VG Trier

Merkliste
Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 12.10.2011 - 2 K 168/11.TR - asyl.net: M19205
https://www.asyl.net/rsdb/M19205
Leitsatz:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für eine Iranerin, die sich spontan an den Protesten gegen die Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 beteiligt hatte, ohne vorher besonders politisch geprägt gewesen zu sein.

Schlagwörter: Iran, Flüchtlingsanerkennung, Sicherheitskräfte, regimefeindliche Einstellung, Beteiligung an Protesten, Demonstrationen, Wahlen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Vorliegend hat die Klägerin nach Auffassung des erkennenden Gerichts glaubhaft dargelegt, dass sie ihr Heimatland aufgrund begründeter Verfolgungsfurcht verlassen hat. So hat sie dem Gericht in der circa 2-stündigen mündlichen Verhandlung präzise und widerspruchsfrei dargelegt, dass sie sich vor den Wahlen für Moussawi eingesetzt hat und nach den Wahlen vom Dach ihres Hauses Parolen gerufen hat. Bei dieser Gelegenheit habe ein Herr mit dem Handy Aufnahmen von ihr gemacht und ihr später gedroht, ihr Schwierigkeiten zu machen. Während eines Aufenthaltes in Deutschland hat sie erfahren, dass wegen diesem Verhalten ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden ist. Die von der Beklagten gerügten Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufgrund von Ungereimtheiten in dem Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Übergabe der Ladung an ihre Nachbarin hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausräumen können. So hat sie dem Gericht überzeugend dargelegt, dass es sich bei diesem Sachverhalt um Umstände handelt, die sie nur indirekt über ihren Vater und andere Verwandte gehört habe. Jeder habe ihr etwas erzählt und sie habe wohl bei ihrer Anhörung diese Informationen unkritisch übernommen. Sie sei jedenfalls seinerzeit überzeugt gewesen, dass dies sich so zugetragen habe. Erst vor kurzem habe ihr Vater ihr in einem Telefongespräch mit einem Kartentelefon die genauen Umstände der Ladung und des Gespräches bei der Staatsanwaltschaft mit einem Herrn "..." mitgeteilt.

Aufgrund des persönlichen Eindrucks des Gerichts in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin sich von der allgemeinen, nach den Wahlen im Iran herrschenden Euphorie und der Hoffnung, durch allgemeine Proteste etwas ändern zu können, hat mitreißen lassen, ohne selbst ein "politischer Mensch" zu sein. Sie hat wohl seinerzeit auch die damit verbundenen Gefahren für sich persönlich unterschätzt. Auch spricht der Umstand, dass ihre Eltern und ihre Schwester - wie geplant - in den Iran zurückgekehrt sind, und dass sie - wie sie in der mündlichen Verhandlung berichtet hat - noch vor ihrer Abreise einen Vertrag für einen Auftritt in einem Kinderzentrum abgeschlossen hat, der nach ihrer Rückkehr erfüllt werden sollte, dafür, dass die Klägerin erst aufgrund der Mitteilung ihrer Nachbarin, dass gegen sie ermittelt werde, den Entschluss gefasst hat, nicht in ihre Heimat zurück zu kehren. Insofern ist es auch plausibel, dass sie ihren Asylantrag erst gestellt, nachdem ihr Vater im Iran geklärt hat, dass die Staatsanwalt tatsächlich auf ihrem Erscheinen besteht und sich die Sache nicht anders aus der Welt schaffen ließ.

Auch wenn Zweifel daran bestehen, dass der Klägerin tatsächlich unmittelbar vor ihrer Asylantragstellung ihr Pass gestohlen worden sein soll, so kann dies alleine aber nicht dazu führen, dass ihr gesamter, im Übrigen stimmiger Vortrag unglaubhaft ist. Ist die Klägerin aber den Sicherheitskräften im Iran wegen ihrer regimekritischen Einstellung aufgrund ihrer Beteiligung an Protesten gegen das Regime aufgefallen, so droht ihr bei einer Rückkehr in den Iran die Verhaftung und Bestrafung. So ist auch in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Februar 2011 ausgeführt, dass Oppositionelle und politische Aktivisten nach wie vor starker Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind. Aufgrund der Vorladung zur Staatsanwaltschaft ist auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin unmittelbar nach ihrer Einreise verhaftet wird. Ihr droht daher in ihrem Heimatstaat politische Verfolgung, so dass ihr nicht zuzumuten ist, dorthin zurückzukehren. [...]