VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 31.05.2011 - 6 A 404/11.Z - asyl.net: M19059
https://www.asyl.net/rsdb/M19059
Leitsatz:

Für die Einstufung des Aufenthalts eines Ausländers als zu einem seiner Natur nach vorübergehenden Zweck im Sinne von § 9a Abs. 3 Nr. 5 AufenthG ist der auf einen vorübergehenden Zweck ausgerichtete Charakter des Aufenthalts, nicht seine - kurze - Dauer maßgeblich.

Die Qualifizierung des Aufenthalts als vorübergehend im Sinne von § 9a Abs. 3 Nr. 5 AufenthG ist nicht davon abhängig, dass die Verlängerung des Aufenthaltstitels nach § 8 Abs. 2 AufenthG ausgeschlossen wurde.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: vorübergehender Zweck, seiner Natur nach nicht vorübergehender Zweck, nicht vorübergehender Zweck, Familienzusammenführung, Daueraufenthalt, ernstliche Zweifel, Daueraufenthaltsrichtlinie, Volljährigkeit, Kind, Eintritt der Volljährigkeit,
Normen: AufenthG § 9a Abs. 3 Nr. 5, AufenthG § 8 Abs. 2, AufenthG § 9a Abs. 2 Nr. 1, AufenthG § 9b Nr. 4, RL 2003/109/EG Art. 3 Abs. 2 Bst. e,
Auszüge:

[...]

Die Berufung kann weder wegen der in der Begründung des Zulassungsantrages geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils erster Instanz (Zulassungstatbestand gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen der von der Klägerin zugleich behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. [...]

Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils maßgeblich darauf abgestellt, dass die Klägerin, obwohl diese nach der von der Vorinstanz für zutreffend erachteten Berechnung der gem. § 9b AufenthG anrechnungsfähigen Aufenthaltszeiten die Voraussetzungen für die von ihr beantragte Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG die Voraussetzung eines mindestens fünfjährigen Aufenthalt mit Aufenthaltstiteln im Bundesgebiet nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt habe, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 9a AufenthG deshalb nicht beanspruchen könne, weil der Lebensunterhalt der Klägerin (noch) nicht durch feste und regelmäßige Einkünfte gesichert sei, wie dies durch die zwingende Erteilungsvoraussetzung in § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gefordert werde. Insoweit fehle es - so die Vorinstanz - an einer angemessenen Altersversorgung, die grundsätzlich erst dann vorliege, wenn die Wartezeit für Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung von 60 Monaten erfüllt sei. Die Klägerin habe aber bisher noch nicht einmal die Hälfte dieser erforderlichen Mindestbeitragszeit erfüllt. Gründe dafür, in ihrem Fall trotz der Unterschreitung dieser Mindestbeitragszeit von einer angemessenen Altersversorgung ausgehen zu können, seien nicht ersichtlich.

Dem hält die Klägerin in der Begründung ihres Zulassungsantrages entgegen, die tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Erfüllung der Mindestbeitragszeit seien unzutreffend. Sie - die Klägerin - habe, wie sich aus dem (dem Schriftsatz vom 15. März 2011 beigefügten) Rentenversicherungsverlauf vom 11. Februar 2011 ergebe, bereits im Juli 2010 88 Monate lang Beiträge in die Sozialversicherung geleistet. Selbst für den Fall, dass diese Mindestbeitragszeit noch nicht erfüllt wäre, erweise sich das Urteil des Verwaltungsgerichts gleichwohl als rechtswidrig, da weder die Regelung in § 9c AufenthG bezüglich des Vorliegens fester und regelmäßiger Einkünfte im Sinne von § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch die den nationalen Vorschriften über die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG zu Grunde liegende Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004 L 16/44) - sog. Daueraufenthaltsrichtlinie - eine von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Prognose über die Angemessenheit der Altersversorgung erforderten, sondern insoweit lediglich eine Obergrenze festlegten.

Ob diese im Schriftsatz vom 15. März 2011 im einzelnen dargestellten und vertieften rechtlichen Überlegungen zutreffend und geeignet sind, die gegenteiligen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ernstlich in Frage zu stellen, kann offen bleiben. Die Rechtmäßigkeit des von der Klägerin angegriffenen Ablehnungsbescheides vom 16. September 2009 und damit die Ergebnisrichtigkeit des klageabweisenden Urteils vom 14. Januar 2011 folgen nämlich ungeachtet der von der Vorinstanz in den Vordergrund ihrer Erwägungen gestellten Frage, ob die Klägerin die Erteilungsvoraussetzungen nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt, daraus, dass die Klägerin den gesetzlichen Ausschlusstatbestand für die Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a Abs. 3 Nr. 5 AufenthG verwirklicht. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 9a Abs. 2 AufenthG nicht erteilt werden, wenn der Ausländer sich zu einem sonstigen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck im Bundesgebiet aufhält. Die Voraussetzungen des vorgenannten Ausschlussgrundes sind im Falle der Klägerin erfüllt. Ihr wurde - wie von der Beklagten in ihrer Erwiderung auf den Zulassungsantrag vom 23. März 2011 nochmals zutreffend dargelegt wird - zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltstitel zu einem dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet erteilt. Die Aufenthaltszwecke, für die der Klägerin Aufenthaltsbewilligungen und später Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden sind, waren ihrer Natur nach sämtlich vorübergehend (Studium, Promotion, Aufenthalt bei ihrem Sohn bis zu dessen Volljährigkeit). Dass die Verlängerung der der Klägerin erteilten Aufenthaltserlaubnisse von der Behörde nicht ausgeschlossen wurde (§ 8 Abs. 2 AufenthG), ist für die Qualifizierung der jeweiligen Aufenthaltszwecke als (lediglich) vorübergehend unerheblich. Dies folgt rechtssystematisch schon daraus, dass die förmliche Begrenzung der Dauer der Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 2 AufenthG nach § 9a Abs. 3 Nr. 5 Buchst. b) AufenthG lediglich eines von mehreren gesetzlichen Regelbeispielen für das Vorliegen eines vorübergehenden Aufenthaltszweckes darstellt, so dass sich der vorübergehende Charakter des Aufenthaltszwecks auch aus den weiteren Regelbeispielen in § 9a Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a) und c) AufenthG und sonstigen im Gesetz nicht ausdrücklich genannten Gründen ergeben kann. Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 AufenthG erschließt sich, dass der vorübergehende Zweck des Aufenthalts nicht von dem Ausschluss der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch die zuständige Behörde abhängig ist. Anderenfalls wäre der Behörde nicht freigestellt, den Ausschluss bei der Erteilung oder der zuletzt erfolgten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für einen seiner Zweckbestimmung nach vorübergehenden Aufenthalt zu verfügen. In der Praxis wird die Befristung nach § 8 Abs. 2 AufenthG, jedenfalls in den Fällen einer kurzfristigen Beschäftigung, nur auf den jeweils letzten Aufenthaltstitel angewendet, der zur Ausübung einer von vornherein zeitlich beschränkten Beschäftigung ausgestellt wird, weil ansonsten bereits die erste Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden könnte (vgl. Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, 9a.3.4.1).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit Blick auf die Daueraufenthaltsrichtlinie veranlasst. Der Ausschluss derjenigen Drittstaatsangehörigen von der Richtlinie, die sich nur vorübergehend im Mitgliedstaat aufhalten, wird in Art. 3 Abs. 2 Buchst. e) der Richtlinie, abweichend vom Wortlaut des § 9a Abs. 3 Nr. 5 AufenthG, wie folgt umschrieben:

"die sich ausschließlich vorübergehend wie etwa als Au-pair oder Saisonarbeitnehmer, als von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer oder als Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde;…"

Diese anders lautende Formulierung folgt daraus, dass in der Richtlinie auf die Kürze des Aufenthalts im Mitgliedstaat als wesentliches Kriterium für die Herausnahme dieser Personengruppe aus den Regelungen der Daueraufenthaltsrichtlinie abgestellt wurde (vgl. Marx in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand August 2009, Rdnr. 229 zu § 9a AufenthG; Müller in Hofmann/ Hoffmann, Ausländerrecht, Rdnr. 27 zu § 9a AufenthG), während der Schwerpunkt bei der Umsetzung in deutsches Recht auf den vorübergehenden Charakter des Aufenthalts gelegt wurde. Ungeachtet dieser Unterschiede in der Formulierung und der inhaltlichen Akzente bei der Qualifizierung eines Aufenthalts als vorübergehend hat der nationale Gesetzgeber mit § 9a Abs. 3 Nr. 5 AufenthG die Daueraufenthaltsrichtlinie europarechtskonform umgesetzt (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2007, Rdnr. 57 zu § 9a AufenthG). Es besteht deshalb keine Veranlassung, mit Blick auf die Daueraufenthaltsrichtlinie nur zeitlich kurz bemessene Aufenthalte als vorübergehend zu betrachten. [...]