OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.01.2012 - 7 B 11408/11.OVG - asyl.net: M19357
https://www.asyl.net/rsdb/M19357
Leitsatz:

Die länderübergreifende Umverteilung gem. § 51 AsylVfG findet auch dann statt, wenn lediglich ein Asylfolgeantrag gem. § 71 Abs. 1 Satz 1AsylVfG gestellt wurde und noch keine Entscheidung des Bundesamtes ergangen ist, ob ein Asylverfahren eingeleitet wird.

Schlagwörter: zusätzliche Duldung, Zweitduldung, länderübergreifende Umverteilung, Asylfolgeantrag
Normen: AsylVfG § 51, AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 56 Abs. 3 S. 1, AsylVfG § 67 Abs. 1 Nr. 6
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet. [...]

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine - zusätzliche - Duldung zu erteilen, die ihm den Aufenthalt im Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz bzw. des Antragsgegners ermöglicht, mit der Begründung abgelehnt, er habe den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Das Begehren des Antragstellers - Aufenthalt in Rheinland-Pfalz bzw. im Gebiet des Antragsgegners, um mit seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern in familiärer Gemeinschaft zu leben - sei im vorliegenden Fall nicht durch die Erteilung einer - zusätzlichen - Duldung seitens der für den Zielort zuständigen Ausländerbehörde zu erreichen. Vielmehr sei der Antragsteller darauf zu verweisen, sein Begehren im Wege eines Antrags auf länderübergreifende Umverteilung gemäß § 51 AsylVfG zu verfolgen. Diese Vorschrift sei auch während des Asylfolgeverfahrens anwendbar. Einen solchen Antrag habe er jedoch noch nicht gestellt. Über diesen Anspruch könne die Kammer auch nicht befinden, weil es sich dabei um einen solchen nach dem Asylverfahrensgesetz handele, für den das Gericht zuständig sei, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz zu nehmen habe.

Hiergegen wendet der Antragsteller mit der Beschwerde ein, das Verwaltungsgericht übersehe, dass die Anwendbarkeit des Asylverfahrensgesetzes im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes restriktiv zu handhaben sei. Die entscheidungstragende Begründung, wonach die Vorschrift des § 51 AsylVfG auch während des Asylfolgeverfahrens anwendbar sei, treffe auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu. Denn das Bundesamt habe derzeit noch nicht darüber entschieden, ob aufgrund seines Asylfolgeantrags ein weiteres Asylverfahren durchzuführen sei. Daher liege noch kein weiteres Asylverfahren vor. Dementsprechend besitze er gegenwärtig auch eine Duldung und keine Aufenthaltsgestattung. Es seien daher die materiellen Regelungen des Aufenthaltsrechts anzuwenden.

Dem kann nicht gefolgt werden.

In Rechtsprechung und Lehre ist umstritten, ob die Regelung des § 51 AsylVfG über die länderübergreifende Verteilung nur während des Asylverfahrens anwendbar ist oder auch nach bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung einer asylverfahrensunabhängigen Duldung (vgl. einerseits Hailbronner, AuslR, Stand August 2009, § 51 AsylVfG Rn. 6; andererseits Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Mai 2010, § 60a Rn. 63; jeweils m.w.N.). Dementsprechend ist auch streitig, ob einem geduldeten Ausländer nach bestandskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens ein länderübergreifender Wohnsitzwechsel im Wege des Umverteilungsverfahrens nach § 51 AsylVfG oder mittels Erteilung einer weiteren Duldung durch die für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständige Ausländerbehörde ermöglicht werden kann (vgl. zum Ganzen auch Armbruster, in: HTK-AuslR, Stand Juli 2010, § 61 AufenthG, zu Abs. 1 - Wohnsitzwechsel, Nr. 1 - 3 m.w.N.).

Diese Frage kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass § 51 AsylVfG anwendbar ist. Der Antragsteller hat nämlich nach unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags im Jahre 2005 und Wiedereinreise ins Bundesgebiet im August 2010 einen weiteren Asylantrag gestellt, über den bislang noch keine bestandskräftige Entscheidung vorliegt. Mit der Stellung eines erneuten Asylantrags - eines Folgeantrags im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - findet das Asylverfahrensgesetz auf ihn Anwendung (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 13 AsylVfG).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Anwendung von § 51 AsylVfG nicht deswegen ausgeschlossen, weil das Bundesamt auf seinen Folgeantrag noch nicht entschieden hat, ob ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Zwar wird vor dieser Entscheidung noch kein Asylverfahren durchgeführt. Der Antragsteller besitzt als Folgeantragsteller im Gegensatz zu einem erstmaligen Asylbewerber im gegenwärtigen Verfahrensstadium auch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG, sondern darf lediglich nach Maßgabe des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG nicht abgeschoben werden. Für die Anwendbarkeit der Regelung des § 51 AsylVfG über die länderübergreifende Verteilung eines Folgeantragstellers spricht jedoch insbesondere die Bestimmung des § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylVfG über die räumliche Beschränkung des Aufenthalts des Ausländers bei einem Folgeantrag.

Danach gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht, wenn der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens - wie in aller Regel (vgl. § 56 Abs. 1 und 2 AsylVfG) - räumlich beschränkt war. Räumliche Beschränkungen des Erstverfahrens bleiben bereits nach der Bestimmung des § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung, das heißt in der Regel mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Bundesamtes (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG), in Kraft, bis sie aufgehoben werden. Sie verlieren allerdings grundsätzlich ihre Wirksamkeit, wenn der Betroffene in Erfüllung seiner Ausreisepflicht ausreist (vgl. § 51 Abs. 6 AufenthG). § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylVfG bringt zum Ausdruck, dass im Falle einer Wiedereinreise die räumliche Beschränkung fortgilt, das heißt wiederauflebt, wenn und sobald ein Folgeantrag gestellt wird (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand Mai 2011, § 71 Rn. 98; Hailbronner, a.a.O., § 71 AsylVfG Rn. 103). Damit soll eine besondere Belastung einzelner Länder durch eine Binnenwanderung der Asylsuchenden nach Abschluss des Erstverfahrens verhindert werden (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 71 Rn. 423 und 427).

Gilt demnach die asylverfahrensrechtliche räumliche Beschränkung des Antragstellers aus seinem ersten Asylverfahren nach Stellung des Folgeantrags fort, so ist er auch im gegenwärtigen Verfahrensstadium - vor einer Entscheidung des Bundesamtes über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens - darauf zu verweisen, den angestrebten länderübergreifenden Wohnsitzwechsel im hierfür vorgesehenen asylverfahrensrechtlichen Umverteilungsverfahren nach § 51 AsylVfG zu verfolgen. [...]