VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.02.2012 - A 3 S 1876/09 - asyl.net: M19558
https://www.asyl.net/rsdb/M19558
Leitsatz:

1. Es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit gegenwärtig in den Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens von Verfolgung betroffen sein werden oder dass für sie eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Ihnen steht, sofern sie politisch unverdächtig und erwerbsfähig sind, in den Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine zumutbare inländische Fluchtalternative bzw. ein interner Schutz i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung.

2. Ob dieser Personenkreis in Tschetschenien einer (regionalen) Gruppenverfolgung - mit der erforderlichen Verfolgungsmotivation und Verfolgungsdichte - unterlag oder unterliegt, kann daher offenbleiben (wie VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: interne Fluchtalternative, interner Schutz, Tschetschenien, Tschetschenen, Russische Föderation, Russland, Registrierung, Inlandspass, Existenzgrundlage
Normen: RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL 2004/83/EG Art. 8, RL 2004/83/EG Art. 15, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2
Auszüge:

[...]

Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige - insbesondere mit ihrer Begründung den Vorgaben des § 124a Abs. 6 VwGO entsprechende - Berufung des Klägers ist unbegründet. [...]

2. Ob der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise einer - regionalen - Gruppenverfolgung in Tschetschenien ausgesetzt war und noch ist (letzteres verneindend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20) bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn dem Kläger steht jedenfalls in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens eine inländische Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG und damit ein interner Schutz im Sinne des Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung. Es ist ihm zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, an dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.

Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die Bewohner Tschetscheniens im Zeitpunkt seiner Ausreise einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Ob dies tatsächlich der Fall war - ob mithin tschetschenische Volkszugehörige aus Tschetschenien dort aus asylerheblichen Gründen (wegen ihres Volkstums oder ihrer politischen Überzeugung) in der erforderlichen Verfolgungsdichte und -intensität von staatlichen russischen [oder der tschetschenischen Republik zuzuordnenden] Stellen verfolgt wurden - braucht demgemäß nicht entschieden zu werden. Die Gefahr einer künftigen Verfolgung des Klägers ist deshalb zwar unter Zubilligung der sich aus Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ergebenden Beweiserleichterung zu prüfen. Es sprechen im Sinn dieser Bestimmung jedoch stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger gegenwärtig jedenfalls in den übrigen Teilen der Russischen Föderation von irgendeiner Art von Verfolgung betroffen sein wird oder dass eine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 RL 2004/83/EG). Das gilt auch für Vorfälle, denen sich die Bevölkerung Tschetscheniens bis zur Ausreise des Kläger allgemein ausgesetzt gesehen hat.

Auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Art. 8 RL 2004/83/EG, an denen die Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative zu messen ist (BVerwG vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007,590), steht politisch

unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG zur Verfügung (vgl. BayVGH, Urteil vom 29.01.2010 - 11 B 07.30343 -, juris; Urteil vom 21.06.2010 – 11 B 08.30103 -, juris; Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.11.2009 - 2 Bf 337/02.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.03.2009 - OVG 3 B 16.08 -, juris; OVG Sachen-Anhalt, Urteil vom 31.07.2008 - 2 L 23/06 -, juris; HessVGH, Urteil vom 21.02.2008 - 3 UE 191/07.A -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 29.05.2006 - 3 Q 1/06 -; juris; NdsOVG, Beschluss vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.02.2011 - A 5 A 152/09 -). Davon ist auch für den Fall des Klägers auszugehen.

a.) Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger politisch unverdächtig ist. Eine politisch relevante gegen die tschetschenische Republik, gegen Russland und die Russische Föderation insgesamt gerichtete Tätigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft dargelegt. Dies gilt insbesondere - wie der Senat oben aufgezeigt hat - für die Behauptung des Klägers, er habe in den Jahren 1999 bis 2003 für Menschenrechtsorganisationen Informationen gesammelt. Den Angaben des Klägers, soweit sie überhaupt glaubhaft sind, ist auch nichts für ein Strafverfahren gegen ihn zu entnehmen. Ebenso wenig führt allein der Umstand, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, dazu, dass er nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation - jedenfalls außerhalb Tschetscheniens - deshalb staatlich verfolgt wird (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Anlass, entsprechend den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) Beweis zu erheben. Weder die vom Senat als widersprüchlich erachteten Angaben des Klägers noch seine Asylantragstellung und sein langjähriger Auslandsaufenthalt vermögen die in den hilfsweise gestellten Beweisanträgen aufgestellte Behauptung zu begründen, er könnte bei einer Rückkehr als Verräter und Spion oder als tschetschenischer Terrorist angesehen werden.

b.) Dem Kläger ist es auch möglich, sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens niederzulassen.

Art. 27 der russischen Verfassung von 1993 garantiert die Niederlassungsfreiheit. Dieses Recht ist allerdings strikt begrenzt durch regionale und lokale Bestimmungen und durch das de facto vielerorts noch gültige Propiska-System, das vor dem mit dem Föderationsgesetz im Jahre 1993 eingeführten Registrierungssystem galt und das nicht nur eine Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vorsah. Nach dem Registrierungssystem ist Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung, dass der Antragsteller einen Wohnraumnachweis führen kann und über einen russischen Inlandspass verfügt. Ein in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht für eine dauerhafte Registrierung nicht aus (AA, Lagebericht vom 18.08.2006, S. 26). Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an, weshalb Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens erhebliche Schwierigkeiten haben, eine offizielle Registrierung zu erhalten. Besonders in Moskau haben zurückgeführte Tschetschenen in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie über genügend Geld verfügen oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können.

Die genannten Registrierungsvoraussetzungen gelten im ganzen Land. Gleichwohl ist eine offizielle Registrierung in anderen Regionen der Russischen Föderation, vor allem in Südrussland, grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum - eine der Registrierungsvoraussetzungen - dort erheblich billiger ist als in der russischen Hauptstadt mit ihren hohen Mieten. Neben Moskau, wo etwa 200.000 Tschetschenen leben, ist es Tschetschenen auch gelungen, sich in den Gebieten Rostow, Wolgograd, Stawropol, Krasnodar, Astrachan, Nordossetien und in Karatschajewo-Tscherkessien anzusiedeln (AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007, Hrsg. Svetlana Gannuschkina, "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007" - im Folgenden: Memorial-Bericht Oktober 2007).

Der für die Registrierung erforderliche Inlandspass kann nach der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 "am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung" und damit auch außerhalb Tschetschenien beantragt werden (AA, Lagebericht vom 07.03.2011). Ethnische Tschetschenen, die sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen wollen, müssen zwar damit rechnen, dass ihnen die Bestätigung der Anmeldung (die sog. "Registrierung") verweigert werden könnte (vgl. dazu die Abschnitte II.4 und IV.2 des Lageberichts vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Diese - rechtswidrige - Praxis ist unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG indessen nicht erheblich, da das Vorenthalten der Einstempelung in den Inlandspass, durch den die erfolgte Anmeldung einer Person beurkundet wird, als solches nicht mit einer Verletzung der in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" und "Freiheit" einhergeht. Auch werden durch ein derartiges behördliches Verhalten nicht grundlegende Menschenrechte im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG schwerwiegend beeinträchtigt. Zwar legalisiert erst eine Registrierung den Aufenthalt des Betroffenen; zudem ist sie Voraussetzung für den Zugang zur Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, zum offiziellen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente (vgl. AA, Lagebericht vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011; Memorial-Bericht Oktober 2007). Mit der Nichterteilung einer Zuzugsgenehmigung in eine bestimmte Gemeinde oder Stadt ist nach dem Charakter der Maßnahme aber nicht ein - zielgerichteter - Eingriff in das Leben oder die Gesundheit intendiert, sondern lediglich eine Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; BVerwG, 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 = NVwZ 2009, 982). Ferner ergibt sich aufgrund der Erkenntnislage, dass gerade in bestimmten Großstädten der Russischen Föderation, teilweise aber auch darüber hinaus die Registrierungsverweigerung der lokalen Behörden nicht an die tschetschenische Volkszugehörigkeit oder die Herkunft aus dem Nordkaukasus anknüpft, sondern sämtliche Zuzugswilligen in gleicher Weise betrifft (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.01.2007 - 13 LA 67/06 -, juris; Beschluss vom 24.06.2006 - 13 LA 398/05 -, juris; OVG Bremen, Urteil vom 31.05.2006 - 2 A 112/06.A -, juris). Schließlich wird die Ausgrenzung aus der staatlichen Rechtsgemeinschaft, die der Nichtbesitz einer Registrierung in Bezug auf wichtige Lebensbereiche deshalb nach sich ziehen kann, dadurch spürbar gemildert, dass die Registrierungspflicht - nach Änderung der Registrierungsvorschrift am 22.12. 2004 - nunmehr erst nach 90 Tagen ab dem Beginn des Aufenthalts an einem Ort Platz greift (Memorial-Bericht Oktober 2007; OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20; BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris). Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung tatsächlich keine Anwendung findet, sind nicht ersichtlich.

Ungeachtet dessen können sich Tschetschenen mit sehr guten Erfolgsaussichten gegen derartige Rechtsverstöße zur Wehr setzen, ohne dass sie vorübergehend nach Tschetschenien zurückkehren müssten. In den zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten, seit 2002 erschienenen Berichten der Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es durch die Einschaltung von Abgeordneten, Journalisten, Menschenrechtsorganisationen oder Rechtsanwälten sowie erforderlichenfalls durch das Beschreiten des Rechtswegs gelungen ist, Tschetschenen eine Registrierung zu verschaffen. In Gestalt der 58 Beratungsstellen, über die die Organisation "Migration und Recht" verfügt, steht Betroffenen ein russlandweites Netz zur Verfügung, in dem jährlich mehr als 20.000 Menschen beraten werden. Soweit nicht bereits mit außerprozessualen Mitteln Abhilfe geschaffen werden kann, darf zumindest in aller Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor Gericht Recht erhalten wird. Denn die russischen Gerichte üben Verwaltungskontrolle nach US-Vorbild aus; behördliche Bescheide können vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht angefochten werden. Die Gerichte sind die einzigen staatlichen Institutionen in Russland, die Tschetschenen Rechtsschutz gewähren. Da stattgebende gerichtliche Entscheidungen im Durchschnitt nach einigen Monaten ab Verfahrenseinleitung ergehen, kann ungeachtet des Umstandes, dass die Verwaltung fallweise rechtswidrige Bescheide trotz ihrer Aufhebung mehrmals erlassen hat, nicht davon gesprochen werden, eine Verweigerung der Registrierung stelle einen Eingriff in nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG geschützte Rechte dar, der zudem die nach diesen Bestimmungen erforderliche Schwere erreicht. Soweit es einige Monate dauern sollte, bis der Kläger eine Registrierung erhält, kann dieser Zeitraum durch Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm und durch Aushilfstätigkeiten überbrückt werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).

c.) Bei einer Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation als Tschetschenien hätte der Kläger auch keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Verfolgung im Hinblick auf ihm dort etwa drohende polizeiliche Maßnahmen zu befürchten.

Auch wenn der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen etwas abgenommen hat, berichten russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit; die Angehörigen dieses Personenkreises stünden unter einer Art Generalverdacht (AA, Lageberichte vom 04.04.2010 und vom 07.03.2011). Personenkontrollen auf der Straße oder in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen fänden weiterhin statt, hätten jedoch an Intensität nachgelassen; Anweisungen russischer Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen seien nicht bekannt (AA, Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011).

Auch derartige Vorgänge sind indessen unter dem Blickwinkel des § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 9 RL 2004/83/EG grundsätzlich noch nicht rechtserheblich. Muss ein Tschetschene häufiger seinen Ausweis vorzeigen oder sieht er sich öfter mit Durchsuchungsmaßnahmen konfrontiert, als das bei sonstigen Bewohnern der Russischen Föderation der Fall ist, so mag diese Schlechterstellung zwar an die Volkszugehörigkeit, das körperliche Erscheinungsbild oder die regionale Herkunft - und damit an ein Merkmal im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 10 Abs. 1 RL 2004/83/EG - anknüpfen. Da solche polizeiliche Handlungen indes weder die in § 60 Abs. 1 AufenthG erwähnten Schutzgüter "Leben", "körperliche Unversehrtheit" oder "Freiheit" noch grundlegende Menschenrechte (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2004/83/EG) verletzen und sie die Betroffenen auch nicht im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG in ähnlich gravierender Weise beeinträchtigen, kommt diesen Praktiken - ungeachtet ihres diskriminierenden Charakters - im Regelfall keine flüchtlingsrechtliche Relevanz zu.

Eine hiervon abweichende Betrachtung wäre dann geboten, wenn es bei derartigen Kontroll- oder Durchsuchungsmaßnahmen zu Übergriffen auf Leib oder Leben der Betroffenen käme oder sie mit einem Freiheitsentzug einhergehen würden, der von seiner zeitlichen Länge her den Rahmen übersteigt, innerhalb dessen eine Person auch in einem Rechtsstaat durch die vollziehende Gewalt vorübergehend festgehalten werden darf. Dass sich der Kläger solchen Praktiken ausgesetzt sehen wird, lässt sich jedoch mit praktischer Sicherheit ausschließen. Gleiches gilt für die Besorgnis, ihm könnten gefälschte Beweismittel untergeschoben werden, um ihn ungerechtfertigt mit einem Strafverfahren zu überziehen. Denn eine Auswertung der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass jedenfalls solche Tschetschenen, bei denen es sich nicht um junge Männer handelt, die sich - unmittelbar aus dem früheren Bürgerkriegsgebiet kommend - in andere Teile der Russischen Föderation begeben haben, und die auch nicht durch individuelles rechtswidriges Vorverhalten Anlass für ein polizeiliches Einschreiten gegeben haben, bei Kontakten mit den staatlichen Sicherheitsorganen keine Übergriffe befürchten müssen, denen flüchtlingsrechtliche Relevanz zukommt. So liegt der Fall beim Kläger. Zum einen hat er etwa neun Jahre im Ausland verbracht, so dass keine Rede davon sein kann, dass er direkt aus dem Bürgerkriegsgebiet in andere Gebiete der Russischen Föderation eingereist ist. Zum anderen hat er auch nicht glaubhaft angegeben, in einer militärisch organisierten Rebelleneinheit gekämpft zu haben. Aus den Erkenntnismitteln geht hervor, dass bei Tschetschenen, die nicht die vorbezeichneten Ausnahmekriterien erfüllen, stichhaltige Gründe dagegen sprechen, sie könnten mit ungerechtfertigten strafrechtlichen Vorwürfen überzogen werden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris).

d.) Die in der Russischen Föderation zu beobachtenden Vorkommnisse, deren Ursache in rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven zu suchen sind, stehen der Annahme einer inländischen Fluchtalternative bzw. eines internen Schutzes nach § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 RL 2004/83/EG gleichfalls nicht entgegen.

Der Senat übersieht nicht, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen. M. Grob (SFH vom 12.09.2011) spricht davon, dass Rassismus gegenüber Kaukasiern in Russland weit verbreitet sei und auch gewalttätigen Charakter habe. Hierbei handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Aussage; nachvollziehbare Einzelheiten werden nicht angegeben. Auch R. Mattern (SFH vom 03.06.2010) berichtet von Rassismus als gesellschaftliches Problem. Gefährdungen bestünden für Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Allerdings würden russische Sicherheitskräfte versuchen, rassistische Gewalt mit repressiven Methoden zu bekämpfen. Allein im ersten Quartal 2010 seien in 18 Urteilen 74 Personen wegen rassistischer Gewalt verurteilt worden. Im Lagebericht des AA vom 07.03.2011 werden keine asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Rassismusvorfälle gegenüber Tschetschenen berichtet, die nicht nach Tschetschenien, sondern in andere Teile der Russischen Föderation zurückkehren. Im Bericht von U. Rybi (FFH vom 25.11.2009) finden sich hierzu gleichfalls keine Angaben. Zwar spricht auch der Memorial-Bericht April 2009 (Hrsg. Svetlana Gannuschkina, "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, Oktober 2007 - April 2009" - im Folgenden: Memorial-Bericht April 2009) von einem "neuen" Feindbild in Russland, das sich gegen Tschetschenen richte. Die Berichterstattung beschreibt aber im Wesentlichen ein geistiges Klima. Gewalttätige Übergriffe rechtsradikaler russischer Kräfte auf Tschetschenen, die staatlicherseits initiiert oder geduldet würden, werden in einem asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Ausmaß hingegen - auch im vorausgehenden Memorial-Bericht Oktober 2007, - nicht geschildert. Soweit es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und in Naltschik - der Hauptstadt der Republik Kabardino-Balkarien - zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen gekommen ist (vgl. Memorial-Bericht 2006 [Juli 2005 - Juli 2006]), sind solche Vorkommnisse, bei denen die Gewalttätigkeiten im Übrigen auch von der tschetschenischen Seite ausgingen, in jüngerer Zeit nicht mehr bekannt geworden (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 09.08.2010 - 11 B 09.30091 -, juris; Urteil vom 11.11.2010 - 11 B 09.30087 -, juris). Den Erkenntnismitteln kann bei der gebotenen Objektivität nicht entnommen werden, dass ethnische Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe aus fremdenfeindlichen Beweggründen werden. Angesichts der Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben über gegen sie gerichteten Maßnahmen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen asyl- bzw. flüchtlingserheblichen Verfolgungsbetroffenheit (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 29.04.2010 - 2 A 315/08.A -, EZAR-NF 62 Nr. 20. Die Frage, inwieweit sich der russische Staat solche von gesellschaftlichen Kräften ausgehenden Übergriffe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG zurechnen lassen muss, kann deshalb auf sich beruhen.

e.) Dem Kläger droht aufgrund seines Alters von 55 Jahren auch nicht mehr die Einberufung zum Wehrdienst in der russische Armee (vgl. Lagebericht vom 4.4.2010, wonach die allgemeine Wehrpflicht nur für Männer zwischen 18 und 28 Jahren besteht).

f.) Dem Auswärtigen Amt sind ferner keine Fälle bekannt geworden, in denen tschetschenische Volkszugehörige bei oder nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt waren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.2011). Zwar geht das Auswärtige Amt davon aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren; diese Befürchtung bezieht sich jedoch insbesondere auf solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren (Lageberichte vom 4.4.2010 und vom 07.03.201; vgl. insoweit auch BayVGH, Urteil vom 11.11.2010 – 11 B 09.30087 -, juris). Zu diesen besonderen Risikogruppen gehört der Kläger indessen nicht.

g.) Dem Kläger ist auch mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums eine Aufenthaltsnahme in den übrigen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zumutbar.

Eine interne Fluchtalternative im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2004/83/EG setzt neben der - oben dargelegten - Verfolgungssicherheit voraus, dass von dem Kläger vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative existentiellen Bedrohungen ausgesetzt sein wird, wobei es im Hinblick auf die Neufassung des § 60 AufenthG zur Umsetzung der RL 2004/83/EG nicht (mehr) darauf ankommt, ob diese Gefahren am Herkunftsort ebenso bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11/07 -, BVerwGE 131, 186). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. RL 2004/83/EG kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2004/83/EG zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben.

Eine existentielle Bedrohung ist gegeben, wenn das Existenzminimum nicht gesichert ist. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen "mafiöser" Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 -, juris). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96.06 -, juris; Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Kläger jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, NVwZ 2007, 590).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger - nach der gegenwärtigen Sachlage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2004/83/EG) - zuzumuten und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, in dem er vor Verfolgung sicher ist und wo sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum gewährleistet ist.

Wie bereits ausgeführt erweitert die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 die Möglichkeit zur Beantragung und Ausstellung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden (vgl. AA, Lageberichte vom 22.11.2008 und vom 07.03.2011; ebenso Memorial-Bericht Oktober 2007). Die Innehabung eines gültigen Inlandspasses ist ihrerseits Voraussetzung für die in diesen Pass zu stempelnde Wohnsitzregistrierung. Die Registrierung, die dem Kläger - wie oben ausgeführt - wenn auch ggf. mit leichter Verzögerung ebenso wie seiner Ehefrau möglich ist, legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (vgl. AA, Lagebericht vom 07.03.2011; Memorial-Bericht, Oktober 2007). Mit der Registrierung besteht auch für die Kinder des Klägers Zugang zur Bildung (Memorial-Bericht Oktober 2007). Svetlana Gannuschkina berichtet im Memorial-Bericht Oktober 2007, dass im vergangenen Jahr keine Klagen von Menschen aus Tschetschenien über Diskriminierung bei der Arbeitsaufnahme vorlägen.

Die persönlichen Umstände des Klägers rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Kläger ist mit 55 Jahren noch in einem arbeitsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau mit 44 Jahren deutlich jünger ist und damit ebenfalls durch legale Arbeit infolge Registrierung zum notwendigen Lebensunterhalt beitragen kann. So berichtet Svetlana Gannuschkina, dass tschetschenische Frauen auf der Straße und den Märkten durch Handel ihr Geld verdienen können (Memorial-Bericht Oktober 2007). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine seine Arbeitsfähigkeit wesentlich einschränkende Erkrankung substantiiert dargelegt. Dem Senat liegt zwar das psychologische Gutachten des Evangelischen Migrationsdienstes in Württemberg e.V. vom 26.10.2006 über den Kläger vor. Darin wird angegeben, der Kläger leide an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Zusätzlich bestehe eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger indessen lediglich angegeben, er gehe ein- bis zweimal im Monat zum Arzt. Er leide an Bluthochdruck. Er sei auch in Behandlung wegen der Nerven und wegen Operationen. Weitere detaillierte Angaben hat der Kläger nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass für den Kläger infolge der Registrierung ein Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem besteht und posttraumatische Belastungsstörungen in der Russischen Föderation in großen und größeren Städten grundsätzlich behandelt werden können (vgl. R. Mattern, SFH, Auskunft vom 20.04.2009), kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens Aufenthalt zusammen mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zu nehmen. Angesichts dessen, dass der Kläger zu seiner psychischen Erkrankung, wie sie im psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 - also vor mehr als sechs Jahren - dargestellt wird, keine weiteren substantiierten Angaben gemacht hat, insbesondere dem Senat nicht erläutert hat, ob die seinerzeit diagnostizierte psychische Erkrankung überhaupt noch besteht und wenn ja, welche Behandlungsmaßnahmen erfolgen, war dem vom Kläger hilfsweise gestellten Beweisantrag Ziff. 3 (vgl. den als Anhang zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung genommenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 15.02.2012) auf Einholung eines Gutachtens von Herrn Dr. Txxxxx Sxxxxx zum Beweis der Tatsache, dass "der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chronifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sinne eines Verdrängungsmechanismus, so dass bei einer Rückkehr oder Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden würde, eine sog. Retraumatisierung in jedem Fall jedoch diese Erkrankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung akut verschlimmert", nicht nachzugehen. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute posttraumatische Belastungsstörung und erst recht nicht für eine chronifizierte Persönlichkeitsänderung zu entnehmen. Die entsprechenden Behauptungen im Beweisantrag werden daher nicht durch tatsächliche Indizien gestützt. Sie erscheinen vielmehr als "ins Blaue hinein" erhoben; der Beweisantrag ist daher als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Für den Senat kommt hinzu, dass - wie bereits aufgezeigt - in der Russischen Föderation posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können. Weiterhin wird in dem psychologischen Gutachten vom 26.10.2006 ausgeführt, dass die Sorge um die Rückkehr aufgrund massiver Ängste vor einer möglichen Folterung und/oder Ermordung zwar die Symptomatik verstärke, jedoch nicht die Ursache der Erkrankung sei. Die Symptomatik und die Verhaltensweisen könnten zudem nicht durch eine Sorge vor einer möglichen Rückkehr erklärt werden. Auch könne die Entwurzelung im Exilland (Unkenntnis der Landessprache, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse) als Ursache der bestehenden psychischen Störung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zusätzlich festzustellen, dass das Gutachten von einer Rückkehr nach Tschetschenien ausgegangen ist. Da der Kläger sowohl tschetschenisch als auch russisch versteht und spricht, kann von einer Unkenntnis der Landessprache wohl nicht ausgegangen werden. Auch besteht angesichts der fehlenden inhaltlich aussagekräftigen Angaben des Klägers zu seiner derzeitigen psychischen Verfassung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Niederlassung in einem anderen Teil der Russischen Föderation als Tschetschenien eine Registrierung erst nach dem Ablauf einer Zeitspanne erhalten wird, die so lange ist, dass sich ein aus seiner psychischen Verfassung ergebendes Lebens- bzw. Gesundheitsrisiko - wie im Beweisantrag behauptet - bis dahin realisieren könnte.

In Würdigung all dessen kann vom Kläger vernünftigerweise verlangt werden, dass er sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens aufhält. Nach den eben beschriebenen dortigen allgemeinen Gegebenheiten besteht für den Kläger weder eine begründete Furcht vor Verfolgung noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. [...]