VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 24.01.2012 - 12 K 576/09 - asyl.net: M19436
https://www.asyl.net/rsdb/M19436
Leitsatz:

Gegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu mehreren Zwecken, wie zum Beispiel § 25 Abs. 3 AufenthG und § 104a Abs. 5 bzw. § 23 Abs. 1 AufenthG, bestehen keine Bedenken.

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis zu mehreren unterschiedlichen Zwecken, unterschiedliche Aufenthaltszwecke, Aufenthaltszwecke, Aufenthaltstitel, Trennungsprinzip
Normen: AufenthG § 25 Abs. 3, AufenthG § 104a Abs. 5, AufenthG § 23 Abs. 1, AufenthG § 101 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 7 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 16 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 55 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

[...]

II. Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25 Abs. 3 AufenthG und § 104a Abs. 5 bzw. § 23 Abs. 1 AufenthG zu. Die Ablehnung der insoweit allein zwischen den Beteiligten streitigen Aufenthaltserlaubnis auf der (weiteren) Grundlage des § 25 Abs. 3 AufenthG durch die Ordnungsverfügung des Oberbürgermeisters der Beklagten vom 14. Januar 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.

Die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG liegen unstreitig vor, da das Bundesamt bezüglich des Klägers mit Bescheid vom 18. November 2008 bestandskräftig das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Kosovo und Serbien festgestellt hat. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten auch, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG rückwirkend auf den Tag der Antragstellung, den 26. November 2008, zu erteilen ist.

Dem Anspruch des Klägers steht aber nach Auffassung der Beklagten entgegen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu mehreren unterschiedlichen Zwecken ausgeschlossen ist. Diese Frage stellt sich auch weiterhin: Zwar ist der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 5 bzw. § 23 Abs. 1 AufenthG. Die Beklagte hat aber vor Eintritt in die mündliche Verhandlung verbindlich zugesichert, dem Kläger eine solche Aufenthaltserlaubnis rückwirkend auf den 16. Dezember 2011 zu erteilen. Daran, dass die Beklagte diese Zusage einhalten wird, hat das Gericht keinen Zweifel. Allerdings kann das Gericht sich der Auffassung der Beklagten, wonach dem Anspruch des Klägers entgegenstehe, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu mehreren unterschiedlichen Zwecken ausgeschlossen sei, für den vorliegenden Fall nicht anschließen.

Dabei ist das Gericht im Ausgangspunkt der Auffassung, dass sich ein solcher Ausschluss aus dem Gesetz ergeben und nicht umgekehrt das Gesetz die Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu mehreren Zwecken vorsehen müsste (anders jedenfalls für die Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel aus unterschiedlichen Aufenthaltszwecken VG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juli 2010 - 22 K 5087/09 -, juris, Rn. 17 m.w.N.).

Denn bei Vorliegen der Voraussetzungen steht dem Ausländer kraft Gesetzes ein - ggf. in das Ermessen der Behörde gestellter - Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem bestimmten Zweck zu. Ein diesem Anspruch entgegenstehender Ausschluss muss sich wenn nicht explizit, so zumindest durch Auslegung mit hinreichender, dem Gebot rechtsstaatlicher Normenklarheit genügender Eindeutigkeit dem Gesetz entnehmen lassen. Das aber ist nicht der Fall.

Dem Wortlaut des Aufenthaltsgesetzes lassen sich keine zwingenden Argumente für die Beantwortung der vorliegenden Frage entnehmen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zu den in den nachfolgenden Abschnitten des Gesetzes genannten "Aufenthaltszwecken" erteilt. Der hier gewählte Plural spricht für die Rechtsansicht des Klägers. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist hingegen - wie die Beklagte betont - die Aufenthaltserlaubnis unter Berücksichtigung des "beabsichtigten Aufenthaltszwecks" zu befristen. Der Singular in dieser Vorschrift könnte die Auffassung der Beklagten stützen. Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt eine vor dem 1. Januar 2005 erteilte Aufenthaltsberechtigung oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis "entsprechend dem ihrer Erteilung zu Grunde liegenden Aufenthaltszweck" fort. Damit sind jedoch Aufenthaltstitel in Bezug genommen, die vor Geltung des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurden, weshalb diese Vorschrift für die vorliegend von den Beteiligten in den Vordergrund gestellte Frage, ob unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes für denselben Zeitraum Aufenthaltserlaubnisse zu mehreren Zwecken erteilt werden können, unergiebig ist. Selbst wenn man nämlich der Übergangsvorschrift des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Auffassung des Gesetzgebers entnehmen wollte, vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes habe eine Aufenthaltsberechtigung oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis - sofern sie überhaupt zweckgebunden erteilt wurde (vgl. etwa § 15 AuslG 2001) - nur zu einem Zweck erteilt werden können, lässt sich ihr jedenfalls nicht entnehmen, dass eine Beschränkung auf einen Zweck auch unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes gelten soll. Denn mit dem Aufenthaltsgesetz hat der Gesetzgeber einen Systemwechsel vollzogen, aufgrund dessen nicht ohne Weiteres von der Fortgeltung früherer Regelungsgehalte ausgegangen werden kann. Der Gesetzgeber hat mit dem Aufenthaltsgesetz die formale Zahl der Aufenthaltstitel reduziert und die erforderliche Differenzierung anhand unterschiedlicher Aufenthaltszwecke vorgenommen.

Überdies sprechen die Gesetzgebungsmaterialien gegen die von der Beklagten vertretene Interpretation des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dort heißt es im Hinblick auf die Zweckbindung eines Aufenthaltstitels: "Mit einem Aufenthaltstitel können daher verschiedene Rechtsstellungen verbunden sein." Zudem müsse bei der Überleitung von nach dem Ausländergesetz erteilten Aufenthaltsgenehmigungen in das neue Recht "der Aufenthaltstitel den Aufenthaltszwecken zugeordnet werden" (BT-Drs. 15/420, S. 99 f. zu § 101 AufenthG).

In systematischer Sicht lässt sich die Auffassung des Beklagten auch nicht auf § 16 Abs. 2 Satz 1 AufenthG stützen. Nach dieser Vorschrift soll während eines zu Studienzwecken gewährten Aufenthalts in der Regel keine Aufenthaltserlaubnis für einen anderen Aufenthaltszweck erteilt oder verlängert werden, sofern nicht ein gesetzlicher Anspruch besteht. Zwar wird damit die Möglichkeit eines Zweckwechsels anerkannt. Regelungen zum Zweckwechsel wären entgegen der Ansicht des Beklagten aber nicht überflüssig, wenn auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu mehreren Zwecken möglich wäre. Wenn die Voraussetzungen für eine zu einem bestimmten Zweck erteilte Aufenthaltserlaubnis wegfallen, kann nämlich fraglich sein, ob ein Wechsel zu einem anderen Zweck überhaupt zulässig oder ob nicht vielmehr die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck ausgeschlossen ist. So liegt es gerade im Fall einer zu Studienzwecken erteilten Aufenthaltserlaubnis. Der Vorstellung des Gesetzgebers entspricht es, dass ein Ausländer, der sich zu Studienzwecken im Bundesgebiet aufhält, während eines solchen Aufenthalts grundsätzlich auf diesen Zweck begrenzt bleibt. Eine Verfolgung anderer Zwecke soll unterbleiben (vgl. Storr/Kreuzer, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 16, Rn. 19 m.w.N.).

Überdies zeigt § 55 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in systematischer Hinsicht, dass dem Bundesgesetzgeber das Bestehen verschiedener - und in ihren Rechtsfolgen ganz unterschiedlich ausgestalteter - Rechtsstellungen eines Ausländers nicht fremd ist. Nach dieser Vorschrift erlischt mit der Stellung eines Asylantrags (lediglich) ein Aufenthaltstitel mit einer Gesamtdauer bis zu sechs Monaten. Sofern der Ausländer über einen Aufenthaltstitel mit einer längeren Laufzeit verfügt, ist er nach der Stellung des Asylantrags sowohl im Besitz dieses asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltstitels als auch einer asylrechtlichen Gestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattkommentar, Bd. 4, § 55 AsylVfG, Rn. 34 (Stand August 2009)).

Zwingende Argumente für die Auffassung der Beklagten liefert ferner auch nicht die Genese des Aufenthaltsgesetzes, soweit nach der Gesetzesbegründung "die gesetzliche Grundlage" für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf dem über den Titel auszustellenden Dokument zu vermerken ist (BT-Drs. 15/420, S. 69, 2. Absatz).

Denn der Begriff "gesetzliche Grundlage" kann durchaus mehrere Normen und damit Zwecke umfassen. Daher vermag auch § 59 Abs. 3 AufenthV, wonach die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis "maßgebliche Rechtsgrundlage" auf jener zu vermerken ist, ungeachtet des Umstands nicht zu überzeugen, dass eine Verordnung für die Auslegung eines Gesetzes allenfalls indizielle Bedeutung haben kann. Im Ergebnis ebenfalls nicht überzeugend ist insofern der Hinweis des Beklagten auf Ziffer 4.1.0.2. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz, wonach "der Erteilungsgrund" des Aufenthaltstitels auf dem Klebeetikett vermerkt wird.

Soweit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu mehreren Zwecken von der Beklagten und teilweise in der Rechtsprechung wegen des in § 7 und § 8 AufenthG verankerten Trennungsprinzips (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 4. September 2007 - 1 C 43.06 -, BVerwGE 129, 226 (auch in juris, Rn. 26) und 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 -, juris, Rn. 13) für unzulässig gehalten wird (so VG Düsseldorf, a.a.O., juris, Rn. 8 f.; ähnl. VG Stuttgart, Urteil vom 8. August 2008 - 9 K 627/08 -, juris, Rn. 23 f.; anders Urteil der Kammer vom 5. Oktober 2010 - 12 K 4084/09 -), bedarf dies vorliegend keiner Entscheidung, weil das sog. Trennungsprinzip vorliegend gar nicht zur Anwendung kommt.

Eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 3 AufenthG einerseits und des § 104a Abs. 5 bzw. § 23 Abs. 1 AufenthG andererseits stellt nämlich keine Aufenthaltserlaubnis zu unterschiedlichen Zwecken im Sinne des sog. Trennungsprinzips dar. Sowohl § 25 Abs. 3 AufenthG als auch § 104a Abs. 5 bzw. 23 Abs. 1 AufenthG geben einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Sinne des 5. Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes.

Im Übrigen spricht aus der Sicht des Gerichts auch weiterhin einiges dafür, im Grundsatz (soweit nicht auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Rede steht) an der bereits mit Urteil vom 5. Oktober 2010 geäußerten Rechtsauffassung festzuhalten. Das OVG NRW hat mit Urteil vom 16. November 2010 - 17 A 2434/07 - in seinen Ausführungen zu Ziff. 1 der Entscheidungsgründe ausdrücklich ein Nebeneinander von Anspruchsgrundlagen (Aufenthaltszwecken) - auch angesichts des in § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG angelegten Trennungsprinzips - für grundsätzlich möglich erachtet (vgl. Urteilsabdruck S. 11 ff.).

Dass schließlich die weiteren von der Beklagten angeführten Schwierigkeiten eher praktischer Art nicht zum Ausschluss des Anspruchs des Klägers führen können, liegt auf der Hand. Soweit etwa unterschiedliche Gültigkeitszeiträume gelten, können diese durchaus vermerkt werden. Arbeitshilfen - wie z.B. Meldesysteme - müssen den rechtlichen Anforderungen entsprechend ausgestaltet werden. Eine insoweit mangelnde Ausgestaltung kann nicht ihrerseits argumentativ zur Einschränkung der gesetzlichen Möglichkeiten herangezogen werden. [...]