OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.06.2012 - 5 B 5.10 - asyl.net: M19966
https://www.asyl.net/rsdb/M19966
Leitsatz:

Der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt in Bezug auf die Person des Ausländers, der die Einbürgerung beantragt, lediglich das Vorliegen eines begründeten Unterstützungsverdachts und gewährleistet auf diese Weise einen vorverlagerten Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Schlagwörter: Ausschlussgrund, Sicherheitsbedenken, Unterstützung, Unterstützungshandlung, freiheitliche demokratische Grundordnung, pakistanischer Staatsbürger, Pakistan, Tablighi Jamaat, Verfassungsfeindliche Bestrebungen, Religionsfreiheit, Glaubensfreiheit, TJ, Scharia, Scharia-Recht, Einbürgerung,
Normen: StAG § 11 S. 1 Nr. 1, GG Art. 4 Abs. 1, GG Art. 4 Abs. 2, AufenthG § 54 Nr. 5, StAG § 9,
Auszüge:

[...]

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Einbürgerung noch auf Neubescheidung seines entsprechenden Antrages (vgl. § 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Entscheidung über die begehrte Einbürgerung sind §§ 8 ff. StAG in der am 28. August 2007 in Kraft getretenen Fassung, die es durch das Änderungsgesetz vom 19. August 2007 erhalten hat (BGBl. I 1970). Nach der Übergangsregelung des § 40c StAG sind auf Einbürgerungsanträge, die bis zum 30. März 2007 gestellt worden sind, die §§ 8 bis 14 StAG weiter in der vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit sie günstigere Bestimmungen enthalten.

Einem Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG steht in jedem Fall der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG in der nunmehr geltenden Fassung entgegen. Letztere ist hier zu Grunde zu legen, da die vor dem 28. August 2007 geltende Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (§ 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F.) insoweit wortgleich ist und somit keine für den Kläger günstigere Regelung enthält.

Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.

Die rechtlichen Anforderungen an den Ausschlussgrund sind durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. zusammenfassend Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 -, juris Rn. 14 ff.):

Danach sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Ausschlussgrundes politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Grundprinzipien der politischen Wertvorstellungen, auf denen die Bundesrepublik Deutschland beruht, zu beeinträchtigen. Auf eine objektive Eignung der Bestrebungen zur Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kommt es nicht an. Es reicht vielmehr aus, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die genannten Grundprinzipien zu beeinträchtigen. Ein Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d.h. sich in irgendeiner Weise positiv auswirkt. Das muss für den Ausländer erkennbar sein und er muss zum Vorteil der genannten Bestrebungen handeln wollen.

Der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt in Bezug auf die Person des Ausländers, der die Einbürgerung beantragt, lediglich das Vorliegen eines begründeten Unterstützungsverdachts und gewährleistet auf diese Weise einen vorverlagerten Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für die personenbezogene Annahme, dass der Ausländer verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder unterstützt hat, genügt danach bereits das Vorliegen konkreter Tatsachen, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine derartige Annahme begründen. Ein gesicherter Nachweis der verfassungsfeindlichen Bestrebungen und der Unterstützungshandlung ist demnach nicht erforderlich.

Die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus Handlungen des Ausländers selbst ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer Organisation, soweit diese Ziele im Sinne der genannten Vorschrift verfolgt. Für die Einordnung dieser Organisation als verfassungsfeindlich ist ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausreichend. Das gilt auch für eine Organisation, die sich lediglich als religiöse Gemeinschaft versteht, tatsächlich jedoch - und sei es als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses - auch weitergehende, verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Ein Eingriff in die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist damit nicht verbunden. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit räumt Ausländern kein Recht ein, als Angehörige einer bestimmten - wie hier der islamischen - Religion politische Ziele zu verfolgen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Die Glaubensfreiheit erlaubt es nicht, die Grenzen, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat, zu überschreiten.

Zu dem für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtfertigen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme, dass die TJ Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Hierfür sprechen zunächst die in das Verfahren eingeführten Verfassungsschutzberichte (im Folgenden: VB) des Bundes und der Länder: Bei der TJ handelt es sich um eine 1927 in Indien gegründete pan-islamische Missionierungsbewegung, die hierarchisch organisiert ist und mehrere Millionen Mitglieder umfasst (vgl. VB Berlin 2010, S. 176). Charakteristisch für die Anhänger der TJ ist eine missionarische Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen in ganz Europa aufsuchen. Die Missionierung dient der Rekrutierung neuer Mitglieder. Zur Ausbildung gehört eine vier Monate dauernde Schulung, die vornehmlich in Koranschulen in Pakistan durchgeführt wird. Zur Missionierung dienen Veranstaltungen, bei denen die Anhänger über Tage oder Wochen hinweg beten, den Koran studieren und indoktriniert werden. Auch für Kinder und Jugendliche werden Koranschulungen durchgeführt (vgl. VB Bayern 2011, S. 66).

Ziel der TJ ist die Islamisierung der Gesellschaft im Wege der Missionierung, um dadurch die Etablierung eines islamischen Gottesstaates zu erreichen (vgl. VB Bayern 2011, S. 65; VB Hessen 2010, S. 49). Dabei orientiert sich die TJ an frühislamischen Vorschriften und Lebensgewohnheiten, wie sie im siebten Jahrhundert in Mekka und Medina vorherrschten. Das hat zur Konsequenz, dass ihre gegenwärtige Vorstellungswelt von der Abgrenzung gegenüber Nicht-Muslimen geprägt ist. Auch wenn die Bewegung nach eigenem Bekunden Gewalt ablehnt und sich als unpolitisch darstellt, ist die Gefahr gegeben, dass sie auf Grund ihres strengen Islamverständnisses und ihrer weltweiten Missionierungstätigkeit islamistische Radikalisierungsprozesse fördert (vgl. VB Berlin 2010, S. 177). In der Literatur des TJ ist eine ausgeprägte Verherrlichung des kämpferischen Jihads feststellbar. Wenn auch nicht ausdrücklich zum kämpferischen Jihad aufgerufen wird, so wird dieser doch als herausragende Glaubenspflicht eines jeden Muslims bezeichnet (vgl. VB Nordrhein-Westfalen 2010, S. 220).

Das Bemühen der TJ, eine muslimische Idealgesellschaft nach dem Vorbild des Frühislam zu schaffen, schließt eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna ein, die nach dem Verständnis der TJ den Vorrang der dort enthaltenen Vorschriften gegenüber staatlichen Gesetzen beinhaltet. Damit widerspricht die Ideologie der TJ wesentlichen demokratischen Grundsätzen, insbesondere der Trennung von Religion und Staat. Das angestrebte Gesellschaftsmodell benachteiligt sowohl Nichtmuslime als auch Frauen (vgl. VB Bund 2010, S 276). Dabei werden die Unterordnung der Frau unter den Mann, die Gehorsamspflicht der Frau gegenüber dem Mann und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Frau ebenso postuliert wie ihre sexuelle Verfügbarkeit (vgl. VB Nordrhein-Westfalen 2010, S. 221).

Die TJ befürwortet die Einführung der Scharia (vgl. VB Nordrhein-Westfalen 2010, S. 220; VB Hessen 2010, S. 50). Die von der TJ angestrebte gesellschaftliche Etablierung der Scharia wird zudem durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (unter Beteiligung der Verfassungsschutzämter der Länder) vorgenommenen Auswertung des von den Anhängern der TJ bei ihrer Missionierungstätigkeit verwendeten Standardwerkes "Faza´il-e-A´maal" ("Die Tugenden des Handelns") des Mitbegründers der TJ Muhammad Zakariyya Kanndhlawi bestätigt. Das von Ihtishaamul Hasan Kaandhlawi verfasste siebte Buch dieses Werkes - in der englischen Fassung mit dem Titel "Muslim Degeneration an its Only Remedy" (Die Degeneration der Muslime und ihr einziges Heilmittel) - enthält ein Plädoyer für die Anwendung sämtlicher Bestimmungen der Scharia. Das impliziert die Anwendung der mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbaren Bestimmungen des klassischen islamischen Prozessrechts, des klassischen islamischen Ehe- und Scheidungsrechts sowie der koranischen Körperstrafen (Hadd-Strafen). In dem in den 1930er Jahren veröffentlichten siebten Buch beklagt der Verfasser den Niedergang der Muslime, den er darauf zurückführt, dass die junge, westlichen Lebensformen zugewandte Generation der Muslime die Bestimmungen und Vorschriften des "islamischen Gesetzes" als nicht mehr zeitgemäß ansehe. Diese Haltung wird von dem Verfasser als unislamisch und verwerflich diffamiert (Seite 5). Er fordert ausdrücklich, dass alle Gesetzesregeln der "muhammedanischen Scharia" angenommen und praktiziert werden müssten, einschließlich der göttlichen Bestimmungen, zu denen "das Gute gebieten und das Schlechte verbieten" gehöre (Seite 18). Die Rückkehr zu vergangener Größe könne nur über die Durchsetzung, Aufrechterhaltung und Verteidigung der Scharia mit aller Energie und Kraft auf dem von Mohammad gelehrten Lebensweg erreicht werden (Seite 19).

Den Einfluss einer geltenden Scharia auf das gesellschaftliche Leben vermag der Kläger nicht mit dem Hinweis zu relativieren, dass es im Koran Befehle gebe, die nur das Staatsoberhaupt oder die Regierung, nicht aber der einfache Muslim zu befolgen habe. Es steht außer Frage, dass die von der TJ angestrebte Gesellschaftsordnung eine alleinige Verbindlichkeit aller rechtlichen Regelungen der Scharia vorsieht, deren Beachtung und Durchsetzung die Staatsgewalt sicherzustellen hat. Soweit der Kläger unter Berufung auf den Aufsatz "Islamisten und Schari´a" von Prof. Dr. Rohe in der vom Beklagten vorgelegten Schrift "Islamismus - Diskussion eines vielschichtigen Phänomens", S. 98, meint, dass die Vorschriften der Scharia einem Wandel der Zeiten und Lebensverhältnisse unterlägen, mag das der Auffassung der großen Mehrheit neuzeitlicher muslimischer Autoren entsprechen (vgl. Prof. Dr. Rohe, a.a.O., S. 99), nicht jedoch dem Verständnis der TJ, deren Bemühen auf die Schaffung einer muslimischen Idealgesellschaft nach dem Vorbild des Frühislam gerichtet ist und ein weitgehend statisches Wortlautverständnis des Korans einschließt.

Darüber hinaus wird auch in Reden herausgehobener TJ-Funktionäre die Islamisierung der Gesellschaft sowie die Errichtung eines "islamischen Staates" (Kalifat) gefordert (zitiert nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. März 2008 - 5 B 05.1449 -, juris Rn. 38 bis 42; nachfolgend Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. Januar 2009 - BVerwG 5 B 51.08 -, juris):

"Einer der weltweiten Führer der TJ - Sheik Abdul Wahab - hat anlässlich des Welttreffens der TJ vom 17. bis 19. November 2005 in Raiwind, erklärt, dass die TJ-Arbeit in den Staaten der Ungläubigen schwierig sei. Man müsse aber durchhalten, um das Ziel, die Errichtung eines Kalifats, zu erreichen.

Bei einem Gastbesuch einer TJ-Gruppe aus Hessen vom 19. bis 21. Mai 2006 in Erlangen machte Roomi Sadia, einer der vier ehemaligen Emire Deutschlands, deutlich, dass Politik, Wirtschaft und Islam eine Einheit bildeten und der Islam nie losgelöst als Religion gesehen werden dürfe. Jeder Muslim habe seine Aufgabe zu erfüllen. Er erklärte dies am Beispiel eines Bienenstocks. Im Bienenvolk, das hier für die Gemeinschaft der Muslime stehe, gebe es Arbeits-, Bewacher- und Soldatenbienen. Jeder Muslim habe seine Pflicht zu tun, um den Einfluss des Islam zu vergrößern. Die Bienen, also Muslime, die ihre Pflicht nicht erledigten, hätten kein Recht weiterzuleben; so sei dies auch bei den Menschen, die kein Recht auf Leben hätten, wenn sie keine Arbeit für den Islam leisteten.

Ein Redner auf dem Deutschlandtreffen der TJ vom 5. bis 7. Juni 2006 in Berlin behauptete, dass alle die nicht an Gott glaubten und somit nach ihren Wünschen lebten, wie Tiere seien…

Beim Deutschlandtreffen der TJ vom 15. bis 17. April 2005 in Hamburg wurde demgemäß auch daran erinnert, dass jeder Lebensbereich durch die Befehle Gottes geregelt sei. Belohnung und Bestrafung durch Gott sei durch die Scharia geregelt. Auf diesem Jahrestreffen, bei dem hochrangige Funktionäre der TJ aus Indien und der ehemalige Emir für Norddeutschland, Afzal Qureshi, predigten, wurde als Zielsetzung verkündet: 'Wir bereiten sie (die Menschheit) auf ein islamisches Leben vor, indem wir die Umgebung dafür schaffen. Dann sendet Gott die Hidaia (Rechtleitung) der ganzen Menschheit'."

Die Erkenntnisse aus den Verfassungsschutzberichten, dem Standwerk der TJ sowie aus den Redebeiträgen ihrer führenden Funktionäre tragen nach der Überzeugung des Senats die Annahme, dass die TJ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Die TJ ist danach eine Organisation, die die Islamisierung der Gesellschaft betreibt. Ziel ist die Schaffung eines islamischen Staates, in dem die göttlichen Regeln der Scharia gelten, die vollständige Vorgaben für die Gestaltung des Lebens enthalten. Als unfehlbare Pflichtlehre umfasst die Scharia das gesamte religiöse, politische, soziale, häusliche und individuelle Leben sowohl der Muslime als auch das Leben der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen insofern, als ihre öffentliche Lebensführung dem Islam und den Muslimen in keiner Weise hinderlich sein darf (vgl. , Stichwort: Scharia). In einem solchen theokratischen Staatsgebilde werden Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie der Schutz von Individual- und Minderheitenrechten demnach als menschengemachtes Recht abgelehnt (vgl. Prof. Dr. Rohe, a.a.O., S. 103), was zwangsläufig mit den in § 4 Abs. 1 lit c BVerfSchG legaldefinierten Verfassungsgrundsätzen unvereinbar ist. Im Hinblick auf die nachhaltige Missionierungstätigkeit weisen die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der TJ auch eine über bloße Meinungen hinausgehende Zielstrebigkeit auf, wobei Gewaltbereitschaft kein notwendiges Element verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG ist (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 5. März 2008, a.a.O., Rn. 45, unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. November 2004 - BVerwG 3 C 8.04 -, juris Rn 37).

Die Sichtweise des Privatdozenten Dr. Reetz stellen die Beobachtungen der Nachrichtendienste nicht in Frage: Danach propagiere die TJ einen so genannten Reform-Islam (islahi), der sich an der Wiederbelebung der Traditionen der Gründergeneration (al-salaf) des Islam orientiere. Gerade in Europa gehe es den Missionaren der TJ darum, den offensichtlichen Prozess der Säkularisierung von Muslimen aufzuhalten und umzukehren (vgl. Reetz, Beitrag "Islamische Missionsbewegungen in Europa", S. 5 und 7, Konferenz "Islam in Europa", Diplomatische Akademie Wien, 23. März 2007). Die religiösen Verhaltensweisen und Institutionen der TJ böten zwar entwurzelten Jugendlichen deutliche Moralvorstellungen und neuen Halt. Da die TJ inzwischen zum Mainstream einer grenzübergreifenden Re-Islamisierung avanciert sei, ziehe sie - wenn auch von ihr nicht gewollt - aber auch in wachsendem Maße Opportunisten und "Trittbrettfahrer" an. Es sei also nicht auszuschließen, dass militante Islamisten unter fremder Flagge rekrutierten, indem sie sich als Tablighis ausgäben. Problematisch bleibe die ideologische Affinität der Bewegung zum Islamismus. So falle es den Tablighis genau wie vielen anderen religiösen Gruppen schwer, sich demonstrativ oder eindeutig von militanten Aktivitäten zu distanzieren. Die Jihadis blickten bewundernd auf die Tabhlighis und sähen sie als eine andere Form des Jihad. Gerade im südasiatischen Subkontinent, und vor allem in Pakistan, nähmen wohl etliche der Jihadis bei den Tablighis Unterschlupf, um dort angesichts der wachsenden staatlichen Repressionen gegen radikale Islamisten zu "überwintern". Die Tablighis hätten es wiederum zur "Politik" erklärt, nicht nachzufragen, wo jemand herkomme, um damit auch gegenüber Anhängern abweichender doktrinärer Strömungen offen zu bleiben, die schleichend integriert würden und so konvertierten, etwa Sufi-beeinflusste Barelwis oder auch Schiiten. Daher könnten oder wollten sie nicht erkennen, ob und wann sich unerwünschte Personen bei ihnen aufhielten. De facto hätten sie jedoch in den letzten fünf bis zehn Jahren einige Kontrollbarrieren errichtet, um das Eindringen krimineller oder militanter Elemente zu erschweren (vgl. Reetz, a.a.O., S. 8). Damit zeichnet Dr. Reetz ein Bild von der TJ, das der Darstellung in den Verfassungsschutzberichten im Kern nicht widerspricht, sondern diese eher ergänzt.

Soweit Prof. Dr. Schiffauer in dem vom Kläger herangezogenen Interview der "Islamischen Zeitung" vom 3. Januar 2007 (-zeitung.de/?id=8123) eine Verwahrlosung der Rechtsstaatlichkeit darin erkennen will, dass Verfassungsschutzberichte wie Urteile über die Verfassungsfeindlichkeit genommen würden, obwohl in ihnen Kriterien - wie etwa die Missionierung bei der TJ - auftauchten, die mit der Verfassung nichts zu tun hätten, handelt es sich um die bloße Äußerung einer Rechtsauffassung, die eine Verwertbarkeit der nachrichtendienstlichen Beobachtungen nicht in Zweifel zu ziehen vermag. Dass die Beobachtungen der Nachrichtendienste ausreichende Anknüpfungstatsachen für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen liefern können, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 24.08 -, juris Rn. 28 ff; Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 1 WB 86.97 -, juris Rn. 9). Im Übrigen beschränken sich die vorliegenden Verfassungsschutzberichte nicht auf den bloßen Vorwurf einer Missionierungstätigkeit der TJ, sondern enthalten zahlreiche Darlegungen zu deren verfassungsfeindlichen Vorstellungen und Zielen, die vom Kläger nicht substanziiert bestritten worden sind.

Es liegen zudem tatsächliche Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen unterstützt hat und noch unterstützt. Das folgt schon daraus, dass er nach eigenem Bekunden regelmäßig an Versammlungen der TJ teilnimmt und schon seit vielen Jahren für diese Bewegung missioniert. Am Vorliegen einer tatbestandsmäßigen, den Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG ausschließenden Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vermag weder die von ihm angeführte Rechtsprechung noch sein Hinweis auf seine langjährige gesellschaftliche Verankerung in der hiesigen Gesellschaft etwas zu ändern. Soweit er sich auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2010 - 19 B 09.929 - juris, beruft, wonach die bloße Bekundung der politischen oder religiösen Überzeugung im Rahmen der geltenden Rechtsordnung noch nicht als Unterstützungshandlung gewertet werden könne, übersieht er, dass dieses zu den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - ergangen ist und selbst die unmissverständliche Klarstellung enthält, dass die dort entwickelten Maßstäbe auf das - hier in Rede stehende - Staatsangehörigkeitsrecht nicht übertragbar sind. Ob die TJ den Terrorismus unterstützt und damit als Vereinigung das entsprechende Tatbestandsmerkmal des Ausweisungstatbestandes des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllt, bedarf im Streitfall keiner Würdigung. Hier begehrt der Kläger mit der Einbürgerung die Erweiterung seines Rechtskreises, die ihm nur unter den Voraussetzungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes gelingen kann. Dass angesichts des in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorverlagerten Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bereits das gewaltlose Verfolgen oder Unterstützen verfassungsfeindlicher Bestrebungen dem klägerischen Begehren entgegensteht, ist mit Blick auf das vom Kläger bemühte Aufenthaltsgesetz unbedenklich, weil es einen erheblichen Unterschied macht, ob jemand Aufnahme in die staatlich verfasste Gemeinschaft begehrt oder lediglich deren Gastrecht in Anspruch nehmen möchte (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22. Februar 2010, a.a.O., juris Rn. 98). Im Übrigen macht der Wortlaut des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unmissverständlich deutlich, dass die persönliche Lebenssituation des Klägers und dessen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung für den Ausschlussgrund ohne Belang sind.

Schließlich kann der Kläger auch keine Einbürgerung nach §§ 8, 9 StAG verlangen. Das gilt auch, soweit die vor dem 28. August 2007 geltende Rechtslage für den Kläger günstiger war, da § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. nach seinem Wortlaut seinerzeit nur einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG entgegenstand, nicht aber grundsätzlich eine im Ermessen der Behörde stehende Einbürgerung nach §§ 8, 9 StAG a.F. hinderte.

Die im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau des Klägers zu beachtende Regelung in § 9 Abs. 1 StAG a.F., nach der Ehegatten Deutscher unter bestimmten Voraussetzungen eingebürgert werden sollen, steht unter dem Vorbehalt, dass der Einbürgerung keine erheblichen Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Da zu den erheblichen Belangen auch der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört, ist § 9 Abs. 1 StAG a.F. jedenfalls bei solchen Einbürgerungsbewerbern nicht anwendbar, die den Ausschlusstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. durch gegenwärtige Unterstützungshandlungen erfüllen (siehe Urteil des Senats vom 10. Februar 2011 - OVG 5 B 6.07 -, juris Rn. 34, unter Bezugnahme auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Mai 2003 - 5 B 00.1819 -, juris Rn. 31). Vorliegend steht außer Frage, dass der Kläger durch seine andauernde Missionierungstätigkeit die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der TJ nach wie vor unterstützt, so dass eine "Soll-Einbürgerung" nach § 9 StAG a.F. ausscheidet.

Die somit durch § 9 StAG a.F. nicht gebundene Ermessensentscheidung des Beklagten nach § 8 StAGa.F. weist auch keine Ermessensfehler auf, die zu einem Anspruch auf Neubescheidung nach § 113Abs. 5 Satz 2 VwGO führen könnten. Denn die Erwägung des Beklagten, dass angesichts desvorliegenden Ausschlussgrundes ein öffentliches Interesse für die Einbürgerung nicht ersichtlich sei,ist unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). [...]