BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 21.12.2011 - 5 B 46.11 - asyl.net: M19729
https://www.asyl.net/rsdb/M19729
Leitsatz:

§ 6 Satz 1 StAG ist anzuwenden, wenn Verzögerungen des Adoptionsverfahrens eintreten, die eine wirksame Annahme als Kind vor dem "Stichtag" der Vollendung des 18. Lebensjahres verhindern. Voraussetzung ist, dass die Volljährigkeit während eines noch nicht abgeschlossenen Adoptionsverfahrens eintritt und dass die anschließende Annahme als Erwachsener zu den Bedingungen einer "starken" Minderjährigenadoption nach § 1772 BGB erfolgt, die zivilrechtlich im Wesentlichen die Wirkungen einer Volladoption entfaltet. Nur dann ist es gerechtfertigt, dem Ausländer auch staatsangehörigkeitsrechtlich die Rechtswirkungen einer (Voll-) Adoption als minderjähriges Kind über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu gewähren.

Schlagwörter: Volljährigenadoption, Erwachsenenadoption, Adoption, deutsche Staatsangehörigkeit, Minderjährigenadoption, Verzögerung, Verzögerung des Adoptionsverfahrens, Volladoption, Volljährigkeit, Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigkeit,
Normen: StAG § 6 S. 1, BGB § 1772,
Auszüge:

[...]

1. Die vom Kläger allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde führt nicht zur Zulassung der Revision.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionszulassung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage (Beschwerdebegründung S. 2),

"ob auch die Durchführung einer Volljährigenadoption die deutsche Staatsangehörigkeit verleiht, wenn der Adoptionsantrag vor Vollendung des 16. Lebensjahres eingereicht worden ist" (gemeint ist offenbar das 18. Lebensjahr),

genügt den genannten Anforderungen nicht, weil sich die aufgeworfene Rechtsfrage zur Volljährigenadoption in dieser allgemeinen und undifferenzierten Form in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Oberverwaltungsgericht, das zur Begründung des angefochtenen Beschlusses auf den vorangegangenen richterlichen Hinweis des Berichterstatters vom 24. Mai 2011 (Bl. 84 ff. der Gerichtsakte) und auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 21. Juli 2010 verweist, hat sich nämlich tragend auf die Rechtsansicht gestützt, die streitentscheidende Vorschrift des § 6 Satz 1 StAG sei dahin auszulegen, dass ein Kind, für das der Annahmeantrag vor Vollendung seines 18. Lebensjahres gestellt worden ist und das dann während des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens volljährig wird, jedenfalls nur dann die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn seine anschließende Annahme als Erwachsener zu den Bedingungen einer (starken) Minderjährigenadoption nach § 1772 BGB erfolgt (s. VG Köln UA S. 6).

Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertigt auch dann nicht die Zulassung der Revision, wenn diese Frage aufgrund des weiteren Vortrags in der Beschwerdebegründung zugunsten des Klägers dahin ausgelegt und verstanden wird, dass sie sich auf die vorgenannte Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Auslegung des § 6 Satz 1 StAG bezieht und die Beschwerde geklärt wissen will, ob diese Vorschrift nicht nur die Annahme eines Volljährigen zu den Bedingungen einer Minderjährigenadoption, sondern auch - wie im vorliegenden Fall - die Annahme eines Volljährigen in Form der normalen ("schwachen") Volljährigenadoption erfasst. Diese Rechtsfrage bedarf jedoch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lässt sich nämlich bereits auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres in für die Beschwerde negativer Weise beantworten. Im Urteil vom 14. Oktober 2003 - BVerwG 1 C 20.02 - (BVerwGE 119, 111 118>) hat das Bundesverwaltungsgericht nach eingehender Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie unter Bezugnahme auf seine vorangegangene Rechtsprechung hierzu unmissverständlich ausgeführt:

"§ 6 Satz 1 StAG ist daher in erster Linie und jedenfalls dann anzuwenden, wenn Verzögerungen des Adoptionsverfahrens eintreten, die eine wirksame Annahme als Kind vor dem 'Stichtag' der Vollendung des 18. Lebensjahres verhindern. Voraussetzung ist, dass die Volljährigkeit während eines noch nicht abgeschlossenen Adoptionsverfahrens eintritt und dass die anschließende Annahme als Erwachsener zu den Bedingungen einer 'starken' Minderjährigenadoption nach § 1772 BGB erfolgt, die zivilrechtlich im Wesentlichen die Wirkungen einer Volladoption entfaltet. Nur dann ist es gerechtfertigt, dem Ausländer auch staatsangehörigkeitsrechtlich die Rechtswirkungen einer (Voll-) Adoption als minderjähriges Kind über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu gewähren."

Einen erneuten oder darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Ihre Einwände, der Wortlaut des § 6 Satz 1 StAG stehe einem solchen Verständnis entgegen und die Sachverhaltskonstellation in dem angefochtenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts sei mit derjenigen, über die das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 14. Oktober 2003 (a.a.O.) zu entscheiden hatte, nicht vergleichbar, sind nicht geeignet, einen weiteren Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO schlüssig darzulegen. Soweit damit nur das Auslegungsergebnis der Vorinstanz bezweifelt wird, setzt sich die Beschwerde nicht mit den zahlreichen entstehungsgeschichtlichen wie auch teleologischen Argumenten auseinander, mit welchen die Vorinstanzen ihre Rechtsauffassung zur Auslegung des § 6 Satz 1 StAG hergeleitet und begründet haben. Soweit der Beschwerde entnommen werden kann, dass sie die Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht beanstandet, kann dem eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht entnommen werden. Überdies lässt die Beschwerde auch jegliche Auseinandersetzung mit der Behandlung der genannten Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur vermissen, wo - ohne dass Gegenstimmen ersichtlich sind - in der Sache ausnahmslos der von den Vorinstanzen unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2003 (a.a.O.) vertretenen Auffassung gefolgt wird (vgl. Marx, in: GK-StAR, Stand 2009, Teil IV-2, § 6 Rn. 112 ff.; Bülow, in: Blechinger/Bülow, Das neue Staatsangehörigkeitsrecht, Stand 2011, Teil 8/2.4, S. 32; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. September 2008 - OVG 5 B 7.07 - juris Rn. 23 m.w.N.). [...]