1. Drohende Verfolgung bei ernsthaftem Glaubensübertritt zum Christentum im Falle einer Rückkehr in den Iran.
2. Bei der Beurteilung der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Klagefristversäumung sind die Sprachschwierigkeiten zu berücksichtigen.
[...]
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; insoweit ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Die Klage ist zulässig. Der Zulässigkeit der Klage steht insbesondere nicht entgegen, dass sie erst am 19. Oktober 2011 erhoben wurde. Zwar endete die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylVfG bereits mit Ablauf des 18. Oktober 2011. Gemäß § 74 Abs. 1 AsylVfG muss die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz – das ist das AsylVfG – innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden. Der streitgegenständliche Bescheid ist der Klägerin – da eine Zustellung i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht möglich war – am 4. Oktober 2011 im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der dazu bestimmten Postfiliale in E und Einwurf einer schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung in den Briefkasten der Gemeinschaftseinrichtung gemäß § 10 Abs. 5 AsylVfG, § 56 Abs. 2 VwGO, § 181 Abs. 1 Sätze 1 – 3 ZPO förmlich zugestellt worden (vgl. Bl. 114 und 115 der Beiakte Heft 1). Mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung gilt der Bescheid als zugestellt (§ 10 Abs. 5 AsylVfG, § 56 Abs. 2 VwGO, § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO), sodass es darauf, wann der Bescheid tatsächlich in der benannten Postfiliale niedergelegt wurde, nicht (mehr) ankommt. Insbesondere berühren Fehler bei der Niederlegung die Wirksamkeit der Zustellung nicht (vgl. Stöber, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 27. Auflage, 2009, § 181 Rn. 7 unter Hinweis auf BT-Drucks. 14/4554, S. 22 und BGH, Urteil vom 4. November 1998 – RiZ (R) 2/98 -, Juris und NJW-RR 99, 1150 (1151)).
Aus diesem Grunde ist die Tatsache, dass der Bescheid der Klägerin – auf Grund einer verzögerten Weiterleitung zu der benannten Postfiliale in der Mallee 52 – tatsächlich erst am 13. Oktober 2011 ausgehändigt wurde, für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung am 4. Oktober 2011 unerheblich. Die Klägerin muss diese, am 4. Oktober 2011 erfolgte Zustellung gemäß § 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, Abs. 5 AsylVfG gegen sich gelten lassen, da sie seit dem 8. Juli 2011 unter der im Bescheid aufgeführten Adresse gemeldet ist (vgl. Bl. 68 der Beiakte Heft 1). Die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylVfG begann gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1 BGB an dem auf die Zustellung des Bescheides folgenden Tag, d. h. am 5. Oktober 2011 und endete gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 18. Oktober 2011 mit der Folge, dass die am 19. Oktober 2011 erhobene Klage die Klagefrist nicht gewahrt hat.
Der Mangel der Fristversäumung wird hier jedoch geheilt, da die Klägerin ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist verhindert war und das Gericht von der ihm gemäß § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 4, Abs. 4 VwGO eingeräumten Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist Gebrauch gemacht hat (vgl. zu der Frage der Wirkung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Auflage, 2006, § 60 Rn. 31).
Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO). Die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO).
Bei der Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylVfG handelt es sich um eine gesetzliche Frist im vorgenannten Sinne.
Die Klägerin war auch ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist verhindert. Verschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ist ein Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1975 - BVerwG 6 C 231.73 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 83; BVerwGE 50, 248 (254)).
Auch bei einem säumig gewordenen Ausländer beurteilt sich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand danach, ob ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat. Bei dieser Beurteilung sind seine Sprachschwierigkeiten zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 1978 – BVerwG 1 B 113.78 – Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 37; BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1993 – 1 B 177/93 -, Juris Rn. 3).
Versäumt ein der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtiger Ausländer eine Rechtsmittelfrist, so verbieten es die Rechtsschutzgarantien der Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), die Versäumung dieser Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen des Ausländers beruht, als nicht unverschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzusehen. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Ausländer allerdings nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte. Wird daher einem Ausländer ein Bescheid zugestellt, dessen Rechtsmittelbelehrung ihm unverständlich ist, kann er aber seine Bedeutung jedenfalls soweit erfassen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handeln könnte, das eine ihn belastende Entscheidung enthält, so können im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen verlangt werden, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstückes zu verschaffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1993 – 1 B 177/93 -, Juris Rn. 3 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 23. April 1991 – 2 BvR 150/91 -, NJW 1991, 2208 und BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 1992 – 2 BvR 1401/91, 254/92 – NVwZ 1992, 1080).
Den vorgenannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in der Wahrnehmung ihrer Rechte ist die Klägerin in ausreichender Weise nachgekommen. Sie hat noch an dem Tag, an dem ihr der streitgegenständliche Bescheid in der Postfiliale ausgehändigt wurde, namentlich am Donnerstag, dem 13. Oktober 2011, Kenntnis von dem Inhalt des Bescheides genommen. Dass der Bescheid einen für sie nachteiligen Inhalt hatte und dass sie sich hiergegen binnen zwei Wochen nach Zustellung mittels Klageerhebung zur Wehr setzen konnte, war ihr – nicht zuletzt wegen der dem Bescheid beigefügten Übersetzung der Bescheidtenorierung sowie der Rechtsbehelfsbelehrung in die persische Sprache (vgl. Bl. 82 ff., 94, 95 der Beiakte Heft 1) – bewusst. Dies ergibt sich auch daraus, dass sie bereits am darauffolgenden Tag ihre Nichte damit beauftragte, einen Termin bei ihrer Prozessbevollmächtigten zu vereinbaren. Dass Eile geboten war, folgt zudem aus der zu der Gerichtsakte gereichten Kopie des handschriftlich geführten Fristenkalenders der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 19. Oktober 2011 (vgl. Bl. 58 der Gerichtsakte), in dem die Notiz aufgenommen wurde "Ablehnungsbescheid (Iran), 43638975 (Probleme Postzustellung) Eilt".
Der Grund für die Versäumung der Klagefrist lag nach den Angaben der Klägerin im Klageverfahren vielmehr in der Unkenntnis vom Fristlauf. Die Klägerin irrte sich mithin nicht über die in der – auch in persischer Sprache übermittelten (vgl. Bl. 82 ff. der Beiakte Heft 1) – Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß mitgeteilten Fristgebundenheit der Klageerhebung, sondern vielmehr über den konkreten Zeitpunkt des Beginns der zweiwöchigen Klagefrist. Dass die Klägerin sich in einem solchen Irrtum befand, erscheint glaubhaft.
Dieser Irrtum war unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles auch unverschuldet. Zwar war auf dem Briefumschlag, in dem der Klägerin der Bescheid ausgehändigt worden war, als Tag der Zustellung der 4. Oktober 2011 vermerkt (vgl. Bl. 40 der Gerichtsakte). Da die Klägerin aber ihrerseits der deutschen Sprache nicht mächtig ist und es sich bei dem Begriff der "Zustellung" zudem um einen juristischen Fachbegriff handelt, konnte weder von ihr noch von ihrer – als Übersetzungshilfe hinzugezogenen – Nichte als juristischen Laien erwartet werden, dass sie den Bedeutungsgehalt dieser Information ohne Weiteres erfassten. Da ihr der streitgegenständliche Bescheid wegen des postinternen Übermittlungsproblems zudem erst neun Tage nach der im Rechtssinne erfolgten Zustellung durch Niederlegung, und damit fünf Tage vor dem Ablauf der Klagefrist ausgehändigt worden ist, musste es auch für einen gewissenhaften Beteiligten nicht von vornherein klar sein, dass die Zweiwochenfrist bereits seit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung, d. h. seit dem 4. Oktober 2011 lief und nicht erst mit der Aushändigung des Bescheides zu laufen begonnen hatte. Es versteht sich für eine im Geschäftsleben unerfahrene Ausländerin nicht von selbst, dass in einem solchen Falle der Ersatzzustellung die "Zustellung" im Sinne der Rechtsmittelbelehrung mit dem auf dem Schriftstück vermerkten "Tag der Zustellung" zusammenfällt. Vielmehr liegt in einem solchen Falle das Missverständnis nahe, die "Zustellung" erfolge erst mit der Aushändigung des Schriftstückes durch die Post, jedenfalls aber nicht eher, als der Adressat in der Lage ist, das Schriftstück in Empfang zu nehmen (vgl. hierzu auch: BVerwG, Urteil vom 8. März 1983 – 1 C 34/80 -, Juris Rn. 21); dies war hier erst am 13. Oktober 2012 der Fall. Alsdann hat die Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht die nötigen zumutbaren Anstrengungen unternommen, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstückes zu verschaffen. [...]
Die versäumte Rechtshandlung – hier: die Klageerhebung – ist auch innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist, namentlich am 19. Oktober 2011, d. h. einen Tag nach Ablauf der Klagefrist nachgeholt worden (§ 60 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz, Abs. 2 Satz 3 VwGO), sodass – auch ohne entsprechenden Antrag – die Voraussetzungen für eine im Ermessen des Gerichts stehende Wiedereinsetzung in die versäumte Frist vorlagen (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO).
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, die dem Urteil gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG zu Grunde zu legen sind, zwar keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte (I.), allerdings kann sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylVfG für sich beanspruchen, sodass die Ziffern 2 – 4 des angegriffenen Bescheides aufzuheben waren (II.). [...]
II. Entgegen der Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides steht der Klägerin aber wegen des im Jahre 2005 erfolgten Übertritts vom muslimischen zum christlichen Glauben ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylVfG zu.
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte – das ist hier der Iran –, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ausgesetzt ist. Das ist vorliegend der Fall, weil bei einer Abschiebung der Klägerin in den Iran ihr eine Verfolgung im Sinne dieser Norm droht.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl II 1953 S. 559) – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – ein Ausländer u. a. nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Religion bedroht ist. Eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatgebietes beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der "Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes" (ABl. EG Nr. L 304/12 vom 30. September 2004, im Folgenden: "Qualifikationsrichtlinie") ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
Die Bezugnahme auf die "Qualifikationsrichtlinie" hat gemäß deren Art. 9 Abs. 3 zur Folge, dass die Prüfung des Anspruches auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Feststellungen dazu umfasst, ob Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 der Richtlinie an Verfolgungsgründe im Sinne des Art. 10 der Richtlinie anknüpfen. In Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie werden die Handlungen beschrieben, die wegen ihrer Schwere als (- bei Verbindung mit den Verfolgungsgründen des Art. 10 der Richtlinie - politische) Verfolgung gelten, wozu u. a. eine diskriminierende Strafverfolgung zählen kann (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) der Qualifikationsrichtlinie). Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass – im Rahmen des nach Art. 2 lit c) der Richtlinie intendierten Schutzes vor Verfolgung wegen Religion – der Begriff der Religion insbesondere umfasst: theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
Stellt ein Herkunftsstaat schon eine bestimmte private religiöse Betätigung oder Meinungsäußerung als solche diskriminierend, d.h. abweichend von seiner Haltung gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen unter Strafe, so ist bei Anwendung dieser Maßstäbe der Ausländer, der sich entsprechend seiner diskriminierten Glaubensüberzeugung bei Rückkehr in diesen Staat religiös betätigen will, von politischer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bedroht.
So liegt der Fall hier.
Ein Konvertit, der vom muslimischen Glauben abfällt, muss künftig im Iran ernstlich mit schwerer politischer Verfolgung wegen seiner Religion im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG rechnen. Denn nach dem Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom (5. und) 6. Oktober 2008 ist am 9. September 2008 ein Gesetzentwurf der Regierung zur Änderung des iranischen Strafgesetzbuches (iStGBEntwurf) in das iranische Parlament eingebracht und an die Ausschüsse zur Beratung weitergeleitet worden, der erstmals die Kodifizierung des Straftatbestandes der "Apostasie" (d. h. des Abfalls vom – muslimischen – Glauben) im staatlichen Gesetzbuch mit dem Strafmaß der Todesstrafe (für männliche Konvertiten) vorsieht; gegen "abtrünnige" Frauen soll eine lebenslängliche, durch besondere "Härten" verschärfte Haftstrafe verhängt werden. Die – ernst gemeinte – Apostasie könnte bei Inkrafttreten der Strafbestimmungen als "Hadd"-Delikt, d. h. als – im Sinne des iranisch-muslimischen Rechtsverständnisses – "Verstoß gegen göttliches Recht" auch rückwirkend bestraft werden. Nach Art. 225 - 1 iStGB-Entwurf ist "Apostat" jeder Muslim, der eindeutig verkündet, dass er oder sie den Islam verlassen hat und sich zum Unglauben bekennt. Allerdings sieht Art. 225 - 2 iStGB-Entwurf vor, dass ein Beschuldigter u. a. dann nicht als Apostat eingeschätzt wird, wenn er behauptet, dass seine eigentliche Intention etwas anderes gewesen ist (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom 6. Oktober 2008).
Das bedeutet, dass Personen, die nicht ernsthaft, sondern zum Schein "konvertieren", um ihre Aussichten auf den Erwerb einer sonst nicht erlangbaren Aufenthaltsmöglichkeit im Ausland asyltaktisch zu verbessern, sich auf diese Regelung berufen können und wegen ihrer "eigentlichen", nicht auf den Abfall vom muslimischen Glauben gerichteten Intention bei der "Scheinkonversion" nicht mit einer Verurteilung als Apostat rechnen müssen. Denn die Berücksichtigung asyltaktischer Handlungsweisen bei der Bewertung des Verhaltens ihrer Staatsbürger im westlichen Ausland ist den iranischen Behörden nicht fremd (vgl. in diesem Sinne für die entsprechende Bewertung etwa einer Asylantragstellung durch iranische Stellen: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Aachen vom 31. März 2005 (Az.: 508-516.80/43432), oder exilpolitischer Aktivitäten: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Juli 2007 (S. 26)).
Nach Einschätzung der Botschaft ist angesichts der Zusammensetzung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane nicht zu erwarten, dass der Entwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Menschenrechte "verbessert" werden könnte. Es ist daher mit der Verabschiedung der neuen Strafvorschriften zur Apostasie ernstlich zu (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft in Teheran vom (5./) 6. Oktober 2008).
An dieser Gefährdungssituation hat sich bis heute nichts Entscheidendes geändert. Der Gesetzgebungsprozess dauert noch an, wie sich aus folgenden Berichten des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Lagebericht) ergibt. Nach dem Lagebericht vom 19. November 2009 (S. 23 f.) sollte der zuständige Justizausschuss in den darauffolgenden Monaten die Arbeit an dem Gesetzentwurf abschließen; anschließend sollte das Parlamentsplenum über den Zeitpunkt und die Dauer des Inkrafttretens beschließen. Gemäß dem Lagebericht vom 27. Februar 2011 (S. 27 f.) wurde der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs am 19. Januar 2010 vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen und dem Wächterrat weitergeleitet; den ersten Teil des Entwurfs hat der Wächterrat mit Änderungsvorschlägen an das Parlament zurückgesandt, die Prüfung des zweiten Teils dauert noch an. Zu dem in den früheren Entwürfen aufgenommenen Straftatbestand der Apostasie teilt das Auswärtige Amt in den Lageberichten vom 27. Februar 2011 (S. 28) und 4. November 2011 (S. 32) mit, dass dieser aus dem Entwurf gestrichen worden zu sein "scheint". Ob diese Änderungen tatsächlich Einzug in das neue iStGB fänden, sei ungewiss; ein Ende des Gesetzgebungsverfahrens sei nicht absehbar. Diese Entwicklung bedeutet aber keine "Entwarnung" in dem Sinne, dass eine dem Entwurf entsprechende künftige Bestrafung von Konvertiten nicht mehr beachtlich wahrscheinlich wäre. Mit Blick darauf, dass der iranische Gesetzgeber über längere Zeit schwerste Bestrafungen von Konvertiten ernstlich erwogen hat, über die angebliche Streichung der Apostasietatbestände offenbar keine zuverlässigen Informationen vorhanden sind, sodass das Auswärtige Amt nur mitteilen kann, dass die Strafvorschrift aus dem Entwurf gestrichen "scheint", der Gesetzgebungsprozess zur Strafrechtsreform keineswegs abgeschlossen ist und angesichts der Unberechenbarkeit des gegen vermeintliche Gegner stets kampfbereiten islamischen Regimes auch bei einer eventuellen aktuellen Streichung der Apostasietatbestände aus dem Gesetzentwurf jederzeit damit gerechnet werden muss, dass während des laufenden Gesetzgebungsprozesses der Plan, die Apostasie in schwerstem Umfang zu bestrafen, wieder aufgegriffen wird, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben der Bestrafung der Apostasie tatsächlich aufgegeben oder erheblich entschärft worden wäre. Dies bestätigen auch die weiteren Angaben im aktuellen Lagebericht vom 4. November 2011. So heißt es in dem Lagebericht, dass Konvertiten – auch ohne ein solches Gesetz – Verfolgung und Bestrafung bis hin zur Todesstrafe droht (vgl. S. 28). Zwar gibt es nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes auch Konvertiten, die unbehelligt eine der anerkannten Religionen – hierzu gehört auch das Christentum, vgl. S. 27 des Lageberichts – ausüben. Die Konvertiten und die Gemeinden, denen sie angehören, stünden jedoch insofern unter Druck, als den Konvertiten hohe Strafen drohten und auch die Gemeinden mit Konsequenzen rechnen müssten (z. B. Schließung), wenn die Existenz von Konvertiten in der Gemeinde öffentlich bekannt würden. Ausweislich des Lageberichts ist im Oktober 2010 dem bereits im Jahre 2008 festgenommenen Pastor O, Leiter einer örtlichen Hauskirche in S, die zur "Jesus Only"-Richtung der Pfingstkirchen gehört, mit der Todesstrafe wegen Apostasie gedroht worden. Zwar habe der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil im Juni 2011 aufgehoben und den Fall zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen. Gleichzeitig habe der Oberste Gerichtshof aber festgehalten, dass das Todesurteil aufrechterhalten werden solle, sollte sich der Verdacht der Apostasie bestätigen. Hinsichtlich Suche nach und Verfolgung von Konvertiten heißt es in dem Lagebericht weiter, dass diese nicht strikt systematisch erfolge, sondern stichprobenartig, wobei die Behörden insbesondere auch auf Hinweise aus der Bevölkerung reagierten (S. 29 des Lageberichts).
Mit Blick auf die rückwirkende Geltung eines solchen Strafgesetzes, mit dessen Inkrafttreten in absehbarer Zeit (weiterhin) ernstlich gerechnet werden muss, die Schwere der Strafdrohung sowie die – auch ohne ein solches Strafgesetz – derzeit im Iran praktizierten Vorgehensweisen gegen Konvertiten ist ein Konvertit, dem die Rückkehr in den Iran angesonnen wird, daher schon jetzt der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen seiner religiösen Überzeugungen ausgesetzt.
Auch die Klägerin muss nach einer Rückkehr in den Iran mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer solchen Verfolgung rechnen. Denn nach der Überzeugung des Gerichts ist die Klägerin eine ernsthafte Apostatin in dem soeben angesprochenen Sinne, sodass ihr bei Rückkehr in den Iran eine Bestrafung nach den im Entstehen begriffenen Normen des iStGB droht. Denn ihr kann als überzeugter Christin (Protestantin) nach den Schutzintentionen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht angesonnen werden, unter Verleugnung des neuen Glaubens vorzugeben, sie habe den Glaubenswechsel nicht ernstlich vollzogen. [...]
Gegen einen ernstlichen Abfall vom muslimischen und eine Zuwendung zum protestantischen Glauben spricht auch nicht, dass ihre Kenntnisse der christlichen Glaubenslehre noch recht oberflächlich sind. Dies erklärt sich daraus, dass die Klägerin – wie ihre emotionale Schilderung in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat – ihren eigenen, individuellen Zugang zum christlichen Glauben gefunden hat. Sie konnte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass sie – persönlich – Zugang zum Glauben und zu Gott dadurch erhält, "frei" mit Gott zu kommunizieren – sei es, im persönlichen Gebet, sei es in der öffentlichen Glaubensbekundung in der Kirche –, die christlichen Werte zu leben und ihren Mitmenschen gegenüber nach außen zu tragen. Sie hat zudem überzeugend dargelegt, dass und auf welche Art und Weise die Hinwendung zum protestantischen Glauben Einfluss auf ihr Leben genommen und welche Kraft und Ruhe sie im Glauben gefunden hat.
Hat die Klägerin mithin einen ernsthaften Glaubensübertritt glaubhaft machen können, ist davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr in den Iran den christlichen Glauben dort auch leben und praktizieren will mit der Folge, dass ihr – aus den o. g. Gründen – dort eine politische, den geltend gemachten Schutzanspruch auslösende Verfolgung droht. [...]