OVG Mecklenburg-Vorpommern

Merkliste
Zitieren als:
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.12.2011 - 1 L 242/08 - asyl.net: M19530
https://www.asyl.net/rsdb/M19530
Leitsatz:

Schlichte Behördenvermerke über nachrichtendienstlich gewonnene Erkenntnisse, zu denen nichts über die Umstände ihrer Entstehung wie die Quelle der Informationen, ihre Verlässlichkeit oder eine gewisse Richtigkeitsgewähr in Erfahrung gebracht werden kann, reichen als tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 StAG grundsätzlich nicht aus.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Anspruchseinbürgerung, BKA, BND, Vermerk, Aktenvermerk, Behördenvermerk, Terrorismusverdacht, Terrorismus, freiheitliche demokratische Grundordnung
Normen: RuStAG § 11 S. 1 Nr. 1, RuStAG § 10 Abs. 1 Nr. 5, RuStAG § 40c
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung aus § 40 c StAG i.V.m. § 10 Abs. 1 StAG in der vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung. Die Voraussetzungen des Einbürgerungsanspruchs ergeben sich aus dieser Bestimmung, wenn der Einbürgerungsantrag bis zum 30. März 2007 gestellt worden ist. Dies ist hier der Fall. Die Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StAG in der vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung liegen für die Person des Klägers sämtlich vor. [...]

Schließlich steht dem Einbürgerungsanspruch auch § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG, wonach der Ausländer die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben oder verlieren muss, nicht entgegen. Nach § 12 Abs. 1 StAG kann von diesem Erfordernis abgesehen werden, wenn es der Ausländer nur unter besonders schwierigen Bedingungen oder gar nicht erfüllen kann. So liegt der Fall des die libanesische Staatsangehörigkeit besitzenden Klägers. Das Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat daher seine Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers unter der Hinnahme von Mehrstaatigkeit erteilt. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2011 erklärt, dass es bei dieser Erklärung bleibe.

Auch Ausschlussgründe nach § 11 StAG liegen im Falle des Klägers im Ergebnis nicht vor. Insbesondere fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (§ 11 Satz 1 Nr. 2 StAG).

Der Ausschlussgrund des 11 Satz 1 Nr. 2 StAG verlangt in Bezug auf die Person des Ausländers, der die Einbürgerung beantragt, die Feststellung des begründeten Verdachts einer Unterstützung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen sowie die fehlende glaubhafte Abwendung von derartigen Bestrebungen. Es genügt, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine derartige Annahme begründen (BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - BVerwG 5 C 24.08 -, BVerwGE 135, 302, 305, Rn. 15, Buchholz, 130 § 11 StAG Nr. 5, S. 12). Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch benennbar konkrete Tatsachen gestützt sind, reichen nicht aus. Die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen dargelegt und einer Beweisführung zugänglich gemacht werden. Die Einbürgerungsbehörde ist für die Anknüpfungstatsachen darlegungs- und beweispflichtig (OVG Koblenz, Beschl. v. 17.02.2009 - 7 A 11063/08 -, juris; VGH Mannheim, Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, juris, Rn. 40). Die Vorlage "schlichter" Behördenzeugnisse, die sich in pauschalen Behauptungen erschöpfen und nicht durch Angabe konkreter, eine Einschätzung der Verlässlichkeit ermöglichender Tatsachen untermauert werden, können dem Tatrichter regelmäßig nicht die volle Überzeugung von der Wahrheit substantiiert bestrittener Tatsachenbehauptungen vermitteln. Unter solchen Umständen wird es in der Regel des ergänzenden Rückgriffs auf andere Erkenntnisquellen bedürfen, die das Tatsachengericht zusammen mit dem Inhalt des Behördenzeugnisses im Rahmen seiner Überzeugungsbildung umfassend zu würdigen hat (BVerwG, Urt. v. 21.05.2008 - 6 C 13/07 -, BVerwGE 131, 171, 180, Rn. 31). Im Falle von nachrichtendienstlichen Quellen kann ein die Information besonders absicherndes Verfahren eine gewisse Richtigkeitsgewähr begründen (BayVGH, Urt. v. 05.03.2008 - 5 B 05.1449 -, juris, Rn. 51).

Im Falle des Klägers besteht ein nach dem oben Gesagten erforderlicher konkreter Anhaltspunkt, d.h. ein auf konkrete Tatsachen gestützter begründeter Verdacht einer Unterstützung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen, allenfalls aufgrund des Vermerkes des BKA vom 15. Oktober 2001. Ob die Existenz dieses Vermerkes allein bereits die Annahme eines tatsächlichen Anhaltspunktes i.S.d. § 11 StAG erlaubt, wie es das Verwaltungsgericht angenommen, der Kläger aber in Abrede gestellt hat, kann der Senat - anders als noch das Verwaltungsgericht - nunmehr jedoch dahinstehen lassen. Der Vermerk ist nach der Behördenerklärung des BND vom 27. Juli 2011 kein ausreichender konkreter Anhaltspunkt für die Annahme der zuvor genannten Bestrebungen mehr. Der Senat vermag sich von der Wahrheit der in ihm angesprochenen Umstände keine ausreichende Überzeugung zu bilden.

Zunächst hat der Kläger die in ihm enthaltenen Umstände einer Ausbildung in einem angeblich unter der Leitung von Usama Bin Laden stehenden Trainingscamps im Libanon im Jahre 1996 (dies wäre ausgehend vom Jahr der Entstehung des Vermerkes 2001 "vor fünf Jahren") u.a. mit dem Hinweis, er sei in dieser Zeit überwiegend in Deutschland gewesen, bestritten. Zugleich ist über die Entstehung des Vermerkes, insbesondere die Quelle der Information und ihre Verlässlichkeit, geschweige denn über eine gewisse Richtigkeitsgewähr, nichts bekannt geworden. Die Versuche des Senates, darüber Näheres in Erfahrung zu bringen, sind erfolglos geblieben. Der Beklagte bzw. insbesondere die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern haben zur Aufhellung dieser Fragen im Ergebnis nichts beigetragen bzw. sich dazu nicht in der Lage gesehen. Das Innenministerium hat mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 30. August 2007 zunächst ausdrücklich mitgeteilt, ihm sei es nicht möglich, weitere Erkenntnisse zur Quelle zu erlangen. Es sei jedoch "gelungen, Informationen zu erlangen, die die Existenz des Lagers bestätigten. Dafür lägen Erkenntnisse aus offenen wie aus verdeckten Quellen vor. Dazu werde auf ein Schreiben an die Einbürgerungsbehörde vom 08. Juli 2005 verwiesen, in dem Informationen zu terroristischen Aktivitäten dargelegt worden seien." Aus diesem zu einer umfangreichen Anhörung des Klägers entstandenen Schreiben ergeben sich jedoch keine die Person des Klägers betreffenden konkreten Umstände, sondern einzig allgemeine Einschätzungen zum Wirken terroristischer Gruppen im Libanon, eine Bewertung der Einlassung des Klägers, er habe von diesen Gruppierungen wie von der Person Bin Ladens zu der Zeit, als er noch im Libanon gelebt habe, keine Kenntnis gehabt sowie den Kläger betreffende Schlussfolgerungen.

Die danach schon vorhandenen Zweifel, ob der Vermerk des BKA vom 15. Oktober 2001 der Wahrheit entsprechende Umstände beschreibt, haben im Verlauf des Berufungsverfahrens entscheidend zugenommen. Der BND hat mit Behördenerklärung vom 27. Juli 2011 mitgeteilt, ihm lägen über die Person des Klägers keine Erkenntnisse vor, zum Bestehen von Trainingslagern nahe oder in der Ortschaft Sir ad-Dinniye im Jahr 1996 könnten mangels einschlägiger Informationen keine Aussage getroffen werden, ein Aufenthalt Usama Bin Ladens im Nordlibanon im Jahr 1996 sei wenig wahrscheinlich; dafür, dass er ein Trainingslager in der Region geleitet haben soll, gebe es keinerlei Hinweise und man halte daher diesen Aspekt für nicht glaubhaft. Der BND ist die für die Beschaffung und Auswertung von Informationen über das Ausland, die für die Bundesrepublik von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind, zuständige Behörde. Wenn diese Behörde keine Erkenntnisse über den Kläger hat und sie die Leitung des fraglichen Trainingscamps durch Bin Laden, das der Kläger besucht haben soll, für nicht glaubhaft hält, so sieht der Senat keinen Ansatzpunkt mehr, sich dennoch von der Richtigkeit der in dem Vermerk des BKA vom 15. Oktober 2001 angesprochenen Umstände zu überzeugen. Dieser Vermerk des BKA ist während des gesamten Verlaufes des langjährigen Einbürgerungsverfahrens, nachdem dem Einbürgerungsbegehren des Klägers zunächst allein seine Ehe betreffende Bedenken entgegengehalten worden sind, der einzige tatsächliche Anhaltspunkt gewesen, der für einen Ausschlussgrund nach § 11 StAG gesprochen haben sollte. Dieser Anhaltspunkt ist nach der Erklärung des BND vom 27. Juli 2011 weitgehend entkräftet.

Entgegen der Auffassung des Beklagten bestehen auch keine anderweitigen Anhaltspunkte i.S.d. § 11 StAG, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass der Kläger Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eine Landes gerichtet sind. Solche Anhaltspunkte können insbesondere nicht den zahlreichen inzwischen vorliegenden Protokollen über Vernehmungen des Klägers, seiner Ehefrau und weiterer Personen in Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Anschlägen vom 11. September 2001 entnommen werden. [...]

Liegen danach keine tatsächlichen Anhaltspunkte i.S.v. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG vor, so können solche auch nicht durch eine "Gesamtschau", wie sie der Vertreter der Beklagten insbesondere in seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung befürwortet hat, ersetzt werden. Allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch benennbar konkrete Tatsachen gestützt sind, reichen – wie ausgeführt – nicht aus. Daher kommt etwa auch die in diesem Zusammenhang erwähnte Berücksichtigung des Umstandes, dass angeblich Familienmitglieder des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben sollen, als tatsächlicher Anhaltspunkt für Bestrebungen nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG von vornherein nicht in Betracht. Ließe man eine solche "Gesamtschau" für sich allein nicht ausreichender einzelner Anhaltspunkte zu, setzte man sich über das gesetzliche Erfordernis hinweg, dass sich die für den Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG erforderliche Annahme auf konkrete, dem Betroffenen zurechenbare Tatsachen stützen lassen muss. Dies wäre nicht zulässig. [...]