Die polizeiliche Ingewahrsamnahme ist rechtswidrig, wenn der Antragsteller nicht überprüft, ob sein Haftantrag beim zuständigen Richter eingegangen ist, wenn nicht unmittelbar eine Reaktion des Richters erfolgt, da dies aus den dem Unverzüglichkeitsgebot für die weiteren Mitwirkungspflichten abzuleiten ist.
[...]
Die polizeiliche Ingewahrsamnahme war in dem genannten Zeitraum rechtswidrig, weil ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG und § 40 Abs. 1 BPolG vorlag, da die erforderliche richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme nicht unverzüglich herbeigeführt worden ist. [...]
Unverzüglich bedeutet in diesem Sinne, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Nicht vermeidbar sind zum Beispiel die Verzögerungen, die durch die Länge des Wegs, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG NJW 2002, 3161, m.w.N.).
Nach diesen Kriterien stellt die Vorführung des Betroffenen vor den Abschiebehaftrichter am 02.06.2006 um 10:00 Uhr offensichtlich keine unverzügliche richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der am 01.06.2006 um 15:30 Uhr begonnenen freiheitsentziehenden Maßnahme dar.
Der Umstand, dass eine richterliche Anhörung des Betroffenen am 01.06.2006 nicht erfolgt ist, weil der zuständige Haftrichter an diesem Tag von dem per Fax übersandten Antrag der Bundespolizei keine Kenntnis erlangt hat, ist nicht geeignet, die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zum nächsten Tag ohne richterliche Entscheidung zu rechtfertigen, weil die Bundespolizei mit der bloßen Absendung des Antrags an das Gericht per Fax noch nicht alles Erforderliche getan hat, um im Sinne des § 40 Abs. 1 BPolG "unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen".
Es kann dahingestellt bleiben, ob die fehlende Kenntniserlangung des Haftrichters auf gerichtsinterne Versäumnisse zurückzuführen ist, weil nach den gesetzlichen Vorgaben des § 40 Abs. 1 BPolG jedenfalls die Bundespolizei als Antrag stellende Behörde verpflichtet war, den tatsächlichen Eingang des Antrags bei dem Haftrichter zum Beispiel durch eine telefonische Anfrage zu überprüfen und sich bestätigen zu lassen und auf diese Weise auf die zeitnahe Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung hinzuwirken. Der in der Verfassung festgeschriebene Richtervorbehalt hat als Sicherung gegen unberechtigte Freiheitsentziehung hohe Bedeutung und erfordert deshalb besondere Bemühungen und Vorkehrungen (vgl. BVerfG NJW 2002, 3161). Entsprechende Bemühungen hat die Bundespolizei vorliegend auch auf die ausdrückliche Nachfrage des Gerichts vom 12.09.2011 nicht dargelegt.
Die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen war nach den Gesamtumständen ab dem 01.06.2006 um 16:35 Uhr rechtswidrig.
Aufgrund der fehlenden Berechtigung des Betroffenen zu Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und dem daraus resultierenden Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BPolG in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG war die Ingewahrsamnahme anfangs noch zulässig. Aus den vorstehend dargelegten formalen Gründen war dies nicht mehr der Fall ab dem Zeitpunkt am 01.06.2006, zu dem bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise der Beteiligten eine richterliche Entscheidung hätte herbeigeführt werden können.
Als maßgeblicher Zeitpunkt in diesem Sinne ist hier unter Berücksichtigung und Abwägung der Gesamtumstände der 01.06.2006, 16:35 Uhr, anzunehmen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bundespolizei nach der Absendung des Faxes zunächst davon ausgehen durfte, dass der zuständige Haftrichter den Antrag - wie das auch sonst regelmäßig der Fall war - zur Kenntnis nehmen und mit der sachlichen Prüfung beginnen würde. Die Bundespolizei durfte erfahrungsgemäß auch davon ausgehen, dass der mit der Durchführung der strafrechtlichen Haftvorführungen befasste Haftrichter nicht sofort nach dem Eingang des Faxes mit der Bearbeitung des Antrags der Bundespolizei beginnen würde. Die Bundespolizei hätte sich allerdings im Rahmen ihrer aus dem Unverzüglichkeitsgebot folgenden weiteren Mitwirkungspflichten spätestens dann telefonisch mit dem Haftrichter in Verbindung setzen müssen, als auch eine Stunde nach der Absendung des Faxes noch keine Rückmeldung des Haftrichters in Form der Mitteilung einer Sachentscheidung oder der Absprache der Vorführung des Betroffenen durch die Bundespolizei erfolgt war, denn spätestens nach einer Stunde hätte es sich aufdrängen müssen, auch im Hinblick auf die erfahrungsgemäß zu erwartende Beendigung des Haftrichterdienstes im Laufe des Nachmittags, durch entsprechende Nachfrage den ordnungsgemäßen Fortgang des Verfahrens zu gewährleisten. Da dies nicht geschehen ist, nach den Umständen aber bis zu diesem Zeitpunkt hätte erfolgen müssen, war ab diesem Zeitpunkt die weitere Freiheitsentziehung des Betroffenen aus verfassungs- und verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr gerechtfertigt und damit rechtswidrig.
Die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung endete am 02.06.2006 um 10:00 Uhr mit der Vorführung des Betroffenen vor dem Abschiebehaftrichter des Amtsgerichts Frankfurt am Main, weil damit eine ordnungsgemäße Grundlage für die weitere Freiheitsentziehung geschaffen wurde, indem eine richterliche Anordnung der Abschiebehaft ergangen ist. [...]