OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 17.07.2012 - 3 A 320/10 - asyl.net: M19857
https://www.asyl.net/rsdb/M19857
Leitsatz:

Ein genereller Ausschluss der Minderheiten von Leistungen des Gesundheitssystems im Kosovo (einschließlich einer dort möglichen schmerztherapeutischen Behandlung) kann nicht angenommen werden. Die Beurteilung, ob bei Rückkehr eine wesentliche Verschlimmerung eines konkreten Krankheitsbildes droht, kann nicht abstrakt für eine Vielzahl von Fällen vorgenommen werden.

Schlagwörter: Kosovo, Minderheit, Roma, Ashkali, medizinische Versorgung, Schmerztherapie, Schmerzerkrankung, Diskriminierung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.10.2010 ergangene und ihm am 14.10.2010 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts - 10 K 339/09 -, mit dem seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgewiesen wurde, hat keinen Erfolg. [...]

Der Kläger bezeichnet die Frage als grundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig, ob und inwieweit für Angehörige der Minderheiten im Kosovo eine schmerztherapeutische Behandlung erreichbar ist. Dabei macht er geltend, in einem Urteil des VG Lüneburg vom 20.4.2010 - 4 A 24/08 - werde eine solche Möglichkeit bezweifelt. Daneben verweist er auf einen Bericht von Pro Asyl von Oktober 2009 "Zur Lebenssituation von aus Deutschland abgeschobenen Roma, Ashkali und Angehörigen der Ägypter Minderheit im Kosovo", auf einen Bericht des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Deutschland e.V., vom 30.5.2010 über eine Recherchereise vom 12.4.-20.4.2010 "Zur Einschätzung der Lage der Minderheiten (Roma, Ashkali und Ägypter) im Kosovo" sowie auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo vom 20.6.2010 (Stand: Mai 2010) - 508-516.80/3 KOS -.

Er ist der Auffassung, aus diesen Berichten ergebe sich, dass Angehörige der Minderheiten im Kosovo allgemein und auch im Bereich des Gesundheitswesens und der medizinischen Behandlung diskriminiert würden. Da ein Schmerzpatient, der Angehöriger der Minderheiten sei, bei seiner Rückkehr in den Kosovo aufgrund dessen und der damit einhergehenden schlechten finanziellen Situation von Anfang an nicht die von ihm benötigten Medikamente erhalte, führe dies zu einer wesentlichen - existenzbedrohenden - Verschlimmerung der Erkrankung.

Dieser Vortrag des Klägers rechtfertigt eine Berufungszulassung wegen Grundsatzbedeutung indes nicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige, höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte rechtliche oder tatsächliche Frage allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsfähig- und -bedürftigkeit, ihre Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall und ihre verallgemeinerungsfähige Bedeutung (vgl. hierzu etwa Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 78 AsylVfG, Rdnrn. 54 ff.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Denn die von dem Kläger aufgeworfene Grundsatzfrage lässt sich anhand der vorliegenden Erkenntnislage beantworten.

Nach dem hier vorhandenen Dokumentationsmaterial ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit schmerztherapeutischer Behandlung (auch im Zusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall und einem LWS-Syndrom) im Kosovo prinzipiell geben ist (vgl. hierzu neben den erstinstanzlich genannten Auskünften bereits die Stellungnahmen des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo in Pristina vom 20.10.2004 an das Regierungspräsidium Stuttgart und vom 5.10.2004 an die Stadt Gelsenkirchen).

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang ferner auf fehlende oder jedenfalls eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten von Angehörigen der Ashkali im Kosovo zu einer medizinischen Behandlung beruft, gilt nichts anderes.

Denn nach den vorliegenden Erkenntnissen kann jedenfalls nicht von einem generellen Ausschluss von Angehörigen ethnischer Minderheiten von jeglicher medizinischen Versorgung im Kosovo ausgegangen werden und sind eventuelle Zugangsbeschränkungen abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (vgl. insoweit bereits OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 29.9.2004 - 1 Q 23/04 - im Falle von Angehörigen der Ägypter im Kosovo sowie Beschluss vom 15.11.2006 - 3 Q 83/06 - im Falle von Angehörigen der Roma und Ashkali im Kosovo).

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Situation seither etwas geändert hat und nunmehr Angehörigen von Minderheiten landesweit und prinzipiell die Teilhabe an Leistungen der Gesundheitsversorgung verwehrt würde oder de facto unmöglich wäre, lassen sich insbesondere auch nicht den vom Kläger angeführten Erkenntnisquellen entnehmen.

Der Bericht von Pro Asyl (Stephan Dünnwald) vom Oktober 2009 misst sich selbst nur begrenzte Aussagekraft bei, da er nur auf Informationen von etwa einem Dutzend abgeschobener Personen beruhe und daher nicht als repräsentativ angesehen werden könne (Seite 5 des Berichts). In ihm ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Gesundheitsversorgung im Kosovo (allgemein) eine Frage der Finanzen sei und dass die wirtschaftliche Lage von Angehörigen der Roma und Ashkali von dem Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes und/oder von Überweisungen von Angehörigen aus dem Ausland abhänge.

In dem Bericht des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche vom 30.5.2010 wird die medizinische Versorgung in abgelegenen Ortschaften, insbesondere in Roma-Siedlungen als eingeschränkt angesehen, auch können danach Leistungen der Gesundheitsversorgung von Angehörigen der Minderheiten zumeist de facto nicht kostenfrei erworben werden. Ein genereller Ausschluss von Minderheiten von Leistungen der Gesundheitsversorgung im Kosovo lässt sich dem Bericht hingegen nicht entnehmen.

Auch in dem aktuellen Lagebericht Kosovo (Stand: 6.1.2011) wird lediglich darauf hingewiesen, dass - bedingt durch die schwachen wirtschaftlichen Verhältnisse vieler Angehöriger der Minderheiten - diese teilweise nicht in der Lage seien, die erhobenen Zuzahlungen zu Medikamenten bzw. die Kosten für privatärztliche Behandlungen zu tragen.

Abgesehen davon berichten Auskünfte aus jüngerer Zeit (vgl. etwa Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Pristina an OVG Bautzen vom 1.6.2011 - RK 516.80 E 58/11 und an BAMF vom 1.8.2011 - RK 516.80/E 42/11 -), dass die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Roma und der Ashkali weder für die medizinische Behandlung im öffentlichen noch im privaten Gesundheitswesen von Bedeutung sei und dass kein Fall bekannt geworden sei, in dem die medizinische Behandlung eines Patienten wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe abgelehnt wurde.

Dem entspricht auch der Asyl-Länderbericht Kosovo der Botschaft der Republik Österreich vom 6.5.2011, wonach keine Fälle bekannt sind, in denen Minderheiten Zugang zur ärztlichen Behandlung verweigert wurde.

Hiervon Abweichendes ergibt sich auch nicht aus den Erkenntnissen des UNHCR (Stellungnahme an BAMF vom 28.6.2011 sowie Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009 und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Kosovo: Update vom 1.9.2010).

Zwar können nach dem Länderreport Band 2 Kosovo, Wirtschaftliche und soziale Lage, Gesundheit, Reintegration des BAMF vom Januar 2011 ethnisch motivierte Diskriminierungen beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und so auch im Bereich medizinischer Versorgung vorkommen. In Übereinstimmung mit den anderen bereits genannten Quellen weist der Report indes im Wesentlichen auf ganz allgemeine Schwierigkeiten im (staatlichen) Gesundheitswesen hin und stellt fest, dass ein Ausweichen auf private Einrichtungen für die große Mehrheit der (gesamten) Bevölkerung kaum bezahlbar sei. Spezifisch auf die Gruppe der Minderheiten im Kosovo bezogene Einschränkungen lassen sich auf dieser Grundlage nicht feststellen.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., verweist ebenso wie der UNHCR in den o.g. Richtlinien vom 9.11.2009 darauf, dass aufgrund des zwischen der albanischen Mehrheit und den ethnischen Minderheiten herrschenden Misstrauens letztere mehrheitlich das serbische parallele Gesundheitssystem im Kosovo in Anspruch nähmen. Auch dies verdeutlicht, dass eine medizinische Versorgung auch für Angehörige ethnischer Minderheiten im Kosovo prinzipiell möglich ist.

Ergibt sich somit aus der o.g. Erkenntnislage, dass ein genereller Ausschluss der Minderheiten von Leistungen des Gesundheitssystems im Kosovo (einschließlich einer dort möglichen schmerztherapeutischen Behandlung) nicht angenommen werden kann, ist die von dem Kläger aufgeworfene Grundsatzfrage dahin zu beantworten, dass eine Schmerztherapie im Kosovo prinzipiell auch für Minderheiten möglich ist. Der erstrebten Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es danach nicht.

Ob im Falle des Klägers bei einer Rückkehr eine wesentliche Verschlimmerung mit einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben zu befürchten ist, bedarf einer Beurteilung anhand der individuellen Fallumstände, das heißt des konkreten Krankheitsbildes und eventuell benötigter Medikamente und kann nicht "abstrakt" für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann. [...]