VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 05.06.2012 - 1 K 1591/11.TR - asyl.net: M19956
https://www.asyl.net/rsdb/M19956
Leitsatz:

Die Stellung eines Asylantrags berührt die mit einer Verpflichtungserklärung übernommene Haftung nicht, da der ursprüngliche Zweck des Aufenthalts hierdurch nicht in aufenthaltsrechtlich anerkannter Form durch einen anderen Zweck ersetzt wird.

Die Haftung endet nicht mit Ablauf des Visums, es sei denn, aus der Auslegung der Verpflichtungserklärung nach §§ 133, 157 BGB analog folgt, dass im Einzelfall etwas anderes gelten sollte.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylantrag, Verpflichtungserklärung, Haftung, Visum, Schriftform, Kostenlast, Krankheit, Behandlungskosten, Behandlung, medizinische Behandlung,
Normen: BGB § 133, BGB § 157, AsylVfG § 55 Abs. 1, AufenthG § 68 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

In der Sache ist die Klage jedoch unbegründet. Der Kostenbescheid des Beklagten vom 2. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 68 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162). Danach hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Nach Abs. 2 Satz 1 der genannten Vorschrift bedarf die Verpflichtung der Schriftform. Sie ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (Abs. 2 Satz 2). Nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG steht der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Sie ist befugt, diesen Anspruch im Wege des Verwaltungsakts geltend zu machen (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 -, BVerwGE 108,1).

Zweifel an der Wirksamkeit der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung als solcher bestehen nicht. Sie erfüllt die Schriftform, ist inhaltlich hinreichend bestimmt und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers wurde vorab ausreichend geprüft. Danach war er nicht von vornherein erkennbar wirtschaftlich außerstande, die Haftung für den zunächst für drei Monate geplanten Aufenthalt seiner Schwiegermutter zu übernehmen (vgl. BVerwG, a.a.O.; VG Oldenburg, Urteil vom 13. Februar 2012 - 11 A 518/11 -, juris). Ausweislich der Verpflichtungserklärung vom 12. Juni 2009 hat der Beklagte sich einen Wohnraum- und Einkommensnachweis des Klägers vorlegen lassen. Die Vermögenssituation des Klägers ließ danach erwarten, dass er die zu erwartenden Kosten würde tragen können, zumal etwaige Behandlungskosten durch eine Krankenversicherung abgedeckt werden sollten. Ferner wurde der Kläger ausweislich der Urkunde über Umfang und Dauer der Haftung und über die Bindungswirkung der Verpflichtung sowie die Notwendigkeit von Versicherungsschutz aufgeklärt.

Die vom Kläger am 12. Juni 2009 abgegebene Verpflichtungserklärung erstreckt sich auch nach ihrer Dauer auf die Erstattung sämtlicher bis zum Tod der Frau A. vom Beklagten unter Vorbehalt übernommenen Kosten. Die Geltungsdauer der Verpflichtung endet insbesondere nicht mit dem Ablauf des verlängerten Visums am 28. Februar 2010. Vielmehr ist im Wege der Auslegung der jeweiligen Verpflichtungserklärung nach §§ 133, 157 BGB analog zu bestimmen, für welchen Aufenthaltszweck und welche Aufenthaltsdauer die Verpflichtung im Einzelfall gelten soll (BVerwG, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2012 - OVG 2 B 10.11 -, juris; VG Saarland, Urteil vom 16. November 2011 - 10 K 99/11 - , juris; VG Augsburg, Urteil vom 22. November 2011 - Au 1 K 11.1154 -, juris). Maßgebend ist dabei der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen Begleitumstände und des Zwecks der Erklärung verstehen konnte. Auf den Empfängerhorizont kann bei der Auslegung einer Willenserklärung aber dann nicht entscheidend abgestellt werden, wenn eine Erklärung in einem Formular des Erklärungsempfängers abgegeben wird. In einem solchen Fall kommt es maßgeblich jedenfalls auch darauf an, wie der Erklärende - hier also der Kläger - die Eintragungen in dem Formular hat verstehen dürfen, wobei Zweifel zu Lasten des Formularverwenders gehen (VG Saarland, a.a.O.).

Soweit nichts anderes vereinbart ist, kommt grundsätzlich der Geltungsdauer des Visums keine entscheidende Bedeutung zu (VG Oldenburg, Urteil vom 13. Februar 2012 - 11 A 518/11 -, juris; VG Saarland, a.a.O.). Sinn der Verpflichtungserklärung ist nämlich nicht nur, den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor der Einreise zu beseitigen, sondern auch die Entstehung des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG während des gesamten sich an die Einreise anschließenden Aufenthalts auszuschließen und damit einer Belastung öffentlicher Kassen während der Anwesenheit des Ausländers vorzubeugen (BVerwG, a.a.O.). Äußerste zeitliche Grenze der Haftung nach § 68 AufenthG ist daher grundsätzlich, wenn sie nicht ausdrücklich zeitlich befristet ist, entweder das Ende des Aufenthalts oder bei einem Verbleib des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland der Zeitpunkt, in welchem der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dies aufenthaltsrechtlich anerkannt worden ist (BVerwG, a. a. O.; VG Augsburg, Urteil vom 22. November 2011 - Au 1 K 11.11.54 -, juris). Hierfür genügt die Stellung eines Asylantrags nicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die durch ein Asylgesuch nach § 55 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz ausgelöste Aufenthaltsgestattung kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist (ausführlich hierzu VG Freiburg, Urteil vom 19. April 2012 - 4 K 1626/11 -, juris). Ferner entspricht es Sinn und Zweck des § 68 AufenthG sowie einer gerechten Risikoverteilung, wenn die Haftung auch Zeiten eines Asylverfahrens umfasst, da es zum einen in der Natur der Haftungsübernahme für einen Dritten liegt, dass der Umfang der Haftung auch von dessen späteren Verhaltensweisen abhängt, und zum anderen der begünstigte Ausländer es andernfalls in der Hand hätte, die Reichweite der Haftung praktisch auf Null zu reduzieren, indem er sogleich nach der Einreise einen Asylantrag stellt (VG Freiburg, a.a.O.; VG Oldenburg, a.a.O.).

Diese Grundsätze ergeben sich erkennbar auch aus der Gestaltung des bundeseinheitlich und auch vorliegend verwandten Formulars. Dort heißt es unter "Dauer der Verpflichtung": "vom Beginn der voraussichtlichen Visumgültigkeit am ... bis zur Beendigung des Aufenthalts o.g. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck". Ferner wird auf der Rückseite des Formularvordrucks erläutert, dass die Verpflichtung die Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel umfasst, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden (z.B. Arztbesuche, Medikamente, Krankenhausaufenthalt), auch wenn die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch beruhen, es sich beispielsweise um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz handelt. Ferner erklärt der Unterzeichner mit seiner Unterschrift, u.a. über Umfang und Dauer der Haftung belehrt worden zu sein. All dies bringt - für den Erklärenden ersichtlich - zum Ausdruck, dass seine Haftung ggf. über die Geltungsdauer des Visums hinaus fortwirkt und insbesondere Zeiten eines Asylverfahrens umfasst.

Eine Befristung der Verpflichtung ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass in der Verpflichtungserklärung vom 12. Juni 2009 unter dem Stichwort "Dauer der Verpflichtung" maschinell eingetragen wurde: "3 Monate zu Besuch - kein Daueraufenthalt". Hiermit wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Haftung des Klägers auf drei Monate begrenzt sein sollte, sondern allein, dass ein dreimonatiger Aufenthalt beabsichtigt war, dessen Beginn zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht feststand. Die geplante Aufenthaltsdauer war von nicht unerheblicher Bedeutung für den Umfang der erforderlichen Leistungsfähigkeitsprüfung, ihre Nennung bewirkt aber keine Revision des im Formular zuvor genannten Grundsatzes, dass die Haftung erst mit Ausreise des Ausländers oder der Erteilung eines Aufenthaltstitels an diesen endet. Gleiches gilt im Hinblick auf die vom Kläger in Zusammenhang mit dem Antrag der Frau A. auf Verlängerung ihres Visums am 27. November 2009 unterzeichnete Erklärung, wonach er mit der Verlängerung des Visums einverstanden war und sich verpflichtete, auch für die Dauer der Verlängerung des Visums die Kosten des Aufenthalts, insbesondere die Kosten von Verpflegung, Unterkunft und ausreichendem Krankenversicherungsschutz sowie die Kosten der Rückreise zu übernehmen. Auch hierdurch wurde die Dauer der Haftung nicht an die Dauer des verlängerten Visums geknüpft. Denn diese zweite Erklärung sollte die erste nicht außer Kraft setzen, sondern diese lediglich bestätigten. Die genannten Grundsätze des § 68 AufenthG, wie sie aus dem am 12. Juni 2009 unterzeichneten ersten Verpflichtungsformular hervorgingen, sollten dabei ihre Gültigkeit behalten. Dies bestätigte der Kläger auch, indem er am 27. November 2009 miterklärte, der Inhalt des § 68 AufenthG sei ihm bekannt. Das Gesagte gilt vorliegend auch insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verlängerung gerade wegen der, wie es im Antrag wörtlich heißt, "schweren Krankheit" der Frau A. erfolgte. Der Kläger, dem die Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit seiner Schwiegermutter bekannt waren, erklärte daher konkludent auch, für alle in Zusammenhang mit dieser Erkrankung entstehenden Kosten einzustehen, wobei absehbar war, dass solche Kosten auch über die Geltungsdauer des verlängerten Visums hinaus anfallen würden.

Die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung war daher nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht zeitlich befristet oder auf die Dauer des Visums der Frau A. begrenzt.

Ein Wirksamkeitsmangel der abgegebenen Verpflichtungserklärung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Haftung für einen Asylbegehrenden rückwirkend entfällt, sofern der Asylantrag Erfolg hat, so dass eine Heranziehung des Verpflichteten vor dem Abschluss des Asylverfahrens nur unter der Prämisse erfolgen können soll, dass in oder zusammen mit dem Kostenbescheid die Vorläufigkeit der Heranziehung verdeutlicht wird (VG Oldenburg, a.a.O.). Dies gilt nämlich nur, sofern ernsthaft mit einem rückwirkenden Wegfall der Forderung zu rechnen ist (VG Oldenburg, a.a.O.). Letzteres war vorliegend nicht der Fall. Der angegriffene Leistungsbescheid erging erst nach dem Tod der Schwiegermutter des Klägers, mithin zu einem Zeitpunkt, als ihr die Asylberechtigung nicht mehr zuerkannt werden konnte.

Auch im Übrigen erweist sich der Bescheid vom 2. August 2011 als rechtmäßig. Insbesondere liegen keine Ermessensfehler vor. Ermessenserwägungen muss die Behörde - entgegen des auf eine gebundene Entscheidung hindeutenden Wortlauts des § 68 Abs. 1 AufenthG - anstellen, wenn eine atypische Situation gegeben ist (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 -, juris). Dies kann dann der Fall sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte (BVerwG, a.a.O.; VG Oldenburg, a.a.O.). Dem Aspekt der hohen Kostenlast hat der Beklagte vorliegend insofern Rechnung getragen, als er dem Kläger Ratenzahlung angeboten hat. Darüber hinausgehende Zahlungserleichterungen oder ein vollständiger oder teilweiser Forderungsverzicht waren nicht geboten, da der Kläger weder Ausführungen zu seiner Vermögenssituation gemacht hat, noch eine über die hohe Rückforderungssumme hinausgehende Atypik des Falles zu erkennen ist. Vielmehr liegt angesichts der Umstände des vorliegenden Falles ein Regelfall vor. Denn angesichts ihrer Krankengeschichte und eines bereits im Vorjahr wegen der Krankheit verlängerten Aufenthalts der Frau A. war mit ihrer Behandlungsbedürftigkeit und dem Entstehen entsprechender Kosten zu rechnen. Ihr Besuch nahm folglich einen erwartbaren Verlauf. Dieses Risiko nahm der Kläger bewusst in Kauf, als er die Verpflichtungserklärung abgab. Ferner lag es in seinem Verantwortungsbereich, eine wirksame Krankenversicherung für seine Schwiegermutter abzuschließen. Dass dies offensichtlich nicht gelungen ist und er hiervon eventuell keine Kenntnis hatte, weil vereinbart war, dass seine Frau sich um diese Angelegenheiten kümmern sollte, ist ebenfalls der privaten Risikosphäre des Klägers zuzurechnen und rechtfertigt keine Abwälzung der Kostenlast auf die Allgemeinheit. [...]