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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 29.11.2011 - 5417347-272 - asyl.net: M19829
https://www.asyl.net/rsdb/M19829
Leitsatz:

Die Versorgungslage in Sierra Leone ist weiterhin schwierig und durch bürgerkriegsbedingte Zerstörungen und die damit einhergehenden Infrastrukturmängel geprägt. In Ermangelung staatlicher oder nichtstaatlicher finanzieller Fördermöglichkeiten sind Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen ganz besonders auf Unterstützung durch die traditionellen Großfamilien angewiesen.

Schlagwörter: Sierra Leone, Bürgerkrieg, Kriegsfolgen, bürgerkriegsbedingte Zerstörungen, Familienangehörige, Großfamilie, alleinerziehend, alleinerziehende Mutter, minderjährig, alleinstehende Frauen, Existenzgrundlage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Es liegt ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Sierra Leone vor.

Von einer Abschiebung soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dem Ausländer eine erhebliche individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, wobei es hier nicht darauf ankommt, von wem die Gefahr ausgeht und wodurch sie hervorgerufen wird. Es muss jedoch über die Gefahren hinaus, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist, eine besondere Fallkonstellation gegeben sein, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteigt (vgl. die insoweit auf § 60 Abs. 7 AufenthG übertragbaren Entscheidungen BVerwG, Urteile vom 29.11.1977, BVerwGE 55, 82; vom 17.01.1989, EZAR 201 Nr. 19; vom 30.10.1990, BVerwGE 87, 52; vom 17.10.1995, BVerwGE 99.324, und vom 23.08.1996, 9 C 144.95).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da es sich bei der Antragstellerin um ein siebenzehnjähriges Mädchen handelt, die zwar ihren Angaben zu Folge bis zu ihrer Ausreise in Sierra Leone eine Schule besucht hat, jedoch keinerlei berufliche Ausbildung hat.

Die Versorgungslage in Sierra Leone ist nach wie vor schwierig und durch bürgerkriegsbedingte Zerstörungen und die damit einhergehenden Infrastrukturmängel geprägt. Insgesamt sind die Möglichkeiten zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sehr eingeschränkt. In Ermangelung staatlicher oder nichtstaatlicher finanzieller Fördermöglichkeiten (Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht) sind Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen ganz besonders auf Unterstützung der traditionellen Großfamilien angewiesen (vgl. U.K. Home Office, Country of Origin Information Report, Sierra Leone, March 2006; Human Rights Watch: Country Summary - Sierra Leone, January 2007). Bei jüngeren Personen ist grundsätzlich keine abweichende Beurteilung geboten (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14. November 2005 an VG Aachen, Az.: ohne). Erwerbslose, die in der Heimat keine Unterstützung durch ihre Familien finden werden, sind darauf angewiesen, in den größeren Städten eine ärmliche Existenz durch Hilfsjobs oder sonstige Geschäfte zu sichern (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14. November 2005 an VG Aachen). Eine Existenzsicherung ist aber möglich (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 06.09.2007, Az.: 11 A 633/05.A; OVG Schleswig, Beschluss vom 14. März 2006, Az.: 4 LB 110/99). Vor diesem Hintergrund und da nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Antragstellerin nunmehr als Mutter eines in Deutschland geborenen Kindes nach wie vor von ihrer Großmutter unterstützt werden würde, ist bei einer Rückkehr der Antragstellerin in ihre Heimat nicht davon auszugehen, dass sie in der Lage sein wird, für sich selbst und für ihren in Deutschland geborenen Sohn die ihre Existenz sicherende Lebensgrundlage selbst zu schaffen.

Somit sind die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben. [...]