VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 - asyl.net: M19921
https://www.asyl.net/rsdb/M19921
Leitsatz:

1. Die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings darf nur unter den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder denjenigen des Art. 24 Abs. 1

der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) erfolgen. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG lässt eine Ausweisung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu (siehe Urteil II.).

2. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i.S.v. Art. 24 Abs. 1 QRL setzen bei einer Unterstützung des internationalen Terrorismus keine herausragenden Handlungen von außergewöhnlicher Gefährlichkeit voraus; vielmehr können auch nicht besonders hervorgehobene Beiträge eines Sympathisanten genügen, wenn sie sich durch ein hohes Maß an Kontinuität auszeichnen und damit nachhaltig das Umfeld der terroristischen Organisation prägen und beeinflussen (siehe Urteil II. und III.).

3. Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 14.02.2012 – 1 C 7.11 und vom 10.07.2012 – 1 C 9.11) ist über die Befristung einer nicht allein generalpräventiv begründeten Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, die gegenüber der Ausweisung eine eigenständige Regelung im Sine des § 35 VwVfG darstellt, nur auf Antrag zu entscheiden. Dieser Antrag ist eine nicht nachholbare Sachurteilsvoraussetzung der Verpflichtungsklage auf Befristung (siehe Urteil VI.).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: anerkannter Flüchtling, PKK, YEK-KOM, PKK-naher Verein, Märtyrergedenkveranstaltung, Volksversammlung, Volksgebietsrat, Ausweisung, Rückkehrentscheidung, Rückkehrrichtlinie, Befristung, Zeuge vom Hörensagen, Türkei, KONGRA-GEL, terroristische Vereinigung, PKK-Selbsterklärung, besonderer Ausweisungsschutz, Refoulement, Refoulementverbot,
Normen: AufenthG § 54 Nr. 5, AufenthG § 11 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 21, RL 2004/83/EG Art. 24, RL 2008/115/EG Art. 3 Nr. 4, RL 2008/115/EG Art. 6 Abs. 6, RL 2008/115/EG Art. 11,
Auszüge:

[...]

Die Ausweisung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt (I.). Als anerkannter Flüchtling darf er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden; diese Bestimmung ist unionsrechtskonform dahingehend anzuwenden, dass die Ausweisung den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 (ABl. L 304, S. 12) - Qualifikationsrichtlinie - QRL - entsprechen muss (II.). Die nach Art. 24 Abs. 1 QRL erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung liegen bei dem Kläger, der sich seit Jahren kontinuierlich als Sympathisant der PKK betätigt, nach den konkreten Umständen des Falles vor; die Ausweisung ist auch verhältnismäßig (III.). Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass er über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, vermitteln Art. 14 ARB 1/80 oder die Standstill-Klauseln weder materiellrechtlich noch verfahrensrechtlich einen weitergehenden Ausweisungsschutz (IV.). Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei (V.). Sie unterliegt auch mit Blick auf die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) - Rückführungsrichtlinie - RFRL - keinen Bedenken, insbesondere gebieten es weder die Rückführungsrichtlinie noch § 11 Abs. 1 AufenthG im Rahmen des hier anhängigen Verfahrens zugleich über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu entscheiden (VI.).

I. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt. [...]

2. Das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart sind zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind. [...]

b.) Der Kläger hat durch die kontinuierliche Teilnahme an PKK-nahen Veranstaltungen die PKK unterstützt. Er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die - wie ihm auch erkennbar gewesen ist - darauf ausgerichtet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Dies gilt insbesondere für die Teilnahme an den Wahlen zum Volksgebietsrat und die Übernahme der Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden des Volksgebietsrats. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich seiner Vorstandsfunktion im Mesopotamischen Kulturverein. [...]

II. Als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis und anerkannter Flüchtling genießt der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Er darf nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), die allerdings im Fall des § 54 Nr. 5 AufenthG in der Regel vorliegen (§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine "tatbezogenen" besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Qualität und jahrelangen Dauer der Aktivitäten, die jederzeit ihre Fortsetzung finden können, liegt ein solcher Fall nicht vor. Über die Ausweisung des Klägers ist nach Ermessen zu entscheiden (§ 56 Abs. 1

Satz 5 AufenthG).

Dieser nationalrechtliche Maßstab der schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung wird jedoch bei der Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings durch das Unionsrecht modifiziert. Eine Ausweisung eines Flüchtlings darf nur unter den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 QRL oder denjenigen des Art. 24 Abs. 1 QRL erfolgen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die Qualifikationsrichtlinie den Begriff der Ausweisung selbst nicht verwendet. Grundlage des Anspruch auf einen Aufenthaltstitel (Art. 24 QRL), den Zugang zur Beschäftigung (Art. 26 QRL) und den Zugang zu sozialen Rechten (Art. 27 bis 29 QRL, Art. 31 ff QRL) ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach nationalem Recht vernichtet die Ausweisung einen Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und sperrt eine Neuerteilung (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ein Titel nach § 25 Abs. 5 AufenthG, der abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG erteilt werden könnte, ist nicht mit den Rechten verbunden, die z.B. Art. 26 und 28 QRL einem anerkannten Flüchtling gewähren; § 25 Abs. 5 AufenthG führt zu Leistungen nach dem AsylbLG (vgl. dessen § 1 Abs. 1 Nr. 3) und ermöglicht eine Beschäftigung nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (vgl. § 4 Abs. 2 und 3 AufenthG). Der Wortlaut der Art. 26 ff. QRL knüpft für den Anspruch auf Zugang zu Beschäftigung, Bildung und weiteren sozialen Rechten an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an. Da jedoch etwa die Umsetzung des Zugangs zur Beschäftigung im deutschen Recht durch die Erteilung eines bestimmten Titels erfolgt (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 2 iVm Abs. 1 Satz 4 AufenthG bzw. die hier dem Kläger erteilte Niederlassungserlaubnis), kann der einem anerkannten Flüchtling erteilte Titel auch nur unter den Voraussetzungen der Qualifikationsrichtlinie beseitigt werden.

Art. 21 Abs. 3 QRL schließt die Anwendung des Art. 24 Abs. 1 QRL bei einer Ausweisung nicht generell aus (1.) Die konkreten Unterstützungshandlungen des Klägers stellen keine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik i.S.d. Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 QRL dar (2.). Die festgestellte Unterstützung erfüllt jedoch die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 QRL, denn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i.S.v. Art. 24 Abs. 1 QRL setzen bei einer Unterstützung des internationalen Terrorismus keine herausragenden Handlungen von außergewöhnlicher Gefährlichkeit voraus; vielmehr können auch nicht besonders hervorgehobene Beiträge eines Sympathisanten genügen, wenn sie sich durch ein hohes Maß an Kontinuität auszeichnen und damit nachhaltig das Umfeld der terroristischen Organisation prägen und beeinflussen (3.)

1. Nach Art. 21 Abs. 3 QRL können die Mitgliedstaaten den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, beenden oder seine Verlängerung bzw. die Erteilung eines Aufenthaltstitels ablehnen, wenn Absatz 2 auf die betreffende Person Anwendung findet. Gemäß Art. 21 Abs. 2 QRL kann ein Mitgliedstaat, sofern dies nicht aufgrund der in Absatz 1 genannten völkerrechtlichen Verpflichtung untersagt ist, einen Flüchtling unabhängig davon, ob er als solcher förmlich anerkannt ist oder nicht, zurückweisen, wenn a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, oder b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. Art. 24 Abs. 1 QRL sieht vor, dass so bald wie möglich nach Zuerkennung des Schutzstatus und unbeschadet des Artikel 21 Absatz 3 die Mitgliedstaaten Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel ausstellen, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dem entgegenstehen.

Die Prüfung dieser Bestimmungen ist im vorliegenden Fall nicht deshalb entbehrlich, weil die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger bereits mit Bescheid vom 20.02.1997 und damit vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie am 10.10.2006 (Art. 38 Abs. 1 QRL) und sogar noch vor deren Inkrafttreten am 30.09.2004 bzw. ihres Erlasses am 29.04.2004 erfolgte. Art. 21 und Art. 24 QRL enthalten - etwa im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 1 QRL - keine Sonderregelungen, aus denen geschlossen werden könnte, dass deren Anwendbarkeit bei Altanerkennungen ausgeschlossen wäre (siehe grds. zur Geltung der Qualifikationsrichtlinie bei Altanerkennungen auch BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - juris Rn. 21 f. und vom 01.03.2012 - 10 C 10.11 - juris Rn. 11 ff.). Auch der Umstand, dass der Ausweisungsentscheidung Handlungen des Klägers zur Unterstützung der PKK zugrunde liegen, die zeitlich vor den relevanten Daten zur Richtlinie liegen, stellt deren Heranziehung nicht in Frage. Die Ausweisungsverfügung vom 19.07.2010, die diese Aktivitäten des Klägers aufgreift, ist nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 ergangen. Insoweit liegt ein nicht abgeschlossener Sachverhalt vor, auf den geltendes materielles Unionsrecht anzuwenden ist.

Die Tatsache, dass der Kläger über eine Niederlassungserlaubnis und damit über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt, der in dieser rechtlichen Qualität von Art. 24 Abs. 1 QRL nicht vorgeschrieben ist, steht der Anwendbarkeit der Qualifikationsrichtlinie als Prüfungsmaßstab der Ausweisung ebenfalls nicht entgegen. Die Ausweisungsentscheidung erschöpft sich nicht darin, nur die Niederlassungserlaubnis beseitigen zu wollen; die Ausweisung des Klägers dient nach den Erwägungen des Regierungspräsidiums vielmehr dem Zweck, die Legalität des Aufenthalts insgesamt zu beenden, den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zukunft zu vernichten und damit eine spürbare und deutliche Beeinträchtigung der Aufenthaltsposition mit Beschränkungen des Zugangs zu sozialen Rechten, zum Arbeitsmarkt und zu Integrationsmaßnahmen herbeizuführen. Eine Ausweisung, die einen Anspruch eines anerkannten Flüchtlings auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und die damit zusammenhängenden Rechte ausschließen soll, muss aber den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 QRL oder des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 QRL entsprechen (zur - lediglich indirekt angedeuteten - Frage der Beachtung der Qualifikationsrichtlinie bei der Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 20; siehe näher die Ausgangsentscheidung VG Münster, Urteil vom 26.05.2009 - 8 K 734/08 - juris Rn. 82 ff.).

Nach Art. 24 Abs. 1 QRL ist der Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Flüchtlingen davon abhängig, dass keine zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen. Ist letzteres der Fall, ist der Aufenthaltstitel zu versagen, ohne dass ein Ermessen der Behörde besteht. Entsprechendes gilt nach Art. 24 Abs. 2 QRL, wenn dem Ausländer der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt ist (vgl. insoweit zur richtlinienkonformen Auslegung des 25 Abs. 3 AufenthG BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 13). Zwischen beiden Absätzen besteht nach der Richtlinie 2004/83/EG allerdings insoweit ein Unterschied, als nur in Absatz 1 hinsichtlich des Aufenthaltstitels bei einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, die Formulierung "und unbeschadet des Artikel 21 Absatz 3" enthalten ist. Art. 21 Abs. 3 QRL eröffnet wiederum hinsichtlich des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings dem Mitgliedstaat die Möglichkeit, die Erteilung eines Aufenthaltstitels unter der Voraussetzung des Absatz 2 abzulehnen. Diese Entscheidung steht im Ermessen des Mitgliedstaates, ebenso die dort weiter genannten Möglichkeiten des Widerrufs oder der Beendigung des Aufenthaltstitels, die in Art. 24 Abs. 1 QRL nicht ausdrücklich aufgeführt sind. Eine Ausweisung führt nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG zum Erlöschen des Aufenthaltstitels und stellt eine Beendigung des Aufenthaltstitels im Sinne des Art. 21 Abs. 3 QRL dar. Aus der speziellen Nennung der "Beendigung des Aufenthaltstitels" in dieser Regelung und dem "unbeschadet des Artikel 21 Absatz 3" in Art. 24 Abs. 1 QRL kann aber nicht geschlossen werden, dass Art. 24 Abs. 1 QRL ausschließlich für die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gilt und eine nachträgliche Vernichtung des Aufenthaltstitels auf dieser Grundlage nicht möglich wäre. Es kann vom Zufall abhängen, ob Tatsachen in der Person des Flüchtlings, die zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begründen, noch vor oder erst nach der Erteilung des Titels bekannt werden. Es wäre mit dem Zweck der Regelung nicht zu vereinbaren, wenn im letzterem Fall die Reaktionsmöglichkeit der Vernichtung des Titels nicht bestünde. Erst recht gilt dies für Konstellationen, in denen die inkriminierenden Handlungen des Ausländers erst nach Erteilung des Titels begangen wurden. Für eine solche Auslegung besteht auch ein praktisches Bedürfnis. So verpflichtet die UN-Resolution 1373 in Ziff. 2 lit. a) und c) die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, denjenigen Personen, die terroristische Handlungen finanzieren, planen, unterstützen oder begehen oder die den Tätern Unterschlupf gewähren, jeden sicheren Aufenthaltsort zu verweigern. Die EU-Mitgliedstaaten setzten diese Verpflichtung zu Sanktionsmaßnahmen auf der Basis des Gemeinsamen Standpunktes GASP/2001/931 bzw. Verordnung 2580/2001, zuletzt geändert durch Beschluss 2012/150/GASP vom 13.03.2012 und EU-Verordnung 213/2012 vom 13.03.2012 in EU-Recht um (vgl. Senatsurteil vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris Rn 52; vgl. näher auch BT-Drs. 17/9076 vom 22.03.2012 - Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zum politischen Betätigungsverbot). Gedanklich aufgegriffen ist diese Resolution aber auch mit dem Versagungsgrund in Art. 24 Abs.1 QRL, was ebenfalls dafür spricht, dass die rechtstechnische Umsetzung der Verweigerung der Legalität des Aufenthalts nicht entscheidend sein kann. Dass - gerade mit Blick auf die Bekämpfung der Unterstützung des internationalen Terrorismus - durch die Aufnahme des Ausschlussgrundes in Art. 24 Abs. 1 und 2 QRL die Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten erweitert werden sollten und Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 QRL nicht als ausreichend betrachtet worden ist, verdeutlicht vor allem die Entstehungsgeschichte der Qualifikationsrichtlinie:

Der - noch vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 erarbeitete - Kommissionsentwurf vom 12.09.2001 (KOM2001> 510 endg; Ratsdok. 13620/01; siehe auch BR-Drs. 1017/01 vom 26.11.2001 - Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen) enthielt in einem Art. 19 unter der Überschrift "Schutz vor Zurückweisung und Ausweisung" folgende Regelung: "Die Mitgliedstaaten achten den Grundsatz der Nichtzurückweisung und weisen Personen, die

internationalen Schutzstatus genießen, nur in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus." Begründet wurde diese Bestimmung ausdrücklich mit folgender Überlegung: "In Übereinstimmung mit Artikel 32 und 33 der Genfer Flüchtlingskonvention bestätigt dieser Artikel, dass die Mitgliedstaaten Flüchtlinge nicht ausweisen dürfen und den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) beachten müssen. Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention wird diese Verpflichtung auch gegenüber Opfern von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung bekräftigt. Ebenso dürfen die Mitgliedstaaten Personen, denen andere Formen des subsidiären Schutzes zuerkannt wurden, nicht ausweisen und müssen auch hier nach Maßgabe der in Artikel 32 und 33 der Genfer Konvention genannten Einschränkungen nach dem Gebot der Nichtzurückweisung verfahren." [...]

III. Der Ausweisung des Klägers liegen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i.S.d. Art. 24 Abs. 1 QRL zugrunde. Sie erweist sich auch als verhältnismäßig.

1. Der Kläger hat seit dem Jahr 2000 durch die oben unter I. dargelegten Handlungen die PKK unterstützt, wobei er sich zur Überzeugung des Senats seit Mitte 2009 allein aus verfahrenstaktischen Gründen zurückhält. Dabei handelt es sich zwar, was den jeweiligen einzelnen Veranstaltungsbesuch anbelangt, um eine passive Unterstützung, die als solche keinen hochrangigen Gefährdungsgrad hat. Bei einer wertenden Gesamtschau aller festgestellten Unterstützungshandlungen, d.h. auch mit Blick auf seine zweijährige Vorstandstätigkeit und langjährige aktive Mitgliedschaft im Mesopotamischen Kulturverein, hat er jedoch in einer quantitativ und qualitativ erheblichen Weise eine Verbundenheit mit der PKK ausgedrückt, die ihn eindeutig seit Jahren als deren Sympathisanten ausweist. Insbesondere die Teilnahme an den Märtyrergedenkveranstaltungen und den Wahlen zum Volksgebietsrat, mit der Bereitschaft, eine Funktion im Rahmen des Volksgebietsrats zu übernehmen, zeigen eine besondere Nähe und innere Verbundenheit mit der PKK. Durch die Beteiligung wird eine Billigung der Zielsetzungen der PKK signalisiert. Deren Stellung, insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, wird günstig beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld werden erweitert und dadurch wird insgesamt dazu beigetragen, das (latente) Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen.

Eine wirksame Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist wie bereits oben dargelegt eines der vorrangigen Ziele der Europäischen Union. Dies kommt nicht nur in Art. 83 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck, sondern ist in zahlreichen Rechtsakten der Union, die sich mit der Terrorismusbekämpfung befassen, immer wieder betont worden (vgl. etwa Rahmenbeschluss vom 13.06.2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. L 164, S. 3; Verordnung (EG) Nr. 2580/2002 des Rates vom 27.12.2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, ABl. L 344, S. 70). Dass gerade auch Sympathisanten als Teil der Bedrohung durch den Terrorismus angesehen werden, ergibt sich aus dem Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28.11.2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (ABl L 330, S. 21) und insbesondere dessen 3. Erwägungsgrund. Aufgrund der ihr eigenen Ausprägung und Organisationsstrukturen erfährt die PKK ihren Rückhalt und Unterstützung vor allem durch eine aktive "Sympathisantenszene" außerhalb der Türkei, bei der die örtlichen PKK-nahen Vereine eine zentrale Rolle spielen, etwa bei der Kommunikation unter den Anhängern, bei der Mobilisierung für Aktionen sowie bei der Vorbereitung und Durchführung von öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten (vgl. hierzu etwa Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2010, S. 106 ff.). Wie oben unter I. dargelegt, ist der Mesopotamische Kulturverein e.V. S. ein Ort, der der Verbreitung der "terroristischen Botschaft" dient. Sympathisanten aus diesem Kreis sichern der PKK eine ihnen prinzipiell wohlgesonnene Basis, aus der der Rückhalt für die terroristischen Handlungen gewonnen werden kann, und ermöglichen ein günstiges Umfeld für die Rekrutierung von Nachwuchs für die Guerilla oder den Kader der PKK und den Erhalt von dringend benötigten finanziellen Mitteln (etwa durch die Entrichtung regelmäßiger Beiträge der Anhänger der Organisation oder Spenden). Das in den oben beschriebenen Handlungen des Klägers, insbesondere etwa in den Besuchen der Märtyrerveranstaltungen, zum Ausdruck kommende befürwortende Verständnis für den Terror, trägt zum Rückhalt für die PKK bei. Dieses vom Kläger gezeigte jahrelange kontinuierliche Auftreten als Sympathisant der PKK begründet zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung; die Vernichtung der Legalität des Aufenthalts ist insoweit Teil der unionsrechtlich angestrebten effektiven Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Im Übrigen ist es auch ein Grundinteresse der Mitgliedstaaten der Union, dass ihre Offenheit nicht missbraucht wird, um eine "Sympathisantenszene" für den internationalen Terrorismus am Leben zu halten und zu fördern.

2. Bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere auch mit Blick auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK, vgl. auch Art. 6 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) ist die Ausweisung verhältnismäßig.

Der Kläger lebt als anerkannter Flüchtling seit dem Jahre 1997 mit einem Aufenthaltstitel, seit 2002 mit einem unbefristeten, im Bundesgebiet. Der Ehefrau, die seit 1998 in Deutschland ist, wurde ebenfalls der Flüchtlingsstatus zuerkannt und eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Sie führt einen Gastronomiebetrieb. Auch die beiden minderjährigen Kinder (geboren 1996 in der Türkei und 2001 im Bundesgebiet) haben einen legalen Aufenthalt. Sie verfügen über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80. Ungeachtet seines langen Aufenthalts in Deutschland spricht der Kläger aber nur sehr schlecht Deutsch. Hiervon konnte sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen. Demzufolge ist auch seine Erwerbsbiographie durch türkische Arbeitgeber gekennzeichnet, so arbeitete er in der Zeit vom 02.11.2001 bis 31.07.2007 bei der Firma B. Dönerproduktions- und Fleischhandels GmbH, die im Übrigen dem LfV im Zusammenhang mit der PKK bekannt geworden sei (siehe die Bewertung des LfV vom 13.04.2012 zum Sicherheitsgesprächs des Zeugen K. vom 12.04.2011). Heute ist er bei seiner Frau angestellt. Eine dazwischenliegende selbstständige Erwerbstätigkeit blieb ohne wirtschaftlichen Erfolg. Der Kläger verkehrt vor allem in kurdischstämmigen Kreisen. Die Ausweisung vernichtet die Legalität seines Aufenthalts und ist daher mit weitreichenden Folgen für das soziale Leben verbunden. Sie lässt allerdings, was für die Verhältnismäßigkeit von zentraler Bedeutung ist, die Lebensgemeinschaft mit seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet unberührt, da keine Abschiebungsandrohung ergehen und infolge dessen auch keine Abschiebung erfolgen wird.

Ein milderes Mittel, um der Gefahr zu begegnen, dass der Kläger sein die PKK unterstützendes Verhalten unverändert fortsetzt, ist nicht gegeben. Insbesondere könnte mit einem Verbot oder der Beschränkung der politischen Betätigung ein wesentliches unionspolitisches Ziel nicht erreicht werden, abgesehen davon, dass die in § 47 Abs. 1 und 2 AufenthG genannten Vorgaben die Art und Weise der Betätigung des Klägers allenfalls zum Teil erfassen. Ausgehend von den Gedanken der UN-Resolution 1373 bezweckt die Terrorismusbekämpfung unionsrechtlich unter anderem, konsequent die Legalisierung des Aufenthalts zu unterbinden und damit auch den Genuss der daran hängenden privilegierenden Maßnahmen (wie Erwerbstätigkeit, Freizügigkeit) zu verwehren - und zwar gleichgültig, ob der Ausländer als Flüchtling anerkannt oder ob ihm nur subsidiärer Schutz zuerkannt wurde (vgl. insoweit Art. 24 Abs. 1 Satz 1 mit Abs. 2 QRL). Dieses unionsrechtliche Ziel würde allein mit einer Maßnahme nach § 47 AufenthG nicht erreicht. Diese kann ggfs. die Ausweisung ergänzen, wenn der Ausländer - namentlich nach einer erfolgten Ausweisung - seine Unterstützungstätigkeit fortsetzt, sie aber nicht ersetzen. Insoweit ist eine Verbotsverfügung Teil einer ganzheitlichen Bekämpfung der Aktivitäten der ausländischen terroristischen Vereinigung der PKK (so ausdrücklich auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zu dem gegen Muzaffer Ayata verhängten politischen Betätigungsverbot, BT-Drs. 17/9076 vom 22.03.2012). Hinzukommt, dass auch national eine Anordnung nach § 47 AufenthG schon deshalb nicht gleich effektiv wäre, weil damit die Rechtsfolgen des § 54a AufenthG nicht ausgelöst werden könnten. Vergleichbare nachträgliche Nebenbestimmungen nach § 12 Abs. 2 AufenthG wären jedenfalls bei Inhabern einer Niederlassungserlaubnis nicht möglich (Renner/Dienelt, AuslR 9. Aufl. 2011, § 12 Rn. 2). Soweit in den Senatsurteilen vom 28.10.1998 (11 S 1853/98 - juris Rn. 28) und vom 10.03.1999 (11 S 1688/98 - juris Rn. 9) die Untersagung der politischen Betätigung ausdrücklich als ein milderes Mittel gegenüber der Ausweisung erachtet wurde, liegen dem rechtlich und tatsächlich andere Konstellationen zugrunde. Im Übrigen hat das Regierungspräsidium im Schriftsatz vom 18.04.2012 im Einzelnen ausgeführt, warum es im vorliegenden Fall nicht zu dieser Maßnahme greift. Diese Erwägungen hat der Kläger nicht in Frage gestellt.

Gründe der Verhältnismäßigkeit gebieten es auch nicht, schon jetzt von Amts wegen über eine Befristung der Wirkungen der spezialpräventiv verfügten Ausweisung zu entscheiden. Es lässt sich derzeit nicht absehen, wann diese Gefahr in relevanter Weise gemindert sein wird. Auch familiäre Belange erfordern keine sofortige Entscheidung, denn die familiäre Lebensgemeinschaft kann im Bundesgebiet unverändert fortgeführt werden (vgl. zur Befristung noch unten VI). [...]