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VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 18.01.2012 - W 6 K 10.30335 - asyl.net: M19809
https://www.asyl.net/rsdb/M19809
Leitsatz:

Eine Ausbürgerung ist nur dann eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, wenn sie an asylerhebliche Merkmale anknüpft. Ist die Staatsangehörigkeit des Vaters nicht geklärt, ist im Iran die Verweigerung der Ausstellung der entsprechenden Personalpapiere nicht asylrelevant.

Der Glaubensübertritt zu den Baha'i führt nur dann zu einer Flüchtlingsanerkennung, wenn er endgültig, nachhaltig und auf Dauer vollzogen ist.

Schlagwörter: Iran, Geburtsurkunde, Staatsangehörigkeit, iranische Staatsangehörigkeit, Ausbürgerung, Asylrelevanz, Bahai, Baha'i, Glaubenswechsel, Konversion, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Konvertiten, Afghanen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 2-7,
Auszüge:

[...]

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Die hilfsweise zu prüfenden Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG liegen hier ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Wesentlichen der Begründung des angefochtenen Bescheides und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Die Beklagte hat insbesondere zu Recht festgestellt, dass das Vorgehen der iranischen Behörden, konkret die Verweigerung der Ausstellung der Personalpapiere, nicht aus asylerheblichen Gründen erfolgt ist. Das Gericht geht davon aus, dass die Weigerung der iranischen Behörden, dem Kläger zu 1) und dem Kläger zu 3) förmlich die iranische Staatsangehörigkeit zuzuerkennen, weil nach Ansicht der dortigen Behörden deren iranische Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen ist, aufgrund der im Iran geltenden Gesetze erfolgte und ohne politische Bedeutung ist. Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte, dass die entsprechenden iranischen Vorschriften an eine schicksalhaft prägende asylrelevante Eigenschaft anknüpfen.

Das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten mit dem Verweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 6. April 2011 (Az: 8 K 20205/09 Me) führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Der dortige Fall betrifft eine andere Fallgestaltung. Vorliegend kann das Gericht nicht erkennen, dass die Verweigerung der Zuerkennung der iranischen Staatsangehörigkeit und der Ausstellung der betreffenden Personalpapiere diskriminierend oder sonst asylrelevant ist. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Entzug der Staatsangehörigkeit eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne dels Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/83/EG vom 19. April 2004 (so genannte Qualifikationsrichtlinie) darstellen. Jedoch ist eine Ausbürgerung nur dann eine Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG, wenn sie in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale im Sinne dieser Vorschrift erfolgt. Daran fehlt es bei einer Ausbürgerung, die nach nationalen Vorschriften mangels Nachweises der Staatsangehörigkeit und ohne asylerheblichen Bezug erfolgt (vgl. BVerwG, U.v. 26.02.2009 Az: 10 C 350/07, BVerwGE 133, 203; Mallmann, juris, Praxisreport BVerwG 20/2009 vom 5.10.2009, Anm. 2). Ist aus der Sicht der iranischen Behörden die Staatsangehörigkeit der Kläger zu 1) und 3) deshalb zweifelhaft, weil die Staatsangehörigkeit des Vaters des Klägers zu 1) nicht geklärt ist, so hat die Verweigerung der Ausstellung der entsprechenden Personalpapiere keine asylerhebliche Relevanz. Der Kläger hat zwar darauf hingewiesen, dass seine Brüder teilweise die iranische Staatsangehörigkeit hätten, er hat aber selbst nicht vorgetragen, dass ihm im Vergleich zu seinen Brüdern aus diskriminierenden Gründen die Staatsangehörigkeit versagt worden sei.

Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zum Iran (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 4. November 2011, Stand: Juli 2011) bei einer Rückkehr in den Iran entsprechende Papiere ausgestellt werden. Voraussetzung ist dabei der zweifelsfreie Nachweis der iranischen Staatsangehörigkeit. Infolgedessen geht das Gericht davon aus, dass der Kläger zu 1) und der Kläger zu 3) ohnehin nur dann in den Iran zurückkehren können, wenn ihre iranische Staatsangehörigkeit zuvor vom iranischen Staat anerkannt und bescheinigt wird.

Die Kläger haben des Weiteren auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund ihrer Zuwendung zur Religion der Baha'i (Baha'i, Bahai). Eine Bedrohung wegen des vorgetragenen Religionswechsel liegt nur dann vor, wenn anknüpfend an die Verfolgungsgründe Verfolgungshandlungen i.S. von Art. 9 der Qualifikationsrichtlinie, welcher durch § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in Bezug genommen wird, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Das Gericht geht zwar nach den gegenwärtigen ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen durchaus davon aus, dass Mitgliedern der Religion der Baha'i im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, weil die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen und eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. So enthalten schon die Lageberichte des Auswärtigen Amtes der letzten Jahre durchweg die Aussage, dass die Situation der Baha'i problematisch ist, da diese im Iran diskriminiert werden und Repressionen unterliegen (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 4. November 2011, Stand: Juli 2011). Auch in den Erkenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Informationszentrum Asyl und Migration) der letzten Jahre werden immer wieder Übergriffe gerade gegen Mitglieder der Baha'i dokumentiert. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist das Gericht überzeugt, dass Baha'i mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran droht. Dies gilt erst recht für Konvertiten, die vom Islam zu den Baha'i konvertiert sind. Denn die Baha'i gelten als eine vom Islam abgefallene Sekte. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung, die jedenfalls den konvertierten Mitgliedern der Gemeinschaft der Baha'i die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gewährt (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2011, Az: 2 K 4175/10.A; VG Ansbach vom 31.03.2011, Az: AN 18 K 11.30040; VG Meiningen, U.v. 11.06.2008, Az: 5 K 20406/04 Me).

Gleichwohl war im vorliegenden Verfahren den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, weil das Gericht zum maßgeblichen Entscheidungspunkt nicht zweifelsfrei davon überzeugt ist, dass die Kläger den Glaubensübertritt schon wirklich vollzogen haben. Zwar haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft über ihre Kontaktaufnahme und ihre Aktivitäten bei den Baha'i berichtet. Sie haben die regelmäßige Teilnahme an Treffen vorgetragen. Die Kläger konnten auch die Einteilung des Jahres in 19 Monate sowie einzelne Feiertage nennen. Des Weiteren erklärten sie ihre Beweggründe gerade auch aus dem Unterschied der aus ihrer Sicht modernen Religion im Vergleich zum alten Islam im Iran. Bei ihnen gebe es keinen Zwang. Gegen die Flüchtlingsanerkennung spricht jedoch, dass sich die Kläger nach Überzeugung des Gerichts zwar auf dem Weg weg vom Islam und hin zu dem Baha'i befinden. Aber der Schritt ist noch nicht endgültig, nachhaltig und auf Dauer vollzogen. So haben die Kläger erst am 19. Dezember 2011 ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der Baha'i beantragt, wenn sie auch schon länger Kontakt zu den Baha'i haben. Die Aufnahme ist indes noch nicht vollzogen, wie ein Schreiben des Nationalen Geistigen Rates der Baha'i in Deutschland vom 12. Januar 2012 belegt, welches der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Dort ist die Rede davon, dass die Kläger erst aufgenommen werden möchten und zu diesem Zweck zu einem Gespräch zu den Baha'i eingeladen werden. Des Weiteren hat der Nationale Geistige Rat der Baha'i in Deutschland in der Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2011 ausdrücklich ausgeführt, dass die Aufnahme in jeden Fall Einzelfall sorgfältig geprüft würde. Dazu würden Gespräche aufgenommen, um die Personen kennen zu lernen und ihre Motive einzuschätzen. Außerdem würden die weiteren Hintergründe des Glaubenswechsels eruiert, auch um sich ein Bild von der Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit des Verhaltens zu machen. Nach dieser Auskunft erfolgt eine Aufnahme in der Gemeinde nur dann, wenn keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung bestünden und der Nationale Geistige Rat sich von der Aufrichtigkeit der Motive habe überzeugen können. Es müsse deutlich sein, dass der Beweggrund ausschließlich die Anerkennung des Baha'u'llahs sei. Andere Beweggründe würden nicht akzeptiert, andernfalls werde ein Aufnahmegesuch zurückgestellt. Diese Praxis erlaube eine zuverlässige Aussage über die bestehende Mitgliedschaft und über Glaubwürdigkeit des Glaubensübertritts und zwar nicht für das Asylverfahren, sondern im eigenen Interesse der Religionsgemeinschaft der Baha'i.

Das Gericht ist nach diesen Erkenntnissen der Auffassung, dass im Regelfall ohne Vorliegen einer entsprechenden förmlichen Aufnahme durch den Nationalen Geistlichen Rat der Baha'i in Deutschland noch nicht von einem ernsthaften Glaubenswechsel ausgegangen und asyltaktische Motive nicht ausgeschlossen werden können. Demgegenüber spricht nach dieser restriktiven Praxis des Nationalen Geistigen Rates der Baha'i in Deutschland Vieles dafür, bei Vorliegen einer entsprechenden Bestätigung der förmlichen Aufnahme in die Gemeinschaft der Baha'i von einer auf einer ernsthaften Gewissensentscheidung beruhenden Konversion auszugehen sowie anzunehmen, dass sich die Kläger infolge eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels und einer identitätsprägenden festen Überzeugung vom Islam abgewandt und der Religion der Baha'i zugewandt haben. Diese Stufe haben die Kläger zurzeit (noch) nicht erreicht. Sollten sie in der Zukunft eine entsprechende Bestätigung des Nationalen Geistigen Rates der Baha'i in Deutschland erhalten, müssten sie rechtzeitig einen entsprechenden Asylfolgeantrag stellen.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass den Klägern sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Zwar kann es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen; die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Darüber hinaus, kommt es jedoch zu keinen staatlichen Repressionen. Keiner westlichen Botschaft ist bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren. Zudem wurde auch kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf eine Veränderung diesen Praxis. Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser "gesetzlichen Wiedereinreise" werden die früheren illegalen Ausreisen legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebunglsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Juli 2011, vom 4. November 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - Länderanalyse vom 16.11.2010; OVG NRW, B.v. 16.06.2011, Az: 13 A 1188/11 A, Asylmagazin 2011,246; OVG Lüneburg, B.v. 13.05.2011, Az: 13 LA 176/10).

Nach dem vorstehend Gesagten sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG gegeben wären. Das Gericht geht nach der Auskunftslage davon aus, dass eine Rückkehr insbesondere der Kläger zu 1) und 3) in den Iran nur dann in Betracht kommt, wenn der iranische Staat diesen die iranische Staatsangehörigkeit bescheinigt. Im Übrigen ist das Gericht auch unter Berücksichtigung des vom Klägerbevollmächtigten vorgelegten Berichts von ACCORD (Anfragebeantwortung vom 15. September 2010 zur Situation der afghanischen Staatsbürger im Iran; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2011, Stand: Juli 2011) nicht vom Vorliegen von Abschiebungsverboten überzeugt. Obwohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass (vermeintliche) afghanische Flüchtlinge im Vergleich zur iranischen Bevölkerung benachteiligt werden, sieht das Gericht die Voraussetzungen der Abschiebungsverbote dennoch nicht als erfüllt an, zumal die Kläger auch Verwandte im Iran haben, die sie unterstützen können. Das Gericht hält es außerdem für möglich, dass der Kläger zu 3) - gegebenenfalls gegen Bezahlung - auch eine schulische Ausbildung erhalten kann. [...]