OLG Hamburg

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Zitieren als:
OLG Hamburg, Beschluss vom 25.01.2012 - 1 Ss 196/11 - asyl.net: M19609
https://www.asyl.net/rsdb/M19609
Leitsatz:

1. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) dahingehend auszulegen, dass eine Bestrafung nach dieser Norm ausgeschlossen ist, wenn und soweit einem Ausländer, dessen Aufenthalt des Ausländerbehörden bekannt ist, illegaler Aufenthalt nur während des laufenden Rückführungsverfahrens zur Last gelegt wird.

2. Die Rückführungsrichtlinie stellt es den Mitgliedsstaaten frei, wenn mit Zwangsmaßnahmen nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie das angestrebte Ziel der Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen nicht erreicht werden konnte, Maßnahmen zu treffen, die es insbesondere ermöglichen, Drittstaatsangehörige vom illegalen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet abzuhalten.

Schlagwörter: unerlaubter Aufenthalt, Rückführungsrichtlinie, Rückkehrentscheidung, freiwillige Ausreise, Ausreisefrist, Zwangsmaßnahmen, Untertauchen, EuGH
Normen: AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 2 b
Auszüge:

[...]

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch des illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet gemäß § 95 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG in alter und neuer Fassung.

a) Nach § 95 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG in der bis zum 25.11.2011 geltenden Fassung wird bestraft, wer ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, vollziehbar ausreisepflichtig ist und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist.

Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte algerischer Staatsangehöriger und nicht im Besitz des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitels. Seine vollziehbare Pflicht zur Ausreise ergab sich gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 50 Abs. 1 AufenthG daraus, dass die Aufenthaltsgestaltung mit Ablehnung seines Asylantrags am 24.08.2007 erloschen war. Die Abschiebung war nur bis zum 29.10.2008 gemäß § 62a AufenthG ausgesetzt, also danach vollziehbar. Der Angeklagte hielt sich gleichwohl bis zu seiner erneuten Verhaftung am 23.05.2011 im Bundesgebiet auf. Auch den Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht ausreichend festgestellt.

b) Mit Wirkung vom 26.11.2011 ist § 95 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG - in Umsetzung u.a. der Richtlinie 2008/115 EG (vgl. Gesetzesbegründung BT Ds 17/5470 vom 12.04.2011 S. 1) - geändert worden und lautet nunmehr:

"... wer

2. ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn a) er vollziehbar ausreisepflichtig ist,

b) ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und

c) dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist."

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft handelt es sich bei der Neufassung des § 95 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG um ein milderes Gesetz, weil die Strafbarkeit an eine weitere Voraussetzung geknüpft wird, nämlich die Nichtgewährung oder der Ablauf einer Ausreisefrist (§ 95 Abs. 1 Ziff. 2b AufenthG).

Das Landgericht hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen über die Nichtgewährung einer Ausreisefrist getroffen. Dem Urteil ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft am 20.10.2008 untergetaucht ist und sich in Kenntnis seiner bestehenden Ausreisepflicht der Kontrolle der Ausländerbehörde entzogen hat. Der Senat schließt bei dieser Sachlage aus, dass die Ausländerbehörde dem Angeklagten eine Frist zur Ausreise gewährt haben könnte, die über den bis zum 29.10.2008 befristeten Aufschub der Abschiebung hinausging. 2. Die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 95 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG ist nicht, wie die Verteidigung meint, durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie) ausgeschlossen; weder das Urteil des EuGH vom 28.04.2011 (C-61/11 EI Dridi, zitiert nach juris) noch das Urteil des EuGH vom 06.12.2011 (C-329/11 Achughbabian, zitiert nach juris) stehen einer Verurteilung entgegen.

a) Mit der am 13.01.2009 in Kraft getretenen Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis zum 24.12.2010 in nationales Recht umgesetzt werden sollte, wird das Ziel verfolgt, eine - unter Festlegung gemeinsamer Vorschriften auf der Ebene der Mitgliedstaaten - wirksame Rückkehr- und Rückübernahmepolitik in Bezug auf illegal aufhältige Drittstaatsangehörige zu schaffen, bei der die Höchstdauer des Freiheitsentzuges im Rahmen des Rückführungsverfahrens begrenzt und dadurch die Achtung der Grundrechte illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger gewahrt werden sollen.

Die Richtlinie schreibt dabei genau vor, welches Verfahren bei der Rückführung illegal aufhältiger Ausländer anzuwenden ist, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte dieses Verfahrens fest. Der erste Schritt besteht im Erlass einer Rückkehrentscheidung, wobei im Rahmen dieses einleitenden Schritts des Rückführungsverfahrens die freiwillige Ausreise grundsätzlich Vorrang haben soll, für die Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie eine Frist zwischen 7 und 30 Tagen vorsieht. Erfolgt die freiwillige Ausreise nicht binnen dieser Frist, sind die Mitgliedstaaten nach der Rückführungsrichtlinie verpflichtet, eine zwangsweise Abschiebung unter Einsatz möglichst wenig intensiver Zwangsmaßnahmen vorzunehmen (Art. 8 Abs. 1 und 4). Nur wenn die Abschiebung durch das Verhalten des Betroffenen gefährdet zu werden droht, kann der Mitgliedstaat ihn zum Zwecke der Abschiebung in Haft nehmen, wobei die Haft so kurz wie möglich zu bemessen und in gebührenden Zeitabständen zu überprüfen ist (Art. 15). Die Richtlinie sieht somit eine Abstufung der zur Vollstreckung der Rückführungsentscheidung zu treffenden Maßnahmen und die Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in jedem Verfahrensstadium vor. Die Abstufung reicht dabei von der die Freiheit des Betroffenen am wenigsten beschränkenden Maßnahme - der Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise - bis zu der diese Freiheit am stärksten beschränkenden Maßnahme - der Inhaftnahme in einer speziellen Einrichtung (EuGH, Urteil vom 28.04.2011 Rn. 35 - 42). Da die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie vor Beendigung der Tat des Angeklagten nicht umgesetzt hat, obwohl dies bis zum 24.12.2010 hätte geschehen müssen, darf sich der Angeklagte nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 28.04.2011, Rn 46 m.w.N.) gegenüber den deutschen Behörden unter Berücksichtigung des Grundsatzes der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes auf die inhaltlich unbedingten und hinreichend genauen Bestimmungen der Richtlinie berufen. Die unmittelbare Anwendung der Richtlinie ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der deutsche Gesetzgeber, wenn auch verspätet, die Richtlinie inzwischen durch die Anpassung des nationalen Rechts umgesetzt hat.

b) Die demnach gebotene europarechtskonforme Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schließt eine Bestrafung nach dieser Norm aus, wenn und soweit einem Ausländer, dessen Aufenthalt den Ausländerbehörden bekannt ist, illegaler Aufenthalt nur während des laufenden Rückführungsverfahrens zur Last gelegt wird. Denn die Ausländerbehörden sind gehalten, gegen Ausländer, deren Aufenthalt ihnen bekannt ist und die sich trotz vollziehbarer Pflicht zur Ausreise weiterhin illegal im Bundesgebiet aufhalten, die in der Richtlinie vorgesehenen ausländerrechtlichen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Die Verhängung einer Strafe für unbotmäßiges Verhalten während des Rückkehrverfahrens ist in der Richtlinie nicht vorgesehen und daher in diesen Fällen ausgeschlossen. Dass ein Ausländer, dessen Aufenthalt den Ausländerbehörden bekannt ist, nicht wegen illegalen Aufenthalts bestraft wird, entspricht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.03.2003 (NStZ 2003, 488f) der ständigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte (vgl. BGH, Urt. v. 06.10.2004, 1 StR 76704, Rn. 11 und 12 - juris; zuletzt OLG Frankfurt, NStZRR 2009, 257). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH ist eine Bestrafung nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch die Richtlinie aber dann nicht ausgeschlossen, wenn und solange der Ausländer sich durch Untertauchen den gebotenen ausländerrechtlichen Maßnahmen entzieht, das Rückkehrverfahren damit quasi beendet. Im vorliegenden Fall war in Übereinstimmung mit dem durch die Richtlinie vorgegebenen mehrstufigen Rückführungsverfahren zunächst der Asylantrag abgelehnt und dem Angeklagten die Abschiebung angedroht worden. Auch noch nach Ablauf der zuletzt bis zum 29.10.2008 befristeten offiziellen Duldung hatte der Angeklagte - auch unter Berücksichtigung des sich aus der Richtlinie für die freiwillige Ausreise grundsätzlich zu gewährenden Zeitraums - ausreichend Zeit, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bis Ende November 2008 freiwillig zu verlassen. Dies hat er nicht getan. Durch sein Untertauchen hat er sich einem weiteren, geordneten Rückführungsverfahren, wie es die Richtlinie vorsieht, entzogen. Die Richtlinie verbietet es nicht, ein Verhalten unter Strafe zu stellen und mit Freiheitsstrafe zu ahnden, mit dem sich der Betroffene selbst wie hier der Angeklagte - außerhalb des Rückführungsverfahrens stellt, indem er sich der Aufsicht der Ausländerbehörde durch Untertauchen entzieht und dadurch verhindert, dass die Zuwanderung effektiv kontrolliert und der Prozess der Veränderung der Bevölkerungsstruktur und der Integration der ausländischen Bevölkerung in geordnete Bahnen gelenkt werden kann (vgl. insoweit zu Sinn und Zweck des früheren AuslG m. w. N.: BGH, Urteil vom 06.10.2004 - juris).

c) Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung der Richtlinie.

aa) Der EuGH hat mit Urteil vom 28.04.2011 (C-61/11 EI Dridi - juris) auf Vorlage eines italienischen Berufungsgerichts entschieden, dass die Richtlinie der Regelung eines Mitgliedsstaates entgegensteht, die vorsieht, dass gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen allein deshalb eine Haftstrafe verhängt werden kann, weil er entgegen einer Anordnung, das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedsstaates innerhalb einer bestimmten Frist zu verlassen, ohne berechtigten Grund in dessen Hoheitsgebiet verbleibt. Anlass jenes Vorabentscheidungsverfahren war, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Ausweisungsanordnung ergangen war, die damit begründet wurde, dass keine Beförderungs- oder sonstige Transportmittel zur Verfügung stünden und dass es aus Platzmangel nicht möglich sei, ihn vorübergehend in Abschiebehaft zunehmen. Nachdem sich bei einer Kontrolle fünf Monate später herausgestellt hatte, dass er der Ausweisungsanordnung nicht nachgekommen war, wurde er zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt aufgrund einer italienischen Strafnorm, die die Verhängung einer Strafe von einem bis zu vier Jahren Gefängnis allein wegen Verstoßes gegen die vorgenannte Ausweisungsanordnung vorsieht. In dem hier zu entscheidenden Fall hat sich der Angeklagte hingegen nicht allein dadurch strafbar gemacht, dass er im Bundesgebiet geblieben ist, obwohl er unter Fristsetzung zum Verlassen aufgefordert worden war. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr der Umstand, dass er sich durch Untertauchen der ausländerrechtlichen Kontrolle entzogen und mithin den Zweck einer sachgerechten Zuwanderungspolitik konterkariert hat. Dies rechtfertigt die strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung der Tat. Das durch die Richtlinie verfolgte Ziel der Schaffung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik in Bezug auf illegal aufhältige Drittstaatsangehörige wird dadurch nicht beeinträchtigt. So hat auch der Europäische Gerichtshof in der Begründung seiner Entscheidung vom 28.04.2011 ausgeführt, dass es den Mitgliedstaaten, wenn mit Zwangsmaßnahmen nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie das angestrebte Ziel der Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen nicht erreicht werden konnte, freisteht, Maßnahmen - auch strafrechtlicher Art - zu treffen, die es insbesondere ermöglichen, Drittstaatsangehörige vom illegalen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet abzuhalten (EuGH, a.a.O. Rn 52).

bb) Auch das Urteil des EuGH vom 06.12.2011 (C-239/11 - Achughbabian - juris), steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen, sondern stützt vielmehr die Auslegung des Senats. Der EuGH hat in jenem Vorabentscheidungsverfahren entschieden, dass die Richtlinie - der Regelung eines Mitgliedstaats, die den illegalen Aufenthalt mit strafrechtlichen Sanktionen ahndet, entgegensteht, soweit diese Regelung die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen zur Strafvollstreckung zulässt, der sich zwar illegal im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhält und nicht bereit ist, dieses Hoheitsgebiet freiwillig zu verlassen, gegen den aber keine Zwangsmaßnahmen im Sinne von Art. 8 dieser Richtlinie verhängt wurden und dessen Haft im Fall einer Inhaftnahme zur Vorbereitung und Durchführung seiner Abschiebung noch nicht die höchstzulässige Dauer erreicht hat, - einer solchen Regelung aber nicht entgegensteht, soweit diese die Inhaftierung; eines Drittstaatsangehörigen zur Strafvollstreckung zulässt, auf den das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückkehrverfahren angewandt wurde und der sich ohne einen Rechtfertigungsgrund für seine Nichtrückkehr illegal in dem genannten, Hoheitsgebiet aufhält. Gegenstand der Vorlage war eine französische Norm, die die Verhängung einer Strafe u.a. dann vorsieht, wenn ein Ausländer, der älter als 18 Jahre ist und sich in Frankreich aufhalten möchte, nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab seiner Einreise nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. Im Ausgangsstreit hatten die französischen Behörden einem armenischen Staatsangehörigen mit Verfügung vom 14.02.2009 den beantragten Aufenthaltstitel verweigert und das Verlassen des französischen Hoheitsgebiets innerhalb einer Frist von einem Monat angeordnet. Gleichwohl wurde der dortige Beschuldigte am 24.06.2011 im Rahmen einer Verkehrsraum-Identitätskontrolle angetroffen. Für den vorliegenden Fall ist der 2. Auslegungssatz des EuGH einschlägig. Auf den Angeklagten ist, solange er nicht untergetaucht war, das mit der Richtlinie geschaffene Rückführungsverfahren angewandt worden. Das Rückführungsverfahren endete, nachdem der Angeklagte sich durch Untertauchen der Kontrolle und weiteren Einflussnahme der Ausländerbehörde entzogen hatte: Weder konnten gegen ihn Zwangsmaßnahmen, etwa Abschiebung oder Abschiebehaft ergriffen noch sein Aufenthalt durch eine sei es auch nur vorübergehende weitere Duldung legalisiert werden (vgl. zu letzterem BGH, a.a.O.). Das Rückführungsverfahren endete schon deshalb, weil der Ausländerbehörde nicht bekannt war, ob der Angeklagte sich noch im Bundesgebiet aufhielt. Wenn - wie hier - der Angeklagte das Rückführungsverfahren durch aktives Sichentziehen - Untertauchen - unterläuft, kann er nicht gleichzeitig den Schutz dieses Verfahrens vor strafrechtlicher Sanktion in Anspruch nehmen.

cc) Soweit die Verteidigung demgegenüber einwendet, auch in den vom EuGH entschiedenen Fällen hätten sich die Beschuldigten den dortigen Rückführungsverfahren durch Untertauchen entzogen, wie sich aus dem Umstand ergebe, dass sie jeweils erst im Rahmen von allgemeinen Kontrollen festgenommen wurden, ist dem entgegenzuhalten, dass den Sachverhaltsschilderungen in den Vorabentscheidungen des EuGH gerade nicht zu entnehmen ist, ob die dortigen Beschuldigten vergleichbaren Kontrollen zur Durchführung des Rückführungsverfahrens unterworfen waren oder die dortigen Behörden allein darauf vertrauten, die Ausweisungsanordnung mittels der Strafandrohung durchzusetzen, ohne das in der Richtlinie weiter vorgesehene Rückführungsverfahren zu betreiben. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren eine abstrakte Rechtsfrage beantwortet und nicht den konkreten Fall entscheidet. Soweit die Verteidigung dem Urteil des EuGH vom 06.12.2011 entnehmen will, dass die Rückführungsrichtlinie einer Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalt auch in Fällen wie dem vorliegenden entgegenstehe, weil mit dem Auftauchen des Angeklagten am 23.05.2011 ein neues Rückführungsverfahren in Gang gesetzt worden ist, das durch die Durchführung des Strafverfahrens wegen des zuvor verwirklichten illegalen Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verzögert wird, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Ein derartiges Verständnis des 2. Auslegungssatzes des EuGH, würde bedeuten, dass dieser Auslegungssatz auf Ausländer, deren Aufenthalt weiterhin illegal ist, nie angewendet werden kann, deren aktive Vereitelung des Rückführungsverfahrens also sanktionslos bleibt, während mit späteren strafrechtlichen Konsequenzen wegen des illegalen Aufenthalts allenfalls diejenigen zu rechnen haben, deren Aufenthalt nach ihrem Auftauchen aus irgendeinem Grund legalisiert Wird. Eine derartige Interpretation seines 2. Auslegungssatzes hat der Europäische Gerichtshof ersichtlich nicht beabsichtigt.

3. Die Art und Höhe der Strafe sowie die Versagung der Bewährung sind angesichts der einschlägigen Vorstrafen und der Begehung der Tat zeitweise während des Laufes einer Bewährung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, § 349 Abs. 2 StPO.

III.

Der hilfsweise gestellte Antrag auf Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV an den Europäischen Gerichtshof lehnt der Senat ab, weil die für den vorliegenden Fall relevante Frage der Anwendung der Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof bereits ausreichend geklärt ist. Auch letztinstanzliche Gerichte eines Mitgliedsstaates sind nicht zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens verpflichtet, wenn die betreffende unionsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt. Das ist der Fall, wenn das nationale Gericht davon überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedsstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde (ständige Rechtsprechung des BVerfG, zuletzt Beschl. v. 04.10.2011 - 1 BvL 3/08, NJW 2012, 46 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Wie vorstehend (II.2. a.E.) ausgeführt würde der 2. Auslegungssatz des EuGH im Urteil vom 06.12.2011, der eine Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts ausnahmsweise zulässt, ad absurdum geführt, wenn er auf Fälle der vorliegenden Art keine Anwendung finden sollte. [...]