Keine Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG wegen Rücknahmefiktion aufgrund nicht verwertbarer Fingerabdrücke. Es besteht keine Mitwirkungspflicht zur Abgabe "verwertbarer" Fingerabdrücke. Selbst wenn man einen Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung infolge Manipulationsverdachts der Fingerkuppen bejahen wollte, lagen die weiteren Voraussetzungen für eine Einstellung des Asylverfahrens durch das BAMF nicht vor, denn der Kläger hat das Verfahren betrieben. Die fingierte Rücknahme nach § 33 AsylVfG tritt nur ein, wenn der Asylbewerber das Verfahren überhaupt nicht betreibt; kommt er der Aufforderung jedenfalls teilweise nach, kann ihm ein Nichtbetreiben nicht vorgehalten werden.
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Die zulässige Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO, vgl. zur statthaften Klageart gegen die Asylverfahrenseinstellung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - wegen Nichtbetreibens: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, juris, Rnr. 11 ff.) ist auch begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Mai 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Voraussetzungen für die Einstellung des Asylverfahrens liegen nicht vor.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. Im Falle der Antragsrücknahme stellt das Bundesamt fest, dass das Verfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte durfte weder aufgrund der Aufforderung vom 5. Januar 2011 noch aufgrund der Aufforderung vom 30. März 2011 das Verfahren einstellen.
Die sachlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Betreibensaufforderung lagen in beiden Fällen nicht vor und der Kläger hat auf beide Aufforderungen hin das Verfahren hinreichend betrieben.
Hinsichtlich der Aufforderung vom 5. Januar 2011 ergibt sich dies aus folgenden Überlegungen:
Die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens ist zwar nach dem Wortlaut des § 33 AsylVfG nicht ausdrücklich an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden. Diese ergeben sich jedoch ohne weiteres aus dem Inhalt der Vorschrift sowie aus Sinn und Zweck der Aufforderung (BVerwG, Urteil vom 13.01.1987, - 9 C 259/86 -, juris, Rnr. 10). § 33 AsylVfG sieht - in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise - eine Verfahrenserledigung kraft Gesetzes wegen unterstellten Wegfalls des Rechtsschutzinteresses vor (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.08.1984, - 9 CB 48.84 -, juris, Rnr. 5 sowie Beschluss vom 20.01.1984, - 9 B 689.81 -, juris, Rnr. 3; BVerfG, Beschluss vom 07.08.1984, - 2 BvR 187/84 -, ZfSH/SGB 1984, 561 sowie Beschluss vom 15.08.1984, - 2 BvR 357/84 -, DVBl. 1984, 1005). Durch die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens soll der Kläger darauf hingewiesen werden, dass diese Rechtsfolge auch in seinem Fall droht, und ihm gleichzeitig Gelegenheit gegeben werden, die der gesetzlichen Fiktion einer Verfahrensbeendigung zugrunde liegende Annahme vor ihrem Eintritt zu widerlegen. Das setzt - soll nicht die Aufforderung eines Sinnes entbehren - voraus, dass bei Erlass der Aufforderung wenigstens Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestehen, die einen Eintritt der gesetzlichen Fiktion als möglich erscheinen lassen. Wenn an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann, verfehlt eine Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens ihren Zweck und vermag die Rechtsfolgen des § 33 AsylVfG nicht herbeizuführen. Für den Erlass einer Aufforderung im Sinne des § 33 AsylVfG muss somit stets ein bestimmter Anlass gegeben sein, der geeignet ist, Zweifel in das Bestehen oder Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses zu setzen. Solche Zweifel können u.a. mittelbar daraus folgen, dass der Kläger den von ihm zu erwartenden prozessualen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.01.1987, a.a.O.).
Hier lag bei Erlass der gerichtlichen Betreibensaufforderung vom 5. Januar 2011 ein wegen der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten berechtigender Anlass zum Zweifel am Vorhandensein des Rechtsschutzinteresses nicht vor.
Allein die mangelnde Verwertbarkeit der anlässlich der erkennungsdienstlichen Behandlung am 25.10.2010 abgenommenen Fingerabdrücke stellt keine Verletzung einer Mitwirkungspflicht dar. Dem Kläger als Asylantragsteller obliegen zwar diverse Mitwirkungspflichten im Asylverfahren, so hat er gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden, zu denen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG die Aufnahme der Abdrücke aller zehn Finger gehört. Dieser Duldungspflicht ist der Kläger unstreitig nachgekommen. Eine über die dargestellte Verpflichtung hinausgehende Verpflichtung zur Abgabe verwertbarer Fingerabdrucke ist dem AsylVfG nicht zu entnehmen. Es kann dahinstehen, ob die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normierte Pflicht auch die Pflicht einschließt, Manipulationen zu unterlassen, die den Erfolg der erkennungsdienstlichen Behandlung vereiteln (so z. B. VG Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2011, - A 9 K 2920/10 -, BeckRS 2011, 52196). Entgegen dem durch das VG Karlsruhe a.a.O. entschiedenen Fall begründet vorliegend die Beschädigung der Fingerkuppen, die einer erfolgreichen erkennungsdienstlichen Behandlung entgegensteht, nicht ohne weiteres den Verdacht der Manipulation. Die Beklagte stützt ihren Verdacht auf den Umstand, dass die unnatürlichen Beschädigungen sich ausschließlich auf den Bereich der Fingerkuppen, d.h. der ersten Fingerglieder erstreckten und dass eine Grenze erkennbar sei, ab der der übrige Teil der Fingerglieder klare und deutlich Papillarlinien aufgewiesen habe. Anhaltspunkte dafür, dass die mangelnde Qualität auf gesundheitliche Ursachen zurückzuführen sein könnte, seien weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht. Eventuell vor der Asylantragstellung vorhanden gewesene Beschädigungen der Fingerkuppen müssten sich innerhalb des Zeitraumes zwischen erstmaliger erkennungsdienstlicher Behandlung und Bescheiderlass regeneriert haben (vgl. Bescheid vom 05.05.2011, Seite 3f.).
Diese Einschätzung ist für die Einzelrichterin nicht überzeugend. So sind durchaus gesundheitliche oder verletzungsbedingte Gründe denkbar, die die mangelnde Verwertbarkeit zur Folge haben. Auch erscheinen der Einzelrichterin technische Probleme bei der Abnahme der Fingerabdrücke nicht von vornherein ausgeschlossen. Dass die Beklagte zu ihren Erkenntnissen auf medizinischem Gebiet aufgrund entsprechender Sachkunde des Bearbeiters oder eines zugezogenen medizinischen Sachverständigen gekommen wäre, lässt sich weder dem angefochtenen Bescheid noch der übersandten Behördenakte entnehmen; die von der Beklagten gezogene Schlussfolgerung ist auch nicht logisch zwingend oder offensichtlich, so dass die Einholung medizinischen Sachverstandes durch die Beklagte überflüssig gewesen wäre.
Die erkennende Einzelrichterin war nicht verpflichtet, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, denn zum einen teilt sie nicht den Verdacht der Manipulation; hierfür liegen außer dem Umstand, dass bislang keine für eine erfolgreiche erkennungsdienstliche Behandlung verwertbaren Fingerabdrücke abgenommen werden konnten, keine Anhaltspunkte vor. Damit konnte die Einzelrichterin nicht die angesichts der dem Kläger drohenden Rechtsbeeinträchtigung durch eine ggfs. ungerechtfertigte Einstellung seines Verfahrens erforderliche Überzeugungsgewissheit erlangen.
Zum anderen ist eine Beweisaufnahme auch aus Rechtsgründen nicht geboten, denn selbst wenn man einen Anlass zum Erlass der Betreibensaufforderung infolge Manipulationsverdachts bejahen wollte, lagen die weiteren Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens nicht vor, denn der Kläger hat das Verfahren betrieben.
Dies setzt voraus, dass er sich auf die Betreibensaufforderung so substantiiert äußert, dass Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses beseitigt wurden und der äußere Anschein einer Vernachlässigung der prozessualen Mitwirkungspflichten entfiel (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.04.1985, - 9 C 48.84 -, juris, Rnr. 24, zu einer gerichtlichen Betreibensaufforderung). Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich naturgemäß nicht abstrakt umschreiben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere den Gründen für die Betreibensaufforderung und den vom Kläger konkret erbetenen Verfahrenshandlungen ab (BVerwG, Urteil vom 13.01.1987, a.a.O., Rnr. 12).
Die Beklagte hat dem Kläger unter dem 05.01.2011 außer der Betreibensaufforderung ein weiteres Schreiben übersandt, in dem ihm ein Termin zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung am 11.01.2011 mitgeteilt wurde. Ebenfalls unter dem Datum 05.01.2011 und nochmals unter dem 10.01.2011 wurde der Termin zur persönlichen Anhörung am 11.01.2011 aufgehoben und dem Kläger mitgeteilt, dass er über einen neuen Termin zur persönlichen Anhörung schriftlich unterrichtet werde. Am 11.01.2011 wurde der Kläger erneut erkennungsdienstlich behandelt. Nach einem Vermerk vom 12.01.2011 zeigten sich sämtliche Fingerkuppen vernarbt, so dass die Fingerabdrücke wiederum nicht verwertbar seien. Dass dem Kläger der Inhalt des Vermerks zur Kenntnis gegeben worden sein könnte, ergibt sich nicht aus den Akten.
Nach diesem Geschehensablauf konnte die Beklagte einen äußeren Anschein der Vernachlässigung der prozessualen Mitwirkungspflicht durch den Kläger nicht annehmen. Der Kläger durfte nach der erneuten Abgabe seiner Fingerabdrücke davon ausgehen, dass er der Aufforderung unter Nummer 1. der Betreibensaufforderung vom 05.01.2011 nachgekommen ist, zumal er auch von der Beklagten nicht unterrichtet wurde, dass die Fingerabdrücke nicht verwertbar waren. Da dem Kläger unter dem 10.01.2011, d. h. nach Erlass der Betreibensaufforderung vom 05.01.2011 nochmals ein neuer Termin zur persönlichen Anhörung in Aussicht gestellt worden war, musste der Kläger zudem annehmen, dass er dort Gelegenheit bekommen würde, u.a. auch zu den unter Nr. 2 der Betreibensaufforderung vom 05.01.2011 angesprochenen Fragen Stellung zu nehmen. Schließlich scheint auch die Beklagte vom Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses beim Kläger ausgegangen zu sein, denn anders ist nicht zu erklären, dass sie unter dem 30.03.2011 eine weitere Betreibensaufforderung erfassen hat.
Auch diese zweite Betreibensaufforderung berechtigte die Beklagte nicht zur Einstellung des Asylverfahrens des Klägers. Auch für den Erlass dieser Betreibensaufforderung lag kein Anlass vor; allein die Abgabe nicht verwertbarer Fingerabdrücke ist ohne weitere Anhaltspunkte nicht ausreichend, um vom mangelnden Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Verfahrens oder der Vernachlässigung einer Mitwirkungspflicht auszugehen, insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Überdies hat der Kläger auch auf die zweite Betreibensaufforderung das Verfahren betrieben. Aus der Reaktion des Klägers auf die Betreibensaufforderung ergibt sich, dass sein Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen ist. Er hat mit seinem Tätigwerden und der Teilnahme an der weiteren erkennungsdienstlichen Behandlung den Fortbestand seines Interesses an der Weiterverfolgung seines Asylantrages substantiiert dargelegt. Der Kläger hat durch den Fachdienst Migration der für ihn zuständigen Ausländerbehörde am 11.04.2011 mitteilen lassen, dass er zur Abnahme von Fingerabdrücken durch einen namentlich benannten Polizeibeamten, der auch zur erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers zur Verfügung stehe, bereit sei und um Zustimmung zu dieser Vorgehensweise gebeten. Die Beklagte hat daraufhin unter dem 13.04.2011 den Kläger zur (dritten) erkennungsdienstlichen Behandlung auf den 29.04.2011 geladen. Diesen Termin hat der Kläger wahrgenommen.
Auch nach diesem Geschehensablauf konnte der Beklagte von einem äußeren Anschein der Vernachlässigung der prozessualen Mitwirkungspflicht durch den Kläger nicht ausgehen. Er hat sich nach Erhalt der Betreibensaufforderung um die Abgabe von verwertbaren Fingerabdrücken bemüht. Aufgrund der Ladung zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung am 29.04.2011 konnte er davon ausgehen, dass die Beklagte die Teilnahme an diesem Termin und das Dulden der Abnahme der Fingerabdrücke als ausreichend zum Betreiben des Verfahrens ansehen wird.
Dass der Kläger innerhalb der Monatsfrist keine Angaben zu den unter 2. der Betreibensaufforderung angesprochenen Themenkreise gemacht hat, berechtigt die Beklagte nicht zur Einstellung des Verfahrens. Die fingierte Rücknahme tritt nur ein, wenn der Asylbewerber das Verfahren überhaupt nicht betreibt; kommt er der Aufforderung - wie hier - zum Teil nach, kann ihm ein Nichtbetreiben nicht vorgehalten werden (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 33 Rnr. 6). [...]