LG Potsdam

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Zitieren als:
LG Potsdam, Beschluss vom 30.12.2011 - 12 T 658/11 - asyl.net: M19311
https://www.asyl.net/rsdb/M19311
Leitsatz:

Wird durch das Amtsgericht Sicherungshaft über den beantragten Zeitraum hinaus angeordnet, ist dies rechtswidrig.

Wird der Haftantrag dem Betroffenen lediglich bekannt gegeben und weder ausgehändigt noch vorgelesen und übersetzt, führt dies zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung.

Schlagwörter: Sicherungshaft, Haftanordnung, rechtliches Gehör, ausgehändigt, vorgelesen, vorlesen, Bekanntgabe
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Zif. 5, FamFG § 23 Abs. 2, AsylVfG § 55
Auszüge:

[...]

Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zulässige Beschwerde ist begründet.

Soweit das Amtsgericht die Sicherungshaft bis zum 29. Februar 2012 angeordnet hat, ist sie bereits deshalb unzulässig und war deshalb aufzuheben, weil seitens der Antragstellerin für den Zeitraum nach dem 31. Januar 2012 gar kein Haftantrag gestellt worden war. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist aber Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 70/10, FGPrax 2010, 158).

Aber auch im Übrigen verletzt die Haftanordnung den Betroffenen in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Die Haftanordnung ist schon deshalb rechtswidrig, weil dem Betroffenen nach seinen Angaben - der Gerichtsakte lassen sich anders lautende Anhaltspunkte nicht entnehmen - der Haftantrag vor seiner gerichtlichen Anhörung weder ausgehändigt oder vorgelesen und übersetzt worden ist. Ausweislich des Protokolls über seine Anhörung vor dem Amtsgericht ist ihm erst zu Beginn der Anhörung der Antrag der Antragstellerin bekannt gegeben worden.

Der Zeitpunkt, zu dem das Gericht des ersten Rechtszugs dem Betroffenen nach § 23 Abs. 2 FamFG den Haftantrag der beteiligten Behörde zuzuleiten hat, bestimmt sich einerseits danach, was zu der dem Richter in Freiheitsentziehungsverfahren obliegenden Sachaufklärung erforderlich ist, andererseits danach, was den Betroffenen in die Lage versetzt, das ihm von Verfassungs wegen zukommende rechtliche Gehör auch effektiv wahrzunehmen. Ist der Betroffene ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhalts nicht in der Lage, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen, muss ihm der Antrag vor der Anhörung übermittelt werden; dagegen genügt die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung, wenn dieser einen einfachen überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 04. März 2010 - V ZB 222/09 -).

Zwar dürfte vorliegend die vorstehend genannte zweite Alternative einschlägig sein. Dem Protokoll über die Anhörung ist aber nicht zu entnehmen, dass der vollständige Haftantrag dem Betroffenen übersetzt und ausgehändigt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11 -). [...]