OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.12.2011 - 2 B 9.11 - asyl.net: M19301
https://www.asyl.net/rsdb/M19301
Leitsatz:

Die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion unter entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes begründet keinen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 28 GFK.

Schlagwörter: jüdische Kontingentflüchtlinge, jüdische Zuwanderer, UdSSR, Sowjetunion, Kontingentflüchtlingsgesetz, Passpficht, Passbeschaffung, Konventionspass, Nationalpass, Zumutbarkeit, Reiseausweis für Flüchtlinge
Normen: GG Art 3 Abs 1, FlüAbk Art 28 Abs 1, HumHiG § 2a , HumHiG§ 2, HumHiG § 1
Auszüge:

[...]

Der Hauptantrag bleibt ohne Erfolg. [...]

Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge.

a) Ein Anspruch folgt nicht aus Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl 1953 II S. 560/BGBl 1954 II S. 619). Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK werden die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise ausstellen, die ihnen Reisen außerhalb dieses Gebietes gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. Nach Satz 2 können die vertragschließenden Staaten einen solchen Reiseausweis jedem anderen Flüchtling ausstellen, der sich in ihrem Gebiet befindet; sie werden ihre Aufmerksamkeit besonders jenen Flüchtlingen zuwenden, die sich in ihrem Gebiet befinden und nicht in der Lage sind, einen Reiseausweis von dem Staat zu erhalten, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben.

Zwar ist Art. 28 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, der die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch Bundesgesetz zugestimmt hat, innerstaatlich unmittelbar anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2005 - 1 C 36.04 -, juris Rn. 12). Jedoch ist der Kläger nicht Flüchtling im Sinne von Art. 28 Abs. 1 GFK. Ein Anspruch auf Ausstellung eines internationalen Reiseausweises nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GFK bzw. ein Anspruch auf Neubescheidung nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GFK setzt voraus, dass der Betreffende Flüchtling ist und dieser Status durch einen Formalakt festgestellt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 1 C 21.87 -, juris Rn. 14). Da der Kläger weder als Asylberechtigter gemäß Art. 16a GG i.V.m. § 2 Abs. 1 AsylVfG anerkannt noch ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylVfG zuerkannt worden ist, erfüllt er diese Voraussetzungen nicht.

b) Ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge folgt auch nicht aus § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz (in unmittelbarer Anwendung) i.V.m. Art. 28 Abs. 1 GFK. Nach § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz genießt ein Ausländer, der im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder auf Grund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs. 1 des Ausländergesetzes im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgenommen worden ist, die Rechtsstellung nach den Artikeln 2 bis 34 GFK. Dahinstehen kann, ob die Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes als Anspruchsgrundlage schon deshalb ausscheidet, weil § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz durch Artikel 15 Absatz 3 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) zum 1. Januar 2005 außer Kraft gesetzt worden ist, oder ob die noch unter der Geltung des Gesetzes erworbene Rechtsstellung als Kontingentflüchtling als eine "vor dem 1. Januar 2005 getroffene sonstige aufenthaltsrechtliche Maßnahme" gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch über den 1. Januar 2005 fortbesteht (so: VG Hannover, Urteil vom 11. Juni 2010 - 12 A 3137/09 -, juris Rn. 19). Denn der Kläger hat die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings nicht vor dem 1. Januar 2005 erworben. Diese Rechtsstellung entstand ausschließlich kraft Gesetzes, da es insoweit ein Anerkennungs- oder Feststellungsverfahren nicht gab (vgl. OVG Rheinland-Pfalz vom 26. November 1999 - 11 A 11523/99 -, juris Rn. 6; OVG Meckl.-Vorp., Urteil vom 15. September 2004 - 1 L 107/02 -, juris Rn. 77; Bay. VGH, Beschluss vom 7. August 2008 - 19 B 07.1777 -, juris Rn. 30). Demgemäß kommt der amtlichen Bescheinigung, die gemäß § 2 Kontingentflüchtlingsgesetz der "Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1" zum Nachweis seiner Rechtsstellung erhält, nur deklaratorische Bedeutung zu (vgl. Beschluss des Senats vom 29. März 2010 - OVG 2 S 5.10 -, BA S. 3; OVG Rheinland-Pfalz a.a.O.). Die in seinen Reiseausweis für Flüchtlinge aufgenommene Bescheinigung, dass der Ausweisinhaber Flüchtling im Sinne von § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz sei, konnte deshalb beim Kläger die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings nicht begründen. Er erwarb diese auch nicht kraft Gesetzes durch eine Aufnahme nach § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz.

Voraussetzung hierfür war, dass die Aufnahme aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks oder auf Grund einer Übernahmeerklärung nach § 33 AuslG erfolgt ist. Beides ist hier nicht der Fall. Der Kläger ist ohne Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat zunächst einen Asylantrag gestellt. Erst in Deutschland hat er einen Aufenthaltstitel als jüdischer Zuwanderer außerhalb des geordneten Verfahrens beantragt. Da er somit jedenfalls ohne eine vorangegangene Übernahmezusage nach Deutschland eingereist ist, fehlte es hier auch dann an einer Aufnahme aufgrund einer Übernahmeerklärung, wenn man die Entscheidung, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in einem geregelten Verfahren aufzunehmen, als Übernahmeerklärung im Sinne des § 33 Abs. 1 AuslG ansehen wollte. Denn eine Übernahme nach § 33 Abs. 1 AuslG musste zwingend vor der Einreise erklärt werden (vgl. m.w.N. VG Hannover, a.a.O., Rn. 21).

c) Der Kläger kann einen Anspruch auf Ausstellung eines internationalen Reiseausweises für Flüchtlinge auch nicht aus einer Rechtsstellung sui generis herleiten, die ihm durch seine Aufnahme als jüdischer Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion verliehen worden ist.

Zwar erwarben nach einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht die vor In- Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes auf der Grundlage des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1 Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommenen jüdischen Emigranten eine Rechtsstellung sui generis, die durch das In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes nicht beseitigt wurde (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13. Juli 2011 - 11 S 1412/10 -, juris Rn. 36 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 19 BV 11.1068 -, juris Rn. 16; wohl auch: Hess. VGH, Urteil vom 29. August 2011 - 3 A 210/11 -, juris Rn. 23). Dies wird wie folgt begründet: Die Aufnahme der jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sei aus einer einmaligen historischen Situation heraus erfolgt. Mit der in dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 ohne zahlenmäßige und zeitliche Begrenzung festgelegten Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion unter entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes habe die Verantwortung Deutschlands für das gegenüber Juden begangene Unrecht dokumentiert und ein Beitrag zur "Wiedergutmachung" geleistet werden sollen. Vor allem aber habe die Aufnahme den Zweck verfolgt, die wenigen, überalterten jüdischen Gemeinden Deutschlands zu erhalten und zu stärken. Aufgrund der zu erwartenden hohen Anzahl jüdischer Zuwanderer aus dem Osten habe politischer Konsens darüber bestanden, dass ein geordnetes Einreiseverfahren und gleiches Recht für alle zu schaffen seien. Mit der bewusst gewählten entsprechenden Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes sei nicht nur der Zweck verfolgt worden, die finanziellen Lasten der Aufnahme zwischen Bund und Ländern zu verteilen, sondern auch die Intention, den jüdischen Zuwanderern und ihren Familienangehörigen unmittelbar nach der Einreise durch die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis einen gesicherten und auf Dauer angelegten aufenthaltsrechtlichen Status zu vermitteln und sie in den Genuss staatlicher Eingliederungshilfen kommen zu lassen. Allein die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hätte nach damaligem Recht nicht ausgereicht, um die seinerzeit gewünschten Folgen für die jüdischen Zuwanderer herbeizuführen. Nach der maßgeblichen Verwaltungspraxis hätten die jüdischen Zuwanderer, die nach Durchführung des so genannten geregelten Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet eingereist seien, vielmehr eine besondere Rechtsstellung in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes erhalten. Diese habe dem Umstand Rechnung getragen, dass jüdische Emigranten nicht um eines Verfolgungs- oder Flüchtlingsschicksals willen aufgenommen worden seien und man auch nicht ein Fortbestehen ihrer Verbindung zum Herkunftsstaat habe in Frage stellen wollen. Denn dieser Personenkreis habe seine Reisepässe behalten, im Herkunftsstaat erneuern und auch weiter dorthin reisen dürfen (vgl. zu allem: VGH Bad.-Württ., a.a.O., Rn. 26 ff. und 36 ff.). Mit dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 sei diese Rechtsstellung auch nicht wieder entzogen worden (vgl. mit unterschiedlichen Begründungsansätzen: VGH Bad.-Württ., a.a.O., Rn. 49; Bay. VGH Beschluss vom 7. August 2008 - 19 B 07.1777 -, juris Rn. 62 ff.).

Hierauf lässt sich das Klagebegehren jedoch nicht stützen. Dabei kann offen bleiben, ob der Auffassung zu folgen ist, dass mit der faktischen Aufnahme der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion eine Rechtsstellung sui generis begründet wurde, obgleich es an einer gesetzlichen Grundlage fehlte, sowie ob es im Falle des Klägers an dem für die Begründung der Rechtsstellung erforderlichen Verwaltungsakt fehlt, weil seine Aufnahme nicht im so genannten geregelten Aufnahmeverfahren auf Grundlage einer vor der Einreise erteilten Aufnahmezusage des Bundesverwaltungsamts erfolgt ist (vgl. zur Verwaltungsaktqualität der Aufnahmezusage: VGH Bad.-Württ., a.a.O., Rn. 45 ff.). Denn nach Auffassung des Senats umfasste diese Rechtsstellung jedenfalls nicht auch das Recht der jüdischen Zuwanderer auf Ausstellung von Internationalen Reiseausweisen für Flüchtlinge. Die entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die jüdischen Zuwanderer nicht wegen eines Verfolgungs- oder Flüchtlingsschicksals aufgenommen wurden. Ihnen sollten auch weiterhin Reisen in ihr Herkunftsland möglich sein. Deshalb entsprach es allgemeiner Auffassung, dass auf diesen Personenkreis § 2a Abs. 1 Nr. 1 Kontingentflüchtlingsgesetz, wonach die Rechtsstellung nach § 1 erlosch, wenn der Ausländer sich freiwillig oder durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses erneut seinem Herkunftsstaat unterstellte, keine Anwendung finden sollte, weil diese Vorschrift eine tatsächliche Verfolgung im Herkunftsstaat voraussetzte (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 19 BV 11.1068 -, juris Rn. 17; Hochreuter, NVwZ 2000, 1376, 1380 f.; HK-AuslR/Fränkel, § 103 AufenthG Rn. 3). Da die jüdischen Zuwanderer somit die Pässe ihrer Herkunftsstaaten behalten durften und verlängern konnten und dabei auch nicht den Verlust der ihnen in der Bundesrepublik Deutschland eingeräumten Rechte befürchten mussten, war die Ausstellung von Reiseausweisen für Flüchtlinge für diesen Personenkreis nicht geboten. Denn der Konventions-Reiseausweis soll den Konventionsflüchtlingen das Reisen außerhalb des Staates ermöglichen, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, und ersetzt damit in weitem Umfang den - einem Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zugänglichen - nationalen Reisepass (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2004 - 1 C 1.03 -, juris Rn. 24). Für den Personenkreis der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion genügte es indessen, wenn im Einzelfall, sofern der Betroffene einen Nationalpass nicht besaß und diesen auch nicht in zumutbarer Weise erlangen konnte, ein Reiseausweis für Ausländer unter den Voraussetzungen von § 15 DVAuslG ausgestellt wurde. Darüber hinaus sollte nach dem Willen der Bundesregierung die Ausstellung von Reiseausweisen für Flüchtlinge auch deshalb unterbleiben, weil außenpolitische Irritationen zu Israel sowie den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion vermieden werden sollten. [...]

d) Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung besteht schließlich kein Anspruch des Klägers aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Zwar wurden im Land Berlin vor In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes den unter entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes aufgenommenen jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in ständiger Verwaltungspraxis internationale Reiseausweise für Flüchtlinge ausgestellt, sofern diese keinen gültigen Pass ihres Heimatlandes besaßen. Diese Verwaltungspraxis hat der Beklagte jedoch mit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes geändert. Seitdem wird auch bei jüdischen Zuwanderern, denen bisher ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt worden ist, dieser Ausweis nicht verlängert oder neu ausgestellt. Die Betroffenen werden nunmehr darauf verwiesen, einen Reiseausweis für Ausländer zu beantragen, welcher ihnen erteilt wird, wenn die Voraussetzungen der §§ 5 ff. AufenthV vorliegen (vgl. Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin, Stand: 20. Juli 2005, E.Israel 1 Ziffer 1.). Bei dieser Sachlage besteht kein Anspruch des Klägers auf Fortführung der bis zum In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes geübten Verwaltungspraxis.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar anerkannt, dass Verwaltungsvorschriften über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus vermittels sowohl des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes (Art. 20 und Art. 28 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis der Verwaltung zum Bürger zu begründen vermögen (vgl. m.w.N. BVerwG, Urteil vom 8. April 1997 - 3 C 6.95 -, BVerwGE 104, 220, 223). Dabei ist Voraussetzung einer Selbstbindung angesichts der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), dass die Verwaltungspraxis der Rechtsordnung entsprechen muss. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht besteht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 3 C 49.02 -, juris Rn. 12). Bei Anwendung dieser Grundsätze kann hier offen bleiben, ob die Praxis der Ausstellung von Reiseausweisen von Flüchtlingen für jüdische Zuwanderer rechtswidrig war, weil es aufgrund des mit der Ausstellung von Pässen verbundenen Eingriffs in die Personalhoheit des Herkunftsstaates hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte (so: VG Hannover, Urteil vom 11. Juni 2010, a.a.O., Rn. 32), und bereits deshalb für den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum eine anspruchsbegründende Außenwirkung nicht eintreten konnte. Denn jedenfalls durfte der Beklagte seine Verwaltungspraxis mit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes ändern. Der Verwaltung bleibt es grundsätzlich unbenommen, von einer in der Vergangenheit geübten Praxis zugunsten einer neuen gleichmäßigen Ermessenshandhabung abzugehen (vgl. Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 10 V 3 Rn. 65; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1, Rn. 273). Für die Änderung der Verwaltungspraxis müssen allerdings sachliche Gründe vorliegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. April 1997, a.a.O. und vom 5. November 1998 - 2 A 3.98 -, juris Rn. 12). Dies war hier der Fall. Als Gründe für die Aufgabe seiner früheren Praxis führt der Beklagte u.a. an, dass die bisherige Praxis nicht sachgerecht gewesen sei. Da die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ein Verfolgungs- oder Flüchtlingsschicksal nicht erlitten hätten und ohne Angst vor staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung ihre Herkunftsstaaten bereisen und bei staatlichen Behörden Anträge stellen und Dokumente erlangen könnten, sei für sie die Ausstellung von Flüchtlingsausweisen nicht geboten. Diese Gründe für die Änderung der Verwaltungspraxis sind nicht zu beanstanden. Es besteht somit kein über Art. 3 Abs. 1 GG vermittelter Anspruch des Klägers auf Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge.

Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht das verfassungsrechtlich verbürgte Gebot des Vertrauensschutzes. Die Tatsache allein, dass dem Kläger über einen Zeitraum von insgesamt mehr als sechs Jahren hinweg ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt bzw. verlängert worden ist, konnte bei ihm kein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, dass diese Praxis auch in der Zukunft weitergeführt werde. Die dem Kläger jeweils ausgestellten Reiseausweise waren - den Vorgaben von Paragraf 5 des Anhangs zur Genfer Flüchtlingskonvention folgend - in ihrer Geltungsdauer jeweils auf maximal zwei Jahre beschränkt. Der Kläger konnte daher nicht annehmen, dass der Reiseausweis auch nach Ablauf seiner Geltungsdauer ohne erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage verlängert werden würde. Sollte ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf anzuerkennen sein, dass es ihm aufgrund seiner Aufnahme als jüdischer Zuwanderer entsprechend des Kontingentflüchtlingsgesetzes auch in Zukunft möglich sein müsse, in der Bundesrepublik Deutschland ein Ausweisdokument zu erlangen, mit dem er Auslandsreisen unternehmen kann, so würde diesem Vertrauen auch mit der geänderten Verwaltungspraxis Rechnung getragen. Denn mit der Aufgabe der Praxis, Reiseausweise für Flüchtlinge auszustellen, entfällt für den Kläger nicht jede Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland einen Reiseausweis zu erlangen. Er hat, da er keinen Nationalpass besitzt, unter der weiteren Voraussetzung, dass er einen Nationalpass auch nicht zumutbar erlangen kann, gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV jedenfalls Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, im Falle der Ermessensreduzierung einen Anspruch auf Ausstellung eines solchen. Das vom Kläger darüber hinaus geltend gemachte Vertrauen darauf, dass er sich nach seiner Aufnahme als jüdischer Zuwanderer niemals um einen nationalen Pass bei der ukrainischen Botschaft werde bemühen müssen, ist nicht schutzwürdig. Aus der dem Kläger durch das Landratsamt Rhön-Grabfeld zur Unterzeichnung vorgelegten Erklärung vom 16. September 1998 folgt nicht, dass er davon ausgehen durfte, dass er zu keinen Zeitpunkt in der Zukunft einen nationalen Pass werde beschaffen müssen. Darin wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit seiner Aufnahme als jüdischer Zuwanderer außerhalb des geregelten Verfahrens zunächst auf die Vorlage eines gültigen Nationalpasses verzichtet wurde. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass die Vorlage eines Nationalpasses eigentlich erforderlich gewesen wäre und möglicherweise noch in der Zukunft gefordert werden kann. Lediglich beispielhaft wird in der Erklärung angeführt, dass im Falle eines späteren Einbürgerungsverfahrens der Besitz eines gültigen Nationalpasses des Herkunftsstaates häufig notwendig sei. Auch in der Rücknahme des Asylantrages im Hinblick auf die ihm eingeräumte Rechtsstellung liegt keine Ausübung eines schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass auch nach Ablauf der Geltungsdauer des Reiseausweises für Flüchtlinge dieser stets verlängert werden würde. Zum einen ist anzunehmen, dass der Kläger in erster Linie im Hinblick auf das ihm gewährte unbefristete Aufenthaltsrecht seinen Asylantrag zurückgenommen hat. Außerdem wäre jedenfalls ein Vertrauen auf die Wiederholung der Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auch nach Ablauf der Geltungsdauer – wie dargelegt – nicht schutzwürdig. [...]

b) Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer noch auf Neubescheidung seines Antrages. Der Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2005 ist daher auch insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge richtet sich nach §§ 5 Abs. 1, 6 AufenthV. Zwar besitzt der Kläger eine Niederlassungserlaubnis, so dass für ihn grundsätzlich nach § 6 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ein Reiseausweis für Ausländer im Inland ausgestellt werden darf. Jedoch sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 AufenthV nicht erfüllt.

Nach § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbarere Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Absatz 2 der Bestimmung enthält Regelbeispiele dazu, was als zumutbar im Sinne des Absatzes 1 gilt. So ist etwa in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts entsprechenden Weise an der Ausstellung oder Verlängerung des Passes oder Passersatzes mitzuwirken und die Behandlung des Antrages durch die Behörden des Herkunftsstaates nach dem Recht des Herkunftsstaates zu dulden, sofern dies nicht zu einer unzumutbaren Härte führt (Nr. 2). Ferner sind für die behördlichen Maßnahmen die vom Herkunftsstaat allgemein festgelegten Gebühren zu zahlen (Nr. 4).

Welche konkreten Anforderungen an die Zumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände (vgl. zum Begriff der Unzumutbarkeit in § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV: BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2011 – 1 B 1.11 -, juris Rn. 6). Bei dieser Gesamtbetrachtung sind vorliegend zu Gunsten des Klägers die besondere Schwierigkeiten bei der Passbeschaffung zu berücksichtigen, die dadurch bedingt sind, dass er niemals einen nationalen Pass der Ukraine besessen hat und sich bislang auch nicht darum bemühen musste, weil er in der Vergangenheit einen internationalen Reiseausweis für Flüchtlinge besaß. Dabei liegt nach der Rechtsprechung des Senats die Darlegungs- und Nachweislast dafür, die erforderlichen und zumutbaren Schritte für die Erlangung eines Nationalpasses unternommen zu haben, nicht allein beim Kläger. Vielmehr bestehen wechselseitige Pflichten des betroffenen Ausländers und der zuständigen Ausländerbehörde. Den Ausländer treffen eine Mitwirkungs- sowie eine Initiativpflicht hinsichtlich ihm bekannter und zumutbarer Möglichkeiten, einen Pass zu beschaffen. Der Behörde obliegt die Erfüllung einer Hinweis- sowie einer Anstoßpflicht. Sie muss den Ausländer auf diejenigen Möglichkeiten der Passbeschaffung hinweisen, die ihm bei objektiver Sichtweise nicht bekannt sein können (vgl. zu § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG: Beschluss des Senats vom 10. Oktober 2011 - OVG 2 M 62.10 - , unter Bezugnahme auf VGH München, Urteil vom 23. März 2006 - 24 B 05.2889 -, juris). Selbst bei Berücksichtigung der besonderen Schwierigkeiten des Klägers bei der Passbeschaffung infolge der Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge und bei Anwendung des nach Verantwortungsbereichen differenzierenden Maßstabs für die Nachweispflicht reichen die Darlegungen des Klägers über seine Passbeschaffungsbemühungen nicht aus, um anzunehmen, dass er einen solchen bei der ukrainischen Botschaft nicht zumutbar erlangen kann.

Zwar hat der Kläger unter dem 25. Januar 2007 mit dem vollständig ausgefüllten Formular der ukrainischen Botschaft "Antrag über Besitz oder Nichtbesitz der ukrainischen Staatsangehörigkeit" die Überprüfung der ukrainischen Staatsangehörigkeit beantragt, deren Feststellung die erste notwendige Voraussetzung für die Ausstellung eines ukrainischen Passes ist. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auch persönlich bei der ukrainischen Botschaft vorgesprochen. Damit hat er jedoch nicht alle für ihn zumutbaren Schritte zur Beschaffung eines ukrainischen Passes unternommen. Offen bleiben kann, ob der Antrag auf Überprüfung der ukrainischen Staatsangehörigkeit bereits unvollständig war, weil ihm kein Identitätsnachweis beigefügt war, oder ob der Beklagte insoweit seiner Hinweispflicht nicht genügt hat. Denn jedenfalls hat der Kläger weitere für ihn zumutbare Bemühungen unterlassen. So hat er sich nicht mit dem gebotenen Nachdruck um die Ausstellung eines ukrainischen Passes bemüht. Seit der Antragstellung vom 25. Januar 2007 und der Vorsprache bei der ukrainischen Botschaft sind nunmehr fast 5 Jahre vergangen, ohne dass der Kläger weitere Schritte unternommen oder sich nach den Gründen für die Nichtbescheidung seines Antrages erkundigt hätte. Der Kläger hat außerdem nicht – wie nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 AufenthV erforderlich – die Gebühren für die Bearbeitung seines Antrages auf Überprüfung der Staatsangehörigkeit entrichtet. Dies räumt er in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 20. September 2011 letztlich ein ("… wollte diese bereits bezahlen"). Schließlich ist der Kläger ohne sachlichen Grund nicht auf das in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht unterbreitete Angebot des Beklagten eingegangen, sich durch einen spezialisierten Mitarbeiter der Clearingstelle bei einer weiteren Vorsprache bei der Botschaft begleiten zu lassen, der einen formellen Umgang sowie eine ordnungsgemäße Bearbeitung sicherstellen und zudem die konkreten Auskünfte der Botschaftsmitarbeiter dokumentieren könnte.

Diese zumutbaren weiteren Bemühungen durfte der Kläger auch nicht deshalb als entbehrlich ansehen, weil nach der ihm der von der ukrainischen Botschaft gegebenen Auskunft eine Entscheidung über seinen Antrag vom 25. Januar 2007 zunächst eine Registrierung bei der ukrainischen Botschaft erfordere, die nur nach Erteilung der persönlich in Kiew zu beantragenden Zustimmung der ukrainischen Behörden zur unbefristeten Ausreise möglich sei und ein Versuch, die Genehmigung in der Ukraine zu erlangen, für ihn von vornherein nicht erfolgversprechend wäre. Die dem Kläger gegebene Auskunft widerspricht den Erkenntnissen des Beklagten über das übliche Verfahren der Passbeschaffung bei der ukrainischen Botschaft, wonach bei einem positiven Ergebnis der Überprüfung der Staatsangehörigkeit der Antrag auf konsularische Registrierung auch bei der ukrainischen Botschaft gestellt werden kann. Sie steht auch nicht im Einklang mit der gegenüber dem Beklagten erteilten telefonischen Auskunft der ukrainischen Botschaft vom 9. November 2011, wonach der Antrag des Klägers vom 25. Januar 2007 deshalb unbearbeitet geblieben sei, weil es an einem Identitätsnachweis in Kopie sowie an einem Nachweis über die Begleichung der Konsulargebühren gefehlt habe. Es ist daher jedenfalls nicht ohne - vom Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht zu erbringende - weitere Nachweise davon auszugehen, dass eine Bescheidung seines Antrags auf Überprüfung seiner Staatsangehörigkeit durch die ukrainische Botschaft deshalb unterblieben ist, weil es an einer Registrierung bei der ukrainischen Botschaft und der dafür erforderlichen Zustimmung der ukrainischen Behörden zur unbefristeten Ausreise fehlte. Weitere Aufklärung könnte eine Vorsprache des Klägers bei der ukrainischen Botschaft mit einem Mitarbeiter der Clearingstelle erbringen, die dieser jedoch trotz eines entsprechenden Angebots des Beklagten bislang nicht unternommen hat. Im Übrigen ist es nach den Darlegungen des Klägers auch nicht ersichtlich, dass es für ihn völlig aussichtslos wäre, die Genehmigung über das unbefristete Verbleiben im Ausland in der Ukraine zu erlangen. Soweit er auf die – in eigener Übersetzung vorgelegte – "Verordnung über das Anschauen des Gesuchs ukrainischer Staatsbürger auf unbefristetes Verbleiben im Ausland" verweist und geltend macht, die darin für die Genehmigung verlangten Unterlagen in der Ukraine nicht mehr besorgen zu können, ist schon fraglich, ob die Verordnung (noch) formell gültig ist und ob die entsprechenden Unterlagen in der Praxis der ukrainischen Behörden auch in Fällen, in denen die Ausreise - wie hier - schon im Jahr 1992 erfolgt ist, ohne Einschränkung verlangt werden. [...]