VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 19.04.2012 - 10 K 336.10 - asyl.net: M19714
https://www.asyl.net/rsdb/M19714
Leitsatz:

Keine Anrechnung von Zeiten einer Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen Asylverfahrens, wenn zwischen Aufenthaltsgestattung und Duldung eine Unterbrechung war, in der die Ausreisepflicht wegen der Nichtauffindbarkeit des Betroffenen nicht vollzogen werden konnte.

Schlagwörter: Unterbrechung, ununterbrochener Aufenthalt, Duldung, minderjährig, Einreise vor Vollendung des 18. Lebensjahrs, Niederlassungserlaubnis, Voraufenthaltszeit, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen,
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 26 Abs. 4 S. 4, AufenthG § 35, AufenthG § 102 Abs. 2, AufenthG § 23a,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ergibt sich weder aus § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG (dazu unten 1.), noch aus § 26 Abs. 4 S, 4 i.V.m. § 35 AufenthG (dazu unten 2.).

1. Nach § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn der Ausländer neben der Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen der Niederlassungserlaubnis seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des AufenthG (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen) besitzt. Dabei ist die Aufenthaltszeit des der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorausgegangenen Asylverfahrens nach § 26 Abs. 4 S. 3 auf die Frist anzurechnen. Gemäß § 102 Abs. 2 AufenthG ist zudem die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 anzurechnen.

Der Kläger war zwar im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des AufenthG in Form der ihm am 17.06.2008 erteilten und zwischenzeitlich bis zum 10.06.2012 verlängerten Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG.

Der von § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG geforderte Besitz des Titels seit sieben Jahren ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Das 1996 begonnene und 2004 rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die Frist anzurechnen. Zwar verlangt § 26 Abs. 4 S. 3 AufenthG keinen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Asylverfahrens und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, so dass auch eine zwischen diesen Zeitpunkten liegende längere Zeit der Duldung keine schädliche Unterbrechung bewirkt (BverwG, Urteil vom 13.09.2011 - 1 C 17.10 - zitiert nach juris). Hier besaß der Kläger jedoch zwischen April und August 2005 keine Duldung. Seine Ausreisepflicht sollte vollzogen werden, was nur wegen seiner Nichtauffindbarkeit unterblieb. Eine Anrechnung der Dauer des Asylverfahrens nach § 26 Abs. 4 S. 3 AufenthG scheidet demzufolge aus. Wegen der duldungsfreien Zeit kann das Asylverfahren nicht mehr als der "Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen" angesehen werden.

Fehlt es somit an der Anrechenbarkeit des Asylverfahrens, sind die zeitlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG auch unter der von § 102 Abs. 2 AufenthG vorgeschriebenen Berücksichtigung der am 28.10.2004 ausgesprochenen Duldung in der Person des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht erfüllt, da er lediglich seit ca. vier Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des AufenthG besitzt.

2. Nach § 26 Abs. 4 S. 4 AufenthG kann § 35 AufenthG für Kinder, die vor der Vollendung des 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, entsprechend angewandt werden. Das bedeutet, dass der zum Aufenthalt aus familiären Gründen vorgesehene Aufenthaltstitel in § 35 AufenthG auch aus den im 5. Abschnitt des AufenthG geregelten völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erteilt werden kann. Eine Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach dieser Vorschrift an den Kläger scheidet aber aus, da weder die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 AufenthG, noch jene des § 35 Abs. 1 S. 2 AufenthG erfüllt sind.

Nach § 35 Abs. 1 S. 1 AufenthG muss der Ausländer minderjährig und im Zeitpunkt der Vollendung seines 16. Lebensjahres seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein, was hier nicht der Fall ist. Nach § 35 Abs. 1 S. 2 AufenthG ist zwar auch einem volljährigen Ausländer eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er u.a. seit fünf Jahren im Besitz der Aufenthaltserlaubnis ist. Wie sich aus dem Zusammenhang mit Satz 1 und der Gesamtregelung des Kindernachzugs in diesem Abschnitt ergibt, erfasst diese Regelung nach ihrem Sinn und Zweck aber nur die Fälle, in denen schon während der Minderjährigkeit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Dies gilt auch bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift im Rahmen der humanitären Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 S. 4 AufenthG (BverwG, a.a.O., Rn. 22, zitiert nach juris). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, denn die Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG wurde dem Kläger erstmals am 17.06.2008 und somit nach Eintritt der Volljährigkeit erteilt. [...]