LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.01.2012 - L 20 AY 140/11 B - asyl.net: M19408
https://www.asyl.net/rsdb/M19408
Leitsatz:

Für Streitigkeiten darüber, ob Kosten für eine privat angemietete Wohnung bei den Leistungen nach dem AsylbLG vom Leistungsträger zu übernehmen sind, sind die Sozialgerichte zuständig (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG). Eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) besteht nicht; insbesondere begründet der Umstand, dass eine Verpflichtung zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft erst nach nähterer Maßgabe des § 53 Abs. 2 AsylVfG endet, keine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit im Leistungsstreit nach dem AsylbLG. (Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wohnung, Mietkosten, Kostenübernahme, angemessene Kosten, Gemeinschaftsunterkunft, Aufnahmeeinrichtung, Rechtsweg, Verwaltungsgericht, Anmietung einer Wohnung
Normen: VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, SGG § 51 Abs. 1 Nr. 6a, AsylVfG § 44, AsylVfG § 53 Abs. 2
Auszüge:

[...]

1) Die nach § 17a Abs. 4 S. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. § 172 Abs. 1 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.

Das SG hat zu Unrecht angenommen, dass nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO für das Begehren der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Denn es besteht insoweit eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG.

Im Ausgangspunkt grundsätzlich zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass sich die Zuweisung eines Rechtsstreites an die allgemeinen Verwaltungsgerichte oder die Sozialgerichte danach richtet, aus welcher Rechtsnorm die von dem Betroffenen begehrte Rechtsfolge herzuleiten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 51 Rn. 33a; ähnlich Ulmer in Hennig, SGG, § 51 Rn. 3 f. m.w.N.).

Entgegen der Rechtsauffassung des SG ergäbe sich im Obsiegensfalle ein Anspruch der Kläger auf Übernahme der Kosten für die Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt jedoch nicht aus dem AsylVfG, sondern allein aus dem AsylbLG i.V.m. entsprechend heranzuziehenden Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).

§ 44 AsylVfG ist schon deswegen nicht einschlägig, weil es sich um eine Vorschrift handelt, die sog. Aufnahmeeinrichtungen betrifft. In einer solchen Einrichtung befinden sich die Kläger jedoch schon seit März 2007 nicht mehr. Aus der von dem SG angeführten Entscheidung des VG Düsseldorf (Urteil vom 31.08.2004 - 22 K 8954/03 Rn. 17 ff.) ergibt sich nichts anderes. Dort wird die Unterbringung in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 44 AsylVfG zwar als eine Unterkunfts- bzw. Unterbringungsmöglichkeit erwähnt; die materiell-rechtliche Prüfung des (möglichen) Leistungsanspruches der dortigen Kläger bezog sich aber ausschließlich auf § 3 AsylbLG. Zu einer Entscheidung hierüber waren die Verwaltungsgerichte seinerzeit auch noch berufen, weil § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG erst durch Art. 38 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) bzw. Art. 1 Nr. 10 Buchstabe b des Siebten SGG-Änderungsgesetzes vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3302) m.W.v. 01.01.2005 in das SGG eingefügt wurde. Die hier streitige Abgrenzungsfrage stellte sich vor diesem Zeitpunkt nicht.

Aus der von der Beklagten für maßgeblich gehaltenen Vorschrift des § 53 (Abs. 2) AsylVfG lässt sich die von den Klägern begehrte Rechtsfolge ebenfalls nicht herleiten. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine Regelung, die einen Leistungsanspruch des betroffenen Personenkreises normiert. Die Vorschrift schreibt nur das Prinzip fest, dass Asylbewerber nach der Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen (§ 53 Abs. 1 S. 1

AsylVfG). Sie richtet sich damit unmittelbar an die zur Unterbringung verpflichteten Gemeinden (hierzu VG Aachen, Beschluss vom 28.11.2005 - 6 L 823/05 Rn. 4). Auch im Übrigen enthält das AsylVfG keine Anspruchsgrundlagen für Leistungsansprüche der Betroffenen.

Die - im vorliegenden Verfahren eigentlich streitige - leistungsrechtliche Beziehung zwischen Asylbewerbern bzw. dem von § 1 AsylbLG erfassten Personenkreis und dem Leistungsträger wird dementsprechend ausschließlich durch die Vorschriften des AsylbLG bzw. die von ihnen in Bezug genommenen Regelungen des SGB XII bestimmt.

Die Gegenansicht (insb. LSG Sachsen, Beschlüsse vom 23.10.2008 - L 7 B 547/08 Rn. 12 und vom 15.12.2010 - L 7 AY 9/09 B ER; SG Düsseldorf, Beschluss vom 2.5.2008 - S 23 AY 2/08), die § 53 AsylVfG in derartigen Streitigkeiten für die streitentscheidende Norm hält, verkennt, dass eine etwaige asylverfahrensrechtliche Verpflichtung der Betroffenen, in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen bleiben zu müssen, jedenfalls nicht als solches Gegenstand des Verfahrens ist. Asylverfahrens- bzw. aufenthaltsrechtliche Bestimmungen zur Wohnsitz- oder Wohnungsnahme können zwar möglicherweise Auswirkungen auf den leistungsrechtlichen Anspruch betreffend die Übernahme von Unterkunftskosten haben (so auch Frerichs in jurisPK-AsylbLG, § 3 Rn. 100-102 m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, § 2 Rn. 128; SG Hildesheim, Beschluss vom 03.09.2010 - S 42 AY 147/10 ER Rn. 5 f.); eine abweichende Bestimmung des Streitgegenstandes folgt hieraus jedoch nicht. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob man das Begehren als unmittelbar auf die Gewährung von Leistungen (für Kosten der Unterkunft und Heizung) gerichtet ansieht oder - wie das VG Düsseldorf in dem vorangegangenen Verfahren 23 K 4949/08 - einen Anspruch auf die Erteilung einer Zusicherung nach § 35 VwVfG bzw. einer Zustimmung i.S.v. § 35 Abs. 2 S. 4 SGB XII (= § 29 Abs. 1 S. 5 SGB XII a.F.) untersucht. Denn in allen Fällen kommt es für die Begründetheit der Klage darauf an, ob ein Leistungsanspruch nach dem AsylbLG (ggf. i.V.m. § 35 SGB XII) bejaht werden kann.

Sofern im Einzelfall die Gefahr abweichender, nicht miteinander in Einklang zu bringender Entscheidungen nach dem AsylVfG (oder ggf. nach dem Aufenthaltsgesetz) einerseits und dem AsylbLG andererseits bestehen sollte (so LSG Sachsen, Beschluss vom 23.10.2008 - L 7 B 547/08 Rn. 15), kann dem hinreichend mit dem Mittel der Beiladung (§ 75 SGG, § 13 Abs. 2 VwVfG) begegnet werden.

Sowohl für die Rechtsverhältnisse nach dem SGB XII als auch nach dem AsylbLG weist § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Zuständigkeit den Sozialgerichten zu. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und nach § 17a Abs. 3 GVG die Zulässigkeit des Sozialrechtsweges festzustellen. [...]