Das Erfordernis des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dient nicht dem Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung oder Abschiebung.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass gegen ihn ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren – wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis – anhängig sei und die deshalb erforderliche Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Abschiebung fehle, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, einen Anspruch des Antragstellers auf Aussetzung der Abschiebung zu begründen.
Zwar darf nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Diese Regelung soll verhindern, dass durch Ausweisung und Abschiebung eines Ausländers eine Strafverfolgung gegen den Betreffenden wesentlich erschwert oder vereitelt wird. Sie soll der Staatsanwaltschaft die Entscheidung darüber ermöglichen, ob ein staatlicher Strafanspruch gegen einen Ausländer durchgesetzt werden soll. Die Vorschrift dient damit jedoch allein der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses. Sie bezweckt nicht, den Ausländer vor ausländerbehördlichen Maßnahmen zu bewahren. Eine je nach Fallkonstellation denkbare günstige Wirkung der Erteilung oder der Versagung des Einvernehmens kommt dem betroffenen Ausländer nur reflexartig zugute, wird aber durch die Vorschrift nicht in seinem Interesse verfolgt (BVerwG, Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17.97 - InfAuslR 1998, 383, zur Vorgängerregelung des § 64 Abs. 3 AuslG; ebenso OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2010 - 1 B 156/10 - juris; GK-AufenthG, Stand: September 2011, § 72 AufenthG Rn. 38; offen gelassen von VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.11.1996 - 13 S 1158/96 - EzAR 601 Nr. 6). Dass sich ein Ausländer mit Erfolg gegen eine Anordnung von Abschiebungshaft wenden kann, wenn das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft fehlt (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20.01.2011 - V ZB 226/10 - InfAuslR 2011, 202, und vom 24.02.2011 - V ZB 202/10 - InfAuslR 2011, 253, jeweils m.w.N.), liegt an den spezifischen Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft (vgl. § 62 AufenthG), insbesondere an den besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Freiheitsentziehung (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG, vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 13.07.2011 - 2 BvR 742 - InfAuslR 2011, 358, und vom 27.02.2009 - 2 BvR 538/07 - InfAuslR 2009, 205), bedeutet aber nicht, dass der Regelung im Hinblick auf die Abschiebung oder die Ausweisung Schutzcharakter zugunsten des betreffenden Ausländers beizumessen wäre.
Im Übrigen liegen inzwischen nicht nur bezüglich des vom Antragsteller angeführten Ermittlungsverfahrens wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, sondern auch wegen eines weiteren Verfahrens - wegen Unterschlagung von Kraftfahrzeugen - ausdrückliche Zustimmungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart zu einer Ausweisung und Abschiebung des Antragstellers vor.
Aus den angeführten Gründen kommt es an sich auch nicht darauf an, ob die bezüglich des zweiten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens – wegen Wohnungseinbruchdiebstahls – am 25.11.2011 erteilte Zustimmung der Staatsanwaltschaft Stuttgart wirksam ist. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich ist, warum diese nicht durch eine Amtsanwältin wirksam abgegeben werden können soll.
Dass dem Antragsteller ausnahmsweise, etwa aufgrund eines berechtigten Rehabilitierungsinteresses, ein Anspruch auf Duldung zustehen könnte (§ 60a Abs. 2 Satz 2 bzw. Satz 3 AufenthG; vgl. hierzu GK-AufenthG, a.a.O., § 60a AufenthG, 225 ff., 227), ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. [...]