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VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 30.09.2011 - 2 K 264/11.A - asyl.net: M19220
https://www.asyl.net/rsdb/M19220
Leitsatz:

Ein Umverteilungsanspruch zum volljährigen Sohn besteht bei einem irakischen Mann, der wegen eines Prostataleidens und einer Depression ärztliche Behandlung benötigt und am Wohnort des Sohnes einen arabischsprachigen Arzt zur Verfügung hat.

Schlagwörter: länderübergreifende Umverteilung, Asylbewerber, Haushaltsgemeinschaft, humanitäre Gründe, Krankheit, Prostataleiden, Depression, psychische Erkrankung, Sprache, Muttersprache, Arzt
Normen: AsylVfG § 51 Abs. 1, AsylVfG § 51 Abs. 2 S. 1, AsylVfG § 51 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

Nach § 51 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ist bei Anträgen auf länderübergreifende Verteilung von Asylbewerbern, die nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen - was beim Kläger der Fall ist -, der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht Rechnung zu tragen.

Darüber entscheidet nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist. Zuständige Behörde ist hier die Bezirksregierung Arnsberg.

Humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylVfG hatten sich zwar nicht ausreichend dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers entnehmen lassen. Die glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2011 führen jedoch dazu, das Vorliegen solcher Gründe nunmehr anzunehmen. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen.

Die Situation des Klägers stellt sich derzeit folgendermaßen dar:

Er ist krank. Bei ihm liegen u.a. ein fortschreitendes Prostataleiden und eine schwere Depression vor, bestätigt durch ärztliches Attest des behandelnden Arztes für Innere Medizin, Dr. ... vom 11.07.2011. Wegen seiner Krankheit wurde der Kläger in dem Heim in Bremen-..., wo er zurzeit lebt, in einem Einzelzimmer untergebracht, um Mitbewohner nicht zu stören. Er kann Beine und Füße nicht mehr richtig bewegen. Sein in ... lebender Sohn ... ist aus seiner Sicht der einzige, der ihn pflegen und ertragen kann. Sein behandelnder Arzt Dr. ... ist auch in .... Mit ihm kann sich der Kläger auf Arabisch unterhalten. In Bremen war er bei deutschen Ärzten in Behandlung, mit denen er sich aber kaum verständigen konnte. Der Kläger spricht kein Deutsch. Er kennt auch keine Landsleute in Bremen, die ihm bei seiner Krankheit helfen könnten.

Der Kläger war für den erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung überzeugend und glaubwürdig. Er schilderte seine Situation nüchtern und ohne Übertreibung. Eine resignative Haltung des Klägers und sein körperlicher Abbau waren deutlich wahrzunehmen. Der Sohn ... war zu der Verhandlung nach Bremen gekommen. Zweifel daran, dass ... der Sohn des Klägers ist, hatte das Gericht nach den Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht, so dass eine Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung insoweit nicht erforderlich war. Das Gericht geht nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung auch davon aus, dass der Sohn bereit ist, den Vater aufzunehmen und zu pflegen.

Gesundheitliche Gründe können von vergleichbarem Gewicht wie die Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten oder von Eltern und ihren minderjährigen Kindern sein (Marx, Komm. z. AsylVfG, 7. Aufl., zu § 50, Rdnrn. 81 bis 93 mit Rechtsprechungsnachweisen). Im Falle des Klägers ist dieses zu bejahen. Er ist physisch und psychisch auf Hilfe angewiesen. Der einzige Familienangehörige, der diese Hilfe in Deutschland leisten kann, ist sein Sohn in ... Der behandelnde Arzt, mit dem der Kläger sprachlich ohne Einschränkung kommunizieren kann und zu dem er Vertrauen hat, praktiziert auch in ...

Zwar ist prinzipiell davon auszugehen, dass ein Asylbewerber die erforderliche medizinische Hilfe auch an jedem Ort in Deutschland erhalten kann, dem er asylverfahrensrechtlich zugewiesen ist. Doch ist hier insbesondere wegen der psychischen Disposition und der Angewiesenheit auf physische Unterstützung im täglichen Leben eine Situation zu verzeichnen, die den Fall des Klägers von anderen alleinstehenden Asylbewerbern unterscheidet. Er ist im Hinblick auf seine gesundheitlichen Einschränkungen in gleicher Weise auf seinen volljährigen Sohn angewiesen wie das bei Ehegatten untereinander oder bei minderjährigen Kindern und ihren Eltern der Fall ist.

Liegen humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht vor, so ist ihnen nach § 51 Abs. 1 AsylVfG Rechnung zu tragen. Eine Ermessensentscheidung scheidet aus, der Asylbewerber hat einen Rechtsanspruch auf Durchführung der länderübergreifenden Verteilung (Marx, a.a.O., zu § 51, Rdnr. 7). [...]