VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 01.09.2011 - 15 K 3373/09 - asyl.net: M19459
https://www.asyl.net/rsdb/M19459
Leitsatz:

Ein amtlicher Nachweis über Ort und Tag der Geburt i.S.v. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV (Fahrerlaubnisverordnung) kann auch durch einen Ausweisersatz zusammen mit einer Geburtsurkunde als Identitätsnachweis erbracht werden. Unerheblich ist dabei, ob der Ausweisersatz den Zusatz enthält, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Inhabers beruhen.

Schlagwörter: Fahrerlaubnis, Identitätsnachweis, Personalausweis, Reisepass, Geburtsurkunde, Ausweisersatz, Identität, Duldung
Normen: FeV § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, StVG § 2 Abs. 6 S. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

1.) Zu Recht verfolgt der Kläger sein Klagebegehren mit einem bloßen Bescheidungsantrag gem. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO fort. Zwischen den Beteiligten ist nur eine rechtliche Vorfrage für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge streitig, nämlich die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV erfüllt sind. Der Kläger, der noch keine Pflichtfahrstunden und die Teilnahme an einer Unterweisung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen nachgewiesen und noch nicht die (theoretische und praktische) Fahrerlaubnisprüfung nach den §§ 15 ff. FeV erfolgreich absolviert hat, konnte angesichts dessen von vornherein nicht entsprechend seinem ursprünglichen Klageantrag die Verpflichtung der Beklagten erreichen, ihm eine Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klasse B zu erteilen. Allerdings kann er zulässigerweise die Verpflichtung der Beklagten begehren, ihm bei einer Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis vom 19. Dezember 2007 jedenfalls nicht mehr entgegenzuhalten, dass er den in § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV geforderten Nachweis nicht erbracht habe (vgl. z.B. VG Arnsberg, Urt. v. 30.10.2008 - 6 K 159/08 -, juris Rdnr. 12).

2.) Die zulässige Bescheidungskiage ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Antrag vom 19. Dezember 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Kläger kann die begehrte Neubescheidung beanspruchen, weil er entgegen der Auffassung der Beklagten einen amtlichen Nachweis über Ort und Tag seiner Geburt i.S.v. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, FeV erbracht hat. Der geforderte Nachweis wird in der Regel durch die Vorlage des Personalausweises oder des Reisepasses bzw. einer Geburtsurkunde oder einer beglaubigten Abschrift aus dem Geburtenbuch geführt (vgl. VG Arnsberg; a.a.O., juris Rdnr. 15), wobei die Vorlage eines Personalausweises oder eines Reisepasses bereits für sich genommen als Identitätsnachweis ausreicht, während bei einer Geburtsurkunde oder einer beglaubigten Abschrift aus dem Geburtenbuch zu fordern ist, dass gleichzeitig ein amtlicher Lichtbildausweis vorgelegt wird, weil sonst nicht überprüfbar ist, ob die Urkunde auch tatsächlich für die vorlegende Person ausgestellt wurde (vgl. VG Neustadt [Weinstraße], Beschl. v. 22.8.2011 - 3 K 613/11 .NW -, juris Rdnr. 23 m.w.N.). Der Kläger verfügt zwar über keinen Personalausweis oder Reisepass und auch über keinen Reiseausweis für Staatenlose, jedoch hat er den ihm von der zuständigen Ausländerbehörde ausgestellten, mit einem Lichtbild des Klägers versehenen Ausweisersatz (§§ 3 Abs. 1 Satz 2, 48 Abs. 2, 78 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) sowie eine Geburtsurkunde des Standesamtes Hamburg-Wandsbek vom und eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch des Standesamtes Hamburg-Wandsbek vom ... und eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch vorgelegt. Diese Dokumente reichen aus, um den von § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV geforderten amtlichen Nachweis über Ort und Tag seiner Geburt zu erbringen. Dass in dem Ausweisersatz der Zusatz "Die Personalangaben auf Seite 2 beruhen auf den eigenen Angaben der Inhaberin/des Inhabers" angekreuzt ist, führt zu keiner anderen Betrachtung. Die Identifikationsfunktion des Ausweisersatzes wird von einem solchen Zusatz in fahrerlaubnisrechtlicher Hinsicht nicht in Frage gestellt.

Das Gericht folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts Arnsberg, welches im bereits erwähnten Urteil vom 30. Oktober 2008 (a.a.O., juris Rdnr. 16 ff.) zu Recht ausgeführt hat:

"Der geforderte Nachweis wird durch den Kläger indes durch den von der Ausländerbehörde ausgestellten, mit einem Lichtbild des Klägers versehenen "Ausweisersatz" erbracht. Durch dieses Papier, welches inhaltlich die erteilte Aufenthaltserlaubnis dokumentiert, wird in einer den Anforderungen des § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV genügenden Weise der Identitätsnachweis geführt. Denn dieses Dokument ist nicht nur als Ausweisersatz überschrieben, sondern in ihm wird auch ausdrücklich festgestellt, dass es als Ausweisersatz gilt. Hierdurch wird deutlich, dass diese Urkunde den Zweck eines Legimitationspapiers besitzt und es dem Inhaber ermöglicht werden soll, sich durch Vorlage dieses Dokuments auszuweisen und so am Rechtsverkehr teilzunehmen. Dem "Ausweisersatz" kommt damit Identifikationsfunktion zu, wie sich auch aus § 78 Abs. 6 AufenthG ableiten lässt. Durch das Lichtbild und die übrigen Angaben soll dieses Dokument - wie ein Personalausweis oder Reisepass - den Inhaber als diejenige Person ausweisen, die in dem Dokument erfasst ist. Angesichts dieser Identifikationsfunktion genügt das Papier zum Nachweis der in § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV geforderten Angaben (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 17. April 2007 - 3 A 161/06 -; siehe auch VG Stade, Beschluss vom 24.03.2003 - 1 B 149/03 - und Beschluss vom 29.07.2004 - 1 B 1167/04 -, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22.08.2007 - 7 K 2840/06 -).

Eine andere Sichtweise ist auch nicht durch den in dem "Ausweisersatz" angebrachten Vermerk, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Inhabers beruhen, angebracht. Hierdurch wird die Identifikationsfunktion des Dokuments nicht in Frage gestellt. Denn die Ausländerbehörde hat im Rahmen der Erteilung die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a (Identität des Ausländers ist geklärt) beachtet und mit der erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls weitere Bemühungen zur Identitätsklärung für nicht zumutbar erachtet oder auf solche verzichtet. Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung ist die Beklagte als Straßenverkehrsbehörde an die von ihr selbst als Ausländerbehörde getätigte Sichtweise gebunden. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des fahrerlaubnisrechtlichen Verfahrens, Zweifeln hinsichtlich der Personalien des Klägers nachzugehen und diese ggf. als beachtlich zu betrachten. Eine evtl. Klärung bleibt insofern vielmehr dem Ausländerrecht vorbehalten (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22.08.2007 - 7 K 2840/06 -).

Dies gilt vorliegend umso mehr, als die zuständige Ausländerbehörde - wie angesprochen - mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis offensichtlich ihre Bedenken an der ungeklärten Identität des Klägers zurückgestellt hat. In diesem Zusammenhang ist auch die Zweckrichtung des Nachweises nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zu berücksichtigen. Intention dieser Norm ist es nämlich (nur), bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis verlässlich prüfen zu können, ob ein Bewerber einen Führerschein ausgehändigt bekommen kann. Der Fahrerlaubnisbewerber soll mittels der beigefügten Dokumente belegen, dass er das erforderliche Mindestalter für die Ablegung der Fahrprüfung besitzt und die im Ausweis abgebildeten Person die Person des Antragstellers darstellt. Ferner gilt es zu prüfen, ob zum Beispiel unter anderer Identität die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, die Sperrwirkung eines Entzugs der Fahrerlaubnis noch andauert oder unter anderer Identität Anhaltspunkte für eine fehlende Kraftfahreignung gegeben sind. Ein für diese Zwecke zu fordernder Nachweis kann durch einen Ausweisersatz ebenso geführt werden wie durch einen Personalausweis oder einem nationalen Reisepass. Ein besonderes Risiko i.S.d. Straßenverkehrsrechts wird hierdurch nicht begründet (vgl. hierzu Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 29. Juli 2004 - 1.B 1167/04 -; VG Schleswig, Urteil vom 17. April 2007 - 3 A 161/06 -)."

Das Gericht folgt ferner der hiermit übereinstimmenden Auffassung des Verwaltungsgerichts Schleswig, welches in seinem Urteil vom 17. April 2007 (- 3 A 161/06 -, juris Rdnr, 15 f.) ebenfalls zu Recht ausgeführt hat:

"Gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV sind dem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis unter anderem ein amtlicher Nachweis über Ort und Tag der Geburt beizufügen. Der Kläger verfügt über keinen der üblichen Nachweise wie Geburtsurkunde, Personalausweis oder nationaler Reisepass. Damit ist ihm ein Identitätsnachweis durch die herkömmlichen in Betracht kommenden Dokumente verwehrt. Er verfügt jedoch über einen mit Lichtbild versehenen "Ausweisersatz". In diesem wird festgestellt: "Dieses Dokument gilt als Ausweisersatz". Wenn dieses Dokument einen Ausweis ersetzen soll, dann kann dies nur den Zweck haben im Rechtsverkehr dort, wo üblicherweise ein Ausweis verlangt wird, sich durch dieses "Ersatzpapier" zu legitimieren. Anderenfalls machte die Ausstellung eines derartigen Ausweisersatzes keinen Sinn: Auch wenn in dem Papier angekreuzt ist "die Personalangaben auf Seite 2 beruhen auf den eigenen Angaben des Inhabers", so ändert dieser Vermerk nichts an der Identifikationsfunktion des Papieres. Es ist davon auszugehen, dass die zuständige Behörde vor Ausstellung des Ausweisersatzes die vom Kläger getätigten Angaben auf seine Plausibilität hin überprüft hat und verschiedene Informationsquellen genutzt hat, um die Angaben des Klägers nachzuvollziehen.

Der Vermerk dient dazu, einem etwaigen Missbrauch zu begegnen. Ein derartiges ausländerrechtliches Missbrauchsverfahren ist jedoch im Bereich des Straßenverkehrsrechtes nicht relevant. Die Frage der Nachweistauglichkeit des Ausweisersatzpapieres hat sich an dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 3 Nr. 1 FeV zu orientieren. Der Fahrerlaubnisbewerber soll mittels der beigefügten Dokumente belegen, dass er das erforderliche Mindestalter für die Ablegung der Fahrprüfung besitzt und die im Ausweis abgebildete Person die Person des Antragstellers darstellt. Dieser Nachweis kann durch einen Ausweisersatz ebenso geführt werden wie durch einen Personalausweis oder nationalen Reisepass. Es ist nicht ersichtlich, dass dadurch ein besonderes Risiko im Sinne des Straßenverkehrsrechts begründet würde (vgl. auch VG Stade, Beschluss vom 29.07.2004, 1 B 1167/04, in juris). Der Ausweisersatz ermöglicht den widerlegbaren Nachweis, dass sein Inhaber die in ihm genannte, beschriebene und abgebildete Person ist und die im Ausweisersatz enthaltenen Angaben mit den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Inhabers übereinstimmen."

Hinzuweisen ist des Weiteren auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. November 2009 (- 11 C 08.3165 -, juris Rdnr. 37), in welchem der von § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV verfolgte Zweck wie folgt beschrieben ist:

"Diese Bestimmung verfolgt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zwei Zielsetzungen. Zum einen will sie gewährleisten, dass zuverlässig festgestellt werden kann, ob der Bewerber das für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis erforderliche Mindestalter (z.B. nach § 10 Abs. 1 und 2, § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV) erreicht hat, und ob die Fahrerlaubnis ggf. aus Altersgründen (vgl. z.B. § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FeV) befristet oder ihre Verlängerung (z.B. nach § 24 Abs. 1 Satz 3 FeV) von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig gemacht werden muss. Zum anderen soll § 21 Abs. 3 Satz. 1 Nr. 1 FeV die Behörde in die Lage versetzen, die für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, entscheidungserheblichen Informationen zutreffend und vollständig zu ermitteln. Verhindert werden soll durch die Beibringung von Unterlagen, aus denen sich die Identität des Bewerbers ergibt, namentlich, dass die Fahrerlaubnis einer Person erteilt wird, die bereits eine solche Berechtigung besitzt oder deren Fahreignung Bedenken begegnet. Die Erreichung dieser Ziele wäre nicht gewährleistet, wenn das fahrerlaubnisrechtliche Erteilungsverfahren unter anderen Personalien als denjenigen betrieben werden könnte, unter denen der Bewerber sonst im Bundesgebiet lebt oder gelebt hat. Denn neben dem Namen des Betroffenen stellen sein Geburtstag und sein Geburtsort die wichtigsten Personenordnungsmerkmale dar. Stehen sie zuverlässig fest, ist ausreichend sichergestellt, dass sich auf den Betroffenen beziehende Eintragungen in behördlichen Akten und Datenbanken, deren Inhalt im jeweiligen Zusammenhang entscheidungserheblich ist (in Betracht kommen im Fahrerlaubnisrecht namentlich das Bundeszentral- und das Verkehrszentralregister sowie die örtlichen und das Zentrale Fahrerlaubnisregister), aufgefunden werden können."

Sowohl der Name als auch das Geburtsdatum und der Geburtsort des Klägers stehen durch die von ihm vorgelegten Dokumente unzweifelhaft fest. Anhaltspunkte dafür, dass er zwischenzeitlich unter anderen Personalien im Bundesgebiet oder anderswo gelebt hat, sind nicht gegeben und werden von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Auf die Frage, ob der Kläger staatenlos oder polnischer Staatsangehöriger ist, kommt es fahrerlaubnisrechtlich nicht an. Weder § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG noch § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV fordern den Nachweis der Staatsangehörigkeit bzw. der Staatenlosigkeit. Diese von der Beklagten als ungeklärt betrachtete Frage steht der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach allem nicht entgegen. [...]