VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 12.08.2011 - 3 A 45/10 - asyl.net: M18996
https://www.asyl.net/rsdb/M18996
Leitsatz:

1. Ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gilt nach Inkrafttreten des § 25a AufenthG für diese Vorschrift fort und muss nicht erneuert werden.

2. Eine Täuschung der Eltern über aufenthaltsrechtlich bedeutsame Umstände ist dem Jugendlichen nach § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht zuzurechnen, nur "eigene falsche Angaben" des Jugendlichen sind schädlich.

3. Eine Pflicht, nach Eintritt der Volljährigkeit Täuschungshandlungen der Eltern durch aktives Tun und ohne konkreten äußeren Anlass aufzudecken, normiert § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht.

4. Kommt es bei § 25a AufenthG grundsätzlich nicht auf die Handlungen der Eltern an, sondern auf das Verhalten des jugendlichen Ausländers, erscheint der sonst geltende Grundsatz, dass minderjährige Ausländer sich die von ihren Eltern herbeigeführte verschuldete Passlosigkeit stets zurechnen lassen müssen, zumindest fraglich.

5. Zur Konkurrenz von § 25 Abs. 5 und § 25a Abs. 2 AufenthG für Eltern: § 25a AufenthG ist die speziellere Vorschrift nur, wo das Aufenthaltsrecht der Eltern abgeleitet wird vom Aufenthaltsrecht des Jugendlichen.

6. Leiten die Eltern eines Ausländers ihr Aufenthaltsrecht allein von dem Jugendlichen ab, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG besitzt, und erfüllen die Eltern nicht die Voraussetzungen des § 25a Abs. 2 AufenthG, haben die Eltern aufgrund des § 60 Abs. 2 b AufenthG nur einen Anspruch auf Duldung.

(Amtliche Leitsätze, Nummerierung hinzugefügt)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Duldung, elternunabhängiges Aufenthaltsrecht, vorsätzliche Täuschung, Zurechnung von Handlungen der Eltern, Verschulden, Passbeschaffung,
Normen: AufenthG § 25a, AufenthG § 25
Auszüge:

[...]

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für F. und G. ist nicht nach § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu versagen. Nach dieser Vorschrift steht es der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen, wenn die Abschiebung aufgrund eigener falscher Angaben des Ausländers oder aufgrund seiner Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit ausgesetzt ist. In diesem Zusammenhang wird der Familie von dem Beklagten der Vorwurf gemacht, sie habe über ihre Identität getäuscht und lasse es an ihrer Mitwirkungspflicht zur Identitätsfeststellung mangeln. Allerdings: Wenn die Eltern in der Vergangenheit über aufenthaltsrechtlich bedeutsame Umstände getäuscht und hierdurch die Aussetzung der Abschiebung bewirkt haben sollten - was streitig ist -, wäre dieses Verhalten ihren Kindern F. und G. als Jugendlichen nach § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht zuzurechnen, nur "eigene falsche Angaben" des Jugendlichen stehen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen. Eine Täuschung durch Eltern ist den Jugendlichen im Rahmen dieser Vorschrift nicht zurechenbar. Eigene Täuschungshandlungen von F. und G., die sie als Jugendliche begangen hätten, sind vom Beklagten nicht konkret genannt worden. Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass ein Jugendlicher keine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, wenn er nach Eintritt der Volljährigkeit selbst über aufenthaltsrechtliche Umstände täuscht oder die - von den Eltern in Gang gesetzte - Täuschung aufrecht erhält (so Vorläufige Niedersächsische Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des § 25a AufenthG, dort Nr. 2.7), so führt das im vorliegenden Fall nicht weiter: Eigene aktive Täuschungshandlungen nach Eintritt der Volljährigkeit der C. am 20. Juli 2011 sind von dem Beklagten ebenfalls nicht konkret genannt worden. Eine Pflicht, nach Eintritt der Volljährigkeit Täuschungshandlungen der Eltern durch aktives Tun und ohne konkreten äußeren Anlass aufzudecken, normiert § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht. Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass sich F. nach Eintritt der Volljährigkeit einen Monat vor Durchführung der mündlichen Verhandlung konkret geweigert hätte, im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten und unabhängig von ihren Eltern in zumutbarer Weise an der Ermittlung der eigenen Identität mitzuwirken. Insoweit fehlt es substantiierten Hinweisen, um eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 Satz 4 AufenthG annehmen zu können für F., die jetzt volljährig ist, und G., die als 15-Jährige immer noch minderjährig ist.

Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG, die bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erfüllt sein müssen (Vorläufige Niedersächsische Verwaltungsvorschrift a.a.O. Nr. 6.1), stehen der Neubescheidung nicht entgegen. Allerdings setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist und die Identität geklärt ist. Diese allgemeinen Vorschriften werden jedoch durch die Sonderregelungen in § 25a Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AufenthG verdrängt. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG setzt voraus, dass die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird, so dass grds. zu fordern ist, dass der Ausländer einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz hat. Jedoch kann nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung dieser Vorschrift abgesehen werden, da es sich bei § 25a AufenthG um die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG handelt. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist eine Ermessensvorschrift, da von der Passpflicht abgesehen werden "kann". In diesem Zusammenhang hat der Beklagte eine Wertung vorzunehmen, ob und inwieweit den Klägerinnen F. und D. die Nichtvorlage eines Nationalpasses zuzurechnen ist. Auf der einen Seite müssen sich - was etwa im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG zu beachten ist - minderjährige Ausländer von ihren Eltern herbeigeführte verschuldete Ausreisehindernisse grundsätzlich zurechnen lassen, auch die von den Eltern verschuldete Passlosigkeit (Nds. OVG, Beschluss v. 11.11.2010 - 13 ME 76/10 und 13 PA 77/10 - Beschwerdeentscheidung im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz). Auf der anderen Seite allerdings sind im Rahmen des § 25a AufenthG allein die eigenen Integrationsleistungen des Jugendlichen ohne Rücksicht auf das Verhalten der übrigen Familienmitglieder entscheidend (Vorläufige Niedersächsische Verwaltungsvorschrift a.a.O. Nr. 1.1). Kommt es bei § 25a AufenthG demzufolge grundsätzlich nicht auf die Handlungen der Eltern an, sondern auf das Verhalten des jugendlichen Ausländers, erscheint eine pauschale Übernahme der zu § 25 Abs. 5 AufenthG entwickelten Grundsätze, dass minderjährige Ausländer sich die von ihren Eltern herbeigeführte verschuldete Passlosigkeit stets zurechnen lassen müssen, zumindest fraglich. Die unterschiedlichen gesetzlichen Wertungen sind von dem Beklagten bei seiner Entscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG über das Absehen von der Passpflicht angemessen zu berücksichtigen. [...]