OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 13.12.2011 - 3 D 107/11 - asyl.net: M19297
https://www.asyl.net/rsdb/M19297
Leitsatz:

Hinreichende Erfolgsaussichten einer Klage auf Einbürgerung, wenn die Behörde den Antrag mit der Begründung abgelehnt hat, die Zeit des Asylverfahrens und des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 S. 1 AufenthG sei nicht auf den die Zeit des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts anzurechnen, da das Asylverfahren unterbrochen und wiederaufgenommen wurde, obwohl es letztlich zur Flüchtlingsanerkennung führte (die Behördenentscheidung ist zurückzuführen auf die Vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, die auch nach dem Urteil des BVerwG vom 19.10.2011 - 5 C 28.10 - noch gültig sind).

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, politische Verfolgung, Niederlassungserlaubnis, gewöhnlicher Aufenthalt, Anspruchseinbürgerung, Einbürgerung
Normen: AsylVfG § 55 Abs. 3, StAG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 26 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu Unrecht abgelehnt. [...]

Das Klagebegehren dürfte, anders als dies das Verwaltungsgericht meint, nicht am Innehaben eines achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalts i.S.v. § 10 Abs. 1 § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG scheitern. Gemäß § 55 Abs. 3 AsylVfG wird die Zeit des Aufenthalts mit einer zur Durchführung des Asylverfahrens erteilten Aufenthaltsgestattung, soweit der Erwerb eines Rechts oder die Ausübung eines Rechts oder einer Vergünstigung von der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet abhängig ist, angerechnet, wenn der Ausländer unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt worden ist oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des AufenthG festgestellt hat. Hiernach dürfte die Zeit des durch die Gestattung vermittelten Aufenthalts gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG Anrechnung finden, da das Asylverfahren der Klägerin letztendlich erfolgreich war. Dem steht die angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen. Im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall war das Asylbegehren bzw. die begehrte Feststellung der politischen Verfolgung abgelehnt worden und im Gegensatz zum vorliegenden Fall damit im Ergebnis nicht erfolgreich. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst (Urt. v. 19. Oktober 2011 - 5 C 28.10 -, juris Rn. 12) für ein erfolgreiches Asylverfahren klargestellt, dass für die Frage des rechtmäßigen Aufenthalts i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG die Dauer des Aufenthalts eines erfolgreichen Asylverfahrens gemäß § 55 Abs. 3 AsylVfG in Ansatz zu bringen ist. Da der Beklagte selbst in der zitierten Aktennotiz die Auffassung vertritt, dass eine Aufenthaltsgestattung für das gesamte Asylverfahren trotz dessen mehrfacher Unterbrechung bzw. Wiederaufnahme bis zur bestandskräftigen Anerkennung der Klägerin als politisch Verfolgte und mithin vom 21. Juni 2002 bis zum 1. Juni 2007 bestand, kann die Auffassung, ein anrechenbarer rechtmäßiger Aufenthalt läge erst mit Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG und mithin erst ab dem 17. Juni 2010 vor, keinen Bestand haben.

Ob die Meinung des Beklagten, die nach bestandskräftiger Anerkennung der politischen Verfolgung, aber vor Zuerkennung der Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien für den gewöhnlichen Aufenthalt im staatsangehörigkeitsrechtlichen Sinne aufgrund ihres nur vorübergehenden Charakters ebenfalls nicht mit einzubeziehen, zutrifft, ist darüber hinaus fraglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG, wenn er sich hier unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur vorübergehend verweilt, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, so dass die Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Hierbei sind vor allem die Vorstellungen und Möglichkeiten des Ausländers von Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht stellt klar, dass die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts keine förmliche Zustimmung der Ausländerbehörde erfordere. Ebenso wenig ist erforderlich, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat. Ein zeitlich befristeter Aufenthaltstitel schließt daher die Begründung und Beibehaltung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus. Selbst wiederholt erteilte Duldungen, die als zeitweise bzw. vorübergehende Aussetzung der Abschiebung eines Ausländers (vgl. § 60a AufenthG) kein Recht zum Aufenthalt verleihen, hindern die Begründung und Beibehaltung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht (BVerwG, Urt. v. 19. Oktober 2011, a.a.O. Rn. 10 m.w.N.). Die Klärung der Frage, ob der vom Beklagten vertretenen Auffassung im Lichte dieser Rechtsprechung zu folgen sein wird, muss ebenso wie die Prüfung der übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen der Klärung im anhängigen Klageverfahren vorbehalten bleiben. Die für eine Einbürgerung notwendigen Deutschkenntnisse hat die Klägerin jedenfalls durch die Vorlage ihrer Grundschulzeugnisse erbracht. [...]