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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 10.02.2011 - 8 A 3279/09.A - asyl.net: M19044
https://www.asyl.net/rsdb/M19044
Leitsatz:

Rechtmäßiger Widerruf der Flüchtlingsanerkennung eines unverfolgt ausgereisten Afghanen. Seit der Flüchtlingsanerkennung im Jahr 2001 haben sich die tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert, dass dem Kläger bei einer Rückkehr insbesondere in seiner Heimatstadt Kabul eine konkret auf seine Person zielende Verfolgung wegen seiner schiitischen Religionszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Qizilbash oder seiner Aktivitäten für die Hizb-e-Wahdat nicht mehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohen.

Schlagwörter: Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Afghanistan, Wegfall der Umstände, Änderung der Sachlage, Taliban, religiöse Verfolgung, Schiiten, Hazara, Kabul, Qizilbash, Hizb-e-Wahdat,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen gegenwärtigen Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG für den Widerruf der dem Kläger mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2001 zuerkannten Flüchtlingsanerkennung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) gegeben, weil dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht mehr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. [...]

Für die Beantwortung der danach allein entscheidungserheblichen Frage, ob sich seit der Flüchtlingsanerkennung des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2001 die für die Annahme seiner politischen Verfolgung maßgeblichen Verhältnisse in Afghanistan nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass ihm im Falle seiner Rückkehr keine Verfolgung mehr droht, legt der Senat den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgung zugrunde (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 7. Februar 2008 a.a.O, juris Rdnrn. 36 bis 38; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rdnr. 94), weil in dem bestandskräftigten Anerkennungsbescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2001 nicht festgestellt worden ist, dass der Kläger Anfang 1999 Afghanistan auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat, dass er also vorverfolgt ausgereist ist, und dies nach seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 10. Februar 2011 unter Berücksichtigung seiner früheren Angaben und der allgemeinen Erkenntnisse über die damalige Lage in Afghanistan auch nicht zur Überzeugung des Senats angenommen werden kann.

Die Flüchtlingsanerkennung des Klägers vom 10. Oktober 2001 beruht nicht auf der Feststellung seiner Vorverfolgung. Ausgehend von seinem im Oktober 2000 mit der Begründung gestellten Folgeantrag, dass die Taliban nunmehr zumindest quasi-staatliche Gewalt in Afghanistan ausübten, wird vielmehr eine Ausdehnung und Festigung des Machtbereichs der Taliban auf ein Gebiet von mehr als 90 % des afghanischen Staatsgebiets festgestellt und die Anerkennung des Klägers damit begründet, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i. S. von § 51 Abs. 1 AuslG durch die Taliban ausgesetzt sein würde; schon dieser auf den normalen Wahrscheinlichkeitsmaßstab abstellende Obersatz deutet darauf hin, dass eine Vorverfolgung des Klägers weder geprüft noch zugrunde gelegt worden ist. Zwar ist bei der Beurteilung der Angaben des Klägers über seine vor seiner Flucht aus Afghanistan angeblich erfolgte Beteiligung an den militärischen Kämpfen gegen die Taliban ausgeführt, diese Angaben seien aufgrund des Bildungsstandes des Klägers wegen seiner einfachen Darstellung nicht gleich als unglaubhaft hinzustellen und "nicht von der Hand zu weisen". Demgegenüber wird aber die Flüchtlingsanerkennung mit allgemeinen und nicht auf das individuelle Schicksal des Klägers bezogenen Ausführungen unter Heranziehung des "normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstabs damit begründet, dass seine asylerhebliche politische Verfolgung durch die Taliban bei einer Rückkehr nach Afghanistan höchstwahrscheinlich sei, bei der gegenwärtigen aufgeheizten politischen Situation in Afghanistan vor allem davon auszugehen sei, dass sich die Lage der Minderheiten erneut verschärfe, und dass der Kläger als männlicher Qizilbash im wehrtauglichen Alter mit "beachtlicher Wahrscheinlichkeit" asylrelevante Maßnahmen der Taliban gegen ihn zu befürchten habe. Die Darstellung des Klägers in seiner ersten Anhörung vor dem Bundesamt am 26. April 1999 über die konkreten Umstände und Gründe seiner kurz zuvor erfolgten Ausreise aus Afghanistan wird demgegenüber in dem Bescheid nicht einmal wiedergegeben, geschweige denn für die Annahme einer Vorverfolgung ausgewertet.

Aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers und der ergänzenden Zeugenaussagen seiner Kinder in der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2011 konnte sich der Senat unter Berücksichtigung der Darstellungen des Klägers und seiner Ehefrau in ihren Anhörungen vor dem Bundesamt am 26. April bzw. 22. März 1999 und unter Heranziehung allgemeiner Erkenntnisse über die Entwicklung und Situation insbesondere der schiitischen Minderheiten der Hazara und der Qizilbash in Afghanistan bis zur Ausreise des Klägers und seiner Familie Anfang 1999 keine Überzeugungsgewissheit dahin verschaffen, dass der Kläger aus Furcht vor auf seine Person zielender - eingetretener oder unmittelbar drohender - politischer Verfolgung sein Heimatland verlassen hat.

Derzeit sind in Afghanistan etwa 80 bis 84 % der Bevölkerung sunnitische und 15 bis 19 % schiitische Muslime. Die Hazara stellen mit etwa 9 % der Bevölkerung die größte schiitische Volksgruppe, während die Qizilbash nur eine kleine schiitische persischsprachige Gruppe sind, die hauptsächlich in städtischen Gebieten lebt. Der Hauptanteil der Bevölkerung wird von sunnitischen Paschtunen (ca. 38 bis 42 %) und Tadschiken (ca. 25 bis 27 %) gestellt. Eine ähnlich große Gruppe wie die Hazara bilden die Usbeken. [...]

Anders als die Hazara stammen die Qizilbash von turkmenischen Stämmen aus der Osttürkei und dem Nordwesten Persiens ab [...]. In Afghanistan leben sie hauptsächlich in Kabul, Herat und Kandahar. Nachdem sie lange zur gesellschaftlichen Elite gehörten, sind heute viele von ihnen als Kaufleute und Handwerker tätig. Ihre Zahl wird etwa zwischen 30.000 und 200.000 geschätzt. Sie werden teilweise zu den persischstämmigen Tadschiken gezählt.

Die Hazara erlangten im afghanischen Bürgerkrieg wieder eine gewisse Unabhängigkeit und einheitliche Führung. Im Jahre 1989 wurde die Hizb-e-Wahdat als schiitische politisch-militante Gruppe gebildet, die nach dem Fall des kommunistischen Regimes im Jahre 1992 die Vertretung der Hazara gegenüber der tadschikisch-sunnitisch dominierten Regierung wahrnahm. In diesem Jahr kam es aber zu Kämpfen in Kabul. Ein Angriff des Tadschiken Ahmad Schah Massoud im Jahre 1992 auf Kabul galt hauptsächlich der Hizb-e-Wahdat und der dort lebenden Hazara-Bevölkerung. Im Jahre 1995 wurde der Führer der Hizb-e-Wahdat, Abdul Ali Mazari, von den paschtunischen und fundamentalistisch-sunnitischen Taliban bei ihrem Vordringen auf Kabul ermordet. Im selben Jahr schloss sich die Hizb-e-Wahdat der Koalition gegen die Taliban an. Für die Taliban waren die Hazara Ungläubige; in einer Redensart der Taliban hieß es: "Tadschiken nach Tadschikistan, Usbeken nach Usbekistan, Hazara nach Goristan", also auf den Friedhof. Noch im Frühjahr 1997 war ein Dekret des Taliban-Führers Mullah Omar an die Stammesführer der Kuchi veröffentlicht worden, in dem er die Hazara als religiöse und historische Feinde der Paschtunen bezeichnete. Nachdem die Taliban 1997 zweimal vergeblich versucht hatten, Mazar-e-Sharif zu erobern, gelang ihnen dies im August 1998; dabei kam es zu einem Massaker an der Bevölkerung, hauptsächlich an Hazara, von denen mehr als 4000 ermordet wurden. Im September desselben Jahres eroberten die Taliban auch Bamyan, das Zentrum des Hazarajat, und ermordeten zahlreiche hazarische Zivilisten. Der Führer der Hizb-e-Wahdat, Karim Khalili, floh, während sich Mohammad Akbari, ein Angehöriger der Minderheit der Qizilbash und Anführer einer Abspaltung der Hizb-e-Wahdat, den Taliban anschloss, die daraufhin die Verwaltung Bamyans der lokalen hazarischen Elite unter Führung von Akbari überließen. Ende April/Anfang Mai 1999 eroberten zunächst die Hizb-e-Wahdat, danach wieder die Taliban Bamyan zurück mit nachfolgenden heftigen Kämpfen (vgl. u. a. Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF)-Iänderinfo Nr. 5 vom Februar 2010: "Minderheit in Afghanistan: Die Hazara"; National Geographie 2009: "die Hazara"; Wikipedia vom 28. Januar 2011 "Hazara (Ethnie)", "Kizilbash").

Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund erschienen die weitgehend übereinstimmenden Angaben des Klägers und seiner Ehefrau in ihren Anhörungen vor dem Bundesamt im April bzw. März 1999 zu den geltend gemachten Ausreisegründen der Familie durchaus plausibel, wonach der Kläger als schiitischer Qizilbash bei der Hizb-e-Wahdat als Kämpfer und Ausbilder aktiv gewesen und ihr Haus in Kabul durch Raketenbeschuss zerstört worden sei, zwei seiner Brüder von den Taliban etwa Anfang 1998 festgenommen und nachfolgend hingerichtet worden seien und wonach die Taliban dabei von den Aktivitäten des Klägers in der Hizb-e-Wahdat erfahren und deshalb zu Hause nach ihm gesucht und seine Familie bedroht und sie sich daraufhin zur Ausreise entschlossen hätten, nachdem der Kläger drei bis vier Monate vorher im Westen Afghanistans bei den Hazara untergetaucht sei. Abgesehen von gewissen zeitlichen Ungereimtheiten führte aber insbesondere der Umstand, dass der Kläger zwar über den getöteten Führer Abdaluli Mazari der Hizb-e-Wahdat und ihren Kommandanten Akbari, nicht aber über dessen Zusammenarbeit mit den Taliban bei deren Eroberung Bamyans im September 1998 Angaben gemacht hat, schon dazu, dass im Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 12. Mai 1999 Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Darstellung geäußert worden waren.

Diese Zweifel sind nach Auffassung des Senats durch die widersprüchlichen und ungereimten Angaben des Klägers in seiner mündlichen Anhörung am 10. Februar 2011 so verstärkt worden, dass auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit und seines wohl angeschlagenen Gesundheitszustands eine individuelle Vorverfolgung des Klägers zur Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden kann. Es erscheint dem Senat nicht nachvollziehbar, dass dadurch die Erinnerung an ein derartig tiefgreifendes, lebensbedrohliches und schicksalhaftes Verfolgungsgeschehen, das eine ganze Familie zur Aufgabe ihrer bisherigen Lebensgrundlage genötigt haben soll, so völlig verloren gehen sollte, dass dieses trotz mehrfacher Nachfragen nicht einmal in groben Grundzügen wiederholt dargestellt werden kann.

Die jetzigen Angaben des Klägers zu seinem unmittelbaren Ausreiseanlass, also zu der zentralen Frage seiner Vorverfolgung, weichen in einem solchen Maße von seiner früheren Darstellung ab und sind mit den allgemeinen Erkenntnissen so wenig vereinbar, dass der Senat nicht davon ausgehen kann, dass er vor einer konkret auf seine Person zielenden politischen Verfolgung geflüchtet ist, auch wenn es möglich erscheint, dass der Kläger als Mitglied der Hizb-e-Wahdat aktiv war. [...]

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung des danach unverfolgt ausgereisten Klägers ist im Ergebnis zu Recht erfolgt. Seitdem haben sich die für seine Anerkennung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan erheblich und nicht nur vorübergehend so geändert, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr insbesondere in seine Heimatstadt Kabul eine konkret auf seine Person zielende politische Verfolgung wegen seiner schiitischen Religionszugehörigkeit oder wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Qizilbash oder wegen seiner Aktivitäten für die Hizb-e-Wahdat nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit droht.

Für die Beantwortung der Frage, ob sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse seit der Flüchtlingsanerkennung maßgeblich verändert haben, ist von den bestandskräftigen, inhaltlich nicht in Frage zu stellenden Feststellungen des Anerkennungsbescheides auszugehen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 10. Februar 2005 a.a.O. juris, Rdnr. 73). Der aufgrund des mit der quasi-staatlichen Gewalt der Taliban begründeten Folgeantrags des Klägers vom Bundesamt unter dem 10. Oktober 2001 erlassene Anerkennungsbescheid berücksichtigt zwar nicht, dass sich die Taliban zu diesem Zeitpunkt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf New York und Washington und dem Beginn der alliierten Bombardierungen Anfang Oktober 2001 bereits im Abwehrkampf gegen die vorrückende und mit den Alliierten verbündete "Nordallianz" befanden. Die Flüchtlingsanerkennung des Klägers beruht vielmehr auf den - hier zugrunde zu legenden - Feststeilungen, dass die Taliban ein bereits seit Ende 1997 in seinem Kern im wesentlichen unverändertes, von der in den Norden/Nordosten abgedrängten "Nordallianz" nicht ernsthaft bedrohtes Territorium von etwa 90 % des afghanischen Staatsgebiets unter Kontrolle und dort ein staatsähnlich organisiertes, inzwischen ausreichend stabilisiertes, effektives und dauerhaftes und sowohl schutzfähiges wie auch verfolgungsmächtiges Herrschaftsgefüge errichtet hätten, das von einem in der 1996 eroberten Hauptstadt Kabul eingesetzten Ministerrat und einem zentralen Taliban-Rat in Kandahar über regionale Räte (Shura) und Provinzgouverneure regiert werde. Als Mitglied der schiitischen Minderheit und der Wahdat-Partei sowie als männlicher Qizilbash im wehrfähigen Alter müsse der Kläger mit höchster bzw. beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche Verfolgung durch die Taliban befürchten.

Nach Erlass des Anerkennungsbescheides vom 10. Oktober 2001 haben sich diese dort zugrunde gelegten Verhältnisse mit der Zerschlagung des Taliban-Regimes spätestens im Dezember 2001 grundlegend dahin verändert, dass eine gezielte Verfolgung ethnischer oder religiöser Minderheiten oder früherer Mitglieder der Hizb-e-Wahdat durch die Taliban trotz ihres Wiedererstarkens und der zunehmenden Terroranschläge insbesondere auch im Bereich der Hauptstadt Kabul nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil vom 13. Juli 2009, auf das der Senat insoweit Bezug nimmt, zutreffend ausgeführt hat. So stellt auch das ÖIF-Iänderinfo Nr. 5 vom Februar 2010 (a.a.O.) fest, dass es nach 2001 in Afghanistan keine Angriffe der Taliban auf Schiiten mehr gegeben habe, und die Hazara nicht mehr aus ethnischen und religiösen Motiven von den Taliban verfolgt worden seien, es allerdings auch durch die Regierung Karzai nur geringe Fortschritte in der Verbesserung insbesondere ihrer ökonomischen Lage gegeben habe, das Problem der bewaffneten Konflikte mit den Kuchi nicht gelöst sei und die sich andeutende Annäherung an Teile der Aufständischen zu Lasten der Hazara gehen könne.

Die Annahme des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteils (vgl. Seite 7 der Entscheidungsgründe), auch bei Annahme eines Vorverfolgtenmaßstabs, also für den Fall, dass zwei Brüder des Klägers 1998 in Kabul von den Taliban festgenommen und nachfolgend hingerichtet worden wären und der Kläger aufgrund der dadurch an die Taliban gelangten Informationen über seine Aktivitäten für die Hizb-e-Wahdat von diesen mehrfach zu Hause gesucht und wegen deshalb drohender Lebensgefahr drei bis vier Monate in Afghanistan untergetaucht und dann nach Pakistan geflüchtet wäre, könne eine Wiederholung einer gleichartigen oder damit zusammenhängenden Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, erscheint dem Senat allerdings recht fraglich angesichts des Wiederstarkens der Taliban und der Zunahme ihrer Anschläge auch im Bereich der Hauptstadt Kabul sowie der traditionellen Abneigung der sunnitischen Mehrheit gegenüber der schiitischen Minderheit und dem zunehmenden Extremismus der Sunniten (vgl. u.a. FR vom 19. Januar 2010: "Kriegszone Kabul" und die Darstellung der dort zwischen Mitte August 2008 und Mai 2010 stattgefundenen und teilweise gezielten Anschläge im Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: Juli 2010, vom 27. Juli 2010 S. 14 ff.; National Geographie: "Die Hazara" S. 2; vgl. dazu in der Rspr. einerseits VG Ansbach, Urteil vom 13. August 2008 - AN 11 K 08.30228 -; andererseits VG München, Urteile vom 15. Dezember 2009- M 23 K 09.50133 -, vom 29. Dezember 2009 - M 23 K 08.50279 - und vom 5. März 2010 - M 23 K 07.51041 - jeweils juris).

Diese Frage der hinreichenden Sicherheit vor der Wiederholung bereits erlittener Verfolgung, die vorliegend zur Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2009 - 8 A 2340/09.Z.A - geführt hat, stellt sich hier jedoch nicht mehr, weil der Senat nach den widersprüchlichen und ungereimten Angaben des Klägers in seiner Anhörung vom 10. Februar 2011 nicht von seiner Vorverfolgung ausgehen kann.

Auch die - von seinen Verfahrensbevollmächtigten mehrfach angesprochene - Frage, ob er im Falle einer Rückkehr nach Kabul eine Existenzgrundlage finden könnte, was angesichts der dortigen fragilen Sicherheits- und katastrophalen Versorgungslage und des fortgeschrittenen Alters des Klägers, seines offensichtlich angeschlagenen Gesundheitszustandes und der wohl fehlenden familiären Unterstützung eher zweifelhaft erscheint (vgl. dazu u.a. Hess. VGH, Urteil vom 26. November 2009 - 8 A 1862/07.A - AuAS 2010 S. 58 ff. = NVwZ-RR 2010 S. 331 ff. = juris), bedarf hier keiner Entscheidung, weil dem Kläger aus diesen Gründen bereits aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 6. Juni 2000 - 2 E 30572/99.A - mit Bescheid des Bundesamtes vom 18. September 2000 Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gewährt und die Frage des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in dem angefochtenen Widerrufsbescheid vom 12. Mai 2006 ausdrücklich ausgenommen worden ist, weil nur eine "Statusbereinigung" erfolgen sollte und aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber dem Kläger nicht beabsichtigt seien. [...]