VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A - asyl.net: M20015
https://www.asyl.net/rsdb/M20015
Leitsatz:

Bei einer Rückführung nach Italien ist für einen Asylsuchenden mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu rechnen, weil die Erfüllung der Lebensbedürfnisse dort nicht gesichert ist.

Schlagwörter: Schutzgewährung, Durchführung des Asylverfahrens, Italien, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Rückschiebung, Aufnahmebedingungen,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Nach den für ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden Maßstäben der summarischen Prüfung hält das Gericht das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls, was die Beurteilung der Verhältnisse in Italien betrifft, nach Aktenlage in einem Grad für ernstlich wahrscheinlich, welcher die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis rechtfertigt. Dabei hat man sich zu vergegenwärtigen, dass das vorläufige Rechtsschutzverfahren es vor allem bezweckt, die Durchführbarkeit des Hauptsacheverfahrens zu sichern, ohne dass die Antragstellerin - wie gegebenenfalls bei ihrer Überstellung nach Italien noch während der Dauer jenes Verfahrens - Rechtsbeeinträchtigungen befürchten muss, die diesen Zweck gefährden und die nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr verhindert bzw. rückgängig gemacht werden können (vgl. dazu allgemein OVG NRW , Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 8 B 1433/09.A -, juris).

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat in seinem Urteil vom 26.07.2011 - 9 A 346/10 -, juris, nach ausführlicher Würdigung der verfügbaren Erkenntnisquellen im Kern ausgeführt, der dortige Kläger habe bei einer Rückschiebung nach Italien mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu rechnen, weil die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse dort nicht gesichert sei. an. Für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Verhältnisse sei angesichts der im Jahr 2011 noch gestiegenen Zahl von Menschen, die von der nordafrikanischen Küste Italien erreicht hätten, nichts ersichtlich. Eher habe sich die Lage noch verschlimmert. Es hat seine Überzeugung im Wesentlichen aus dem Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender "Zur Situation der Flüchtlinge in Italien" vom 28. Februar 2011 und aus dem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu "Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien" bezogen. Dabei hat es sich mit diesen Erkenntnisquellen detailliert auseinandergesetzt. Der Bericht von Bethke und Bender zeichnet ein erschreckendes Bild von der Asylbewerberlage in Italien. 98 % der Dublin II-Rückkehrer seien der Obdachlosigkeit überlassen und seien insbesondere nächtlichen Überfällen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Der Bericht verweist auf umfangreiches Zahlenmaterial italienischer Stellen. Als weiteren Mangel hat das VG Magdeburg nachvollziehbar denjenigen an Unterkünften und damit das Fehlen der Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse angeführt. Eine im Wesentlichen entsprechende Beurteilung der Sachlage hat im Übrigen im Rahmen aktueller Entscheidungen etwa auch das Verwaltungsgericht Freiburg - ebenfalls mit eingehender Begründung – vorgenommen (vgl. Beschlüsse vom 2. Februar 2012 - A 4 K 2203/11 -, juris, sowie vom 17. Februar 2012 - A 2 K 286/12 -; siehe entsprechend zur Situation in Italien jüngst auch Dominik Bender, Warum Italien ein "Dublin-Thema" ist, Asylmagazin 2012, 11 ff.).

Dieser Bewertung schließt sich das erkennende Gericht an. Es ist nicht erkennbar, dass sich diese Einschätzung hinsichtlich Italien innerhalb der seitdem vergangenen kurzen Zeit geändert haben soll. Die gegenteilige Ansicht des Bundesamtes ist nicht überzeugend.

Das Gericht kommt im Rahmen der ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse der Antragstellerin, bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Italien abgeschoben zu werden, höher zu bewerten ist, als das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier ins Gewicht fallende Zweifel an der Richtigkeit der ergangenen Abschiebungsanordnung bestehen und sich angesichts der Schwierigkeit der betroffenen Sach- und Rechtsfragen eine konkrete Prognose für den endgültigen Ausgang des Hauptsacheverfahrens noch nicht treffen lässt. Im Übrigen besteht hier gerade auch für das Interesse der Antragstellerin die konkrete Gefahr, dass im Falle ihrer Überstellung nach Italien – etwa wegen drohender Obdachlosigkeit und Unerreichbarkeit für Behörden und Gerichte – Rechtsbeeinträchtigungen eintreten, die nachträglich nicht mehr rückgängig zu machen sind. [...]