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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 21.05.2002 - 1 B 401.01 - asyl.net: M1986
https://www.asyl.net/rsdb/M1986
Leitsatz:

Verstoß gegen gerichtliche Aufklärungspflicht und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des BAFl übernimmt, ohne den Asylantragsteller selbst anzuhören.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Berufungsverfahren, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Glaubwürdigkeit, Mündliche Verhandlung, Sachaufklärungspflicht, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, Anhörung, Verfahrensmangel
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 96; VwGO § 130a
Auszüge:

Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO).

Der Kläger, ein äthiopischer Staatsangehöriger oromischer Volkszugehörigkeit, hat geltend gemacht, vor seiner Ausreise aus Äthiopien wegen Unterstützung der OLF mehrere Monate inhaftiert gewesen und dabei gefoltert worden zu sein. Das Berufungsgericht ist in seinem im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO ergangenen Beschluss demgegenüber davon ausgegangen, der Kläger habe nicht glaubhaft machen können, seinen Heimatstaat wegen erlittener oder unmittelbarer drohender politischer Verfolgung verlassen zu haben. Es teile die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) in dem Ablehnungsbescheid hinsichtlich der Sachdarstellung des Klägers geäußerten Bedenken (BA S. 4). Der Kläger rügt insoweit im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Schluss in seinem Fall nicht hätte ziehen dürfen, ohne sich zuvor ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit des Klägers gemacht zu haben.

Zwar hat das Verwaltungsgericht, das den Kläger in mündlicher Verhandlung gehört hat, es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob er, wie behauptet, vorverfolgt aus Äthiopien ausgereist sei, so dass das Berufungsgericht insoweit nicht durch eine Beweiswürdigung der Vorinstanz gebunden war (zu den hierfür geltenden Grundsätzen vgl. etwa Beschluss vow. 28. April 2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235 m.w.N.). Der vom Verwaltungsgericht als glaubhaft angesehenen Unterstützungstätigkeit des Klägers für die OLF in seinem Heimatland hat das Berufungsgericht keine verfolgungsbegründende Bedeutung beigemessen; daran war es verfahrensrechtlich nicht gehindert. Das Berufungsgericht hätte sich jedoch nicht ohne eigene Anhörung des Klägers die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit durch das Bundesamt zu Eigen machen dürfen.

Mit der Bezugnahme hierauf übernimmt das Berufungsgericht unter Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Bundesamts. Um eine grundsätzlich zulässige eigene Würdigung der bei der Anhörung durch das Bundesamt protokollierten Aussagen des Klägers durch das Berufungsgerichts handelt es sich hierbei ersichtlich nicht. Damit verstößt der angefochtene Beschluss zugleich gegen den Grundsatz der richterlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO). Denn zu einer Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Klägers hätte das Berufungsgericht hier nur aufgrund einer persönlichen Anhörung des Klägers gelangen dürfen, wie sie von dessen Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren auch ausdrücklich beantragt worden war (zu den vorstehenden angewandten Verfahrensrechtsgrundsätzen vgl. zusammenfassend den Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - zur Veröffentlichung vorgesehen.