VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 23.02.2012 - 12 A 5382/10 - asyl.net: M19457
https://www.asyl.net/rsdb/M19457
Leitsatz:

Bei einer psychischen Erkrankung besteht in Aserbaidschan kein Zugang zu einer notwendigen Behandlung. Eine "kostenlose Behandlung" besteht nur auf dem Papier. Eine Kostenübernahme für zwei Jahre ist unzureichend, da sich die "inoffiziellen Behandlungskosten" nicht ausreichend bestimmen lassen.

Schlagwörter: Aserbaidschan, Krankheit, psychische Erkrankung, Psychose, medizinische Versorgung, Kosten, Behandlungskosten
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf ihre Erkrankung das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Aserbaidschan in ihrer Person feststellt. [...]

Nach den im Verfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen leidet die Klägerin an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose, die zur Vermeidung weiterer Suizidversuche einer pharmakologischen Behandlung mit Olanzapin und regelmäßiger ärztlicher Kontrolle bedarf.

Die somit zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden dringend benötigte pharmakologische Behandlung wird die Klägerin bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.10.2011 ist das Gesundheitssystem in einem relativ schlechten Zustand. Krankenhäuser befinden sich in erster Linie in Baku. Dies gilt ebenfalls für Spezialkliniken wie psychiatrische Einrichtungen. Die hygienischen Verhältnisse dort sind oft noch unzureichend. Die gesundheitliche Versorgung außerhalb der größeren Städte beschränkt sich in der Regel auf eine ambulante Versorgung. Zudem besteht kein funktionierendes staatliches Krankenversicherungssystem. Eine kostenlose medizinische Versorgung - wie etwa in der Beklagten vorgelegten Auskunft der Deutschen Botschaft an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth vom 10.05.2011 dargestellt - gibt es nur auf dem Papier. Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt. Mittellose Patienten werden zwar minimal versorgt, dann aber nach wenigen Tagen "auf eigenen Wunsch" entlassen, wenn sie die Behandlungskosten nicht aufbringen können.

Danach wird es der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht möglich sein, die dringend erforderliche Behandlung zu erhalten. Denn es kann nicht angenommen werden, dass sie über die für den Erhalt des Medikaments und der ärztlichen Behandlung erforderlichen Mittel verfügt, da sie aufgrund ihrer Erkrankung keine Aussicht hat, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Dass die Angehörigen der Klägerin in Aserbaidschan oder in Deutschland über die erforderlichen Mittel verfügen, ist nicht ersichtlich.

Die von der Beklagten in Aussicht gestellte Kostenübernahme für die Dauer von zwei Jahren führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass eine Heilung der Klägerin, die bereits seit mehreren Jahren wegen ihrer psychischen Erkrankung in Behandlung ist, innerhalb von zwei Jahren nicht zu erwarten ist, dürfte die Übernahme der nur inoffiziellen Behandlungskosten (vgl. die von der Beklagten vorgelegte Auskunft der Deutschen Botschaft an das VG Minden vom 17.01.2011) ohnehin nicht in Betracht kommen, weil deren Höhe naturgemäß nicht bekannt ist. Das Gericht hat daher davon abgesehen, die Beklagte zur Vorlage einer solchen Erklärung aufzufordern.

Ob es der Klägerin - wie die Beklagte vorschlägt - möglich wäre, einen Vorrat an Olanzapin für drei Jahre anzulegen, erscheint schon im Hinblick darauf zweifelhaft, dass derart große Mengen eines verschreibungspflichtigen Medikaments in der Regel nicht abgegeben werden. Ob dies ausnahmsweise möglich ist und ob die Kosten dafür übernommen werden würden, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin benötigt außer diesem Medikament auch regelmäßige ärztliche Kontrollen. [...]