Die Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 der Dublin-II-VO beginnt, sofern die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellung im Einzelfall angeordnet worden ist, erst mit der rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf zu laufen (so im Ergebnis bereits Hess. VGH, Urteil vom 31. August 2006 - 9 UE 1464/06.A -, juris [asyl.net, M9333]).
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Der zulässige Antrag kann keinen Erfolg haben. Die Rechtssache hat nicht die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG -).
Die aufgeworfene Frage, wann vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (- Az. C 19/08 -) die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 Dublin-II-VO beginnt, wenn die Überstellung nicht materiell möglich ist, weil dieser ein entsprechender Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entgegensteht, ist nicht klärungsbedürftig. Rechtsfragen sind nur dann klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung nicht schon hinreichend geklärt sind oder wenn ihre Beantwortung sich weder unmittelbar aus dem Gesetz ergibt noch sie sonst von vorn herein praktisch außer Zweifel steht, so dass es zur Klärung der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens bedarf (siehe GK-AsylVfG, § 78 AsylVfG Rn. 112 m. w. N. aus der Rechtsprechung; aus der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts insbesondere Hess. VGH, Beschluss vom 30. Mai 1997 - 12 UZ 4900/96.A -, juris).
Die von der Beklagten aufgeworfene Frage lässt sich unmittelbar auf der Grundlage des Gesetzes beantworten. Nach Art. 19 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - Dublin-II-VO - erfolgt die Überstellung des Asylbewerbers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, an den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Staaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Dieser Vorschrift lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass die Überstellungsfrist immer dann, wenn ein gegen die Überstellung eingelegter Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, erst nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf zu laufen beginnt. Die von einigen erstinstanzlichen Verwaltungsgerichten (etwa VG Ansbach, Urteil vom 16. April 2009 - AN 3 K 09.30012 m. w. N. sowie VG Wiesbaden im vorliegenden Verfahren - 2 K 207/09.WI.A -) vertretene Auffassung, aus dem Zusammenhang des Art. 19 Abs. 3 Dublin-VO mit Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO ergebe sich, dass die Frist bereits mit der Zustimmung zur Wiederaufnahme des Asylbewerbers beginne, ist zweifellos unzutreffend. Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO hat ein gegen die Entscheidung zur Überstellung eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Unter Bezugnahme auf den letzten Halbsatz dieser Norm wird von der genannten Auffassung angenommen, nach innerstaatlichem Recht in Deutschland dürfe die aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung nicht angeordnet werden, dies ergebe sich aus § 34a Abs. 1 AsylVfG.
Diese Auffassung übersieht zweierlei. Zum einen ist der Beginn des Fristenlaufs für die Überstellung nicht in Art. 19 Abs. 2 Dublin-II-VO, sondern in Art. 19 Abs. 3 der Dublin-II-VO geregelt und letztere Vorschrift stellt darauf ab, ob einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zum anderen ist auch die Annahme unzutreffend, nach dem deutschen innerstaatlichen Recht sei es ausgeschlossen, die aufschiebende Wirkung gegenüber einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG anzuordnen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr entschieden, dass in Sonderfällen, die nicht vom "normativen Vergewisserungskonzept" des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, die Regelung des § 34a AsylVfG der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 -, juris). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf Überstellungen nach Griechenland mehrfach bestätigt und gefestigt worden (siehe etwa Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 -, juris; Beschluss vom 13. November 2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris; Beschluss vom 5. November 2009 - 2 BvQ 77/09 -, juris; Beschluss vom 9. Oktober 2009 - 2 BvQ 72/09 -, juris). Soweit erstinstanzliche Verwaltungsgerichte in inzwischen einer Vielzahl von Fällen (vgl. die zahlreichen Nachweise bei juris zu § 27a AsylVfG) entgegen dem Wortlaut des § 34a Abs. 2 AsylVfG vorläufigen Rechtsschutz gegen Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung gewähren, berufen sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland sei es unzulässig, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung nach der Dublin-II-Verordnung anzuordnen. Der Umstand, dass es offenbar in zunehmender Anzahl "Sonderfälle" gibt, in denen die deutsche Rechtsordnung entgegen dem Wortlaut des § 34a Abs. 2 AsylVfG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach den §§ 27a, 34a AsylVfG erlaubt, lässt die Annahme, dass in diesen Fällen die zweite Rechtsfolgenalternative in Art. 19 Abs. 3 Dublin-II-VO zur Anwendung kommt, nämlich der Fristenlauf ab der Entscheidung über den Rechtsbehelf, als geradezu zwingend erscheinen.
Die weitere bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 Dublin-II-VO auftretende Frage, ob der Fristenlauf mit der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutz oder erst mit der (rechtskräftigen) Entscheidung im Hauptsacheverfahren über den Rechtsbehelf beginnt, ist durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009 (- Az. C-19/08 -, juris) geklärt. Der Europäische Gerichtshof hat für die parallele Vorschrift in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) der Verordnung entschieden, dass die Frist nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird. Dies kann ohne Weiteres auf Art. 19 Abs. 3 der Dublin-II-VO übertragen werden.
Somit bedarf es zur Klärung der von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Da für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall keine Rolle spielt, ist es unerheblich, dass das Verwaltungsgericht den vorliegenden Fall aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsauffassung falsch entschieden hat. [...]