VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 20.01.2012 - 18 K 3713/10.A - asyl.net: M19401
https://www.asyl.net/rsdb/M19401
Leitsatz:

Einer jungen Yezidin, die aus Mosul stammt und eine Kunstfachschule besucht hat, ist Flüchtlingsschutz zu gewähren. Über die allgemein schwierige Lage in Mosul hinaus liegen bei ihr als Angehöriger einer Minderheit, angehender Künstlerin und alleinstehender Frau gefahrerhöhende Merkmale vor.

Schlagwörter: Irak, Yeziden, Mosul, künstlerische Berufe, Frauen, Nordirak, Berufsgruppe, interne Fluchtalternative, interner Schutz, alleinstehende Frauen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 2, AsylVfG § 3 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4, RL 2004/83/EG Art. 8 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist, soweit er angefochten worden ist, rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Denn sie hat unter Anwendung der höchstrichterlich und obergerichtlich herausgearbeiteten Grundsätze [...] einen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) i.V.m. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); [...]

Das Gericht ist zunächst aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks davon überzeugt, dass die Klägerin entsprechend ihrem glaubhaften Vortrag der yezidischen Religionsgemeinschaft angehört. Fragen nach Sitten und Gebräuchen der Yeziden hat die Klägerin zutreffend beantworten können, wobei sie sogar den ihr eher ungünstigen Umstand, nicht sämtliche religiösen Rituale einzuhalten, von sich aus offenbart hat. Auch stammt sie nach dem Eindruck des Gerichts aus der Stadt Mosul, wie auch die Beklagte in der angefochtenen Entscheidung nicht in Zweifel gezogen hat. Das Gericht ist nach dem Eindruck von der Klägerin aus der mündlichen Verhandlung von der Glaubhaftigkeit auch ihrer diesbezüglichen Angaben überzeugt. [...] Als danach aus der Stadt Mosul stammende Yezidin ist die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuell wegen ihrer Religion durch nichtstaatliche Akteure in ihrer Freiheit, ihrer körperlichen Unversehrtheit und sogar ihrem Leben bedroht. Für diese Würdigung können die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderung des konkreten Fluchtanlasses dahinstehen. Denn die Klägerin ist im Fall ihrer Abschiebung schon aus folgenden Gründen wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit individuell einer Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt:

Eine unmittelbare Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet im Irak zwar nicht in systematischem, aber doch in signifikantem Umfang statt (Bericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010) über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Lagebericht), S. 18).

Vor allem werden von nichtstaatlichen Akteure religiös bzw. konfessionell motivierte Verbrechen wie Ermordungen, Folter und Entführungen von Angehörigen der jeweils anderen Glaubensrichtung landesweit verübt (AA, Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010) , S. 18).

Hinzu kommt, dass Schwerpunkt willkürlicher Gewalt neben Bagdad, Diyala und Kirkuk die Stadt Mosul ist (Security and Human Rights in South/Central Iraq - Report from Danish Immigration Service´s fact-finding-mission to Amman, Jordan and Baghdad, Iraq (25.02.- 09.03./06.04.-16.04.2010), S.11).

Die beiden Städte mit den meisten Vorfällen im Jahr 2010 waren Mosul und Bagdad (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Informationszentrum Asyl und Migration: Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Juni 2011, S. 1, 50).

Insbesondere in und um die Stadt Mosul ist es gefährlich (BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration: Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern, August 2011, S. 31).

Im Irak ist es in Mosul wahrscheinlich am unsichersten (Security and Human Rights in South/Central Iraq - Report from Danish Immigration Service´s fact-finding-mission to Amman, Jordan and Baghdad, Iraq (25.02.-09.03./06.04.-16.04.2010), S. 7, 12, 14; EZKS an VG Köln vom 29.07.2008, S. 15).

Die Stadt Mosul ist allgemein sehr unsicher (Europäisches Zentrum für Kurdische Studien (EZKS) an VG Köln vom 29.07.2008, S.17) und wird bereits im Allgemeinen als "äußerst gefährlich" hervorgehoben (AA, Lagebericht vom 11.04.2010 (Stand: April 2010), S. 13).

Seit 2009 nehmen Spannungen zwischen der Partei al-Hadbaa und der Kurdischen Regionalregierung zu (EZKS an VG München vom 17.02.2010, S. 28 f.).

Außerdem ist in Mosul al-Qaida präsent. Es gibt Bereiche, in die Vollstreckungsbehörden und Militär nicht gehen können (Security and Human Rights in South/Central Iraq - Report from Danish Immigration Service´s fact-finding-mission to Amman, Jordan and Baghdad, Iraq (25.02.- 09.03./06.04.-16.04.2010), S. 7, 12, 14; EZKS an VG Köln vom 29.07.2008, S. 17).

Über diese ohnehin erhöhte Gefährdung der Klägerin in ihrer Heimatstadt Mosul geht indes noch die spezifische, an ihre yezidische Religionszugehörigkeit anknüpfende Bedrohung an diesem Ort hinaus mit der Folge, dass diese Gefährdung sich für die Klägerin individuell zu einer konkretakuten Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG verdichtet.

So ist die Kurdisch-Islamische Union (KIU) vor allem in den überwiegend kurdisch besiedelten Städten Mosul und Dohuk aktiv, hat sich die Schaffung eines unabhängigen kurdisch-islamischen Staats zum Ziel gesetzt und vertritt (jedenfalls) gegenüber den in der Region aktiven irakischen und ausländischen Christen extreme Positionen (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Themenpapier der SFH-Länderanalyse (Michelle Zumofen): Irak: Situation von religiösen Minderheiten in den von der KRG verwalteten Provinzen Sulaimaniyah, Erbil und Dohuk, 10.01.2008, S. 12 FN 60).

In den Gebieten, in denen insbesondere islamistische Gruppierungen Terrorakte begehen, werden auch religiöse Minderheiten (insbesondere, aber nicht nur Christen und Yeziden) Opfer von Anschlägen und massiver Diskriminierung durch Islamisten (AA, Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010), S. 24), so noch am Abend des 14.12.2011 ein chaldäisch-katholisches Ehepaar, das im Ostteil Mosuls durch ein islamistisches Todeskommando getötet wurde (Katholisches Magazin für Kirche und Kultur unter www.katholisches.info/2011/12/15/islamistenermorden-

chaldaisches-ehepaar..., aufgerufen am 17.01.2012).

Zuletzt traf sogar erneut muslimische interkonfessionelle Gewalt (schiitische) Shabak am Morgen des 16.01.2012 in oder nahe der Stadt Mosul, wo acht Menschen durch eine Autobombe getötet wurden (BBC News Middle East unter www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-16574126, aufgerufen am 17.01.2012; euronews, de.euronews.net/2012/01/16/irak-tote-und-verletzte-bei-anschlag-in-mosul/...., aufgerufen am 17.01.2012).

So ist die Stadt Mosul in weiten Teilen für sämtliche religiöse Minderheiten ein no-go-Gebiet (EZKS an VG Köln vom 29.07.2008, S. 14) und für Yeziden (insgesamt) ein no-go-Gebiet (EZKS an VG Düsseldorf vom 20.11.2011, S. 6 und an VG München vom 17.02.2010, S. 5).

Religiöse und ethnische Minderheiten in diesen Gebieten haben darüber hinaus auch kurdische Sicherheitskräfte und Behörden systematischer Misshandlungen und Diskriminierungen beschuldigt (BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration: Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern, August 2011, S. 31).

Danach ist die Situation in der Stadt Mosul für Yeziden sehr schlecht. Sowohl ihre Sicherheit als auch ihre wirtschaftliche Situation sind in Gefahr (SFH, Themenpapier vom 10.01.2008, S. 16).

Trotz der mittlerweile extrem geringen Zahl Yeziden, die in der Stadt Mosul leben oder sich dort zeitweise aufhalten (EZKS an VG Köln vom 29.07.2008, S. 14/15) und deshalb in der Stadt eine praktisch nicht mehr wahrnehmbare Minderheit bilden, werden noch immer Übergriffe auf und Morde an Yeziden in der Stadt Mosul bekannt (EZKS an VG München vom 17.02.2010, S. 5).

In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin nicht sämtliche nach der yezidischen Religion vorgeschriebenen Regeln einhält. Denn sie ist als Angehörige der yezidischen Religion in Mosul bereits anderen Personen bekannt; im Übrigen hält sie einige der nach ihrer Religion vorgeschriebenen Handlungen ein, wie sie bereits bei ihrer Anhörung beim Bundesamt und nochmals in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat.

In ihrer Person kommen indes noch weitere besondere, Gefahr erhöhende Umstände hinzu. Personen, die künstlerische Berufe ausüben, sind nach der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198; OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2010 - 9 A 3287/07.A -) besonders gefährdet; ihnen gilt der der Schwerpunkt der Anschläge. Diese besondere Gefährdung gilt auch für die Klägerin, weil sie Dritten durch den Besuch der Kunstfachschule in Mosul als - wenn auch lediglich angehende - Künstlerin bekannt ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin als Frau zusätzlich besonders gefährdet ist. Frauen sind nach den vorliegenden Auskünften auch im öffentlichen Bereich täglich in Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2010 - 9 A 3287/07.A -; SFH (Alexandra Geiser), Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak, Update vom 05.11.2009, S. 10).

Bereits bezogen auf den kurdisch verwalteten Nordirak herrscht eine äußerst konservative Gesellschaft vor, auch und gerade hinsichtlich der Rolle von Frauen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2010 - 9 A 3287/07.A -; EZKS (Siamend Hajo) an VG Göttingen vom 15.08.2008, S. 1).

Dementsprechend spitzt sich die Situation insbesondere für alleinlebende yezidische Frauen in einem überwiegend muslimischen Umfeld erheblich zu (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2010 - 9 A 3287/07.A -; EZKS an VG Köln vom 26.05.2008, S. 29 f.).

So liegt der Fall auch hier. Denn weil kaum noch Yeziden in Mosul leben, ist die dortige Bevölkerung überwiegend muslimisch.

Schließlich ist die Klägerin noch minderjährig und wäre selbst bei einer Rückkehr nach Mosul eine immer noch sehr junge Erwachsene, die selbst dann im Wesentlichen auf sich allein gestellt wäre, wenn sie gemeinsam mit ihren mit ihr zusammen geflohenen Geschwistern abgeschoben würde und wenn der Freund ihrer verstorbenen Eltern erneut bereit sein sollte, sie in seinem Haus aufzunehmen. Denn in der Öffentlichkeit könnte sie nicht stets von ihrem Bruder oder dem elterlichen Freund begleitet werden, weil diese selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen und zu diesem Zweck auch allein unterwegs sein müssten. Im Übrigen hätte sie keinen Rückhalt durch eine größere Kern-Familie, Großfamilie oder gar Sippe.

Diese der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen ihrer Religion individuell drohende Verfolgung geht von nichtstaatlichen Akteuren i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aus, weil eine unmittelbare Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten jedenfalls nicht in systematischem, wenn auch in signifikantem Umfang, durch staatliche Behörden stattfindet (AA, Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010), S. 18).

Nach der genannten Vorschrift kann Verfolgung von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehen, sofern der Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Dabei ist gemäß der § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend anwendbaren Vorschrift des Art. 6 Absatz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung oder den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - so genannte Qualifikationsrichtlinie (QRL) - (ABl EG Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EG vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24) generell Schutz gewährleistet, wenn die vorgenannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu behindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Betroffene Zugang zu diesem Schutz hat.

Der irakische Staat kann seine Bürger aber bereits im Allgemeinen nicht wirksam vor extremistischer Gewalt schützen und eine Verfolgung behindern. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts hat sich die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Gegenwärtig sind die irakischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu garantieren. Terrorakte kann der irakische Zentralstaat nicht verhindern (AA, Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010), S. 6, 24).

Insbesondere in den umstrittenen Gebieten, selbst dann, wenn der dort ausgeübte Einfluss der kurdischen Regionalregierung eher hoch bzw. die Lage dort eher stabil ist, überschreitet ein individueller Schutz gefährdeter Personen durch offizielle - auch kurdische - Sicherheitskräfte deren Kapazität bzw. Aufgabenbereich (EZKS an VG Köln vom 29.07.2008, S. 10 und an VG München vom 17.02.2010, S. 31).

Selbst innerhalb der drei autonomen kurdischen Provinzen können die Behörden Yeziden nicht adäquat gegen die Folgen der islamistischen Propaganda schützen (SFH, Themenpapier der SFHLänderanalyse (Michelle Zumofen): Irak: Situation von religiösen Minderheiten in den von der KRG verwalteten Provinzen Sulaimaniyah, Erbil und Dohuk, 10.01.2008, S. 17).

Die Klägerin hat schließlich keine innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 AufenthG. Die innerstaatliche Fluchtalternative muss dabei dem unionsrechtlichen Maßstab des Art. 8 Abs. 1 QRL, auf den § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend verweist, genügen. Danach können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Dabei muss nach der höchstrichterlichen mitgliedstaatlichen Rechtsprechung der Ort des internen Schutzes erreichbar und dort jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186).

Nach diesen Maßstäben kann die Klägerin in Würdigung der besonderen Umstände ihres Einzelfalls keinen internen Schutz erlangen. Sie hat insbesondere keine erkennbaren Bezüge zum Scheichan (vgl. zur Lage dort: OVG NRW, Beschlüsse vom 28.03.2011 - 9 A 2563/10.A -, juris und vom 22.11.2010 - 9 A 3287/07.A -; VG Köln, Urteile vom 16.12.2011 - 18 K 2808/10.A und 4361/10.A. -, NRWE) als einem der Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden, in denen gegebenenfalls dort ansässige Yeziden vor Verfolgung sicher sind. Über eine gesicherte Existenz - mit der gegebenenfalls für Yeziden etwa im Scheichan ein Auskommen möglich ist - verfügt die Klägerin nicht, weil sie nicht aus dieser Region stammt, sie dort keine sozialen Kontakte hat und dort ebenso wenig wie ihre Geschwister auf die Unterstützung ihres in Mosul lebenden Nennonkels zurückgreifen könnte.

Internen Schutz kann die Klägerin auch in der nördlich angrenzenden Region Kurdistan-Irak nicht finden. Nach dem AA, Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010), S. 28, sind die Behörden der als Fluchtziel bisher bevorzugten Provinzen im Nordirak mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert und die Versorgung der Binnenvertriebenen mit Nahrungsmitteln problematisch. Vor allem aber ist eine innerstaatliche Fluchtalternative in den de jure kurdisch verwalteten Gebieten unrealistisch und deshalb auch rechtlich unmöglich. Denn in den drei Nordprovinzen gibt es kaum nennenswerte yezidische Bevölkerung (UNHCR an VG Köln vom 28.07.2007, S. 14 oben).

Der Aufenthalt in den Städten der drei Nordprovinzen ist zudem sehr teuer (EZKS an VG Düsseldorf vom 20.11.2011, S. 10 und an VG München vom 17.02.2010, S. 30).

Ferner enthält die Kurdische Regionalregierung Yeziden aus den so genannten umstrittenen Gebieten die Registrierung und damit den Bezug von Lebensmittelrationen vor (EZKS an VG Düsseldorf vom 20.11.2011, S. 10), weil die Registrierung für den Bezug von Lebensmittelrationen Grundlage für die Zulassung zu den Wahlen in den Provinzen ist. Der Anteil von Kurden soll so in den umstrittenen Gebieten so hoch wie möglich gehalten werden, damit das geplante Referendum über die Zuordnung der Gebiete zu Gunsten einer Zuordnung zur kurdischen Region ausgeht (EZKS an VG München vom 17.02.2010, S. 30).

Hinzu kommt, dass für Einreise und Zuzug in die Nordprovinzen ein Bürge zu stellen ist; in den drei Nordprovinzen gibt es dafür unterschiedliche Voraussetzungen (EZKS an VG Köln vom 26.05.2008, S. 34 - 39 und UNHCR an VG Köln vom 28.07.2007).

Derzeit ist unklar, ob diese Praxis aufrecht erhalten wird (EKZS an VG Stuttgart vom 03.11.2010, S.1, 2).

Das AA (Lagebericht vom 28.11.2010 (Stand: Oktober 2010), S. 28) geht allerdings davon aus, dass bei der Einreise bzw. Zuzug "häufig" ein Bürge verlangt wird (vgl. zu dieser Problematik: Entry Procedures and Residence in Kurdistan Region of Iraq (KRI) for Iraqi Nationals - Report from Danisch Immigration Service's fact-finding mission to Erbil, Sulemaniyah, Dahuk, KRI and Amman, Jordan, 06. - 20.01.2010 und 25.02. - 15.03.2010). [...]