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OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.04.2012 - 7 A 10112/12.OVG - asyl.net: M19666
https://www.asyl.net/rsdb/M19666
Leitsatz:

Besteht eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen einem drittstaatsangehörigen Ausländer und seinem minderjährigen Kind, so kann er dann nicht darauf verwiesen werden, diese Lebensgemeinschaft mit seinem Kind und dessen Mutter im Drittstaat fortzusetzen, wenn beide zwar ebenfalls Staatsangehörige dieses Drittstaates sind, die Mutter seines Kindes aber ferner Mutter eines anderen minderjährigen Kindes ist, das - auch - die deutsche Staatsangehörigkeit und damit zugleich den Unionsbürgerstatus besitzt. Letzterem steht nämlich aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu. Außerdem könnte es, wenn es mit seiner Mutter in den Drittstaat ausreisen muss, den Kernbestand der Rechte nicht mehr in Anspruch nehmen, die ihm die Unionsbürgerschaft verleiht (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 8. März 2011 - C-34/09 - "Ruiz Zambrano").

Schlagwörter: außergewöhnliche Härte, Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, Visumsverfahren, sorgeberechtigter Elternteil, Sorgerecht, Ghana, deutsche Staatsangehörigkeit, Unionsbürger, Drittstaatsangehörige, Geldstrafe, Strafverfahren, Straftäter, Vorabzustimmung, Familienzusammenführung,
Normen: AufenthG § 36 Abs. 2 S. 1, GG Art. 6, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 5 Abs. 2, AufenthG § 36 Abs. 2, AEUV Art. 20, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 1-3, AufenthV § 31 Abs. 1 S. 1, AufenthV § 31 Abs. 3, AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG.

Gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG kann dem Familienangehörigen eines Ausländers, der nicht wie ein Ehegatte, ein Kind oder ein allein sorgeberechtigter Elternteil des Ausländers den vorangehenden Regelungen in §§ 29 ff. AufenthG unterfällt, sondern dessen "sonstiger Familienangehöriger" ist, zum "Familiennachzug" eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend sämtlich erfüllt.

Der Kläger ist der Vater der 2008 geborenen A. und der 2010 geborenen T., für die beide er neben deren Mutter, Frau M., personensorgeberechtigt ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger ist auch zur Vermeidung einer "außergewöhnlichen Härte" erforderlich.

Insoweit ist zunächst zu sehen, dass gemäß § 27 Abs.1 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zum "Familiennachzug", das heißt zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet, zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt wird. Angesichts dessen besteht eine "außergewöhnlichen Härte" im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG dann, wenn im konkreten Einzelfall Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG in vergleichbarer Weise wie bei den im Aufenthaltsgesetz ausdrücklich geregelten Fällen des Familiennachzugs eines Ehegatten zum anderen, eines minderjährigen Kindes zu zumindest einem Elternteil oder eines allein sorgeberechtigten Elternteils zu seinem minderjährigen Kind die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gebieten. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen.

Der Kläger lebt mit seinen Töchtern A. und T. und mit deren Mutter, Frau M., sowie mit deren 2006 geborener Tochter R., die aus einer früheren Beziehung ihrer Mutter stammt, in häuslicher Gemeinschaft zusammen. Für seine Töchter ist er nicht nur formal personensorgeberechtigt, sondern er übt die Personensorge auch tatsächlich aus. Insbesondere während Frau M. abwesend ist, um einer Teilzeitbeschäftigung in Heidelberg nachzugehen, versorgt und betreut der Kläger seine Töchter sogar allein. Mithin besteht zwischen ihnen eine von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft.

Diese Lebens- und Erziehungsgemeinschaft kann entgegen der Annahme der Beklagten nur im Bundesgebiet fortgesetzt werden. Denn eine vergleichbare, von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht nicht nur auch zwischen den Töchtern des Klägers und ihrer Mutter, Frau M., sondern auch zwischen Frau M. und ihrer Tochter R., für die sie allein personensorgeberechtigt ist. Im Falle der Beendigung des Aufenthalts des Klägers würde zwangsläufig die von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit seinen Töchtern A. und T. aufgehoben, sofern ihn jene nicht nach Ghana begleiten. Dies hätte jedoch die Aufhebung der von Art. 6 GG geschützten Lebens- und Erziehungsgemeinschaft jener mit ihrer Mutter zur Folge, sollte diese die von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit ihrer Tochter R. im Bundesgebiet fortsetzen wollen. Sollte hingegen Frau M. mit dem Kläger und den gemeinsamen Töchtern nach Ghana zurückkehren, müsste sie entweder die von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit ihrer Tochter R. aufheben oder auch R. mit nach Ghana nehmen. R. besitzt indes nicht nur nach ihrer Mutter die ghanaische, sondern nach ihrem Vater auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Als deutsche Staatsangehörige hat R., wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein aus ihrer Staatsangehörigkeit folgendes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Abgesehen von den in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Fällen besteht für deutsche Behörden keine Handhabe, den Aufenthalt eines Deutschen im Bundesgebiet zu beenden. Dies gilt auch bei Minderjährigen; deren Aufenthalt im Bundesgebiet kann nur auf der Grundlage einer aufenthaltsbestimmungsrechtlichen Entscheidung des bzw. der Personensorgeberechtigten beendet werden. Der Hinweis der Beklagten, R. könne mit ihrer Mutter, mit ihren Halbschwestern A. und T. und mit deren Vater, dem Kläger, nach Ghana ausreisen und sich dort aufhalten, weil sie auch die ghanaische Staatsangehörigkeit besitze, zeigt mithin lediglich eine ihrer Mutter vorbehaltene Handlungsmöglichkeit auf, schmälert hingegen nicht R.s Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet als – auch – deutsche Staatsangehörige. Dies ergibt sich auch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Danach ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen deutschen Kindes, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, auf dessen Antrag eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen. § 28 AufenthG dient in besonderem Maße dem Schutz des Interesses eines deutschen Staatsangehörigen an der Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet (vgl. BT-Drs. 15/429 S. 81). Der Zwang, der auf einen deutschen Staatsangehörigen durch Vorenthaltung einer Aufenthaltserlaubnis für seinen ausländischen Familienangehörigen ausgeübt wird, entweder das Bundesgebiet verlassen oder die Trennung der familiären Gemeinschaft hinnehmen zu müssen, um im Bundesgebiet bleiben zu können, steht damit in Widerspruch zum Schutzgebot des Art. 6 GG (vgl. insgesamt ausführlich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. November 2010 – 17 A 2434/07 –; vgl. ferner OVG Bremen, Beschluss vom 12. August 2011 – 1 B 150/11 – juris Rn. 9 und VG Koblenz, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 3 L 990/06.KO –; a.A. VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. März 2005 – 24 L 486/05 – juris Rn. 20 bis 39).

Gegenteiliges lässt sich auch nicht etwa der von der Beklagten zitierten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entnehmen. Zwar hat die 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Beschluss vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 231/00 – InfAuslR 2002, 171 (173) geäußert, dass dann, wenn eine von Art. 6 geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind bestehe und diese nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden könne, "etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter (mit gleichfalls deutscher Staatsangehörigkeit) das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar" sei, die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurückdränge. Die 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in diesem Beschluss aber nicht geäußert, dem Kind eines Ausländers sei es ohne weiteres zumutbar, mit diesem in dessen Heimatland auszureisen, obwohl es auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Darauf kam es in diesem Beschluss wie in den darin insoweit zitierten Beschlüssen auch nicht entscheidend an. Ähnliches gilt bezüglich des Beschlusses der 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2008 – 2 BvR 588/08 – InfAuslR 2008, 347 [348]. Darin heißt es sogar, dass dann, wenn eine von Art. 6 geschützte Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden könne, "weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar" sei, die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurückdränge. Die Unzumutbarkeit des Verlassens der Bundesrepublik Deutschland für das Kind des Ausländers gerade "wegen der Beziehungen zu seiner Mutter" wird mithin nicht einmal auch nur beispielhaft ("etwa") erwähnt. Vielmehr wird ein Verstoß der angegriffenen Entscheidung gegen Art. 6 GG angenommen, weil das Verwaltungsgericht erwogen habe, der türkische Beschwerdeführer könne mit seiner kolumbianischen Lebensgefährtin, dem gemeinsamen Sohn kolumbianischer Staatsangehörigkeit und der Tochter seiner Lebensgefährtin aus einer anderen Beziehung mit kolumbianischer und deutscher Staatsangehörigkeit in die Türkei ausreisen, ohne jedoch ermittelt zu haben, ob außer dem türkischen Beschwerdeführer auch die übrigen Vorgenannten in die Türkei einreisen dürften, und ohne hinreichend gewürdigt zu haben, welche Probleme die Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes in die Türkei für jene während der wehrdienstbedingten Abwesenheit des türkischen Beschwerdeführers aufwerfen werde. Die 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in diesem Beschluss mithin ebenfalls nicht geäußert, einem Kind sei es ohne weiteres zumutbar, mit seiner ausländischen Mutter, deren ausländischem Lebensgefährten und einem ausländischen Halbbruder ins Ausland auszureisen, obwohl es auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Darauf kam es zudem auch in diesem Beschluss nicht entscheidend an.

Selbst wenn aber die Annahme der Beklagten zuträfe, die Beendigung des Aufenthaltes des Klägers verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil zur Erhaltung seiner Lebensgemeinschaft mit seinen Töchtern, der Lebensgemeinschaft seiner Töchter mit ihrer Mutter und deren Lebensgemeinschaft mit ihrer Tochter R. alle gemeinsam nach Ghana ausreisen könnten, obwohl letztere auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, so gälte anderes jedenfalls vor dem Hintergrund von Art. 20 AEUV. Diese Bestimmung verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt, den Status eines Unionsbürgers. Dieser Status ist dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Unter diesen Umständen steht Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (so das Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. März 2011 – C-34/09 – "Ruiz Zambrano" – NJW 2011, 2033 [2034 Rn. 40 bis 42] m.w.N.). Eine derartige Auswirkung liegt nämlich auch dann vor, wenn einer Drittstaatsangehörigen in dem Mitgliedstaat, dem ihre minderjährige Tochter – auch – angehört und die sie dort als allein Personensorgeberechtigte unterhält und betreut, angesonnen wird, mit ihrem Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern in den Drittstaat zurückzukehren, um die mit jenen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft nicht aufgeben zu müssen. Dies hat nämlich zur Folge, dass auch ihre Tochter, obwohl sie Unionsbürgerin ist, gezwungen wird, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Mutter zu begleiten. Unter derartigen Umständen wäre es ihrer Tochter unmöglich, den Kernbestand der Rechte, die ihr der Unionsbürgerstatus verleiht, tatsächlich in Anspruch zu nehmen (vgl. erneut das Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. März 2011 – C-34/09 – a.a.O. Rn. 43 f.).

Ist mithin die von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft des Klägers mit seinen Töchtern A. und T. nur in der Bundesrepublik Deutschland möglich und würde deshalb die Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG darstellen, so ist zur Vermeidung dieser außergewöhnlichen Härte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlich und zugleich mit Blick auf den Schutzzweck von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG das der Beklagten durch § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG insoweit eröffnete Ermessen dahin auf Null reduziert, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift zu erteilen.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert schließlich auch nicht etwa daran, dass mehrere allgemeine Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Allerdings setzt § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Diesbezüglich liegt hier jedoch ein Ausnahmefall vor, der die Anwendung dieser nur im Regelfall geltenden Erteilungsvoraussetzung ausschließt. Ein Ausnahmefall besteht im vorliegenden Zusammenhang unter anderem dann, wenn – wie hier – aus Gründen höherrangigen Rechts wie Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug geboten ist, weil die Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet möglich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370 [381 Rn. 27] und vom 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333 [334]).

Auch setzt § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Allerdings hat der Kläger gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG Ausweisungstatbestände erfüllt, als er seinerzeit mehrfach illegal in das Bundesgebiet eingereist ist und sich hier aufgehalten hat, ohne im Besitz eines Reisepasses zu sein. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigshafen ist deswegen gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 75 Tagessätzen festgesetzt worden. Wie zutreffend bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist jedoch zu berücksichtigen, dass durch das nachträgliche Entstehen der von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützten Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinen Töchtern eine neue Situation eingetreten ist, die sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht eine Neubeurteilung und -bewertung des Falles erfordert. Zudem hat der Kläger, der bereits zuvor die Beklagte auf seine unerlaubten Einreisen hatte hinweisen lassen, im Juli 2010 bei der Staatsanwaltschaft Frankenthal eine Selbstanzeige erstatten lassen. Im September 2010 wurde er der Beklagten gemäß § 15a AufenthG förmlich zugewiesen, die ihm seit Januar 2011 förmliche Duldungsbescheinigungen ausstellt. Es ist nicht ersichtlich, dass er seitdem weitere Straftaten begangen hat. Auch wenn angesichts des Gewichts der seinerzeitigen Verfehlungen noch immer "aktuell" eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu befürchten sein und deshalb ein "beachtlicher" Ausweisungsgrund im Sinne von Nr. 5.1.2.2 VwV-AufenthG vorliegen sollte und auch wenn deswegen kein die Anwendung dieser Regelerteilungsvoraussetzung ausschließender Ausnahmefall anzunehmen wäre, so sind jedoch die seinerzeitigen aufenthaltsrechtlichen Verstöße des Klägers nicht geeignet, das besondere Gewicht des Schutzes seiner nunmehrigen und nur im Bundesgebiet möglichen familiären Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit seinen Töchtern nach Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG hinter § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zurücktreten zu lassen. Deshalb ist zumindest das der Beklagten durch § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen, von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, auf Null reduziert, wie ebenfalls bereits das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat.

Schließlich setzt § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG voraus, dass der Ausländer mit dem für den angestrebten Aufenthaltszweck erforderlichen Visum eingereist ist und die dafür erforderlichen Angaben bereits im Visumverfahren gemacht hat. Auch diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Indes kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hiervon nach pflichtgemäßem Ermessen der Ausländerbehörde nicht nur dann abgesehen werden, wenn – anders als im vorliegenden Fall – die Voraussetzungen eines – gebundenen – Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind, sondern auch dann, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist dies hier der Fall.

Allerdings ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. den Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 10. Mai 2008 – 2 BvR 588/08 – a.a.O. S. 347). Dies gilt grundsätzlich auch für einen Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind im Bundesgebiet erstrebt. Jedoch ist das Alter des Kindes bei der Frage der Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung zu berücksichtigen, da bei einem Kleinkind die Entwicklung schnell voranschreitet und es den vorläufigen Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann (vgl. die Beschlüsse der 2. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 – InfAuslR 2006, 320 [321] und der 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 – InfAuslR 2000, 67 [69]). Wenn – wie im Fall des Klägers – die Weiterführung der bereits gelebten Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Klein-kind nur in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, so ist eine voraussichtlich über die Länge des normalen Visumverfahrens hinausgehende Trennung – und damit für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum – aber in der Regel unzumutbar (vgl. erneut den Beschluss der 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 10. Mai 2008 – 2 BvR 588/08 – a.a.O. sowie OVG RP, Beschlüsse vom 2. Februar 2011 – 7 A 11339/10.OVG –, vom 15. Dezember 2010 – 7 B 11220/10.OVG – und vom 17. Oktober 2008 – 7 B 10830/08.OVG – juris).

Von Letzterem ist hier indes auszugehen. Ein Visum darf nämlich gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthV nicht ohne Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden, wenn sich der Ausländer – wie hier der Kläger – länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten will. Im vorliegenden Fall muss damit gerechnet werden, dass die Beklagte die Zustimmung zur Erteilung eines Visums an den Kläger versagt, die Deutsche Botschaft in Accra den dahingehenden Antrag des Klägers deswegen ablehnt und der Kläger dann die Entscheidung über eine beim Verwaltungsgericht Berlin zu erhebende Klage auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung eines Visums abwarten muss, bevor er erneut ins Bundesgebiet zu seinen Töchtern einreisen kann. Denn die Beklagte hat bereits das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 und des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in der Annahme verneint, die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach diesen Vorschriften verstoße weder gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG noch gegen Art. 20 AEUV, weil die Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinen Töchtern, seiner Töchter mit ihrer Mutter und jener mit ihrer Tochter R. in Ghana zumutbar sei. Auch hat sie im Bescheid vom 24. Januar 2011 ausgeführt, dass sie das ihr für den Fall der Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eröffnete Ermessen dahin ausübe, von der Nichterfüllung allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen nicht abzusehen. Vor allem aber hat die Beklagte, nachdem der Kläger im Berufungsverfahren ausdrücklich die Befürchtung geäußert hatte, die Entscheidung über eine beim Verwaltungsgericht Berlin zu erhebende Klage auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung eines Visums abwarten zu müssen, gleichwohl nicht etwa die Erteilung einer Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV oder zumindest die Erteilung einer Zustimmung im Visumverfahren in Aussicht gestellt, sondern erklärt, sie vertrete "nach wie vor die Auffassung, dass ein Familienleben im gemeinsamen Heimatland zumutbar" sei, und nehme "mit Blick auf eine sich im Berufungsverfahren erforderlich machende Ermessensausübung" auf die von ihr "bisher (…) angestellten Erwägungen (…) Bezug".

Ist aber die Weiterführung der bereits gelebten Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinen Töchtern A. und T., die beide noch im Kleinkindalter sind, nur in der Bundesrepublik Deutschland möglich und die Nachholung eines Visumverfahrens wegen der damit verbundenen Trennung unzumutbar, weil dieses die Dauer eines normalen Visumverfahrens voraussichtlich nicht nur unerheblich überschreiten würde, so ist mit Blick auf den Schutzzweck von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG auch das der Beklagten durch § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen, von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzusehen, auf Null reduziert. [...]