VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 13.10.2011 - 2 K 1000/11.TR - asyl.net: M19133
https://www.asyl.net/rsdb/M19133
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Kosovo (Posttraumatische Belastungsstörung, PTBS). Die Behandlung einer PTBS ist im Kosovo zwar grundsätzlich möglich. Nach der Auskunftslage ist jedoch davon auszugehen, dass die Weiterbehandlung eines psychisch Kranken, der den privaten Alltag ohne die Hilfe Dritter nicht bewältigen kann, im Kosovo derzeit nur dann möglich ist, wenn seine Betreuung durch Angehörige sichergestellt ist.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Posttraumatische Belastungsstörung, Wiederaufnahme des Verfahrens, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Im Übrigen sind nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Verfahren auch die materiellen Voraussetzungen eines Abschiebeverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in Bezug auf die Person des Klägers tatsächlich gegeben, was dazu führt, dass sich angesichts der dem Kläger drohenden Gefahren der Ermessensspielraum der Beklagten dahingehend auf Null reduziert, dass letztlich dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG im Hinblick auf eine Abschiebung in den Kosovo gegenüber der Beklagten zusteht. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach der genannten Bestimmung des Aufenthaltsgesetzes soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine derartige dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende konkrete Gefahr im Falle einer Rückkehr in den Kosovo besteht nach Auffassung des Gerichtes aufgrund der vorgetragenen Erkrankung des Klägers. [...]

Insoweit geht die Kammer zunächst davon aus, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

In Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht geht die Kammer davon aus, dass zur Substantiierung eines Vorbringens, das das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes erfordert, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Diesbezüglich hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8/07 -, NVwZ 2008, S. 330) ausgeführt:

"Aus dem (fachärztlichen) Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) ergeben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen." (vgl. BVerwG, Buchholz 451.20 § 14 GWO Nr. 6 - NVwZ 1995, 473 - ).

Die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Dr. med. ..., ... Klinikum, vom 5. September 2011 sowie die weiteren Erläuterungen hierzu vom 6. Oktober 2011 genügen nach Auffassung der Kammer zunächst diesen vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Anforderungen. In diesen Stellungnahmen wird nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger aufgrund der Tatsache, dass er miterleben musste, dass serbisches Militär in sein Haus eingedrungen sind, ihn misshandelten und ihn dann des Weiteren gezwungen haben, die Vergewaltigung seiner Ehefrau mit anzusehen, ein Trauma erlitten hat. Darüber hinaus geben die Stellungnahmen Aufschluss hinsichtlich der Schwere der Krankheit, der Behandlungsbedürftigkeit sowie des Behandlungsverlaufes. Darüber hinaus hat sich der begutachtende Arzt Dr. med. ... auch damit auseinandergesetzt, warum die Erkrankung, obwohl das Trauma auslösende Ereignis bereits 1999 stattgefunden hat, erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgebrochen ist. Die Kammer ist weiter der Auffassung, dass im Falle des Klägers nach einer Abschiebung in den Kosovo mit einer alsbaldigen, wesentlichen Gesundheitsverschlechterung zu rechnen ist. Insoweit ist es zwar zutreffend, dass die Problematik der Suizidgefahr während der Abschiebung ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis darstellt, welches durch die Ausländerbehörde zu begutachten ist. Den Stellungnahmen ist jedoch auch zu entnehmen, dass zu befürchten steht, dass der Kläger nach der Ankunft im Kosovo alsbald durch Überforderung seines Gehirns durch massive Ängste, die dieser nicht steuern kann, auch dort mit Selbstmordversuchen reagieren wird.

Die Kammer ist aber vor dem Hintergrund der ihr vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse (zusammenfassend Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 22. September 2008 sowie vom 20. Juni 2010) davon überzeugt, dass eine Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung in Serbien möglich ist. Zwar werden aufgrund des dort vorherrschenden medizinischen Ansatzes psychische Erkrankungen vorwiegend medikamentös behandelt. Es besteht aber auch die Möglichkeit anderer Therapieformen, wenn auch in begrenztem Umfang, wobei Therapiezentren sowohl in der Wojwodina als auch in Vranje, Leskovac und in Bujanovac in Südserbien existieren.

Darüber hinaus ist, davon geht auch das Gericht aus, die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen auch im Kosovo grundsätzlich möglich (vgl. insoweit die Ausführungen im angefochtenen Bescheid). Nach der Auskunftslage ist jedoch weiter davon auszugehen, dass die Weiterbehandlung eines psychisch erkrankten Patienten, der den privaten Alltag ohne die Hilfe Dritter nicht bewältigen kann, im Kosovo derzeit nur dann möglich ist, wenn seine Betreuung durch Angehörige sichergestellt ist (vgl. Auskunft der Botschaft Pristina an das Bundesamt vom 29. März 2011). Eine solche Betreuung durch Angehörige ist jedoch im Falle des Klägers nicht sichergestellt. Wie dieser sowohl gegenüber dem begutachtenden Arzt Dr. ... als auch in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, wohnt im Kosovo lediglich ein älterer Bruder, der selbst erkrankt ist, mit seiner ebenfalls schwer erkrankten Ehefrau. Des Weiteren ist aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen und Gutachten sowie der nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass dieser den privaten Alltag ohne die Hilfe Dritter nicht bewältigen kann.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Alters des Klägers und insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass keine näheren Verwandten im Kosovo leben, die sich um ihn kümmern können, ist die Kammer in Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse über die Lage im Kosovo (vgl. zusammenfassend Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 2011 sowie insbesondere der Auskunft der Botschaft Pristina an das Bundesamt vom 29. März 2011) davon überzeugt, dass im Hinblick auf den Kläger die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser alsbald nach einer Rückkehr in den Kosovo einer erheblichen Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt wäre.

Liegen daher im Hinblick auf eine Abschiebung in den Kosovo die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor, so enthält diese Bestimmung andererseits kein zwingendes Abschiebungsverbot, denn nach dem Wortlaut der Bestimmung "soll" in diesen Fällen von einer Abschiebung des Ausländers abgesehen werden. Auch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen verbleibt der Behörde ein - wenn auch auf atypische Fälle beschränktes - Ermessen, das nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 bei Asylbewerbern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auszuüben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.09 -).

Bezogen auf den Kläger ergeben sich aber weder aus dem Vorbringen der Beklagten noch ansonsten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen atypischen Falles, so dass die Beklagte verpflichtet ist, ein Abschiebungsverbot in Bezug auf die Republik Kosovo festzustellen. [...]