1. Ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public ergibt sich nicht schon aus dem Fehlen einer persönlichen Anhörung durch ein Familiengericht in der Türkei.
2. Auch der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens vermag in derartigen Fallkonstellationen keine Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public zu begründen.
3. Es stellt keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des ordre public dar, wenn eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater nach türkischem Recht nicht möglich sein sollte.
[...]
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn dieser hat gem. § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 AufenthG Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug (1.). Auch die weiteren Erteilungsvoraussetzungen sind erfüllt (2.).
1. Gem. § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen.
Die danach maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen sind unstreitig insoweit erfüllt, als der bei Visumsantragstellung im Juli 2009 erst 14 Jahre alte Kläger die gesetzliche Altersgrenze von unter 16 Jahren gewahrt hat und sein Vater über eine gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltserlaubnis verfügt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen ist der Vater des Klägers aber auch für diesen allein sorgeberechtigt, denn der deutsche ordre public steht einer Anerkennung der mit Urteil des 10. Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 erfolgten Übertragung des Sorgerechts auf den in Deutschland lebenden Vater nicht entgegen. [...]
b) Das vor dem türkischen Familiengericht durchgeführte Verfahren leidet nicht an einem mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Verfahrensmangel.
Denn auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Abweichung von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts bereits eine Verletzung des ordre public begründen kann. Der Vorbehalt greift vielmehr nur, wenn das Verfahren von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 10 m.w.N. = FamRZ 1986, 381). Prüfungsmaßstab sind auch insoweit insbesondere die Grundrechte (vgl. auch § 7 Abs. 4 des "Deutschen Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses - Sorgerechtsübereinkommens - Ausführungsgesetz - SorgeRÜbkAG" v. 5. April 1990, BGBl. I Nr. 18 S. 701 ff. i.d.F. der Änderung durch Gesetz vom 19. Februar 2001, BGBl. I S. 288, wonach die Voraussetzungen des Artikels 10 Abs. 1 Buchstabe a oder b des Übereinkommens insbesondere dann vorliegen, "wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundrechten des Kindes oder eines Sorgeberechtigten unvereinbar wären"; ebenso § 19 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht vom 26. Januar 2005 - BGBl. I Nr. 7 Seite 1162 i.d.F. der Änderung v. 23. Mai 2011, BGBl. I S. 916).
Nach der deshalb insbesondere zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. Juli 2007 - 1 BvR 156/07 -,zit. nach juris Rn 10 ff.; Beschl. v. 18. Juli 2006 - 1 BvR 1465/05 -, zit. nach juris Rn 29 f., Beschluss v. 29. Oktober 1998 - 2 BvR 1206/98 -, BVerfGE 99, 145 ff., zit. nach juris Rn 57 ff., 76 ff.; Beschluss v. 18. Februar 1993 - 1 BvR 692/92 -, zit. nach juris Rn 11 f.; BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 1968 - 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66-, BVerfGE 24, 119, 144, zit. nach juris Rn 57 ff.) verlangen der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz der Kinder und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör eine Verfahrensgestaltung, die eine eigenständige Wahrnehmung der Kindesbelange sicherstellt und es den Gerichten ermöglicht, die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung möglichst zuverlässig zu erkennen. Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Die Anhörung des Kindes stellt einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang dar, der der Absicherung des Kindeswohles dient und die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG sowie seinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) schützt. Wenn eine für die Zukunft des Kindes bedeutsame Entscheidung getroffen wird und wegen eines Interessenkonflikts zwischen Eltern und Kind die Interessen des Kindes nicht hinreichend durch die Eltern wahrgenommen werden können, kann sich daraus bei Kindern, deren Alter und Reife eine eigene Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte nicht erlaubt, auch die Pflicht ergeben, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, dass dem Kind bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung seiner Interessen zur Seite gestellt wird. Ob darüber hinaus eine weitere Aufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, bleibt indes grundsätzlich dem zuständigen Fachgericht vorbehalten (vgl. dazu z.B. BVerfG, Beschluss v. 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 -, zit. nach juris Rn 25, 29; Beschluss v. 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2681/07 -, zit. nach juris Rn 21).
Davon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass sich ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht schon aus dem Fehlen einer grundsätzlich als dessen Bestandteil anzusehenden persönlichen Anhörung des Klägers durch das Familiengericht in Izmir ergibt. Denn dieses Gericht hat den damals 13-jährigen Kläger in der durchgeführten mündlichen Verhandlung persönlich "verhört" (so die Übersetzung des Urteils, unter "Beweismittel und Begründung"). Als Ergebnis dieser Anhörung wird im Urteil zwar nur angeführt, dass der Kläger erklärt habe, in die 8. Klasse zu gehen, mit der Übertragung des Sorgerechts von der Mutter auf den Vater einverstanden zu sein und dass er nach Deutschland einreisen wolle, da er dort eine bessere schulische Ausbildung bekommen könne. Dass bei dieser Anhörung jedenfalls nach dem im Urteil wiedergegebenen Anhörungsergebnis weitere, aus Sicht des deutschen Familienrechts für die Beurteilung des Kindeswohls gewichtige Gesichtspunkte - wie die bisherigen Lebensverhältnisse, Art und Umfang der bisherigen Kontakte zum schon kurz nach der Geburt des Klägers nach Deutschland gegangenen Vater, genauere Vorstellungen zum Leben in Deutschland u.ä. - nicht abgefragt worden sind und dass die vom Kläger bei seiner Anhörung geäußerten Wünsche und Vorstellungen mit den Wünschen seiner Eltern übereinstimmten und durch deren - etwaige Schwierigkeiten möglicherweise ausblendende - Vorstellungen geprägt waren, ändert nichts daran, dass der Kläger im Rahmen des Verfahrens jedenfalls Gelegenheit hatte, sich zu der ihn betreffenden Sorgerechtsänderung zu äußern und diesbezüglich seine eigenen Wünsche und Vorstellungen zu bekunden, und dass der entscheidende Richter Gelegenheit hatte, sich durch Befragung einen persönlichen Eindruck vom Kläger zu verschaffen. Etwaige inhaltliche Mängel der Befragung des Klägers begründen zwar möglicherweise Bedenken gegen die Tragfähigkeit und vorbehaltlose Beachtlichkeit des von diesem geäußerten Willens. Sie begründen aber keine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbare Abweichung von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts und machen die tatsächlich durchgeführte Anhörung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unbeachtlich.
Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf eine - im Verfahren nicht vorgelegte - Entscheidung eines Zivilsenats des türkischen Kassationsgerichtshofes (Urteil v. 12. März 2008, Gz. E. 2008/2-229) ausführt, dass auch die sich daraus ergebende Maßgabe der Erstellung eines unabhängigen Gutachtens durch eine sachverständige Stelle missachtet worden sei, ist weder feststellbar noch dargelegt, dass diese Maßgabe nach türkischem Recht auch für Fälle gilt, in denen - wie hier - beide Elternteile und das angehörte Kind selbst die beantragte Sorgerechtsänderung wünschen. Die dem Urteil des Kassationsgerichtshofes zugrunde liegende Fallkonstellation dürfte jedenfalls eine andere gewesen sein, da es im Fall einer erstinstanzlichen, dem Willen aller Verfahrensbeteiligten entsprechenden Entscheidung schon nicht zur Anrufung eines Rechtsmittelgerichts gekommen sein dürfte. Unabhängig davon kommt es - wie eingangs dargelegt - aber auch nicht auf etwaige sich nach türkischem Recht ergebende Fehler an, sondern nur darauf, ob die unterbliebene Einholung einer unabhängigen Stellungnahme einer sachverständigen Stelle einen mit dem deutschen ordre public unvereinbaren Verfahrensmangel begründet. Dafür ist jedenfalls in einem Sorgerechtsverfahren, in dem - wie hier - nicht nur beide Elternteile, sondern auch das angehörte Kind selbst die beantragte Sorgerechtsänderung ausdrücklich wünschen, weil sie sich davon eine bessere Förderung des Kindes versprechen, nichts ersichtlich.
In einem solchen Fall bedarf es zum Schutz der Rechte des Kindes nicht etwa zwingend der Einschaltung einer unabhängigen bzw. gerade seine Interessen vertretenden Stelle mit der Funktion eines - etwa dem deutschen Verfahrenspfleger entsprechenden - unabhängigen Interessenvertreters für das Kind. Denn die Wahrnehmung der wohlverstandenen Interessen ihres Kindes obliegt in erster Linie den Eltern. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist zum Schutz der Rechte des Kindes (nur) geboten, wenn im Einzelfall konkrete Umstände die Annahme begründen, dass der für das Kind auftretende Elternteil die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren und vorrangig eigene Interessen vertreten könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. Juli 2006 - 1 BvR 1465/05 -, zit. nach juris Rn 29). Dafür ist angesichts der übereinstimmenden und im Übrigen gerade mit einem für das Kindeswohl wesentlichen Gesichtspunkt - der voraussichtlich besseren Förderung des Klägers durch den geplanten Umzug zum Vater - begründeten Erklärungen beider Elternteile zur gewünschten Sorgerechtsänderung indes nichts ersichtlich, zumal der hier mit 13 Jahren durchaus bereits zur Bildung eines eigenen Willens und zur Artikulierung eigener Interessen fähige Kläger sich mit der von seinem Vater gewünschten und von seiner Mutter unterstützten Sorgerechtsänderung ausdrücklich einverstanden erklärt hat.
Auch der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens vermag in derartigen Fallkonstellationen keine Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public zu begründen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch nach deutschem Prozessrecht nicht zwingend ist, sondern im Ermessen des zuständigen Fachgerichts steht. Zum anderen ist es auch dem deutschen Kindschaftsrecht nicht fremd, dem übereinstimmenden Willen beider Elternteile eine wesentliche und zugleich für das Kindeswohl indizielle Bedeutung beizumessen. So begründet der übereinstimmende Wunsch beider Elternteile eines nichtehelichen Kindes gem. § 1671 Abs. 1, 2 BGB bei fehlendem Widerspruch des mindestens 14jährigen Kindes ohne weiteres einen Anspruch auf die entsprechende Sorgerechtsübertragung, sofern nicht zwingend eine anderer Regelung getroffen werden muss (Abs. 3). Die Regelung gilt zwar nicht für Eltern, die (noch) nicht über ein gemeinsames Sorgerecht verfügen. Auch diese können bei entsprechendem Einvernehmen aber zunächst ein gemeinsames Sorgerecht begründen, um sodann einen Antrag gem. § 1671 Abs. 1, 2 BGB zu stellen. Die darin liegende Möglichkeit zur Umgehung einer positiven Kindeswohlprüfung hat der Gesetzgeber gesehen und in Kauf genommen (Veit, in Beck-OK § 1672 RN 11).
Davon ausgehend begründet im konkreten Fall aber auch der Verzicht des 10. Familiengerichts Izmir auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung, insbesondere durch Einholung einer "unabhängigen Stellungnahme einer sachkundigen Stelle", keine offensichtliche Verkennung oder gar Missachtung der grundrechtlich geforderten und insoweit zu den Grundwerten des deutschen Familienrechts zählenden Pflicht, das gerichtliche Verfahren wie auch die Sorgerechtsentscheidung selbst maßgeblich am Kindeswohl zu orientieren. Denn die mit Urteil vom 8. April 2008 getroffene Sorgerechtsübertragung entsprach dem übereinstimmend erklärten Eltern- und Kindeswillen und auch der von allen Beteiligten als Grund für die begehrte Sorgerechtsübertragung angegebene Aspekt einer besseren Förderung des Klägers im Fall seines Aufenthalts beim Vater in Deutschland musste dem Gericht keinen Anlass geben, an einer Vereinbarkeit der von allen Beteiligten gewünschten Entscheidung mit dem Wohl des Klägers zu zweifeln. Denn dem Gesichtspunkt einer bestmöglichen Förderung des Kindes wird auch im deutschen Kindschaftsrecht eine wesentliche Bedeutung beigemessen (BVerfG, Beschluss v. 12. September 2006 - 2 BvR 2216/05 -, zit. nach juris Rn 16; Beschluss v. 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 -, zit. nach juris Rn 27). Dass das Familiengericht diese übereinstimmende Einschätzung der Eltern - jedenfalls nach den Entscheidungsgründen des Urteils - nicht anhand der genaueren Umstände des konkreten Falles näher auf ihre Tragfähigkeit überprüft hat, mag zwar Zweifel an der Verlässlichkeit der damit verbundenen Prognose begründen. Ein offensichtlicher Widerspruch zu den Grundgedanken der Regelungen des deutschen Kindschaftsrechts und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen ergibt sich aber auch daraus nicht. Denn es ist auch dem deutschen Recht nicht fremd, den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zu überlassen. So gehört es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Ausübung des Wächteramtes des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmöglich entsprechende Förderung zu sorgen (Beschluss v. 20. Oktober 2008 - 1 BvR 2275/08 -, zit. nach juris Rn 15). Dabei werde in Kauf genommen, dass Kinder durch den Entschluss ihrer Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden.
c) Auch ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liegt nicht vor. Das Urteil des 10. Familiengerichts Izmir steht nicht in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint.
Dabei begründet es - entgegen der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung - für sich genommen keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des ordre public, wenn eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater nach türkischem Recht nicht möglich sein sollte. Darauf, ob das türkische Gericht das dortige Recht zutreffend angewandt hat, kommt es nicht an (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 29. September 2010 - 12 B 21.09, zit. nach juris - Rn 27 f.). Maßgeblich ist vielmehr auch insoweit allein, ob das Entscheidungsergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind wiederum vor allem die Grundrechte bzw. die sich aus diesen ergebenden wesentlichen Grundwerte des deutschen Familien- und Sorgerechts, zu denen insbesondere das Kindeswohl gehört.
Eine offensichtliche Unvereinbarkeit der türkischen Sorgerechtsentscheidung mit den Grundwerten des deutschen Kindschaftsrechts ergibt sich weder aus der - auch im deutschen Recht vorgesehenen - Übertragung des Sorgerechts für ein nichteheliches Kind auf den Vater noch aus einer dadurch im konkreten Fall bewirkten Verletzung des Kindeswohls des Klägers. Soweit der Beklagte meint, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Klägers ersichtlich allein ausländerrechtlich motiviert" gewesen sei, zeigt dies eine Unvereinbarkeit mit dem Kindeswohl des Klägers nicht auf, weil die die Übersiedlung zum Vater ermöglichende Sorgerechtsentscheidung im Hinblick auf eine bessere Förderung der Erziehung und Ausbildung des Klägers getroffen und damit gerade mit einem für das Kindeswohl wesentlichen Gesichtspunkt begründet wurde. Unabhängig davon kommt es für die Vereinbarkeit des Ergebnisses, hier der vorgenommenen Sorgerechtsänderung, mit dem materiellen ordre public aber auch nicht auf die Motivation, sondern allein auf die Untragbarkeit des Ergebnisses an. Letzteres ist hier nicht erkennbar. Die tatsächliche Erreichbarkeit der angestrebten Förderung der Erziehung und Ausbildung und - damit verbunden - besserer Zukunftschancen des Klägers in Deutschland erscheint angesichts der von der Beklagten angeführten, vom entscheidenden Familiengericht jedenfalls nicht erkennbar berücksichtigten Umstände (wie dem Alter des Klägers, den fehlenden deutschen Sprachkenntnissen, einer möglicherweise schwierigen Beziehung zwischen dem Kläger und seinem bereits kurz nach seiner Geburt nach Deutschland ausgereisten Vater) zwar als offen. Daraus folgt indes nicht, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater im Ergebnis offensichtlich und in nicht hinnehmbarer Weise mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. Denn die von der Beklagten geäußerten Bedenken gegen die Chancen einer erfolgreichen Integration des Klägers sind selbst insofern "ausländerrechtlich motiviert", als sie aufgrund von in anderen Fällen aufgetretenen, eine erfolgreiche Integration ausländischer Kinder erschwerenden oder gar verhindernden Problemen die Wahrscheinlichkeit einer Förderung und erfolgreichen Integration auch des Klägers in Deutschland für gering halten. Diese ebenfalls - und mehr noch als die beanstandete türkische Sorgerechtsentscheidung - ohne nähere Kenntnis aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Personen und der Fähigkeiten des Klägers und seines Vaters geäußerte abweichende Einschätzung genügt indes nicht, um die auf Wunsch der regelmäßig durchaus am Wohlergehen ihrer Kindern interessierten und für dessen bestmögliche Förderung primär zuständigen Eltern erfolgte Sorgerechtsübertragung als im Ergebnis mit dem Kindeswohl unvereinbar zu erweisen. Der zurückhaltend anzuwendende und auf Abweichungen von grundlegenden innerstaatlichen Rechts- und Wertvorstellungen beschränkte ordre-public-Vorbehalt kann nicht dafür instrumentalisiert werden, die in § 20 Abs. 3 AuslG auch für den Fall des Vorliegens einer anzuerkennenden ausländischen Sorgerechtsübertragung noch vorgesehene Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde aufzunehmen und in diesem Rahmen nunmehr zwingend eine Prüfung insbesondere der Integrationsvoraussetzungen und der Integrationsfähigkeit des Kindes zu verlangen. Denn diese mögen zwar beachtliche Aspekte für die Beurteilung des Kindeswohls im Fall einer Sorgerechtsübertragung auf den im Ausland lebenden Elternteil sein; zu den zwingend einzuhaltenden Grundwerten des Kindschaftsrechts zählen sie indes nicht. Mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie) ist der Richtliniengeber im Wege typisierender Bewertung davon ausgegangen, dass in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Richtlinie ein Nachzug des Kindes zu dem sorgeberechtigten Elternteil ohne weitere Prüfung regelmäßig dem Kindeswohl entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 7. April 2009 - 1 C 17/08 -, zit. nach juris Rn 13), und der deutsche Gesetzgeber hat dies in § 32 Abs. 3 AufenthG insoweit übernommen, als ein Rechtsanspruch auf Nachzug zu einem in Deutschland lebenden Elternteil besteht, wenn dieser "allein" sorgeberechtigt ist. Die darin liegende Anerkennung der mit dem ordre public vereinbaren ausländischen Sorgerechtsentscheidungen als kindeswohlkonform kann und darf nicht durch eine Ausweitung der ordre-public-Vorbehalte gegen ausländische Sorgerechtsentscheidungen um eine "angemessene Integrationsprüfung" umgangen werden.
Im konkreten Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass die Lebensverhältnisse des Klägers in der Türkei ebenfalls nicht unproblematisch erscheinen, weil der Kläger seit der Heirat seiner Mutter im Jahr 2005 nicht mehr mit dieser zusammen, sondern von beiden Eltern getrennt bei seinen Großeltern väterlicherseits lebt.
2. Die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Visums waren sowohl zum Zeitpunkt des 16. Geburtstags des Klägers im Dezember 2010 als auch im Entscheidungszeitpunkt erfüllt. Das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG für den Kläger und seinen Vater wurde für beide Zeitpunkte durch Vorlage eines im September 2010 abgeschlossenen Mietvertrages über eine Dreizimmerwohnung nachgewiesen. Auch erscheint der Lebensunterhalt des Klägers dauerhaft gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG). [...]