Im Rahmen eines Widerrufs sind hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Veränderungen zu stellen, wenn sich die zu beurteilenden Veränderungen innerhalb eines bestehenden Systems abspielen.
Für einen kurdischen Sympatisanten der PKK aus der Türkei, der in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist, verbleibt ein erhebliches Risiko bei Rückkehr misshandelt zu werden. Auch bei nicht exponierter politischer Tätigkeit kann das Risiko der Festnahme an die Nichtableistung des Wehrdienstes oder ein nicht abgeschlossenes Strafverfahren in der Türkei anknüpfen.
[...]
Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Widerrufsbescheid vom 16. Juli 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war deshalb aufzuheben. [...]
Nach § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere dann nicht mehr vor, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Hierbei ist - unter anderem - zu prüfen, ob der Flüchtling aufgrund der erheblichen Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr noch mit Verfolgung rechnen muss. Dabei findet - unabhängig davon, ob der Flüchtling Vorverfolgung erlitten hat - der Wahrscheinlichkeitsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Anwendung. Dies ergibt sich aus folgendem:
Mit § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 v. 30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 v. 05.08.2005 S. 24) und über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 S. 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011,408). Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrundeliegenden Schutzanträge - wie vorliegend - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.
Das Bundesverwaltungsgericht hat, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft (EuGH, Urt. v. 02.03.2010 [Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505]) seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraussetzte, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben mussten, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (so Urteile v. 01.11.2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277, 281 u. v. 12.06.2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28). Unionsrechtlich gilt bei Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in den Tatbestandsmerkmal "… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …" des Art. 2 Buchstabe c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Gr. Kammer, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).
Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit der Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass darauf abzustellen ist, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht. Die Richtlinie kennt nur einen einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Anhaltspunkte dafür, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte, bestehen nicht. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG unter anderem Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu Eigen gemacht hat, wonach in Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG eine tatsächliche Vermutung dahingehend normiert, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden, wodurch der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet wird, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Auf die Frage, ob die Mitgliedsstaaten überhaupt bei der Regelung von Widerrufsverfahren von der unionsrechtlichen Vorgabe eines einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen durften, kommt es deshalb nicht mehr an.
Die für den Widerruf gem. § 73 Abs. 1 AsylVfG erforderliche erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. Der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände hat sich dabei danach zu bestimmen, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10, a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 2. März 2010 Rs. C-175/08 u.a. -NVwZ 2010,505). Gegenüber dem Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, weil reiner Zeitablauf für sich genommen keine Sachlagenänderung bewirkt (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).
Die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland Türkei haben sich seit der aufgrund des Verpflichtungsurteils vom 06. März 2002 erfolgten Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. durch Bescheid vom 15. April 2002 geändert (vgl. hierzu auch: OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2011 - 3 A 35/10 -, juris). [...]
Ein rechtmäßiger Widerruf, der - wie hier - mit den Veränderungen im Herkunftsland begründet wird, setzt voraus, dass die Veränderungen erheblich, d.h. deutlich und wesentlich und vor allem nicht nur vorübergehender Natur sind. Vorliegend sind jedenfalls die Anforderungen, die an die Nachhaltigkeit der Veränderungen zu stellen sind, nicht erfüllt. Ein Widerruf ist nur dann rechtmäßig, wenn die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur ist. Es muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Es reicht deshalb nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedsstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, das heißt dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält.
Sind - wie im vorliegenden Fall der Türkei - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, so sind an deren Dauerhaftigkeit hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 10.10 -, juris).
Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die individuelle Situation des Flüchtlings abzustellen. Bei der Prüfung des nachhaltigen Wegfalls der Umstände ist zwar die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auch auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll (vgl. OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2011 - 3 A 35/10 -, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 11.08.2010 - 11 LB 405/08 -, juris). So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt, gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in die Türkei zwar keine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mehr. Allerdings verbleibt für ihn unterhalb dieser Schwelle ein nicht unerhebliches Verfolgungsrisiko. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung nach Rückkehr in die Türkei besteht nach bisheriger Senatsrechtsprechung (nur) unter besonderen individuellen Voraussetzungen, nämlich für politisch aktive, sich erkennbar von der Masse gleichartiger Betätigungen abhebende und damit überhaupt erst in das Blickfeld der vom türkischen Staat organisierten Überwachung der kurdischen Opposition geratende Unterstützer der PKK und vergleichbarer Organisationen, nicht dagegen für "niedrig profilierte" politisch-oppositionell aktive Unterstützer (vgl. Senatsbeschl. v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, Senatsurt. v. 20.06.2006 - 4 LB 56/02 -, v. 25.07.2000 - 4 L 147/95 - m.w.N.).
Zu dieser Gruppe gehört der Kläger nicht. [...]
Insgesamt ist der Senat zur Einschätzung gelangt, dass der Kläger zum heutigen Zeitpunkt - nicht zuletzt infolge der geschilderten Veränderungen - nicht mehr zu dem Personenkreis zu rechnen ist, bei dem die türkischen Sicherheitskräfte wegen herausgehobenen und profilierten Unterstützeraktivitäten für die PKK ein gesteigertes Verfolgungsinteresse haben, sodass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung nicht mehr besteht. [...]
Der Senat ist jedoch überzeugt, dass für den Kläger - wenn auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - ein Risiko der Verfolgung bei Rückkehr in die Türkei verbleibt. In seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gefährdung von Unterstützern kurdischer oppositioneller Organisationen ist der Senat davon ausgegangen, dass Personen, die von den türkischen Sicherheitsbehörden als Sympathisanten und Unterstützer der PKK eingestuft werden, vor Verfolgung nicht hinreichend sicher sind, auch wenn es sich nicht um exponierte Akteure handelt (Senatsurt. v. 09.02.2010 - 4 LB 9/09 -, Juris, v. 20.06.2006 - 4 LB 25/02 -, v. 23.05.2000 - 4 L 21/94 -, Senatsbeschl. v. 10.06.2008 - 4 LB 4/06 -, Juris; v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, v. 20.03.2009 - 4 LA 16/09 -). An der im Anschluss an die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.04.2005 – 8 A 273/04.A – und vom 26.05.2004 – 8 A 3852/03.A-, Juris) getroffenen Bewertung, dass nach wie vor vom Fortbestehen von Folter und Misshandlungen in der Türkei auszugehen sei und daher jedenfalls keine hinreichende Verfolgungssicherheit (in der Terminologie des vor Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie gültigen rechtlichen Maßstabes) für vermutete Mitglieder oder Unterstützer der PKK bestehe (Urteil vom 20.06.2006 – 4 LB 25/02 -), hat der Senat noch mit Urteil vom 09. Februar 2010 - 4 LB 9/09 - festgehalten. Dabei hat er sich auf die aktuelle Auskunftslage zu zwischenzeitlichen Reformbemühungen der Türkei im Strafrecht und bei dem Problem staatlicher Folter und Misshandlungen bezogen und auf die fortbestehenden, sich eher verschärfenden Spannungen in der Kurdenfrage, auf strafrechtliche Verfolgungen von positiven Aussagen zur PKK, Verhaftungen von PKK-Unterstützern, fortbestehende Berichte über Folter und Misshandlungen sowie die Problematik der Straflosigkeit von Tätern in Folterfällen verwiesen (vgl. im Einzelnen die Auswertung der Auskunftslage im Urteil v. 09.02.2010 - 4 LB 9/09 -, Juris).
Daran ist auch unter Auswertung der aktualisierten Auskunftslage festzuhalten (vgl. bereits Senatsurt. v. 01.09.2011 - 4 LB 11/10 -).
Die Wahrscheinlichkeit für Rückkehrer, bei der Einreise festgehalten, verhört und ggf. an weitere Sicherheitsbehörden überstellt zu werden, hängt nach im Wesentlichen übereinstimmenden Auskünften nach wie vor davon ab, ob ein Strafverfahren gegen den Rückkehrer anhängig ist oder war und ob er seine Wehrpflicht noch nicht erfüllt hat. Ist beides nicht der Fall, so ist nach Auskunft von Kaya (an das VG Freiburg vom 01.07.2010) eine Ingewahrsamsnahme an der Grenze nicht zu erwarten. Wird bei der Einreise jedoch festgestellt, dass der Wehrdienst noch nicht abgeleistet wurde, wird der Betreffende nach Auskunft von Kaya (Gutachten an VG Freiburg vom 11.06.2008) festgenommen und in Begleitung von Polizisten oder Gendarmen zwecks Musterung und Einberufung der nächstgelegenen Militärdienstbehörde überstellt. Taylan hält eine Situation des vorherigen jahrelangen Nichterscheinens bei der Musterung mit der Möglichkeit, dass darüber ein Aufenthalt des Wehrpflichtigen im Ausland bei der PKK bekannt geworden sein könnte, und den fehlenden Beleg der entstandenen Auslandszeiten mit einem von türkischen Behörden anerkannten Status bei der Einreise für sehr gefährlich, weil er in aller Regel zu einer intensiveren Untersuchung führe (Taylan, Gutachten an VG Sigmaringen v. 21.12.2007). Für eine derartige Konstellation ist auch Aydin in einem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 20. September 2007 von einer Gefährdung des betreffenden Rückkehrers durch Misshandlung oder Folter ausgegangen. Oberdiek teilt in seinem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 15. August 2007 ebenfalls die Einschätzung, dass zurückkehrende Nichtwehrdienstleistende einer Überprüfung hinsichtlich des Grundes ihrer zwischenzeitlichen Abwesenheit und eines möglichen Verdachts der Zusammenarbeit mit der PKK unterzogen werden, ohne jedoch eine klare Aussage zu den hierdurch zu befürchtenden Folgen für den Rückkehrer zu treffen (vgl. dort S. 15).
Unter Berücksichtigung dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass der Kläger, der noch keinen Wehrdienst in der Türkei geleistet hat, bei Einreise festgehalten und befragt werden wird und ihn hierbei ein Risiko trifft, misshandelt zu werden. Nach der Einschätzung von Kaya (Serafettin Kaya, Auskunft an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11.06.2008) ist es undenkbar, dass die türkischen Sicherheits- und Nachrichtendienstbehörden zur Beobachtung der Organisationen der kurdischen nationalen Opposition, insbesondere der PKK in Europa und für das Sammeln von Informationen über deren Aktivitäten, Aktionen und Aktivisten keine Spitzel und Agenten einsetzen. Sie sammeln danach über solche Aktionen und Teilnehmer Informationen nicht nur mittels ihrer Spitzel, sondern auch über die aktiven türkischen Vereine, Moscheen, Reisebüros, Studenten, Arbeiter und Zeitungsjournalisten, die in Europa ansässig sind. Bereits das Verwaltungsgericht ist in seinem Verpflichtungsurteil vom 06. März 2002 davon ausgegangen, dass den türkischen Sicherheitskräften die seinerzeitigen exilpolitischen Aktivitäten des Klägers bekannt geworden sind. Hiervon ist auch der Senat überzeugt. Auch wenn dem Auswärtigen Amt keine Fälle bekannt geworden sind, in denen PKK-Sympathisanten im Zusammenhang mit ihren exilpolitischen Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sind, so kann das Risiko, dass der Kläger als Kurde, der sich bislang dem Wehrdienst entzogen hat und der zumindest als PKK-Sympathisant eingestuft werden wird, im Zuge der Ingewahrsamsnahme und Befragung misshandelt wird, nicht von der Hand gewiesen werden, auch wenn es nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Dieses Risiko besteht um so mehr, als die gegenwärtige Situation von Spannungen in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes gekennzeichnet ist und die von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdogan 2009 initiierte "Demokratische Öffnung" (zuvor "Kurdische Öffnung") aufgrund nationalistischer Vorbehalte und andauernder Anschläge durch die PKK zum Stillstand gekommen ist (vgl. dazu auch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14.10.2011 - 10 A 10416/11.OVG).
Die Annahme eines verbleibenden Risikos für den Kläger wird auch durch die weitere Auskunftslage gestützt. Was die Gefahr von Folter und Misshandlungen allgemein anbelangt, so ist auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse weiterhin von einer nicht auszuschließenden Gefährdung auszugehen. Das Auswärtige Amt berichtet für das Jahr 2010 von einer erheblichen Anzahl von Fällen von Folter und Misshandlungen, die bei anerkannten Menschenrechtsorganisationen registriert seien. Es sei der Regierung nach wie vor nicht gelungen, solche Misshandlungen vollständig zu unterbinden; Straflosigkeit der Täter sei weiterhin ein ernstzunehmendes Problem (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.04.2011, S. 21). Die EU-Kommission stellt in ihrem Fortschrittsbericht vom 09. November 2010 (Turkey 2010 Progress Report, SEC (2010) 1327, S. 18) zwar insgesamt einen positiven Trend bezüglich der Verhütung von Folter und Misshandlungen, gleichzeitig aber weiterhin ein verbleibendes, besorgniserregendes Problem unangemessener Gewaltanwendung seitens der Sicherheitsbehörden fest. Beispiele für auch noch 2010 geschehene Folter führt auch Kaya (Gutachten an OVG Greifswald v. 14.06.2010, S. 11 ff.) auf. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe hält staatliche Folter in der Realität immer noch für verbreitet, wobei zunehmend an unbeobachteten Orten - außerhalb von Polizeistationen und Gefängnissen - gefoltert werde (SFH, Türkei: Die aktuelle Situation der Kurden, 20.12.2010, S. 13; Türkei: Risiken bei der Rückkehr eines verurteilten PKK-Mitglieds, 26.05.2010, S. 1 f.).
Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Bericht v. 20.12.2010 über die aktuelle Situation der Kurden, S. 19) riskieren politisch aktive Kurden Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in der verbotenen PKK. Kamil Taylan berichtete in einem Gutachten für das OVG Saarland vom 11. Februar 2011 (S. 5), dass die Staatsanwaltschaft Diyarbakir im April 2010 ein Strafverfahren gegen 30 Rückkehrer aus dem Nordirak wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine Terrororganisation bzw. Planung und Durchführung von Verbrechen im Auftrag einer solchen Organisation eingeleitet habe; dieselbe Staatsanwaltschaft führe einen Massenprozess gegen PKK-Unterstützer. An anderer Stelle führt Taylan allerdings aus, dass keine Verfahren gegen Rückkehrer wegen Unterstützungshandlungen in den 90’ger Jahren bekannt seien (ebd. S. 4).
Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass für den Kläger - wenn auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - ein erhebliches Risiko verbleibt, als kurdischer Sympathisant der PKK bei Rückkehr misshandelt zu werden.
Unter Berücksichtigung dieses Umstandes und der Tatsache, dass es sich um zu beurteilende Veränderungen innerhalb eines bestehenden Systems handelt, sind vorliegend hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Veränderungen zu stellen, die nicht erfüllt werden.
Das Auswärtige Amt teilt im Lagebericht 2011 mit, dass trotz der Veränderungen des politischen Systems in den letzten Jahren weiterhin Hinweise vorliegen, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien in Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten werden. Auch seien weiterhin Spannungen in dem kurdisch geprägten Regionen im Südosten und in den Ballungszentren des Landes zu verzeichnen. Die Politik der sogenannten "Demokratischen Öffnung" sei vorerst eingefroren. Die PKK habe Ende Februar 2011 eine im Herbst des Jahres 2010 verkündete Waffenruhe zunächst aufgekündigt. Die vielfältige Presselandschaft berichte nach Einflussnahme der Regierung wenig regierungskritisch. Im März 2011 sei es zu zahlreichen Verhaftungen von Journalisten gekommen. Die Aktivitäten der Menschenrechtsorganisationen würden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet; ihre Mitglieder seien nach wie vor des Öfteren Verfahren ausgesetzt, deren rechtliche Grundlage zum Teil fragwürdig erscheine. Seit April 2009 seien über 1500 Personen, darunter 11 Bürgermeister, 2 Provinzvorsitzende und 2 Mitglieder der Stadtversammlung der pro-kurdischen BTP verhaftet worden. Ihnen sei vorgeworfen worden, Mitglieder der Struktur KCK (Liga Demokratisches Kurdistan) und damit auch einer terroristischen Vereinigung zu sein. In der Praxis würden bei pro-kurdischen Versammlungen regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Angaben Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilichen Ingewahrsammaßnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kämen vor. Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB durch das oberste Zivilgericht führe zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung den Betroffenen bekannt wurde. Sie müssten damit rechnen, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt zu werden, ohne Mitglied in dieser zu sein. Schriftliche wie mündliche Aussagen, die die PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als "Guerilla"), den PKK-nahen TV-Sender ROJ-TV oder den inhaftierten Abdullah Öcalan (z.B. "verehrter Öcalan") in ein positives Licht stellen, werden strafrechtlich verfolgt. Die Möglichkeit, Meinungen im Internet zu äußern, sei durch das Gesetz für die Bekämpfung von Verbrechen gegen Kriminalität im Internet 2007 eingeschränkt worden. Nach Angaben des EU-Fortschrittsbericht 2010 sei der Zugang zu rund 8000 Seiten gesperrt. Insgesamt betrachtet hätten die Pressefreiheit und der Pluralismus in der türkischen Medienlandschaft u.a. aufgrund der offenen Diskreditierungen von Journalisten durch Politiker und durch die zunehmende vorauseilende Selbstzensur einen Rückschlag erfahren. Weiterhin würden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen, welche vor allem kurdische oder linke Zeitungen beträfen. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen sei nicht erlaubt. Durch die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als der einzigen Nationalsprache werde die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden erschwert. Die 2009 vom Staatspräsidenten Gül und Ministerpräsident Erdogan initiierte "demokratische Öffnung" sei aufgrund nationalistischer Vorbehalte und andauernder Anschläge durch die PKK seit Mitte 2010 zum Stillstand gekommen. Seit 2008 habe sich zwar die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, allerdings komme es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen, beispielsweise wegen Folter. Der Kassationsgerichtshof habe im Jahr 2008 unter Bezug auf Art. 220 Abs. 6 tStGB entschieden, dass Teilnehmer an einer Demonstration, zu der eine Terrororganisation aufgerufen habe, als Mitglied einer Terrororganisation verurteilt werden könnten, ohne formal Mitglied zu sein, selbst wenn der Teilnehmer von diesem Aufruf keine nachweisbare Kenntnis gehabt habe. Trotz der "Null-Toleranz-Politik" und der Ausschöpfung gesetzgeberischer Mittel zur Unterbindung von Folter und Misshandlung sei es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommen es zur übermäßiger Gewaltanwendung.
Es gebe Anzeichen, dass Misshandlungen nicht mehr in den Polizeistationen, sondern gelegentlich an anderen Orten, u.a. im Freien stattfänden. Nach glaubhaften Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden. Auch die Regierung räume ein, dass Folter in wenigen Ausnahmefällen vorkomme. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernstzunehmendes Problem. Laut Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) vom November 2010 mangele es an unabhängiger, unparteiischer und transparenter Untersuchung. Sicherheitskräfte, die unter Verdacht der Folter oder der unmenschlichen Behandlung stehen, würden zu selten vom Dienst suspendiert und gefährdeten damit die effektive Aufklärung.
Amnesty International führt zur allgemeinen Entwicklung in seinem Länderbericht Türkei (Stand: Dezember 2010; im Folgenden: Länderbericht Türkei 2010) aus, es habe in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen gegeben, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Zwischen 2002 und 2005 seien insgesamt 8 Reformpakete mit Änderungen der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze verabschiedet worden; zum 01. Juni 2005 sei ein neues Strafrecht in Kraft getreten. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Im Sommer 2005 habe der damalige Generalstabschef kritisiert, die im Hinblick auf die EU vorgenommenen Gesetzesänderungen hätten den Kampf gegen den Terror behindert. Diese Kritik sei mit kampagnenartiger Intensität von der Presse aufgenommen worden und habe schließlich zu einer Verschärfung des Anti-Terror-Gesetzes im Juli 2006 geführt. Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ins Stocken geraten und würden durch die Verfahren gegen die KCK und gegen Menschen, die an Demonstrationen teilgenommen hatten, weiter erschwert. Im Sommer 2006 habe das türkische Parlament eine geänderte Fassung des Anti-Terror-Gesetzes (ATG) verabschiedet. Darin sei das im Rahmen vorausgegangener Gesetzesreformen zugestandene Recht auf sofortigen Anwaltszugang für Festgenommene für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes wieder eingeschränkt worden. Bei Strafverfahren mit politischem Hintergrund habe es unfaire Gerichtsverfahren und überzogene Strafen gegeben. Die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden seien auch von den Aktivitäten der PKK geprägt, die nicht nur einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit, vor Bombenanschläge gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt habe und Druck und Gewalt gegen Kurden ausübe, die andere politische Positionen vertreten oder sich von der PKK getrennt hätten. Einen möglicherweise schwerwiegenden Rückschlag für politische Lösungsbemühungen in der Kurdenfrage stelle das juristische Vorgehen gegen Kurden dar, denen eine Zusammenarbeit mit der PKK im Rahmen ihrer legalen politischen Aktivitäten vorgeworfen wird. Im April, September und im Dezember 2009 habe es gegen angebliche Mitglieder der KCK Verhaftungswellen gegeben. Insgesamt seien 1500 Personen in verschiedenen Provinzen angeklagt. Die Anklagepunkte würden sich auf legale politische Aktivitäten beziehen, die Beteiligung an bewaffneten Aktionen werde keinem der Beteiligten vorgeworfen. Bei der KCK handele es sich offenbar um eine politische Struktur, mit der die PKK versuche, ihre Macht auf legaler politischer und gesellschaftlicher Ebene zu etablieren.
Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, um das Ziel der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU zu erreichen, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Seit der Änderung des Anti-Terror-Gesetzes vom Juli 2006 hätten jedoch Berichte über Folter und Misshandlungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte wieder zugenommen. Personen, die wegen politisch motivierter Straftaten angeklagt bzw. verurteilt waren, würden nach wie vor in Kleingruppen isoliert. Die Zahl der Misshandlungen in Gefängnissen habe in letzter Zeit wieder zugenommen. Neben Berichten über Folter in Polizei- und Gendarmerie-Gewahrsam sowie in Gefängnissen gebe es weiterhin in steigender Zahl Fälle von Folter und Misshandlung außerhalb offizieller Haftorte. Der Menschenrechtsverein IHD führe beispielsweise für das Jahr 2008 264 Fälle von Folter und Misshandlung an nichtregistrierten Haftorten an, für das Jahr 2009 358 Fälle.
Bei Demonstrationen gingen die Sicherheitskräfte nach wie vor mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Teilnehmer vor.
Die Labilität des Reformprozesses in der Türkei spiegelt auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 09. März 2011 zum Fortschrittsbericht 2010 der EU wieder. In dem Bericht erkennt das Europäische Parlament zwar verschiedene Reformbemühungen an, stellt jedoch zugleich fest, dass die Reformen in der Türkei langsam vorankommen und weist darauf hin, dass die türkische Regierung sich dazu verpflichtet habe, umfassende Reformen durchzuführen, um die Kriterien von Kopenhagen zu erfüllen sowie die Türkei zu modernisieren, und fordert die Regierung auf, ihre diesbezüglichen Anstrengungen zu verstärken. Die Entschließung zeigt sich besorgt über die anhaltende Konfrontation zwischen den politischen Parteien in der Türkei und die mangelnde Bereitschaft der Regierung und der Opposition, auf einen Konsens über wichtige Reformen hinzuarbeiten. Die Annahme der Verfassungsänderungen sei ein Schritt in die richtige Richtung, es sei jedoch deren Umsetzung unter umfassender Einhaltung der Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu fordern. Die Entschließung zeigt sich besorgt über die Verschlechterung der Pressefreiheit, insbesondere einige Zensurmaßnahmen sowie die zunehmende Selbstzensur in den türkischen Medien und im Internet sowie über den Umstand, dass Journalisten, die Beweise über Menschenrechtsverletzungen und andere Fragen von öffentlichem Interesse an die Öffentlichkeit bringen, strafrechtlich verfolgt würden. Zugleich wird die türkische Regierung mit Nachdruck aufgefordert, das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Vereinigungsfreiheit zu wahren. Die Fortschritte bei der Reformierung der Justiz würden begrüßt; die Regierung bleibe jedoch aufgefordert, die in diesem Bereich angenommenen Verfassungsänderungen unter uneingeschränkter Achtung der Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz und dem Einklang mit europäischen Normen umzusetzen. Die Auslegung der Strafprozessordnung durch den obersten Gerichtshof der Türkei, durch die die Dauer der Untersuchungshaft bis auf 10 Jahre ausgedehnt werden könne, sei besorgniserregend und stelle einen eindeutigen Verstoß gegen diesbezügliche europäische Normen dar. Das Europäische Parlament verurteilt entschieden die von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die auf der EU-Liste terroristischer Vereinigungen stehe, und von anderen terroristischen Gruppierungen auf türkischem Boden weiterhin begangenen terroristischen Gewaltakte; fordert aber zugleich die Regierung auf, ihre Anstrengungen im Rahmen der demokratischen Öffnung zu verstärken, um die Kurdenthematik umfassend im Hinblick auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu behandeln, indem sie insbesondere eine kohärente Auslegung der Gesetze gewährleiste, die den Gebrauch der kurdischen Sprache im politischen und öffentlichen Leben und im Bildungssektor gestatte und indem sie die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus ändere, um Missbrauch oder eine weitreichende Auslegung zu vermeiden. Die in Diyarbakir anhängigen Gerichtsverfahren gegen 151 kurdische politische Aktivisten, darunter 8 gewählte amtierende Bürgermeister, stellten eine Einmischung in legale politische Aktivitäten dar und seien besorgniserregend, ebenso noch anhängige Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsverteidiger und die anhaltende strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern (vgl. insgesamt: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 09. März 2011 zum Fortschrittsbericht 2010 über die Türkei).
Der Senat zieht aus den genannten Auskünften unter Berücksichtigung der dargestellten rechtlichen Grundsätze den Schluss, dass in der Türkei zwar seit der Anerkennung des Klägers erhebliche Reformbemühungen erfolgt sind, angesichts der zu verzeichnenden Rückschläge und der Verlangsamung des Reformprozesses im vorliegenden Einzelfall jedoch jedenfalls die für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zu fordernde Stabilität der Veränderungen bisher nicht erreicht ist.
Die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG lagen nach allem nicht vor. Aus der Entscheidung folgt zugleich, dass der Bescheid insgesamt aufzuheben ist, das heißt, dass auch die negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG der Aufhebung unterliegt, da die negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG der positiven Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG a.F., welche Bestand hat, widersprechen würde. [...]