Aufhebung eines Dublin-Bescheids, da die Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren zuständig ist und nicht Bulgarien. Der Kläger hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass er für mehr als drei Monate das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen hatte, so dass die frühere Zuständigkeit Bulgariens erloschen ist (Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO).
[...]
Die Klage ist auch begründet. Der Asylantrag des Klägers ist nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil nach dem maßgeblichen jetzigen Erkenntnisstand (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) im Falle des Klägers die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Infolgedessen liegen auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Bulgarien nicht vor. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten; er kann deshalb keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung im einzelnen wird zunächst auf die Gründe des Beschlusses vom 6. November 2009 (3 B 2669/09) verwiesen, soweit dort ausgeführt wird:
"Die Abschiebungsanordnung stellt sich andererseits zur Zeit nicht als evident rechtmäßig dar. Gegen ihre Rechtmäßigkeit spricht vielmehr die vom Antragsteller schon im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 9. April 2009 geäußerte Behauptung, bereits im Juli 2007 Bulgarien verlassen und bis zur jetzigen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 7. März 2009 in der Türkei gelebt zu haben. Diese Behauptung erscheint derzeit nicht offensichtlich unglaubhaft. Damit kommt eine Anwendung des Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO in Betracht, wonach die Verpflichtungen nach Abs. 1 (Verpflichtungen zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme eines Asylbewerbers durch den zuständigen Mitgliedstaat) erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige (hier also der Antragsteller) das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (hier Bulgarien) für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist - was hier wohl ausgeschlossen werden kann - im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift im vorliegenden Fall steht nicht von vornherein entgegen, dass das Verlassen Bulgariens für mindestens drei Monate vom Antragsteller nicht in der erforderlichen Weise nachgewiesen worden wäre. Zwar hat das Bundesamt in seinem Schreiben an das zuständige bulgarische Ministerium vom 20. Juli 2009 wohl zu Recht darauf hingewiesen, nach Art. 4 Satz 2 der Dublin II-VO könne das Erlöschen der Zuständigkeit (u. a. nach Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO) ausschließlich aufgrund von Tatsachenbeweisen oder umfassenden und nachprüfbaren Erklärungen des Asylbewerbers geltend gemacht werden. Insbesondere dürfte Art. 4 Dublin II-VO entgegen der Auffassung des Antragstellers hier einschlägig sein, weil, wenn nicht ein Fall der "Wiederaufnahme" gemäß Art. 16 Abs. 1 c Dublin II-VO gegeben ist (für diesen Fall spricht allerdings, dass der Antragsteller noch "während" der Prüfung seines Antrags durch die bulgarischen Behörden ausgereist sein will, auch wenn das Verfahren inzwischen längst beendet worden sein mag), jedenfalls Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO zum Tragen kommen dürfte, wonach der zuständige Mitgliedstaat einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat (das Gericht geht zur Zeit davon aus, dass das Asylverfahren des Antragstellers in Bulgarien durch eine Antragsablehnung beendet worden ist) und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates (jetzt der Bundesrepublik Deutschland) aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wiederaufzunehmen hat. Allerdings wird der angebliche Aufenthalt des Antragstellers in der Türkei durch Tatsachenbeweise nicht belegt. Jedoch spricht Überwiegendes dafür, dass die Angaben des Antragstellers zu diesen Umständen den Anforderungen des Art. 4 Satz 2 Dublin II-VO entsprechen könnten. Namentlich dürften sie inzwischen "nachprüfbar" geworden sein. Hierfür spricht, dass der Antragsteller im Rahmen der Begründung seines vorliegenden Eilrechtsschutzbegehrens vorgetragen hat, in Istanbul habe er im August 2008 Herrn ... und seine Ehefrau Frau ..., kennengelernt, die wie er Kurden aus dem Iran seien und sich seinerzeit ebenfalls illegal in Istanbul aufgehalten hätten. Mittlerweile befänden sich die Eheleute ... in der Bundesrepublik zur Durchführung ihres Asylverfahrens. Die Eheleute ..., deren aktuelle Anschrift der Antragsteller auch angegeben hat, könnten also seinen Aufenthalt in der Türkei bestätigen.
Damit steht ein im Inland erreichbares Beweismittel zur Verfügung, mit dessen Hilfe die - insoweit auch hinreichend "umfassende" - Erklärung des Antragstellers, Bulgarien vor der späteren Einreise in die Bundesrepublik für die Dauer von mehr als 3 Monaten verlassen zu haben, "nachprüfbar" ist (wenn auch mit noch ungewissem Ergebnis).
Dass etwa dennoch, also trotz des danach wahrscheinlichen Eingreifens des Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO, der bulgarische Staat zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet geblieben oder erneut verpflichtet wäre, weil er sich durch sein Schreiben vom 26. August 2009 ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat, kann bis auf weiteres nicht angenommen werden. Vielmehr würde sich eine Berufung hierauf voraussichtlich schon als rechtsmissbräuchlich erweisen, weil diese Erklärung in Unkenntnis der erst jetzt vom Antragsteller angebotenen Beweise abgegeben worden ist (vgl. zu den Folgen eines Erlöschens der Verpflichtungen nach Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO gemäß Art. 16 Abs. 3 auch Funke-Kaiser, GK - AsylVfG, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2007, § 27a AsylVfG Rdnr. 311).
An diesen Ausführungen hält das Gericht nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage sowie aufgrund des Ergebnisses der Beweiserhebung mit der Maßgabe fest, dass es über die - bedingt auch durch den summarischen Charakter des Eilverfahrens - dort zunächst nur vorläufig in Betracht gezogenen bzw. angenommenen tatsächlich und rechtlichen Verhältnisse inzwischen Gewissheit gewonnen hat. Insbesondere hat die Vernehmung des von dem Kläger benannten Zeugen, des Herrn ..., zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kläger tatsächlich seit Juli 2007 bis mindestens (soweit der Zeuge dies aufgrund persönlicher Besuchskontakte zu dem Kläger beurteilen konnte) August 2008 nicht mehr in Bulgarien, sondern in der Türkei, dort in Istanbul, gelebt hat. [...]
Demgemäß geht das Gericht davon aus, dass der Kläger im Juli 2007 im Sinne des Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO "das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen" hatte. Damit steht fest, dass nach dieser Vorschrift die Verpflichtung Bulgariens (vgl. zu dessen Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens die Ausführungen in dem Beschluss vom 6. November 2009 S. 5, 3. Abs., sowie S. 6, 1. Abs.) zur Wiederaufnahme des Klägers gemäß § 16 Abs. 1 c bzw. e Dublin II-VO erloschen ist. Andere Mitgliedstaaten, die gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO verpflichtet sein könnten, den Kläger aufzunehmen oder wiederaufzunehmen, sind ebenfalls nicht ersichtlich, so dass nur eine Durchführung des Asylverfahrens des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland in Betracht kommen kann. Es liegt auf der Hand, dass der Asylantrag des Klägers somit nicht gemäß § 27a AsylVfG unzulässig sein und demgemäß auch die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung (Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Bulgarien) nicht rechtmäßig sein kann. [...]