VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 15.09.2011 - AN 9 E 11.30233 - asyl.net: M19010
https://www.asyl.net/rsdb/M19010
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Dublin-Überstellung nach Spanien nach Rücknahme des Asylantrags. Da in Spanien kein Asylantrag gestellt wurde, ist im Hauptsacheverfahren zu klären, ob Spanien noch nach der Dublin II-VO zuständig ist und falls dies der Fall ist, ob vorliegend ein Selbsteintritt auszuüben ist, da in Deutschland die erkrankte Mutter und die Schwester des Antragstellers leben.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Spanien, Asylantrag, Rücknahme, Familienangehörige, Unterstützung, subsidiärer Schutz, Haager Minderjährigenschutzabkommen, Zuständigkeit, Selbsteintritt
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 123 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 5 Abs. 2, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2
Auszüge:

[...]

1. Der Antrag ist zulässig.

Dem gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangelt es nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Antragsteller vorliegend sogenannten vorbeugenden Rechtsschutz geltend macht. Wie der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten ausführen lässt - dem hat das Bundesamt auch im Verfahren bisher nicht widersprochen - muss unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 31 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylVfG davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller der bereits sich bei den Akten befindliche Bescheid vom 25. Mai 2011 erst unmittelbar vor seiner verfügten Abschiebung nach Spanien zugestellt wird und sein Bevollmächtigter lediglich einen Abdruck erhält. Dies bedeutet, dass die Verwirklichung des weiteren Flüchtlingsschutzes für den Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland stark gefährdet ist und ihm durch die Rückschiebung nach Spanien schwer wieder gut zu machende Nachteile drohen können. Die insoweit seitens des Antragstellervertreters vorgetragenen Gründe für die Glaubhaftmachung genügen den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere auch im Hinblick darauf, als das Bundesamt dem nicht widersprochen hat.

Die Zulässigkeit des Antrages scheitert auch nicht an § 34a AsylVfG, wonach eine verfügte Abschiebung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht nach § 80 oder nach § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1983/93, juris) davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vorliegen. Nach den seitens des Antragstellervertreters vorgelegten Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Augsburg, München und Frankfurt am Main spricht viel dafür, dass im Hinblick auf die Rücknahme des Asylantrages durch den Antragsteller die Voraussetzungen für seine Übernahme durch Spanien, wie es in Ziffer 2 des beabsichtigten Anordnungsbescheides festgelegt ist, nach § 27a AsylVfG i.V.m. Dublin-II-VO nicht mehr gegeben sind. Der Bayerische Verwaltungsgerichthof hat im Beschluss vom 23. November 2010 (13a ZB 10.30140) im Hinblick auf diese Frage die Berufung in einem Hauptsacheverfahren zugelassen, über die derzeit offensichtlich noch nicht entschieden ist. Angesichts der danach offenen Frage der Anwendbarkeit von § 34a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 27a AsylVfG i.V.m. Dublin-II-VO kann bei verfassungskonformer Anwendung der Ausschluss eines Verfahrens im Sinne von § 34a Abs. 2 AsylVfG vorliegend nicht gelten.

2. Der Antrag ist auch im tenorierten Umfang begründet.

2.1 Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach Spanien liegen nicht vor, da im Hinblick auf die Rücknahme des Asylantrages durch den Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr eine Prüfung des subsidiären Schutzanspruchs ansteht, für den die Bundesrepublik Deutschland selbst zuständig ist. Auf die ausführlichen Darlegungen in den Urteilen des Verwaltungsgerichtes Augsburg vom 23. März 2010 (Au 6 K 10.3006), des VG München vom 9. September 2010 (M 2 K 09.50582) und des Verwaltungsgerichtes Frankfurt am Main vom 6. Juli 2011 (7 L 1604/11.F.A) sowie auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 2010 (13a ZB 10.30170) über die Zulassung der Berufung im Verfahren des VG Augsburg (a.a.O.) wird ausdrücklich Bezug genommen. Danach ist die obergerichtlich noch nicht entschiedene Frage zu klären, ob durch die spätere Beschränkung des Asylantrages auf subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG die ursprüngliche Zuständigkeit des Mitgliedsstaates nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahrensbestimmungen des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrag zuständig ist, bestehen bleibt und, falls dies zu bejahen ist, unter welchen Voraussetzungen das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der VO wahrzunehmen ist. Diese Frage stellt sich auch im vorliegenden Fall. Dabei findet im vorliegenden Fall auch die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO keine Anwendung, weil nach dem vorliegenden Sachverhalt davon ausgegangen werden muss, dass der Antragsteller in Spanien keinen Asylantrag gestellt hat. Auch das Bundesamt geht in den Bescheidsentwürfen vom 26. Mai 2011 und - mittlerweile vorliegend - vom 28. Juli 2011 davon aus, dass der Antragsteller erstmals in der Bundesrepublik Deutschland Asylantrag gestellt hat, den er in der Folgezeit zurückgenommen hat. [...]