OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.01.2012 - 1 A 11463/11.OVG - asyl.net: M19649
https://www.asyl.net/rsdb/M19649
Leitsatz:

Der Widerruf von Familienasyl ist möglich, wenn der Stammberechtigte eingebürgert wurde.

Schlagwörter: Einbürgerung, deutsche Staatsangehörigkeit, Widerruf, Familienasyl, Familienflüchtlingsschutz, Treu und Glauben, Stammberechtigter, Familieneinheit
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 2 b S. 2, AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 3, AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1, AsylVfG § 26, StAG § 35
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. Der allein benannte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG liegt nicht vor. Wird eine grundsätzliche Bedeutung einer Sache geltend gemacht, so ist eingehend aufzuzeigen, inwiefern das erstrebte Berufungsverfahren zur Beantwortung einer entscheidungserheblichen konkreten Frage mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Weiterentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Zulassungsantrag des Klägers zeigt keine grundsätzlich bedeutsame Frage in diesem Sinne auf.

Die mit dem Zulassungsantrag des Klägers als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"ob die Asylanerkennung nach § 73 Abs. 2 b S. 2 AsyIVfG zu widerrufen ist, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, aufgrund Einbürgerung in den deutschen Staatsverband erloschen ist",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache. Der Kläger führt hierzu aus, die Vorschrift des § 73 Abs. 2 b S. 2 AsylVfG meine vom Wortlaut, Sinn und Zweck nicht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit als Widerrufsgrund. Der Stammberechtigte habe mit der Einbürgerung eine Rechtsstellung erworben, die über die Anerkennung als Asylberechtigter hinausgehe und Schutz vermittelte. Aus der Einbürgerung dürfe für die aufgrund gesetzlicher Wertung für schutzbedürftig eingestuften und anerkannten Familienmitglieder unter dem Gesichtspunkt der Akzessorietät keine negative Konsequenz verbunden sein. Dann werde aber die vom Gesetzgeber für schützenswert erachtete Familieneinheit mit den im Bundesgebiet noch lebenden anerkannten Familienangehörigen zerstört.

Dieser Auffassung steht indessen zunächst der klare Wortlaut des § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG entgegen. Hiernach ist die Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erloschen, wenn der Ausländer auf Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, genießt. Während Abs. 1 Nr. 2 den Erwerb einer früheren - fremden - Staatsangehörigkeit meint, ist hinsichtlich Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG kein Grund ersichtlich, den nachträglichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht unter diese Vorschrift zu subsumieren (ebenso Marx, AsylVfG, § 72 Rn. 53). Jedenfalls legt der Kläger nicht in geeigneter Weise für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung dar, dass die Vorschrift entgegen dem Wortlaut teleologisch zu reduzieren sei. Das hierzu vorgetragene Argument der Familieneinheit ist in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht zwingend, weil etwa auf der anderen Seite eine Einbürgerung des ehemaligen Asylberechtigten aufenthaltsrechtlich zu einer deutlichen Verbesserung der Nachzugsmöglichkeiten von bestimmten Familienangehörigen führt (vgl. § 27 ff. AufenthG). Demgegenüber kennt das Aufenthaltsgesetz hinsichtlich erwachsenen Familienangehörigen grundsätzlich kein dauerhaft akzessorisches Aufenthaltsrecht. Eine Ableitung eines solchen Rechts aus dem Grundgesetz oder der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) legt der Kläger nicht in Ansätzen dar. [...]

3. Schließlich ist die ebenfalls als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"ob ein Widerruf, der über fünf Jahre nach Erlöschen der Asylberechtigung des Stammberechtigten erfolgt, gegen Treu und Glauben verstößt",

nicht geeignet, die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu tragen.

Die Frage, ob ein Widerruf im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen kann, ist nicht einer generalisierten Betrachtungsweise zugänglich, so dass auch insofern eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG bereits im Ansatz nicht dargetan worden ist. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass diese Frage eine über den konkreten Fall hinausgehende Bedeutung hat, sich also in einer Vielzahl von Fällen stellt. Unabhängig davon verkennt der Kläger, dass die als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben mögliche Verwirkung materieller und verfahrensbezogener Rechte nicht nur daran anknüpft, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist. Zusätzlich müssen nämlich noch besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1999, 6 B 75/98; OVG RP Urteil vom 20. Januar 2000, 6 A 12169/99). Solche ein besonderes Vertrauen des Klägers begründenden Umstände, insbesondere demnach ein entsprechendes Verhalten der Beklagten über den bloßen Zeitablauf hinaus, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Anlass für das Widerrufsverfahren war der Eingang einer Prüfanfrage der zuständigen Ausländerbehörde Bonn im Jahre 2010 anlässlich einer Inhaftierung des Klägers wegen verschiedener schwerwiegender Straftaten aus dem Betäubungsmittelbereich. Nach Eingang der Anfrage hat das Bundesamt das Verfahren zügig betrieben, so dass insofern eine treuwidrige Handhabung bereits offensichtlich nicht vorliegt, während hinsichtlich der Ausländerbehörde ein entsprechender Vortrag gänzlich fehlt.

Anhaltspunkte dafür - wie der Kläger vortragen lässt - dass ein Widerruf analog § 35 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - generell aus Rechtsgründen nach 5 Jahren nicht mehr möglich sein soll, bestehen für den Senat nicht. In der Zulassungsschrift wird auch nicht dargelegt, dass eine solche Betrachtungsweise verfassungs- oder völkervertragsrechtlich geboten wäre. Denn einem vormals aus der Vorschrift des § 26 AsylVfG begünstigten Antragsteller werden eigene Asyl- und Flüchtlingsrechte durch die "Abkoppelung" vom Stammberechtigten gerade nicht genommen, sondern diese werden nur in einem gesonderten Verfahren geprüft. Die praktische Wirksamkeit dieses Verfahrens wird für den gegebenen Fall des Klägers schon dadurch bestätigt, dass das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2001 das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Iran festgestellt und damit die individuelle Lage des Klägers gewürdigt hat, auf die im Zulassungsverfahren nicht weiter einzugehen ist. Für eine analoge Anwendung des § 35 StAG fehlt es nach alledem nicht nur an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte, sondern an der geeigneten Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutsamkeit überhaupt. [...]