 02.05.2011 "Das Leben hier ist die Hölle"). Ende Mai 2011 gab der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung an, nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seien seit Beginn der Proteste in Syrien 9000 Menschen verhaftet und 1000 Menschen getötet [worden] (vgl. www.damaskus.diplo.de; profil.online.at, 16.06.2011 "Nachrichten aus der Hölle" unter Berufung auf ein Vorstandsmitglied der syrischen Menschenrechtsorganisation MAF, der von 10.000 Vermissten spricht und davon ausgeht, diese befänden sich wohl zum Großteil in Gefängnissen). Im August 2011 berichten Quellen von 13.000 von der Geheimpolizei festgenommenen Personen und 3000 verschwundenen Personen (www.dw-world.de, 11.08.2011 "Westen fordert erneut Sanktionen gegen Syrien"). Im Juni belief sich die Zahl der Verhafteten nach Zeitungsberichten bereits auf 10.000 (vgl. Der Tagesspiegel, 08.06.2011 "Helikopter gegen Demonstranten"). Die Verhaftungen machten auch vor alten Menschen nicht halt, so wurden zwei über 80-jährige Menschenrechtler festgenommen (vgl. Tagesspiegel, 02.05.2011 "Wir gehen nur vor Gott auf die Knie"); Frauen wurden nach friedlichen Protesten abgeführt und ihnen wurde vorgeworfen "Sprachrohre von Israel und Amerika zu sein" (vgl. Tagesspiegel, a.a.O.). Sogar vor Kindern soll die Gewalt nicht Halt gemacht haben (vgl. KurdWatch, 30.03.2011 "Minderjährige nach Folter durch Staatssicherheit entlassen"; spiegel.online, 17.06.2011 "Hinter der Grenze lauert das Grauen"), wonach Flüchtlinge berichten, dass auch auf Kinder geschossen worden sei. In einem Bericht der Deutschen Botschaft (vgl. www.damaskus.diplo.de), erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung nach der Ausstrahlung eines Videos auf Al Jazeera und al Arabiya, welches "Spuren von brutaler Folter" am Leichnam eines Dreizehnjährigen zeigte, dass offensichtlich die "Brutalität und das Ausmaß der repressiven Maßnahmen der syrischen Regierung auch vor der Misshandlung Minderjähriger nicht halt" mache. Es wird berichtet, dass wahllos auf demonstrierende Menschen geschossen worden sei (vgl. Focus.Online, 16.06.2011 "Assad-Truppen weiten Offensive aus"). Auch das Auswärtige Amt bestätigt in der Reisewarnung vom 16.08.2011, dass seit dem 31.07.2011 größere Militäraktionen in der Euphratregion um die Städte Deir Ez Zoor und Abu Kamal stattfinden und rät von Reisen in diese Regionen ab, auch könnten "gelegentliche Spannungen" in der überwiegend kurdisch bevölkerten Nord-Ost-Provinz und an der syrisch-irakische Grenze nicht ausgeschlossen werden.

Wie sich der zuvor zitierten zurückhaltend formulierten Reisewarnung entnehmen lässt, ist die Lage auch bei kurdischen Demonstrationen eskaliert, auch hier wird geschossen. So sollen zwei kurdische Demonstranten bei einer Demonstration in einem überwiegend von Kurden bewohnten Stadtteil Damaskus getötet worden sein (vgl. KurdWatch, 18.07.2011 "Damaskus: Erstmals Kurden bei regimekritischen Demonstrationen getötet"). Vor dem Hintergrund, dass das Regime den Kurden unter dem 14.06.2011 mit Repressionen drohte, wenn sie nicht auf regimekritische Demonstrationen in der Dschazira, also im Nordosten Syriens verzichteten (vgl. KurdWatch, 18.06.2011 "Al-Qamischli: Regime droht Kurden mit Repressionen"), ist hier eine weitere Verschärfung der Lage wahrscheinlich.

Es ist auch zu berücksichtigen, dass teilweise ganze Städte abgeriegelt wurden (vgl. Focus.Online, 11.04.2011 "Hafenstadt Banias komplett abgeriegelt"; spiegel.online, 17.04.2011 "Sicherheitskräfte stürmen Sunniten-Ort Baida"; Die Welt, 26.04.2011 "In Syrien steigt die Wut mit jedem Toten"). Es kam den Berichten zufolge zu Folter (vgl. spiegel.online, 05.04.2011 "US-Student berichtet von Folter in syrischem Gefängnis"). Die Organisation Human Rights Watch erhob Berichten zufolge schwere Vorwürfe gegen die syrische Armee (vgl. Der Tagesspiegel, 11.07.2011 "Überläufer berichten von Schießbefehl"), wonach Soldaten und Sicherheitskräfte zum Schießen auf Demonstranten gezwungen worden seien, andernfalls sie selbst getötet würden. KurdWatch berichtet unter Berufung auf Mitarbeiter der Einberufungsbehörde, seit etwa zwei Monaten würden in ganz Syrien. Rekruten, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben, nicht mehr aus der Armee entlassen (vgl. KurdWatch "Damaskus: Rekruten werden nicht mehr aus Armee entlassen").

Im August 2011 eskalierte die Lage nun derart, dass wohl vom Meer aus die Hafenstadt Latakia angegriffen wurde (DiePresse.com, 15.08.2011 "Syrien: Mit Panzern und Schiffen gegen das eigene Volk"), wobei für die Richtigkeit dieser Information spricht, dass das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge mitgeteilt hat, dass aus einem Lager in der Stadt viele Flüchtlinge geflohen sind, um sich vor den Angriffen zu retten (vgl. Reuters, 16.08.2011 "Tausende Palästinenser fliehen aus syrischem Flüchtlingslager"). Hierbei wird von gezielten Angriffen auf sunnitische Viertel der zu erheblichen Teilen von Alawiten bewohnten Stadt berichtet. Die Angriffe sind somit nicht willkürlich gegen das gesamte Volk, sondern gezielt gegen solche Volksgruppen gerichtet, bei denen der Staat oppositionelle Meinungen vermutet (vgl. sueddeutsche.de, 15.08.2011 "Gnadenloses Dauerfeuer auf Latakia").

Auch im türkischen Grenzgebiet sowie an der Grenze zum Libanon stürmen die Truppen Assads Orte, und es wird von "massiver Gewalt" gegen Oppositionelle berichtet. Es gebe Tote und Verletzte, Massenverhaftungen werden gemeldet (vgl. spiegel.online, 11.08.2011 "Assads Truppen stürmen Orte im türkischen Grenzgebiet"). Auch hier war im Übrigen kurz vorher angekündigt, man ziehe sich zurück (vgl. spiegel.online a.a.O.).

Die Dramatik der Lage zeigt auch die Tatsache, dass zehntausende Syrer in die Türkei flohen (vgl. Rotes Kreuz Steiermark, 22.06.2011 "Syrien: Rotes Kreuz versorgt Flüchtlinge und Konfliktopfer"; euronews, 20.06.2011 "Syrer fliehen weiter zu Tausenden in die Türkei"; spiegel.online, 17.06.2011 "Angelina Jolie besucht syrische Flüchtlinge", "Hinter der Grenze lauert das Grauen"; sueddeutsche.de, 15.06.2011 "Assads Regierung fordert Flüchtlinge zur Rückkehr auf") und in den Libanon (vgl. www.unhcr.de, 20.05.2011 "UNHCR unterstützt syrische Flüchtlinge im Libanon"). Syrische Grenzdörfer sollen teilweise menschenleer sein (vgl. euronews, 16.06.2011 "Syrien: Menschenleere Grenzregion"). Medien berichten von heftigem Artilleriebeschuss (vgl. www.unhcr.de, 20.05.2011).

Diese Flucht ist ein Vorgang, der dem syrischen Regime offensichtlich nicht gefällt, denn es wird auch wiederholt davon berichtet, die Armee versperre den Menschen die Flucht in die Türkei, alle Wege zum Grenzgebiet seien abgesperrt (vgl. www.tagesschau.de, 25.06.2011 "Hilfe für die Landsleute jenseits der Grenze"; euronews, 18.06.2011 "Syrien: Menschenleere Grenzregion"). Der Sekretär einer kurdischen Partei wurde im Juli 2011 am Flughafen Aleppo gar an der Ausreise gehindert (vgl. KurdWatch, 15.07.2011 "Aleppo: Parteichef darf Syrien nicht verlassen"). Nur ein scheinbarer Widerspruch ist womöglich die auf der anderen Seite erfolgte Aufhebung von Ausreiseverboten. Denn diese erfolgte auch zugunsten von im Ausland lebenden Oppositionellen (vgl. KurdWatch, 14.07.2011 "Aleppo: Ausreiseverbote aufgehoben") und diente daher möglicherweise auch dazu, diese Bürger wieder ins Land zu holen, um sie unter Kontrolle zu halten. Dies wiederum passt zu der Nachricht, der Präsident fordere die Flüchtlinge, die es geschafft haben, zur Rückkehr auf und versucht, mit massiver Propaganda zu verhindern, dass noch mehr Menschen Syrien verlassen (vgl. DiePresse.com, 20.06.2011 "Syrische Truppen stürmen Stadt an der Grenze zur Türkei"; sueddeutsche.de, 15.06.2011 "Assads Regierung fordert Flüchtlinge zur Rückkehr auf"). So würden nach Berichten von Menschenrechtlern und Flüchtlingen Straßen blockiert und Personen angegriffen, die den Flüchtlingen helfen würden (vgl. DiePresse.com, 20.06.2011 "Syrische Truppen stürmen Stadt an Türkei-Grenze"). Syrien fordert von der Türkei, bei der Rückkehr der syrischen Flüchtlinge zu kooperieren (junge Welt unter ag-friedensforschung.de, 23.06.2011 "Die Waffen nieder"). Flüchtlinge werden hingegen dahingehend zitiert, Rückkehrer seien in Syrien getötet worden (AFP, 21.06.2011 "Syrische Flüchtlinge lehnen Assads Rückkehrappell ab"). Dass diese Angst durchaus nicht unbegründet ist, zeigen Berichte, wonach Rückkehrer, auch Abgeschobene aus Deutschland, nach ihrer Rückkehr in Syrien festgenommen und gefoltert wurden (vgl. KurdWatch, 28.04.2011 "Damaskus: Abgeschobener nach Folter freigelassen"; KurdWatch, 14.04.2011 "Damaskus: Aus Deutschland Abgeschobener in Damaskus festgenommen" (es handelte sich um die gleiche Person); KurdWatch, 29.03.2011 "Damaskus: aus Dänemark abgeschobener Kurde bei Ankunft in Syrien gefoltert"; KurdWatch, 11.03.2011 "al-Qamischli: Kurde aus den Niederlanden wieder frei": KurdWatch, 08.03.2011 "Damaskus: Kurde aus den Niederlanden am Flughafen verhaftet", auch hier handelte es sich um dieselbe Person; KurdWatch, 26.02.2011 "Al-Hasaka: Abschiebung aus Deutschland - Vater aus der Haft entlassen, Sohn bleibt inhaftiert"; Kurdwatch, 13.02.2011 "Berlin: Abschiebung aus Deutschland - Vater und Sohn in Haft", beide Artikel betrafen die gleichen Personen; KurdWatch, 17.01.2011 "Al-Qamischli: Schriftsteller nach Rückkehr aus Irakisch-Kurdistan festgenommen"). Entsprechendes ist bereits 2009 geschehen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010, S. 20). Insoweit gibt auch der Hinweis in dem vorgenannten Lagebericht, es sei nicht möglich, zu garantieren, dass Mitarbeitern der Deutschen Botschaft Damaskus eine Übernahme der zurückgeführten Personen unmittelbar nach der Ankunft und eine Begleitung zu den für die Einreise zuständigen Behörden, Anlass zu der Befürchtung, der syrische Staat wolle zwar bestimmte Leute zugeführt haben, dann aber nach Gutdünken mit diesen Verfahren, was offensichtlich auch Folter einschließen kann.

bb) Es bestehen vor diesem Hintergrund keine Zweifel daran, dass Syrien die ungenehmigte Ausreise in Kombination mit einem Asylantrag und einem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Ausdruck politisch missliebiger Gesinnung betrachtet (a. A. OVG NRW, a.a.O.). Es ist zu kurz gedacht, wenn das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen meint, es sei bereits zweifelhaft, ob der syrische Staat wirklich von dieser Annahme ausgehe oder dies zur Begründung von Repressionen nur vorschiebe. Darauf kommt es rechtlich nicht an. Entscheidend ist allein die Frage, ob er seinen Worten entsprechend handeln wird und diese Annahme ist entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen durchaus nicht (mehr) "fernliegend". Das Handeln des syrischen Staates folgt einer eigenen Logik, die sich vom stringenten Denken eines deutschen Verwaltungsrichters erheblich unterscheidet.

Wesentlich für den politischen Charakter der Verfolgungshandlung, der der aus der Bundesrepublik Deutschland zurückkehrende Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein wird, ist, dass nach der offiziellen Lesart des syrischen Regimes für die Unruhen im Land Kräfte aus dem Ausland verantwortlich sind. Dies wird der Bevölkerung täglich deutlich gemacht. Die Abneigung gegen die westliche Haltung ist in jüngster Zeit noch verschärft worden, nicht zuletzt durch die Teilnahme des amerikanischen und französischen Botschafters an Demonstrationen in Hama (vgl. junge Welt, 13.07.2011 unter ag-friedensforschung.de, 13.07.2011 "Druck erhöht"; Berner Zeitung, 08.07.2011 "Syrien wirft USA Destabilisierung vor"), die als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet werden (vgl. Der Tagesspiegel, 11.07.2011 "Überläufer berichten von Schießbefehl"). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass sowohl Frankreich als auch die Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahren Exilsyrer auch finanziell unterstützen (vgl. junge Welt, a.a.O.), Zudem waren Frankreich, Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland die treibenden Kräfte bei der Verabschiedung einer UN-Resolution gegen Syrien (vgl. Süddeutsche Zeitung, 21.07.2011 "Elf Tage für ein Signal an Assad"; junge Welt, a.a.O.; Focus.Online, 13.06.2011 "Führung bescheinigt Bürgern Unmündigkeit"; vgl. auch Nachweise unten). Nunmehr sind insbesondere aus diesen Staaten Rücktrittsforderungen an den syrischen Präsidenten Assad gerichtet worden (vgl. Süddeutsche Zeitung, 19.08.2011).

Gleich in der ersten Rede nach dem Ausbruch der Unruhen erklärte der syrische Präsident Assad, er sehe das Land einer Verschwörung ausgesetzt (vgl. NZZOnline, 30.03.2011 "Verschwörer wollen Syrien entzweien"; tagesschau.de 30.03.2011 "Assad sieht Verschwörung gegen Syrien"). Nach Berichten aus Syrien wurde seit Ausbruch der Unruhen jeden Tag im Fernsehen von "ausländischen Kräften" gesprochen, die Syrien "destabilisieren" wollten, die Berichterstattung über Syrien wurden als "Lügen" bezeichnet (vgl, www.dw-world.de, 11.8.2011 "Westen fordert erneut Sanktionen gegen Syrien"; Faz.net, 16.08.2011 "Türkischer Außenminister überbringt "ernste" Botschaft"; sueddeutsche.de, 15.06.2011 "Assads Regierung fordert Flüchtlinge zur Rückkehr auf"; Welt online, 06.04.2011 "Wie das Regime Oppositionelle verschleppt und tötet"; Die Weit, 06.04.2011 "Was die Ägypter können, das können wir schon lange"). Ferner berichte das syrische Staatsfernsehen, es gebe nur "islamische Extremisten" und "gewalttätige Rebellen (vgl. spiegel.online, 17.06.2011 "Hinter der Grenze lauert das Grauen"). In einer Fernsehansprache vertrat der Präsident die Auffassung, Saboteure nutzten den Aufstand, der zum Teil durchaus legitime Forderungen habe, aus, das, was passiere habe mit Reformen nichts zu tun, sondern sei "Vandalismus" (vgl. NZZ unter uprising.bIogspot.de, "Erneute Demonstrationen nach Assads Rede"). Ferner wird Assad mit den Worten zitiert "Verschwörungen machen uns nur stärker" (vgl. sueddeutsche.de, 01.08.2011 "Deutschland fordert UN-Sondersitzung zu Syrien"). Die staatliche Nachrichtenagentur Sana soll nach einem Pressebericht vgl. sueddeutsche.de, 18.06.2011 "Assads Regierung fordert Flüchtlinge zur Rückkehr auf") gemeldet haben, viele Bewohner der Stadt Dschisr al Schughur seien in ihre Häuser zurückgekehrt "nachdem die Armee die Ortschaften von den Elementen der bewaffneten terroristischen Vereinigungen gesäubert hätten". Im Hinblick auf die Vorkommnisse in diesem Ort sprechen auch Oppositionellen wohl von bewaffneten Kräften und geben zugleich an, man habe sich bewaffnet, um sich zu verteidigen (vgl. Neues Deutschland unter ag-friedensforschung.de, 11.07.2001 "Kritik kommt aus allen Schichten"; vgl. im Übrigen zur unklaren Lage in dem genannten Ort: Focus.Online, 14.06.2011 "Syrische Truppen setzen Razzia im Nordwesten fort"; Wiener Zeitung Online, 21.06.2011 "Syrische Panzer jetzt auch an der Grenze zum Irak"). Ein Vertreter der Union der Kommunisten, Chefredakteur der Wochenzeitung "Kassioun" in Damaskus gab in einem Interview an, der Kampf in dem Ort Dschisr Al-Schugur sei nach seinen gesicherten Informationen von "Kräften aus dem Ausland" "angeheizt" worden, anfangs habe es friedliche Proteste gegeben und dann seien Bewaffnete aufgetaucht (vgl. junge Welt unter ag-friedensforschung.de, 09.07.2011). Er schätzte die Lage dahingehend ein, dass diese Kräfte von der Türkei, Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützt worden seien. Ferner erklärte er, dem syrischen Regime sei die Meinung Deutschlands nicht wichtig, indes sei dasjenige, was Frankreich und England sagten, geeignet, dem Regime "Kopfschmerzen" zu bereiten. Der syrischen Außenminister erklärte auf einer Pressekonferenz, europäische Politiker hätten "Reaktionen gezeigt, die deutlich machen, dass sie vorhaben, Spaltung und Chaos in Syrien zu forcieren" (vgl. junge Weit unter ag-friedensforschung.de, 23.06.2011 "Die Waffen nieder"). Der syrische Außenminister erklärte zuletzt gegenüber Vertreten aus Südafrika "extremistische Gruppen" und "Terroristen" hätten bereits über 500 syrische Soldaten getötet (vgl. Faz.net, 16.08.2011 "Türkischer Außenminister überbringt "ernste" Botschaft"). Der Tagesspiegel (11.08.2011 "Die syrischen Botschaften") zitiert Assad mit den Worten: "Syrien wird nicht davon ablassen, die bewaffneten terroristischen Gruppen zu verfolgen".

Die vom Gericht festgestellte Gefahr der Folter ist auch beachtlich wahrscheinlich. Zwar ist das Stellen eines Asylantrages nicht unter Strafe gestellt, die illegale Ausreise indes sehr wohl (vgl. KurdWatch, 23.12.2010 "Al-Qamischli: Sechs Personen gefoltert wegen des Verdachts, Syrien illegal verlassen zu wollen"). Letztere ist auch in der Vergangenheit bereits zum Teil Anlass für Verhaftungen gewesen und zwar nach den Informationen des Auswärtigen Amtes selbst dann, wenn die syrischen Behörden vor der Wiedereinreise nach Syrien erklärt hatten, bei der Rückkehr seien keine Schwierigkeiten zu befürchten (vgl. Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Syrien, Stand: 16.08.2011, gültig seit 04.08.2011 und bereits zuvor die Reisewarnung vom 19.07.2011, so gültig seit 23.05.2011). Insoweit ist auch zu beachten, dass in Syrien offensichtlich auch derjenige strafrechtlich belangt wird, der im "Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind" (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010, S. 21). Denn einer der im September 2009 zurückgeführten Asylbewerber gab ausweislich des zitierten Lageberichts an, ihm sei vorgeworfen worden, Asyl beantragt und gegen eben jenen Tatbestand verstoßen zu haben (vgl. Lagebericht a.a.O.). In Syrien lauten Vorwürfe im Rahmen der Verfolgung politische Delikte häufig auf Verbreitung falscher Nachrichten, die "die Moral der Nation und nationale Gefühle schwächen" sowie "dem Ansehen Syriens im Ausland schaden" (Art. 285 und 286 syrisches Strafgesetz), das "Anzetteln von Intrigen bei einem ausländischen Staat" (Art. 264 syrisches Strafgesetz); das Strafmaß ist in der Regel unbestimmt ("befristete Haftstrafe") und für einen Verstoß gegen Art. 264 ist lebenslange Haft vorgesehen (vgl. Lagebericht vom 27.09.2010, S. 11, 12).

Für die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr für rückkehrende Asylbewerber spricht nicht zuletzt die Fortsetzung der Politik in Syrien trotz Kritik und Druck der internationalen Gemeinschaft. Zwar konnten sich die Vereinten Nationen nicht auf eine gemeinsame Resolution gegen Syrien einigen, indes wurde das Regime in Syrien durch eine in einer Präsidialerklärung enthaltene Verurteilung der Gewalt erheblich kritisiert (vgl. Tagesspiegel, 04.08.2011 "Panzer, Parolen, Präsidialerklärung"). Die Sitzung, die zu dieser Erklärung führte, wurde maßgeblich von Deutschland initiiert (vgl. sueddeutsche.de, 01.08.2011 "Deutschland fordert UN-Sondersitzung zu Syrien"). Die Vereinigten Staaten von Amerika verstärkten gleichfalls ihre Sanktionen gegen Syrien und arbeiten stetig daran, auch die EU zu härteren Maßnahmen zu bewegen (vgl. www.dw-world.de, 05.08.2011 "USA verstärken Sanktionen gegen Syrien") und sind nach Presseberichten bemüht "bei der Bildung einer Oppositionsfront zu helfen" (vgl. spiegel.online, 12.08.2011 "USA fordern von Europa mehr Druck auf Assad"). Sogar Russland, welches sich ansonsten mit Kritik sehr zurückgehalten und auch gemeinsam mit China eine Syrien verurteilende UN-Resolution verhindert hat, forderte inzwischen, den Einsatz von Gewalt und Repression sofort zu beenden (vgl. Tagesspiegel, 02.08.2011 "Assad führt Krieg gegen das eigene Volk").

Ganz erheblich engagiert ist der NATO-Partner Türkei, der sehr vehement das Ende der Militäroperationen fordert, wobei der türkische Außenminister erklärt hat, es gebe andernfalls nicht mehr zu bereden (www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de, 16.08.2011 "Türkei warnt Syrien: Armeeeinsatz stoppen!"). Saudi-Arabien und Kuwait zogen ihre Botschafter ab und die Arabische Liga kritisierte das Vorgehen Assads (vgl. FAZ.NET, 09.08.2011 "Türkischer Außenminister überbringt "ernste" Botschaft"; sueddeutsche.de, 08.08.2011 "Türkei: Assad droht Schicksal wie Saddam Hussein"). Auch Jordanien und Vertreter der Palästinenser kritisieren Syrien (vgl. derStandard.at, 15.08.2011 "Türkei erhöht den Druck auf Syrien"), Syrien ist damit nahezu isoliert in der Region, treu bleiben nur der Libanon und der Iran (vgl. sueddeutsche.de, 08.08.2011 "Unter Rivalen").

Die derzeit vorliegenden "amtlichen" Einschätzungen sind vor diesem Hintergrund nur noch bedingt beachtlich. Unter Berücksichtigung der aktuellen, nunmehr seit fünf Monaten andauernden Unruhen in Syrien kann insbesondere die "Mutmaßung" des Auswärtigen Amtes, wonach den syrischen Behörden bekannt sei, dass der Aufenthalt in Deutschland oft nur auf der Basis behaupteter politischer Verfolgung erfolge und weder die Asylantragstellung noch der langjährige Auslandsaufenthalt für sich allein ein Grund für Verhaftung oder Repressalien sei (vgl. Lagebericht vom 27.09.2010, S. 21), der das Gericht in der Vergangenheit durchaus gefolgt ist, so nicht mehr gelten. Zum einen scheint das Auswärtige Amt seinen Worten selbst nicht mehr wirklich zu glauben, wenn es in der Reisewarnung, und zwar bereits vor dem 23.05.2011 (so auch bereits am 04.04.2011) mitteilt, es komme zu Verhaftungen wegen illegaler Ausreise und langjährigen Aufenthalt, zum anderen widerspricht letztlich schon der Lagebericht der eigenen Einschätzung, wenn dort ausgeführt wird, im Jahr 2009 sei einem Rückkehrer die Asylantragstellung vorgehalten worden und Anlass zur Inhaftierung gewesen. Hinzu kommt, dass das Bundesministerium des Innern in einem Schreiben vom 28.04.2011, gerichtet an die Innenminister der Länder, erklärt hat, es sei nicht ratsam, bis zur Klärung der Verhältnisse in Syrien tatsächlich Abschiebungen vorzunehmen. Schließlich hat auch die Bundesregierung selbst, in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE vom 19.04.2011 (Drucksache 17/5679) mitgeteilt, sie halte es für grundsätzlich unangebracht, Einzelheiten aus Asylverfahren öffentlich zu erörtern, da dies zu einer Gefährdung der Betroffenen oder ihrer Angehörigen im Heimatland führen könne (vgl. S. 2 der Drucksache).

Unter Berücksichtigung der beschriebenen aktuellen Lage in Syrien ist es mithin beachtlich wahrscheinlich, dass der Asylbewerber bei der Einreise nicht nur der üblichen Befragung unterzogen wird, sondern von Folter bedroht sein wird. Die vorstehend aufgezeigte politische Situation hat den Druck auf den syrischen Staat dahingehend verschärft, dass er Rückkehrern, die - wie der syrische Staat weiß - die Situation in Syrien vom Ausland aus unter Zuhilfenahme unabhängiger Berichterstattung beurteilen konnten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit oppositionelles Gedankengut unterstellen wird. Jedenfalls wird er ein besonderes Bedürfnis haben, festzustellen, ob und in welcher Weise aus dem Ausland zurückkehrende Personen zur politischen Gegnerschaft gehören. Es bestehen insbesondere vor dem Hintergrund der oben dargestellten Situation beachtliche Anhaltspunkte, dass der syrische Staat solche Personen, die das Land illegal verlassen haben, in stigmatisierender Art und Weise politische Gegnerschaft unterstellt. Die Ereignisse der letzten Monate in Syrien sind Beleg dafür, dass der syrische Staat auf Personen, denen er oppositionelles Verhalten unterstellt, wofür kein erhebliches "Fehlverhalten" notwendig ist, also auch die illegale Ausreise und der Aufenthalt im europäischen Ausland ausreicht, in Leib und Leben zumindest gefährdender Art und Weise zugreift. Vor dem Hintergrund der dem Asylbewerber insoweit drohenden Rechtsverletzung kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein vernünftiger besonnener Mensch in der Lage des Asylbewerbers in den Heimatstaat zurückkehren würde, Diese Rückkehr ist derzeit unzumutbar, eine baldige Änderung der politischen Situation ist nicht zu erwarten. [...]