VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 12.10.2011 - 12 K 1544.10 V - asyl.net: M19168
https://www.asyl.net/rsdb/M19168
Leitsatz:

Kein Visum für ledige und kinderlose indische Studentin zum Besuch ihres in Deutschland lebenden Onkels, weil nach der gebotenen Risikobewertung begründete Zweifel an ihrer Rückkehrbereitschaft bestehen und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung vorliegt.

Schlagwörter: Visumsverfahren, Besuchsvisum, Indien, Rückkehrbereitschaft, Studium, Prognose, Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Verhältnismäßigkeit,
Normen: VK Art. 21 Abs. 1, SGK Art. 5 Abs. 1 Bst. e, VK Art. 32 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klägerin hat indes keinen Anspruch auf das von ihr begehrte Besuchsvisum, weil sie die Voraussetzungen für die Visumserteilung nicht erfüllt. Denn das Besuchsvisum war zu versagen, weil bei der nach Art. 21 Abs. 1 VK gebotenen Risikobewertung begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin bestehen und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. e des Schengener Grenzkodexes (Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. EU L 105 S. 1 - SGK -) vorliegt.

Nach Art. 21 Abs. 1 Hs. 2 VK ist bei der Prüfung eines Antrag auf ein einheitliches Visum insbesondere zu beurteilen, ob das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht und ob beabsichtigt ist, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu verlassen. Nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. b VK wird das Visum u.a. verweigert, wenn begründete Zweifel an der von dem Antragsteller begründeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. Ausgehend von den in Art. 21 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 VK getroffenen Regelungen fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen für die Visumserteilung, wenn nach dem Ergebnis einer umfassenden Risikobewertung begründete Zweifel an der Absicht des Antragstellers bestehen, das Visum zu dem angegebenen Aufenthaltszweck zu nutzen und fristgemäß den Schengen-Raum zu verlassen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab wird in Art. 32 Abs. 1 VK vorgegeben. Diese Bestimmung spricht zwar unmittelbar die Gefahr einer nicht rechtzeitigen Ausreise an. Hinsichtlich des noch schwerer wiegenden Risikos einer rechtswidrigen Einwanderung können jedoch keine höheren Anforderungen gestellt werden. Im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen (vgl. Art. 21 Abs. 9 Satz 2 VK) eine Prognoseentscheidung zur Wahrscheinlichkeit einer nicht rechtzeitigen Ausreise oder rechtswidrigen Einwanderung zu treffen, die Schwere, die mit einer illegalen Immigration verbundenen Gefahr in den Blick zu nehmen und dabei - soweit einschlägig - der besondere Schutz zu beachten, den Ehe und Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) und Art. 7 der Grundrechte-Charta (GRCh, ABl. EU 2010 C 83 S. 389) genießen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Juni 2010, a.a.O.).

Vorliegend bestehen bei einer solchen Gesamtbetrachtung begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin. Diese ergeben sich bereits daraus, dass die Klägerin selbst in ihrer Heimat nicht finanziell abgesichert ist. Sie selbst ist Studentin und hat nicht dargelegt, über eigenes Einkommen zu verfügen. Ihr Lebensunterhalt ist allein dadurch gesichert, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Großmutter lebt und die Großmutter aufgrund von Pachteinnahmen den Lebensunterhalt der Familie sichern kann. Allein die Tatsache, dass nach dem Vortrag der Klägerin sowohl die Mutter als auch die Großmutter über Grundbesitz verfügen, reicht indes nicht aus, um die Zweifel an der Rückkehrbereitschaft auszuräumen. Ein verbindlicher familiärer Halt im Heimatland ist ebenfalls nicht dargelegt. Die Klägerin ist ledig und kinderlos, ihr Vater ist verstorben. Die Klägerin selbst stellt darauf ab, dass sie durch ihr Studium am ... College in ... an ihr Heimatland gebunden sei. Indes hat sie trotz Hinweises der Beklagten im Remonstrationsbescheid während des gerichtlichen Verfahrens nicht dargelegt, was sie studiert, wie weit sie mit dem Studium fortgeschritten ist, wann ihr Abschluss geplant ist und welche Berufswünsche und -aussichten sie hat.

Die Verpflichtungserklärung des Onkels der Klägerin hinsichtlich der Lebensunterhaltskosten während des Aufenthalt in Deutschland und der Rückreisekosten ändert an den berechtigen Zweifeln an der Rückkehrwilligkeit nichts.

Auch der durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GRC gewährte Schutz von Ehe und Familie führen zu keiner anderen Bewertung. Zum einen zählt der in Deutschland lebende Onkel nicht zur engsten Familie, im Übrigen kann es der Klägerin zugemutet werden, dass die Kontakte zum Onkel und dessen Kinder durch deren Besuche in Indien aufrechterhalten werden. Keine der vorstehend genannten Vorschriften zum Schutz der Ehe und der Familie vermittelt der Klägerin das Recht, zur Eröffnung einer beiderseitigen Besuchsmöglichkeit in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen und sich aufzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 03. März 2010 - 1 C 8.09 -, Juris und Urteil vom 11. Januar 2011, a.a.O.). [...]