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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 09.09.2011 - 5 L 784/11 - asyl.net: M18981
https://www.asyl.net/rsdb/M18981
Leitsatz:

Kein Eilrechtsschutz gegen eine Dublin-Überstellung eines psychisch Kranken nach Ungarn.

1. Das Gericht geht davon aus, dass in Ungarn anders als wohl derzeit in Griechenland generell eine ordnungsgemäße Durchführung eines Asylverfahrens gewährleistet ist. Unerheblich ist, dass das Asylverfahren nach der Ausreise eingestellt worden sei und deshalb nur noch ein Folgeverfahren möglich wäre, denn durch die Ausreise aus Ungarn nach Frankreich und Deutschland haben die Antragsteller sich dies selbst zuzurechnen.

2. Eilrechtsschutz ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der Antragsteller aufgrund der erfolgten Akteneinsicht bereits im Besitze des Bescheids und dieser somit nach § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt gegeben worden ist.

3. Nicht das BAMF, sondern die Ausländerbehörde ist auch in Dublin-Verfahren für die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse zuständig. Dies ergibt sich aus § 60a Abs. 3 AufenthG; nach dieser Regelung bleibt im Falle einer Duldung die Ausreisepflicht des Ausländers unberührt.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Ungarn, psychische Erkrankung, Suspensiveffekt, Zustellung, Bekanntgabe, sichere Drittstaaten, Konzept der normativen Vergewisserung, Asylverfahren, Asylfolgeantrag, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Zuständigkeit, Reisefähigkeit, Frankreich
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 5, VwVfG § 41 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 16, GG Art. 16a Abs. 2, AsylVfG § 26a, AufenthG § 60a Abs. 3
Auszüge:

[...]

Der gegen die Antragsgegnerin gerichtete Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Zwar hat die Antragsgegnerin den Bescheid den Antragstellern noch nicht zum Zwecke der Zustellung übergeben. Allerdings heißt es in der Mitteilung an das Landesverwaltungsamt vom 19.07.2011, dass der Bescheid rechtzeitig vor der Überstellung zugesandt werden solle. Da die Antragsteller aber aufgrund der erfolgten Akteneinsicht bereits im Besitze des Bescheides sind, ist er ihnen auch im Verständnis von § 41 Abs. 1 VwVfG bekannt gegeben worden.

Der Gewährung vorläufigem Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO steht jedoch die Ausschlussklausel des § 34a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Demnach darf eine Abschiebung im Sinne von § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. [...]

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit des Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass den Antragstellern im Falle einer Abschiebung nach Ungarn eine auch nur annähernd vergleichbare Gefährdungssituation droht, wie sie im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.05.1996 skizziert worden ist. Das Gericht geht davon aus, dass in Ungarn anders als wohl derzeit in Griechenland generell eine ordnungsgemäße Durchführung eines Asylverfahrens gewährleistet ist. Da es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist schon aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden normativen Vergewisserungskonzeptes davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist. [...]

Auch auf Grund der Erkrankung des Antragstellers zu 1) besteht kein Grund, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Das Gericht teilt dabei nicht die in der Rechtsprechung teilweise vertretene Ansicht, dass in Fällen, in denen der Asylbewerber in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG auch zu prüfen hat, ob inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe vorliegen (so z.B. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.11.2004 - 2 M 299/04 -; VG Aachen, Beschluss vom 28.10.2010 - 7 L 419/10.A -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2011 - A 11 S 1523/11 -, jew. zit. nach juris).

Denn die Ausländerbehörde ist als Vollstreckungsbehörde dafür zuständig, etwaige inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen. § 34a AsylVfG überantwortet zwar die Entscheidung über die Abschiebung als solche dem Bundesamt, indem dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Da aber für die Vollstreckung dieser Entscheidung weiterhin die Ausländerbehörde zuständig ist, bleibt es auch bei deren Zuständigkeit für die Prüfung eines etwaigen der Vollstreckung entgegenstehenden rechtlichen Hindernisses. Dies ergibt sich mangels speziellerer Regelungen im Asylverfahrensgesetz aus § 60a AufenthG, der die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) regelt und diese Entscheidung der Ausländerbehörde überantwortet. § 60a Abs. 3 AufenthG regelt ausdrücklich, dass im Falle einer Duldung die Ausreisepflicht des Ausländers unberührt bleibt. Die Vorschrift geht also davon aus, dass es sich bei der die Ausreisepflicht begründenden Entscheidung - hier also der Abschiebungsanordnung - und der Duldung um eigenständige Regelungen handelt. Dementsprechend führt die durch § 34a AsylVfG begründete Zuständigkeit des Bundesamtes für den Erlass der Abschiebungsanordnung nicht dazu, dass es auch für die Entscheidung über eine Duldung zuständig wäre (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2010 - 13 K 3075/10.A - und VG Hamburg, Beschluss vom 01.11.2010 - 11 E 2972/10 -, jew. zit. nach juris).

Ein anderes Verständnis dieser Vorschriften würde dazu führen, dass insbesondere bei vorübergehenden inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen, wie z.B. Erkrankungen, eine gespaltene Zuständigkeit für die Prüfung entstünde. So wäre bis zum Erlass der Abschiebungsanordnung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und danach die die Vollstreckung betreibende Ausländerbehörde zuständig. Hierfür gibt es jedoch keinen nachvollziehbaren Grund. Insbesondere ist dies im Hinblick darauf wenig sinnvoll, weil letztlich für die Frage des Bestehens eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses allein der Zeitpunkt der Abschiebung maßgeblich ist. Zu diesem Zeitpunkt ist aber auf jeden Fall die Ausländerbehörde für die Prüfung zuständig. Warum zusätzlich zum Zeitpunkt des Erlasses der Abschiebungsanordnung eine Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgen soll, lässt sich kaum allein aus dem insoweit mehrdeutigen Wortlaut des § 34a AsylVfG herleiten.

Insofern hatte das Bundesamt vorliegend eine fehlende Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1) auf Grund dessen psychischer Erkrankung nicht zu prüfen. Es besteht auch im Hinblick die Regelung des Grundgesetzes und der EMRK keine Bedenken gegen die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsanordnung. Denn die ungarischen Behörden haben in ihrem Schreiben vom 25.08.2011 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine psychische Betreuung des Antragstellers zu 1) in der ungarischen Aufnahmeeinrichtung angeboten wird.

Auch der Vortrag der Antragsteller, dass ihr Asylverfahren in Ungarn nach ihrer Ausreise eingestellt worden sei und sie deshalb ein Folgeverfahren mit den "bekannten äußerst geringen Chancen" durchzuführen hätten, vermag ihrem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass sich aus dem Schreiben der ungarischen Behörden vom 25.08.2011 ergibt, dass die Antragsteller die Möglichkeit haben, nach ihrer Rückkehr nach Ungarn dort erneut einen Asylantrag zu stellen. Dass dies nur unter den Voraussetzungen eines Folgeantrages geschieht, haben sich die Antragsteller selbst zuzurechnen. Denn sie haben aus eigenem Antrieb Ungarn verlassen, ohne das Ergebnis ihres ersten Asylantrages abzuwarten. Aus diesem Verhalten der Antragsteller folgt aber auf keinen Fall eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, von ihrer durch Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eingeräumten Möglichkeit zum Selbsteintritt Gebrauch zu machen. Denn ansonsten stünde es im Belieben eines jeden Asylbewerbers durch den Abbruch bzw. den Verzicht auf ein laufendes Asylverfahren und die nachträgliche Berufung auf die eingeschränkten Möglichkeiten eines Folgeverfahrens das durch die Dublin II-VO geregelte System zu unterlaufen. Im Übrigen haben die Antragsteller auch keine konkreten Tatsachen dafür vorgetragen, dass die ungarischen Behörden bei Folgeanträgen eine Prüfung vornehmen würden, die nicht den Vorschriften der Dublin-II-VO, der EMRK sowie der Genfer Flüchtlingskonvention entspräche. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller, wenn ihnen in Afghanistan tatsächlich Verfolgung drohen sollte, gleichwohl von den ungarischen Behörden dorthin abgeschoben würden.

Es sind bei den Antragstellern auch ansonsten keine besonderen Umstände erkennbar, die es angezeigt ließen, in ihrem Fall eine Zurückschiebung nach Ungarn auszusetzen.

Das Gericht sieht im Hinblick auf die eindeutigen gesetzlichen Regelungen auch keinen Grund, eine Abschiebung nach Ungarn zu untersagen, um den Antragstellern die Möglichkeit zu geben, [um] im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens in der Bundesrepublik Deutschland mit letzter Sicherheit klären zu können, ob ein in Ungarn durchgeführtes Asylverfahren den Anforderungen der EMRK und den europarechtlichen Vorschriften entspricht (a.A. VG Minden, Beschlüsse vom 28.09.2010 - 3 L 491/10.A und vom 07.12.2010 - 3 L 625/10.A -; VG Meiningen, Beschluss vom 20.06.2011 - 8 E 20155/11 Me -, jew. zit. nach www.asyl.net).

Insofern bestehen gegen eine Rückführung der Antragsteller nach Ungarn keine Bedenken. [...]