VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 13.12.2011 - 8 L 669/11 - asyl.net: M19302
https://www.asyl.net/rsdb/M19302
Leitsatz:

Wird die Ausstellung eines armenischen Passes verweigert, da der Wehrdienst nicht abgeleistet wurde, liegen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels die allgemeinen Voraussetzungen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 Abs. 1 AufenthG nicht vor, da gem. § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV die Erfüllung der Wehrpflicht grundsätzlich zumutbar ist. Zwar gilt der Wehrdienst als hart, bisweilen diskriminierend und mit der Gefahr für Leib und Leben verbunden, jedoch kann nicht in alle oder auch nur der überwiegenden Zahl der Fälle eine grundrechtsverletzende Behandlung belegt werden.

Schlagwörter: Armenien, Nationalpass, Passpflicht, Militärdienst, Aufenthaltserlaubnis, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
Normen: AufenthG § 18a, AufenthG § 23a, AufenthG § 25a, AufenthG § 3 Abs 1, AufenthG § 48 Abs 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 4, AufenthG § 3, § 55 AufenthV
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller erfüllt offenkundig nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AufenthG. Nach § 3 Abs. 1 AufenthG dürfen nur Ausländer in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten oder gültigen Pass oder einen Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind (Satz 1). Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (Satz 2). [...]

Zwar scheitert die Ausstellung eines armenischen Nationalpasses, mit dem die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfüllt werden könnte, nach den insoweit glaubhaften Angaben des Antragstellers sowie der vorgelegten Auskunft der Konsularabteilung der armenischen Botschaft vom 30. Mai 2011 (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. April 2011, a.a.O., Rn. 5) daran, dass er in Armenien bislang seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat bzw. keinen Wehrpflichtpass vorlegen kann, aber es kann ihm zugemutet werden, seine Wehrpflicht oder einen gleichwertigen Ersatzdienst in Armenien abzuleisten.

Nach dem in § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV zu Tage tretenden Grundsatz ist nämlich die Erfüllung der Wehrpflicht grundsätzlich als zumutbar anzusehen, sofern sich nicht ausnahmsweise aus zwingenden Gründen anderes ergibt. Hierbei ist zum einen die Wertung des deutschen Gesetzgebers zu berücksichtigen, wonach die Durchsetzung der vormaligen Wehrpflicht auch ein zwingender Passversagungsgrund sein konnte (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 PassG). Infolgedessen ist es keineswegs ein sachfremder Grund, wenn ein Staat die Passerteilung von der Erfüllung der Wehrpflicht abhängig macht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. September 2009 – 32 Ss 103/09 –, zit. nach juris, Rn. 6). Zum anderen ist auch die Folge einer Anerkennung der Wehrpflicht als unzumutbar in den Blick zu nehmen: Sie stellt einen Eingriff in die Passhoheit des Heimatstaates dar, der den Ausländer faktisch von der Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflicht im Heimatstaat freistellt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. April 2011, a.a.O., Rn. 8).

In Anbetracht des daraus abzuleitenden strengen Maßstabs vermag die Kammer keine zwingenden Gründe zu erkennen.

Soweit es um eine Unzumutbarkeit der Wehrpflicht in der armenischen Armee selbst geht, vermögen die vorgelegten Dokumente zur Wehrpflicht in Armenien eine konkrete Gefährdungslage des Antragstellers nicht glaubhaft zu machen. Der Wehrdienst in Armenien selbst stellt sich nach den vorliegenden Unterlagen (TransKaukasus-Institut, Wehrpflicht in der Republik Armenien; Bericht vom 25. 10. 2007; Bericht von Thomas Hammarberg, Kommissionsbericht vom 9. Mai 2011; vgl. auch die Auskunft von Dr. Thessa Savvidis vom 1. Juli 2011 an das Verwaltungsgericht Schwerin) zwar als hart, bisweilen auch diskriminierend und mit der Gefahr für Leib und Leben verbunden dar, ohne allerdings in allen oder auch nur überwiegenden Fällen eine grundrechtsverletzende Behandlung (vgl. Bericht von Thomas Hammarberg, a. a. O.; i. Ü. so auch Dr. Savvidis, Seite 2 ff., a.a.O.) belegen zu können. Zwar finden sich deutliche Hinweise und in Einzelfällen auch Belege für erniedrigende und körperliche Misshandlung. Indessen wird dies festgestellt, ohne eine im Verhältnis zur Gesamtzahl der Wehrdienstleistenden erhebliche Zahl von Übergriffen auf Wehrdienstleistende mit Todes- oder Verletzungsfolge anzugeben. Vielmehr vermögen sie keineswegs in der Breite eine Misshandlungspraxis zu belegen, welche eine konkrete Gefährdung des Antragstellers und damit die Unzumutbarkeit der Ableistung seines Wehrdienstes in Armenien "aus zwingenden Gründen" glaubhaft erscheinen ließe. Der Umstand, dass der Wehrdienst 24 Monate dauert, der sog. Ersatzdienst (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. November 2010 unter 1.6) hingegen 36 Monate und ein ebenfalls eingerichteter Alternativdienst außerhalb der Streitkräfte 42 Monate, stellt keinen Grund dar, welcher die Unzumutbarkeit des dortigen Wehrdienstes belegen könnte. Erkennbar gehört der Antragsteller auch nicht der Gruppe der Zeugen Jehovas an, für die das Auswärtige Amt in dem Lagebericht eine diskriminierende Inhaftierungswelle konstatiert hat.

Ferner ist der Militärdienst nicht für den Antragsteller unzumutbar, weil er Kriegsdienstverweigerer wäre. Er hat kein staatlich anerkanntes Kriegsdienstverweigerungsverfahren durchlaufen und sein hierfür mehrfach in Bezug genommenes Schreiben vom 15. Juni 2006 stellt bereits seiner Überschrift nach nur eine persönliche Meinungskundgabe über den Wehrdienst in der armenischen Armee dar. Diese Stellungnahme enthält in bekenntnishafter Form, wenngleich inhaltlich nur dürftig durch Fakten unterlegt, eine ablehnende Haltung zum Wehrdienst aus religiösen und humanistischen Motiven. So appellativ und nachvollziehbar sie gehalten ist, so wenig begründet sie für sich eine stichhaltige und dauerhafte Gewissensentscheidung, die nach Artikel 4 Abs. 3 GG beachtlich wäre.

Sofern sich der Antragsteller auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. Oktober 2010 zum Aktenzeichen 13 ME 205/10 (juris) beruft, liegt der vorliegende Fall anders. Dem Antragsteller im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg wurde zu Gute gehalten, dass er bei einer Ausreise seine Berufsausbildung im Inland abbrechen müsste, um in Armenien seinen Grundwehrdienst anzutreten. Aus einer Vergleichsbetrachtung mit § 12 Abs. 4 WPflG folgerte das Oberverwaltungsgericht, dass der Abbruch der Berufsausbildung eine besondere Härte für den Antragsteller bedeuten würde und schlussfolgerte hieraus einen zwingenden Grund im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV. So liegt es hier gerade nicht, denn die Beendigung der Ausbildung war dem Antragsteller bereits durch mehrfache Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht worden. Vielmehr steht die Aufnahme der Erwerbstätigkeit als Aufenthaltszweck im Streit. Diesem Zweck kommt aber nach der Parallelwertung des § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG nur dann der Vorrang vor dem Wehrdienst zu, wenn es sich um eine einmalige und außergewöhnliche Berufschance handelte (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1993 – 8 C 32.92 – Buchholz, 448.0 § 12 WPflG Nr. 182; Beschluss vom 1. Februar 1996 – 8 C 47.95 – Buchholz, a. a. O. Nr. 190). Hierfür gibt der vorgelegte Arbeitsvertrag keinen Anhalt. Ihm ist auch nicht zu entnehmen, dass das auf ein Jahr befristete Arbeitsverhältnis automatisch verlängert oder in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt werden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2006 – 6 C 22.05 – Buchholz a. a. O. Nr. 209). [...]