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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 27.09.2011 - 2 K 42/10 - asyl.net: M19103
https://www.asyl.net/rsdb/M19103
Leitsatz:

Der Einbürgerungsbewerber hat den Leistungsbezug gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG nicht zu vertreten, wenn er nach Vollendung des 58. Lebensjahres gegenüber dem Leistungsträger eine Erklärung gem. § 65 Abs. 4 SGB II i.V.m. § 428 SGB III abgegeben hat (zulässige Übergangsorientierung in den Ruhestand) und die Einbürgerungsbehörde ihm trotz Kenntnis von diesem Umstand eine Einbürgerungszusicherung erteilt hat.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Sicherung des Lebensunterhalts, Vertretenmüssen, Einbürgerung, Leistungsbezug, Anspruchseinbürgerung, Ruhestand, Übergangsorientierung in den Ruhestand
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

[...]

Von dem Erfordernis der wirtschaftlichen Eigensicherung ist vorliegend abzusehen, weil die Klägerin die Inanspruchnahme von Leistungen nicht zu vertreten hat.

Ob der Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug zu vertreten hat, ist eine verwaltungsgerichtlich uneingeschränkt überprüfbare Rechtsfrage; ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum kommt der Einbürgerungsbehörde insoweit nicht zu. Der Begriff des zu vertretenden Grundes ist wertneutral auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten aus. Er beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den – fortdauernden – Leistungsbezug gesetzt hat (vgl. Urteil der Kammer vom 19.05.2009 – 2 K 870/08 - juris; BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 – 5 C 22/08 – juris; VG Aachen, Urteil vom 11.12.2008 – 8 K 1274/06 – juris; Berlit, GK–StAR § 10 Rdnr. 242 m.w.N.).

Der vom Begriff des zu vertretenden Grundes bzw. des Vertretenmüssens vorausgesetzte objektive Zurechnungszusammenhang zwischen zu verantwortendem Verhalten und Leistungsbezug erfordert aber, dass das Verhalten des Verantwortlichen für die Verursachung oder Herbeiführung des in Bezug genommenen Umstandes zumindest nicht nachrangig, sondern hierfür, wenn schon nicht allein ausschlaggebend, so doch maßgeblich bzw. prägend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 a.a.O.).

Bei einem arbeitslosen Ausländer ist u.a. dann davon auszugehen, dass er den Leistungsbezug zu vertreten hat, wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung bemüht oder wenn er durch ihm zurechenbares Verhalten zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, eine ihm zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen. Nicht zu vertreten hat es der Einbürgerungsantragsteller, wenn der Leistungsbezug wegen Verlust des Arbeitsplatzes durch gesundheitliche, betriebsbedingte oder konjunkturelle Ursachen begründet ist oder wenn der arbeitslose Ausländer sich hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht, aber aus konjunkturellen Gründen oder deswegen keine Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale aufweist. Insbesondere Personen, die nach Alter, Gesundheitszustand oder sozialer Situation sozialrechtlich nicht erwerbsverpflichtet sind, haben ihren Leistungsbezug normativ regelmäßig nicht zu vertreten.

Die Anforderungen, die an Art und Umfang der von einem arbeitslosen Einbürgerungsbewerber zu verlangenden Eigenbemühungen um eine neue Arbeitsstelle zu stellen sind, lassen sich nicht abstrakt-generell festlegen, sondern sind nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Bedeutung kommt dabei insbesondere den die individuellen Chancen des Ausländers auf dem Arbeitsmarkt bestimmenden Faktoren, wie u. a. Ausbildungsstand, Qualifikation, Alter, Behinderungen, Gesundheitszustand oder auch Dauer der Beschäftigungslosigkeit zu. [...]

Generell gilt, dass der Gesetzgeber den fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhaltes verfolgt werden, in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG geringeres Gewicht beigemessen hat als dies im Aufenthaltsrecht der Fall ist (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 a. a. O.; Berlit in GK-StAR, § 10 StAG Rdnr. 239).

Im Weiteren kommt dem Begriff des "Vertretenmüssens" neben dem quantitativen Element der prägenden Bedeutung des Verhaltens des Ausländers für einen späteren Leistungsbezug auch ein qualitativ-zeitliches Moment zu. Ausgehend von dem Anliegen des Gesetzgebers, Personen mit langjährigem (nämlich achtjährigen) rechtmäßigen Inlandsaufenthalt einen Anspruch auf Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit einzuräumen, hat der Einbürgerungsbewerber für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialhilfeleistungen mitursächliches Verhalten nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht mehr einzustehen (vgl. auch insoweit BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund gilt zunächst, dass die Klägerin, die sich seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhält, für den Bezug von Sozialleistungen vor diesem Zeitraum (also vor 2003) nicht mehr einzustehen hat. Die Zielsetzung des Gesetzes, nämlich einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, wird regelmäßig bereits dadurch gefördert, dass bei zurechenbar unzureichender wirtschaftlicher Integration die erforderliche Voraufenthaltszeit eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts oder der für den Einbürgerungsanspruch erforderliche Aufenthaltsstatus nicht erreicht werden kann, weil regelmäßig bereits das Aufenthaltsrecht einen gesicherten Lebensunterhalt verlangt. Kann oder soll indes aufenthaltsrechtlich diesem Umstand nicht mehr Rechnung getragen werden, verliert auch für das Staatsangehörigkeitsrecht der Gesichtspunkt an Gewicht, dass einer Zuwanderung in die Sozialsysteme vorgebeugt werden soll. Bei einem für den Einbürgerungsanspruch hinreichend verfestigten Aufenthaltsstatus ist der Bezug der Sozialhilfeleistung vielmehr unabhängig von der Staatsangehörigkeit (vgl. VG Minden, Urteil vom 19.01.2011 – 11 K 58/10 – juris und BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.). [...]